Hamburg, Elbphilharmonie, Strauss - Tschaikowski - Rachmaninow, IOCO Kritik, 13.03.2017

Hamburg, Elbphilharmonie, Strauss - Tschaikowski - Rachmaninow, IOCO Kritik, 13.03.2017
Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann
Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann

Elbphilharmonie Hamburg

Manfred Honeck - Philharmonisches Staatsorchester  Strauss - Elektra ohne Worte,Tschaikowski - Schicksalssinfonie, Rachmaninow -  Rhapsodie über ein Thema von Paganini

Von Patrik Klein

Seit 188 Jahren prägt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg den Klang der Hansestadt. Die Ursprünge des Orchesters liegen im Jahr 1828, als sich in Hamburg eine „Philharmonische Gesellschaft“ gründete und bald zu einem Treffpunkt bedeutender Künstler wie etwa Clara Schumann, Franz Liszt und Johannes Brahms wurde. Große Künstlerpersönlichkeiten standen am Pult des Orchesters: Peter Tschaikowsky, Richard Strauss, Gustav Mahler, Sergej Prokofjew oder Igor Strawinsky. Bereits im Jahr 1902 fand das 500. Konzert der Philharmonischen Gesellschaft statt, 1908 wurde die Laeiszhalle mit einem Festkonzert eingeweiht. Seit dem 20. Jahrhundert prägten Chefdirigenten wie Karl Muck, Eugen Jochum, Joseph Keilberth, Wolfgang Sawallisch, Gerd Albrecht, Aldo Ceccato, Ingo Metzmacher und Simone Young den Klang des Orchesters. Gäste wie Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler, Bruno Walter, Karl Böhm oder Horst Stein brillierten am Pult.

Elbphilharmonie Hamburg / Philharmonisches Staatsorchester mit Manfred Honeck © Patrik Klein
Elbphilharmonie Hamburg / Philharmonisches Staatsorchester mit Manfred Honeck © Patrik Klein

Mit der Spielzeit 2015/2016 übernahm Kent Nagano das Amt des Hamburgischen Generalmusikdirektors und Chefdirigenten des Philharmonischen Staatsorchesters und der Staatsoper Hamburg. Im Orchester entstand so etwas wie eine Aufbruchstimmung und die Qualität der Konzerte in der Laeiszhalle und nun auch in der Elbphilharmonie Hamburg erfuhren einen deutlichen Qualitätssprung. Ein besonders interessanter Gastdirigent steht heute Abend am Pult des Orchesters in der Elbphilharmonie Hamburg.

Elbphilharmonie Hamburg / Manfred Honeck © Felix Broede
Elbphilharmonie Hamburg / Manfred Honeck © Felix Broede

Der Österreicher Manfred Honeck, der als Gast bei den weltweit führenden Orchestern von Berlin bis Los Angeles gefragt ist, absolvierte seine musikalische Ausbildung in Wien und war mehrere Jahre Mitglied der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters. Seit der Saison 2008/09 ist Manfred Honeck Music Director beim Pittsburgh Symphony Orchestra. Regelmäßig tritt er mit seinem Orchester auch in bedeutenden Konzerthäusern und bei renommierten Festivals in Europa auf. Er ist darüber hinaus Erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie in Prag. Für den erkrankten Marc Minkowski sprang er vor einigen Monaten bereits beim NDR Elbphilharmonieorchester noch in der Laeiszhalle ein und dirigierte dort u.a. die sechste Sinfonie von Tschaikowsky. Das Hamburger Publikum dankte ihm dafür mit großem Jubel und Standing Ovations.

