Insight Wilhelm Furtwängler, DVD Blue Ray Film Edition

Insight Wilhelm Furtwängler, DVD Blue Ray Film Edition
Wilhelm Furtwängler, London 1948 copyright Jürgen Schäfer

 

Filmischer Nachlass des Dirigenten und Zeitzeugnisse erstmals auf DVD

DVD Box copyright Wilhelm Furtwängler Gesellschaft

 

Wilhelm Furtwängler starb vor mehr als siebzig Jahren. Für die junge Bundesrepublik und die Musikwelt war dies ein Schock. Er wurde nur 68 Jahre alt.

Großes stand bevor. Eine Amerika-Tournee mit den Berliner Philharmonikern war geplant. Für die EMI sollte er Wagners gesamten Ring des Nibelungen aufzeichnen. Gleichzeitig hatte er mit einem erheblichen Verlust des Gehörs zu kämpfen. Das Ende des tauben Beethovens muss ihm vor Augen gestanden haben. So wurde nach den schweren Jahren der NS-Zeit auch sein Tod für ihn zu einer furchtbaren Tragödie, in Teilen aber vielleicht aber auch eine Erlösung.

 

Furtwängler war ein Musiker, dessen Karriere im deutschen Kaiserreich begonnen hatte. Schnell erklomm er mehrere Karrierestufen und wurde ein international geachteter Repräsentant deutscher Musikkultur. Trotz des Mordens und der Barbarei, die die Deutschen im Namen des NS Regimes über Europa gebracht hatten, wurde er schon 1948 zu Konzerten in Großbritannien und Frankreich eingeladen. In Großbritannien präsentierte er 1948 einen vollständigen Beethoven-Zyklus. Später nahm er in London unter anderem die legendäre Tristan und Isolde Einspielung mit Kirsten Flagstad und Ludwig Suthaus auf.

Furtwängler 1931 in Liverpool copyright Jürgen Schäfer

 

Furtwänglers Werden war tief im neunzehnten Jahrhundert verhaftet. Geprägt wurde er durch seinen Vater, den berühmten Archäologen Adolf Furtwängler, die Familie und Privatlehrer. Er war zutiefst der Antike, Klassik sowie Romantik aber auch Sportarten wie Reiten und Skifahren verbunden. Sehr beliebte war er als Gast bei seinen Orchestern und auch in Gesellschaften. Zugleich war er ein Einzelgänger und Individualist, der in seinem Kosmos der Musik lebte. Dem Zeitgeschehen stand er oft hilflos gegenüber, kämpfte aber auch in der NS Zeit vehement für Verfolgte. Die frühe Prägung zur Tradition hat ihn später nicht gehindert, sich für neue Musiker wie Stravinsky, Bartok und Hindemith einzusetzen. Zu seinem Schicksal gehört es, dass er auch in der NS-Diktatur wirkte und dadurch bis heute polarisiert, obwohl er politisch nicht unmittelbar verstrickt war.

 

Nach seinem Tod vor mehr als siebzig Jahren ist er in die Musikgeschichte eingegangen. Er ist einer der Dirigenten, die als Musikerlegende angesehen werden. Seine außergewöhnlich suggestiven Interpretationen und seine wahrhaftigen, aus eigenem Erfindungsreichtum geschöpften Wiedergaben verfügen über eine starke Sogkraft und immense Individualität. Sie werden bis heute weltweit veröffentlicht. Durch seine künstlerischen Visionen und seine Gestaltungskraft erreichte er allein durch seine Tonträger weltweite Popularität selbst in Japan und den USA.

 

Ich bin Wilhelm Furtwänqler in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf Schallplatten begegnet. Als Jugendlicher hatten mich Musik und Welt Richard Wagners fasziniert. Nur mit knappen Finanzen ausgestattet, war der Ring des Nibelungen aus der Mailänder Scala, dirigiert von Furtwängler, seinerzeit die einzige Möglichkeit, eine Gesamtaufnahme der Opern in einer obskuren Ausgabe für schmale 30 DM auf 11 LP zu erwerben.

 

Was trotzt der tontechnischen Einschränkungen aus den Lautsprechern erklang, machte mich sprachlos. Schon das Strömen und Weben des Vorspiels im Rheingold war wesentlich tiefgängigerer, als in den bisher konsumierten Rundfunkübertragungen. Die Kraft und Wehmut mit der Wotans Abschied oder Kirsten Flagstads Schlussgesang ertönte und die musikalische Gestaltung durch Furtwängler wirkten damals auf mich wie Magie und waren Entdeckungen von bisher Ungehörtem.

