DER SCHUHU und die fliegende Prinzessin - Udo Zimmermann, IOCO CD Rezension, 02.01.2021
DER SCHUHU und die fliegende Prinzessin - CD - Theater Chemnitz
Rondeau Production - Art.Nr.: ROP622829
von Thomas Thielemann
Der bis zu seinem Tode bekennende Kommunist und DDR-Verteidiger Peter Hacks (1928-2003) hatte, nachdem er 1955 mit Bertolt Brechts Unterstützung von München nach Ost-Berlin übergesiedelt war, die Kulturfunktionäre der DDR überschätzt, als er 1962 mit seinem Stück Die Sorgen und die Macht rechten Ärger bekam. Deshalb wählte er 1964 für seine Wortmeldung zur schrägen Menschen-Macht-Dialektik Der Schuhu und die fliegende Prinzessin die Form einer märchenhaften Parabel.
Der im Oktober in Dresden-Loschwitz verstorbene Komponist Udo Zimmermann (1943-2021) schuf mit dem damaligen Dramaturgen der Dresdner Staatsoper Eberhard Schmidt ein Libretto, das Zimmermann zu einem der erfolgreichsten Musiktheaterwerke des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts vertonte. Die so entstandene Oper Der Schuhu und die fliegende Prinzessin wurde 1976 mit der Regie Harry Kupfers im „Großen Haus“ in Dresden uraufgeführt:
Statt eines zehnten Kindes bringt die Frau eines armen Schneiders ein Ei zur Welt, aus dem sieben Monate später ein „Schuhu“, ein Geschöpf „halb Mensch-halb Vogel“, liebenswert, hochintelligent und mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet, entschlüpft. Die Familie und die Stadt verkraften das Anderssein des Schuhu nicht, so dass er in die Welt zieht. Das Großherzogtum Coburg-Gotha, das Königreich Tripolis, Mesopotamien, das Meer und ein Berg sind Stationen seiner Wanderung. Eine turbulente Liebe zur „fliegenden Prinzessin“ mischt das Geschehen auf.
Das Fremd- und Ausgegrenztsein eines freien Geistes, Unverständnis für menschliche Andersartigkeit, Duckmäusertum mit in den Köpfen festgefahrenen Grenzen und Unverständnis für freie Liebe reiben sich 2021 noch genauso, wie in den 1970er-Jahren an den gesellschaftlichen Zuständen. Die Borniertheit zweier zerstrittenen Brüder opfern ihrer Auseinandersetzung, beklemmend heutig, ganze Landstriche. Aber auch die unbedingte Glücksuche des Schuhus mit der Prinzessin hätte in unserer Zeit geringe Chancen.
Mit seiner Musik schuf Zimmermann ein Kompendium dessen, was die Avantgarde der Zeit um 1975 hervorgebracht hatte. Eine Fülle moderner Musizierweise schüttete der Komponist über seinem Publikum aus. Neben ungewöhnlichen vokalen Techniken bot er Aktionen des instrumentalen Theaters. Genau kalkulierte, technisch perfekte Klänge bewirkten, dass die Handlung klar und einfach erzählt wird. Es gibt keine Klangverfremdung, kein Verlassen der Belkanto-Struktur, dass sich nicht sinnvoll in die dramatischen Zusammenhänge fügen lässt.
Die hochkreative Oper Chemnitz hatte für den Juni 2021 eine szenische Aufführung der gekürzten „Salzburger-Fassung“ mit der Regie des 1972 in Locarno geborenen Cellisten und Bühnenregisseurs Lorenzo Fiorini im Opernhaus geplant. Pandemiebedingt wird diese Inszenierung aber erst in der Spielzeit 2024/25 zur Aufführung kommen können.
Die Oper Chemnitz mit der Robert-Schumann-Philharmonie spielte im Mai 2021 die bisherige Inszenierungs-Arbeit in einer Kooperation mit dem Label „Rondeau Production“ sowie dem Deutschlandfunk Kultur in der Stadthalle ein und veröffentlichte im November 2021 die Aufnahme als Doppel-CD.
Die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie unter Leitung von Diego Martin- Etxebarria meisterten die Herausforderungen der ungewöhnlichen Partitur auf das Erstaunlichste. Was durchaus wie elektronische Musik klingt, sind mit den üblichen Orchesterinstrumenten aufgenommene Klänge, die mit elektronischen Mitteln transformiert werden. Martin-Etxebarria, 1979 in Bilbao geboren, ist seit 2020 Erster Kapellmeister der Theater Chemnitz.
Die Partie des Vogelmenschen Schuhu wurde von Andreas Beinhauer klangstark und stimmtechnisch makellos, von tiefen Bass- zu höheren Baritontönen mit der notwendigen Nuancierung verkörpert. Beinhammer, bis zum Saisonschluss 2021 Mitglied des Chemnitzer Opernensembles, ist im September nach Halle gewechselt.
Die in Dresden ausgebildete und seit 2019 im Chemnitzer Ensemble engagierte Sopranistin Marie Hänsel erwies sich der Rolle der Fliegenden Prinzessin mit ihren waghalsigen Melismen erstaunlich gut gewachsen. Als Erzählerin und erster Sopran bot die aus Georgien stammende, seit 2019 zum Hausensemble gehörende Tatiana Larina eine raffiniert ausgewogene Leistung.
Mit einer Fülle von kleineren Partien wirbeln die Residenzgast-Sopranistin Katharina Baumgartner (u.a. Erste Schnecke), die seit 2013 dem Ensemble angehörende Maraike Schröter (Schneidersfrau; erste Spinatpflanze, dritte Sopranistin), die vom Meininger Staatstheater gastierende Lena Kutzner (Nachbarin; Erzählerin; erste Altistin), die Münchnerin Antigone Papoulkas (zweite Schnecke ; zweite Altistin), die Brangäne-Debütantin der Stöppler-Inszenierung 2021 Sophia Maeno (2. Spinatpflanze; dritte Altistin), der von Hannover Gastierende Philipp Kapeller (Bürgermeister, Gelehrter, erster Krieger, erster Tenor), der Residenzgast Florian Sievers (Schuhuloge, oberster Schneckenhirt, zweiter Krieger, zweiter Tenor), der häufige Gast Reto Raphael Rosin (Erster Spinatgärtner, dritter Krieger , dritter Tenor), der inzwischen nach Kassel gewechselte Magnus Piontek (Schneider, König von Tripolis, vierter Krieger, erster Bass), der Residenzgast Till von Orlowski (Kaiser von Mesopotamien, zweiter Bass) sowie der Residenzgast André Eckert aus Dresden (Herzog von Coburg-Gotha, Starost von Holland, Wachposten, dritter Bass) in der hörenswerten Aufnahme.
Der Schuhu und die fliegende Prinzessin - 2 CDs mit ausführlichem Beiheft - zu beziehen: direkt im Theater Chemnitz und bei RONDEAU-Production, Artikel Nr. ROP622829 202, link HIER!
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