 Georg Li © Jon Chase
Georg Li © Jon Chase

Mit dem Pianisten George Li konnte für das heutige Konzert wieder einmal ein Künstler der jüngeren Generation verpflichtet werden. George Li spielte als sogenanntes Wunderkind sehr früh Konzerte in den USA - jetzt, im jungen Alter von 21 Jahren wurde er Preisträger eines der berühmtesten Klavierwettbewerbe der Welt, dem Tschaikowsky-Klavierwettbewerb in Moskau. Viele ehemalige Preisträger, zu denen beispielsweise auch Grigory Sokolov zählt, sind heute Stars der Klassikszene. Von der Washington Post wird George Li für seine „atemberaubenden technischen Fähigkeiten gepaart mit einem außerordentlichem musikalischen Ausdrucksvermögen“ gepriesen. Der junge Pianist hat schon für Barack Obama und Angela Merkel im Weißen Haus gespielt. Er gewann zahlreiche internationale Preise und spielte mit den namhaftesten Orchestern und Dirigenten unserer Zeit zusammen.

Manfred Honeck arrangierte zusammen mit dem tschechischen Komponisten Thomans Ille die rund dreißig minütige Rhapsodie aus Motiven von Richard Strauss Opernwerk Elektra. Nach Wagners Ring ohne Worte nun also Strauss Elektra ohne Worte, ein symphonisches Konzentrat der Oper ohne Singstimmen. Es geht darin um Tod, Vernichtung und Rache, das Böseste, was es unter Menschen geben kann. Honecks Motivation war dabei: "Man kann in diesem Werk ein Experiment sehen, in dem Drama und Musik zu einer theatralischen Sinfonie verschmelzen". Mit Elektra von 1908 hatte Strauss ein Musikdrama geschaffen, das inhaltlich und musikalisch in äußerste Grenzbereiche vorstieß.

Und diese Grenzbereiche werden von den bestens aufgelegten Musikern des Philharmonischen Staatsorchesters feinfühlig ausgelotet. Das Orchester stößt vor bis an die Grenzen der Tonalität, ist virtuos aufgefächert mit maximaler Wirkung. Plastisch erklingt das zentrale Agamemnon-Motiv in einem gebrochenen Dreiklang in D-Moll. Daraus entfaltet sich die ganze musikalische Konzeption. Es folgt die erste Szene "Allein, endlich allein...", die als Kontrast den lyrischeren Passagen der Chrysothemis-Szene eindrucksvoll gegenüber gestellt werden. Alle Instrumentengruppen sind plastisch zu hören in diesem großartigen Konzertsaal. Im Block L sitzend, staunend hörend, wie sich die kraftvollen Bläser, das aufs Äußerste geformte Schlagwerkgefüge und die feinsten Streicherflächen im Gehör auf angenehmste Weise mischen. Nach Elektras siegessicherem Tanz erklingt die Klage der Königin Klythämnestra über ihre Alpträume und der Dialog mit Elektra. Mit dem Auftritt Agamemnons tritt eine Beruhigung im Orchester ein. Der Mord an Ägisth leitet zum Schluß über mit dem Tanz der Elektra und dem fulminanten Finale dieses Werkes. Manfred Honeck dirigiert das Orchester furios, gestenreich und höchst präzise. Vor allem lotet er die leisesten Klänge minutiös aus. Das war mehr als nur ein "Warm Up" des Orchesters, ein furioser Auftakt an diesem Sonntagmorgen. Die Konzertfreunde sind begeistert. Als Opernliebhaber fallen einem bei manchen Passagen die doch fehlenden Stimmen von Birgit Nilson, Leonie Rysanek und Cheryl Studer ein. Großer Beifall bereits nach einer halben Konzertstunde. Die Rhapsodie über ein Thema von Paganini schrieb der russische Komponist Sergei Rachmaninow im Sommer des Jahres 1934 innerhalb weniger Wochen in seiner Villa Senar am Vierwaldstättersee. Sein Opus 43 wurde am 7. November 1934 in Baltimore mit Rachmaninow am Flügel und dem Philadelphia Orchestra unter Leopold Stokowski uraufgeführt.