Äußerungen Wilhelm Furtwänglers zum Dirigat eines Kollegen beleuchten seine Auffassung zu Interpretation und wesentlichen Bestandteilen seines Anspruches an die Aufgabe des Dirigenten und die Orchesterleitung. Diese gelebten Interpretationsgrundsätze dürften Kern seiner faszinierende Wirkung gewesen sein. Aus seiner Sicht muss der Interpreten die funktionelle Bedeutung der Modulationen auf lange Sicht vermitteln. Diese spiele in der absoluten Musik, zumal Beethovens, eine gewichtige Rolle. Ferner forderte er, statt einer musikalischen Darbietung eine seelisch-psychologische Durchdringung der Kompositionen. Als einen weiteren Aspekt verlangte er ein organisches Werden des Beethoven-Werkes. Für Furtwängler bedeuteten die Beethoven-Sinfonien ein lebendiges organisches Herauswachsen jeder melodischen, rhythmischen, harmonischen Bildung aus dem Vorhergehenden. Dies beschreibt in Kürze wesentliche Aspekte und die Qualität von Furtwänglers Interpretationen.

Claudio Abbado erklärte seine Nähe zu Furtwängler in ähnlicher Weise: „Für mich war Furtwängler immer der größte Interpret. Weil bei ihm jede Note, jede Phrasierung eine logische Bedeutung gefunden hatte. Was den Zusammenhang zwischen allen Noten in der Musik betrifft, das konnte Furtwängler dirigieren und uns hören lassen.“

Durch die Vielzahl seiner hinterlassenen Aufnahmen hat er einen immensen Einfluss auf die Musik-, Interpretations- und Schallplattengeschichte. Von der Erfindung und praktischen Einführung des Tonbands beim Rundfunk haben er und die Nachwelt immens profitiert. Der Rundfunk hatte eine Einspielung des letzten Satzes der 4. Sinfonie von Brahms mit Furtwängler für die öffentliche Vorführung der Erfindung des Tonbandes im Berliner UFA-Palast aufgenommen. Vom Ergebnis war der Dirigent so begeistert, dass er sich die Aufnahmen mehrfach vorführen ließ. Er hatte noch nie erlebt, dass man Konzerte in einer solchen Qualität auf Tonträger bannen konnte.  

Damit war wohl das Eis gebrochen und die frühere Ablehnung von Schallaufnahmen beseitigt. Furtwängler hinterließ, insbesondere in den nur sieben Jahren zwischen seinem Wiederauftreten nach dem zweiten Weltkrieg bis zu seinem Tod, ein reiches Erbe an Studio- und Live-Aufnahmen.

 

Der Trend zur Herausgabe großvolumiger Boxen hat auf dem CD Markt dafür gesorgt, dass in einer übersichtlichen Zahl an Veröffentlichungen die wichtigsten Aufnahmen Furtwänglers in hervorragender Tonqualität vorliegen. Dadurch ist sein Schaffen bestens dokumentiert. Bedeutend sind die Aufnahmen der Reichsrundfunkgesellschaft aus den Kriegsjahren, die zuletzt in fulminanter Qualität auf SACD beim Label der Berliner Philharmoniker erschienen sind. Seine bei EMI entstandenen Studioaufnahme liegen auf 55 CD bei Warner vor. Hinzu treten Rundfunkaufnahmen aus Berlin und Luzern bei Audite, aus Salzburg und Wien bei Orfeo und eine große Ausgabe auf 80 CD mit Aufnahmen aus aller Welt beim japanischen Label King. All dies ist auch bei den großen Streaming-Diensten verfügbar. Daher ist der Zugriff auf Furtwänglers Aufnahmen heute unfassbar leicht. Wer der Faszination Wilhelm Furtwänglers erliegt, erhält in John Ardoins Buch „The Furtwängler Legacy“ eine profunde Einordnung der wichtigsten Aufnahmen.

 

Auf dem Youtube Kanal hcleskov-fischer sind zahlreiche seiner Opernaufnahmen zum Hören und download verfügbar. Der Kanalinhaber hat alle Gleichlaufschwankungen der Tonbänder beseitigt und die Aufnahmen in die richtige Tonhöhe transferiert. Insbesondere Furtwänglers Aufnahme der Meistersinger von Nürnberg aus dem Jahr 1943 profitiert davon immens.

 

Bei allen Veröffentlichungen blieb bisher das Desiderat einer DVD, die Furtwängler im Film zeigte und wichtige existierende Interviews von Zeitzeugen präsentiert. Die deutsche Wilhelm Furtwängler Gesellschaft hat diese Lücke nun mit ihrer exzellenten Veröffentlichung geschlossen. Die hervorragend restaurierte und editierte Edition besteht aus drei Blu-ray DVDs und einem Begleitbuch.

 

In bestechender Bild und Tonqualität werden auf der ersten Disc die wichtigsten Bilddokumente Wilhelm Furtwänglers vorgelegt. Dies sind Konzert- sowie Probenausschnitte mit Kompositionen von Wagner, Strauss, Beethoven und anderen. Die zweite Disc enthält Gespräche und Ausschnitte einer italienischen TV-Dokumentation mit Beiträgen von Theodor W. Adorno, Claudio Abbado, den Orchestermitgliedern Werner Thärichen sowie Eberhard Finke und vielen anderen. Als letztes wichtiges Dokument ist auf DVD 3 die überaus sehenswerte Filmdokumentation über Wilhelm Furtwängler von Florian Furtwängler aus dem Jahr 1968 enthalten.

