Halfing, Immling Festival 2023, María de Buenos Aires - Tango-Operita, IOCO Kritik, 31.07.2023
Immling Festival 10.6.-13.8.2023
María de Buenos Aires - Tango-Operita - Astor Piazolla
von Marcus Haimerl
In der instabilen politischen Zeit der rechtskonservativen argentinischen Militärdiktatur unter Juan Carlos Onganía und seinen Nachfolgern (1966-1973) übte die Zensur einen starken Einfluss auf das Land aus und Werke wie Strawinskys Le sacre du printtemps oder Bartóks The Miraculous Mandarin wurden von den Bühnen verbannt. Sie stellten Ideen wider die Moral des Regimes dar. Künstler entschlossen sich rebellische, dem Protest verschriebene Musik zu komponieren und so ein Zeichen gegen die Unterdrückung und das Regime zu setzen. Der argentinische Bandoneon-Spieler und Komponist Astor Piazzolla (1921-1992) beschloss sich diesen Protesten anzuschließen und so schuf er 1968 gemeinsam mit dem uruguayischen Dichter und Librettisten Horacio Ferrer (1933-2014) die Tango-Operita María de Buenos Aires. Die Zusammenarbeit mit Ferrer war bewusst gewählt.
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Der in Montevideo als Journalist und Tango-Historiker tätige Horacio Ferrer veröffentlichte 1967 seinen ersten Gedichtband Romancero canyengue (Romantischer Canyuengue). Unter diesen Gedichten fand sich auch La última grela (Die letzte Prostituierte) aus welchem das erste gemeinsame Lied mit Piazzolla entstand. Schließlich soll Piazzolla zu Ferrer gesagt haben: „Ich möchte, dass Du mit mir zusammenarbeitest, denn meine Musik entspricht genau deinen Versen.“ Ferrer willigte ein und zog nach Buenos Aires. Piazzollas turbulente Beziehungen zu Frauen wurde im Fall der María de Buenos Aires zum Segen. Ursprünglich war die argentinische Sängerin und Schauspielerin Egle Martin (Egle Lucía Martínez Furque) vorgesehen, auf Grund diverser Unstimmigkeiten zerschlug sich dieses Vorhaben jedoch rasch. Nachdem Ferrer und Piazzolla einigen Sängerinnen in den Nachtclubs Argentiniens zugehört hatten, lernten sie Amelita Baltar kennen, eine Volkssängerin mit großer dunkler Stimme. Astor Piazzolla hatte seine María gefunden und zwischen beiden begann eine berufliche und romantische Beziehung, die fünf Jahre lang andauerte. Aus der Beziehung der drei Künstler gingen einige der berühmtesten Tangos der argentinischen Geschichte hervor. Das Rückgrat der am 8. Mai 1968 konzertant in Buenos Aires uraufgeführten María de Buenos Aires bildeten Piazzolla, Ferrer, Baltar und der Tangotenor Héctor de Rosas.
Die Tango-Oper erzählt vom Schicksal der María, die aus der Vorstadt nach Buenos Aires kommt und ihr Glück sucht, daran aber scheitert. Sie wird in einer grotesken Messe („sehr in Moll“) ermordet und wiedergeboren. Fortan streift sie als Schatten durch die Straßen Buenos Aires. Piazzolla hat die traditionelle Form des Tangos aufgebrochen und mit Elementen der klassischen Musik und des Jazz angereichert und damit die Entwicklung zum Tango Nuevo maßgeblich beeinflusst. In seiner María de Buenos Aires hat er die Entwicklung des Tangos nachgezeichnet. Zum einen hat er Einflüsse verschiedener Tanzformen wie Polka, Walzer oder Habanera verarbeitet, die einen Einfluss auf den Tango ausgeübt haben, zum anderen hat er im Verlauf der Oper verschiedene Formen des Tangos dargestellt. Die musikalische Sprache zeigt sich in Form des Synkretismus westeuropäisch-klassischer Formen einerseits und lateinamerikanischer Folklore andererseits. Seine Verse verbinden Lunfardo, den Slang von Buenos Aires, mit Elementen des Dadaismus. Ein Meisterwerk des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts, das in der Musikgeschichte aufgrund seiner Eigensinnigkeit herausragt und bis heute ein Alleinstellungsmerkmal in der Welt der Oper und Operette beansprucht.
Regisseurin Verena von Kerssenbrock greift die Dunkelheit des Stückes auf und setzt auf starke Bilder, ebenso schön wie manchmal auch verstörend. Zwischen durchsichtig weißen, in sich verdrehten Stoffbahnen (Bühnenbild: Verena von Kerssenbrock) bevölkern exotische Gestalten die Bühne. Zwischen Marionetten, einem Affen, einem Harlekin, zwei Engeln, Dieben, Puffmüttern und anderen Nachtschattengewächsen, alle mit unheimlichen Gesichtsmasken, wird María dupliziert. Eine Tänzerin und ein Tänzer, wie María im blauen Kleid mit roter Kopfbedeckung, stellvertretend für Liebe und Hass, aber auch das Kind María taucht immer wieder aus der Dunkelheit auf und bilden eine Art Dreifaltigkeit um die eigentliche María. Ebenso exzellent wie die Personenführung von Verena von Kerssenbrock ist auch die Choreografie von Rosalie Wanka.
Auch musikalisch bleiben keine Wünsche offen. Das Immlinger Festspielorchester unter der Leitung von Cornelia von Kerssenbrock entführt mit höchster Präzision in die sinnliche und tragische Welt des Tangos. Herausragend auch die Soloinstrumentalisten Luís Borda (Gitarre), Doris Kreusch-Orsan (Violine) und Pablo Fernández (Bandoneón). Ebenso beeindruckend auch die Sprechchöre (in spanischer Sprache) die vom Festivalchor und vom Extrachor übernommen wurden.
Mit ihrem großen, warmen Mezzosopran und intensiver Gestaltung gelingt Flaka Goranci als María eine zutiefst berührende Darstellung dieser tragischen Frauenfigur. Der spanische Schauspieler Karlos Klaumannsmoller führt als Geist durch die Handlung und rezitiert die spanische, teils surrealistische Poesie von Horacio Ferrer ungemein wortdeutlich mit unglaublicher Bühnenpräsenz.
Der chilenische Tenor Leonardo Navarro und der peruanische Tenor Oscar Ore ergänzen mit großartigen Stimmen das Hauptensemble in vielen unterschiedlichen Rollen. Rosalie Wanka (María (Liebe), Marionette, Tod, Engel) und Gabriel Wanka (María (Hass), Marionette, Affe, Engel) beeindrucken durch ihren berührenden, ausdruckstarken Tanz.
Auch das restliche Ensemble, darunter die Marionetten Simone Lang, Claudia Rudolph und Birgit Gillemot, Devilal Chaudhary als Harlekin und alternierend als María als Kind Esra Korkmaz und Isabel Stock, wie auch die Tanzstatisterie, der Festivalchor und der Extrachor können restlos überzeugen.
Das Publikum zeigte sich restlos begeistert und bejubelte alle Künstler für einen gelungenen vor allem aber außergewöhnlich berührenden Abend. Am Ende steht die Hoffnung, dass dieses Werk von Astor Piazzolla häufiger auf den Spielplänen größerer und kleinerer Häuser zu erleben sein wird.
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