Das Stück besteht aus 24 Variationen über ein Thema, das Niccolò Paganini im letzten seiner 24 Capricci für Solovioline selbst als Ausgangspunkt einer Variationenfolge verwendet hatte. Immer wieder diente diese Melodie verschiedenen Komponisten als Vorlage, darunter auch Johannes Brahms (Variationen über ein Thema von Paganini (Brahms) und Franz Liszt (Grandes études de Paganini). In einigen Variationen verwendet Rachmaninow eine weitere, viel ältere Melodie: die Sequenz Dies irae, einst fester Bestandteil der lateinischen Totenmesse. Das Dies irae-Motiv steht dabei für den Teufel.

Elbphilharmonie Hamburg / Georg Li und Manfred Honeck © Patrik Klein
Elbphilharmonie Hamburg / Georg Li und Manfred Honeck © Patrik Klein

Um es nicht in allen 24 Teilen zu zerfallen zu präsentieren, fasste Rachmaninow eine Gruppe von Variationen unter einem großen Bogen zusammen und suggerierte somit das gebräuchliche Solokonzert in drei Sätzen. Im ersten Teil (bis Variation 10) herrscht Rhythmus und Stimmung aus Paganinis "Capricci" vor. George Li spielt gefühlvoll, rhythmisch, gelegentlich mit Blickkontakt zum Dirigenten. Der junge Pianist wirkt bei seinem nahezu perfekten Spiel etwas distanziert und scheint sich innerlich über sein Gehör und Gespür für die Abstimmung und die Wechselspiele mit dem Orchester zu fokussieren.

Nach einer kurzen Generalpause schließt sich der mittlere, langsamere Satz an. In einem gemächlichen 3/4-Takt stehen die nächsten drei Variationen an. Der erst 21 Jahre alte Pianist spielt wunderschön melodisch, dann wieder aufbrausend mit hoher Konzentration im Zusammenspiel mit dem Dirigenten und dem Orchester. Und ausgerechnet in der allerleisesten Passage zuckt man zusammen und hört den lautesten Nieser des Konzertes. Freude und Leid dieser heiklen, nichts verzeihenden Akustik liegen manchmal ganz dicht zusammen.

Und schließlich das rasante Finale, in dem Rachmaninow ein Feuerwerk an Esprit und Eleganz entfacht. Hier zeigt der junge Pianist sein meisterliches Können. Blitzschnell, furios, variantenreich und ganz in sein Spiel vertieft, erklingt der letzte Teil der Rhapsodie. Er nimmt seine Umgebung scheinbar gar nicht mehr wahr, nimmt kaum noch Blickkontakt auf, springt auf seinem Klavierstuhl auf und ab, in seiner eigenen Welt entschwunden. Großer Beifall des Publikums für den Youngstar aus Übersee.

Nach der Pause steht die Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 aus dem Jahr 1888 von Pjotr Iljitsch Tschaikowski auf dem Programm. Während die Uraufführung noch mäßig ausfiel, befanden Kritiker die Sinfonie für eine der „bedeutendsten musikalischen Erscheinungen unserer Zeit“. Tschaikowski bezeichnete seine fünfte Sinfonie als „misslungenes Werk“ (vor allem wegen des Finales), und schätzte gar die vorhergehende 4. Sinfonie höher ein. Heute jedoch gehört die fünfte zusammen mit der vierten und sechsten Sinfonie Tschaikowskis zu dessen beliebtesten Sinfonien. Bemerkenswert ist ein besonderer Zusammenhang mit der Stadt Hamburg, den man nicht unbedingt vermutet. Der Komponist hat sein Werk selbst dirigiert und wurde weltweit eingeladen. Es gab zwei Tourneen in Westeuropa. In Leipzig kam es zu einer Begegnung mit Johannes Brahms und wenig später zu einer Aufführung in der Hansestadt.