 

Die Edition eröffnet die Möglichkeit, Furtwängler auf dem Podium in Bild und Ton kennenzulernen. Durch die Filmaufnahmen werden sein Dirigierstil und dessen Wirkung anhand der Filmaufnahmen insbesondere im Don Juan sichtbar. Diesen beschreibt die Bratscherin, Dramaturgin, Musikschriftstellerin und Journalistin Karla Höcker wie folgt: „Furtwängler holte er mit seinen weit ausladenden Bewegungen Klangwirkungen von ungewohnter Intensität aus dem Orchester heraus. Er erinnerte in der Art, wie er sich neigte und bog, zuweilen eher an einen sturmgepeitschten Baum als an einen sorgfältig taktierenden Kapellmeister“.

Furtwängler dirigiert das AEG-Werkskonzert 1942 copyright WikiCommons

 

Am erschütterndsten sind Dirigat und Publikumsrektionen in einer Filmaufnahmen des Vorspiels zum 1. Aufzug Meistersinger aus einem Berliner AEG-Werkskonzert in einer Pause aus dem Jahr 1942 zu sehen. Die Gesichter der Zuhörer spiegeln dort die Schrecken des Krieges wieder. Zwei Frauen wirken äußerlich um zwanzig Jahre gealtert aber gelöst und verklärt bei Hören der Musik. Ein etwa siebzehnjähriger Blondschopf blickt mit angsterfüllten Augen in die Kamera. Ihm glaubt an, dass er in den Bombennächten Dantes Inferno gesehen hat. Ältere Arbeiter blicken mit leeren Augen und gelösten Gesichtern in die Kamera.

Das gleiche Werk ist in Auszügen auch aus einem Film nach dem Krieg enthalten. Vergleicht man beide Aufnahmen ist der Unterschied zwischen den Interpretationen Furtwänglers während und nach dem Krieg deutlich sichtbar. Furtwänglers Lesart ist in der Kriegsaufnahme bei weitem dramatischer und intensiver. Furtwängler kontrastiert viel stärker und auch die Tempovariationen unterscheiden sich deutlich von der ruhiger dahinfließenden Nachkriegsaufnahme.

Wilhelm Furtwängler, London 1948 copyright Jürgen Schäfer

 

Die Dokumentation über Wilhelm Furtwängler produzierte Florian Furtwängler in schwarz-weiß 1968 für das Studienprogramm des Bayerischen Rundfunks. Das Drehbuch stammt von Karla Höcker, die Furtwängler gut kannte und das Buch Wilhelm Furtwängler: „Begegnungen und Gespräche“ verfasst hat. Der Film erzählt das Leben Furtwänglers und enthält Beiträge von Theodor W. Adorno, des Journalisten Joachim Kaiser, des Konzertmeisters Siegfried Borries und anderen.

Die gelungene biographische Erzählweise verbunden mit dem Ansatz, das Phänomen Furtwängler einzufangen, machen den Film heute noch sehenswert. Wünschenswert wäre, wenn der Bayrische Rundfunk die dort verwendeten Beiträge in ganzer Länge in seiner Mediathek einstellen würde.

Inhaltsreich und überaus informativ kommt der Begleitband daher. Eingangs erläutert Daniel Barenboim in „Warum uns Wilhelm Furtwängler bis heute bewegt“ sein Plädoyer für die Aktualität Furtwänglers. „Blick auf einen singulären Dirigenten“ vereint ein Kurzportrait mit Zeitzeugnissen. „Furtwängler und die Medien“ erzählt von Furtwänglers Weg zu Tonaufnahmen. Der Beitrag „Furtwängler und der Film“ stellt den filmischen Nachlass vor und erläutert die Relevanz der Bilder in NS- und Nachkriegs-Zeit. Weitere Beiträge zur klassischen Musik im Rundfunk und zur Schallplatte als Tonträger runden das Buch ab.

 

Für an Furtwängler Interessierte und auch für eine erste Begegnung mit dem Dirigenten bildet die Box eine ideale Grundlage. Sie zeigt ihn als Interpreten, Mensch und historische Person in einer tragischen und furchtbaren Phase deutscher Geschichte. Für Furtwängler-Begeisterte ist die Veröffentlichung so wertvoll, weil die Filmdokumente glänzend aufbereitet vorliegen und zur vertieften Betrachtung einladen. Auch die verwendeten Zeitzeugnisse sind interessante Novitäten mit hohem Informationsgehalt.

 

Dem Vorsitzenden der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft Helge Grünewald, dem Archiv der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft Berlin und der musicas. de, Hamburg gebührt großer Dank für die Erstellung dieser herausragenden DVD-Box.

 

Eine wichtige und überfällige Veröffentlichung, die durch die Filme einen elementaren Bestandteil des künstlerischen Vermächtnisses Wilhelm Furtwänglers öffentlich zugänglich macht.

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