Die Sätze durchzieht ein gemeinsames Leitthema, das Schicksalsmotiv. Ergebenheit, Hoffnungslosigkeit, Zweifel, Düsternis und Klagen gegen Gott sind die zentralen Themen. Über das Programm des ersten Satzes (Andante - Scherzo. Allegro con anima - Molto più tranquillo) schrieb Tschaikowski:Introduktion. Völlige Ergebung in das Schicksal oder, was dasselbe ist, in den unergründlichen Ratschluß der Vorsehung". Der Satz beginnt mit einer bedächtigen Melodie der Klarinetten, die das Schicksalsmotiv der Sinfonie darstellt. Die Melodie leitet über zum energischeren, von Flöten und Klarinetten initiierten und von den Streichern übernommenen Hauptthema des Satzes. Das zweite Hauptthema des Satzes wird unter gelegentlicher Einmischung des Leitmotivs von den Holzbläsern intoniert. Das Philharmonische Staatsorchester spielt ganz wunderbar, zunächst gemächlich und gefühlvoll und sehr leise. Die Instrumentengruppen sind bestens auszumachen. Dann wird das Motiv rhythmisch aufgenommen, wunderschön anschwellend und äußerst sauber, ganz besonders bei den Blechbläsern. In den oberen Rängen mischt sich der Klang wundervoll in High End Qualität. Ein absoluter Hörgenuss. Der zweite Satz (Andante cantabile, con alcuna licenza - Non allegro - Andante maestoso con piano), in dessen Zusammenhang Tschaikowski fragte, ob er sich „dem Glauben in die Arme werfen“ soll, beginnt mit einer tiefen, zunächst kaum hörbaren (atemberaubend Manfred Honecks Dirigat) Einleitung der Streicher, bevor ein sauber vorgetragenes Hornsolo, von Tschaikowski als „Lichtstrahl“ bezeichnetes Hauptthema des Satzes anhebt und schließlich von Klarinette und Oboe unterstützt wird. Vom donnernd einsetzenden Schicksalsmotiv wird das Hauptthema dieses zweiten Satzes nur kurz unterbrochen. Die Philharmoniker folgen mit allergrößter Leidenschaft ihrem wunderbaren Dirigenten, der nach intensiver Probenarbeit keinerlei Mühe hat die Musiker zu führen und seine Vorstellung der Sinfonie erklingen zu lassen. Selten hat man das Orchester so "mitfühlend" und "formvollendet" hören können. Wenn das Schicksalsmotiv erneut erscheint, donnert es bei den Bläsern, die Posaunen und die Tuba krachen und das Orchestervolumen erreicht sein Maximum, bevor es wieder in leisesten Tönen den Satz beendet.

Elbphilharmonie Hamburg / Manfred Honeck und Philharmonisches Staatsorchester © Patrik Klein
Elbphilharmonie Hamburg / Manfred Honeck und Philharmonisches Staatsorchester © Patrik Klein

Der dritte Satz (Walzer. Allegro moderato) ist im Stil eines ruhigen Walzers geschrieben. Auch er lässt sich vom Schicksalsmotiv nur kurz stören. Wie der erste Satz beginnt auch der vierte Satz (Finale. Andante maestoso (con fiamma) - Non allegro - Presto molto furioso - Molto assai e molto maestoso - Allegro vivace) mit dem Schicksalsmotiv, das diesmal aber bestimmter, und vor allem in Dur, auftritt. Nach einer ausführlichen Einleitung des Finales geht dieses zu einem feierlichen Ausbruch des Orchesters über, den dieses, gelegentlich vom Schicksalsmotiv begleitet, bis zum Schluss des Finales fortführt. Nach dem letzten verklingenden Ton wird das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit allergrößtem Jubel vom Publikum bedacht. Manfred Honeck ist der Meister der Dynamik und gerade die leisesten Töne klingen in der Elbphilharmonie Hamburg am schönsten. Das ist ein fantastisches Spiel, das unter die Haut geht. In Hamburgs neuem Wahrzeichen kann der konzertbegeisterte Klassikfan nunmehr drei hervorragende Orchester der Stadt genießen.

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