Lübeck, Theater Lübeck, EUGEN ONEGIN – Pjotr Tschaikowsky, IOCO Kritik, 07.09.2023

Lübeck, Theater Lübeck, EUGEN ONEGIN – Pjotr Tschaikowsky, IOCO Kritik, 07.09.2023
Theater Lübeck / EUGEN ONEGIN hier das Ensemble zum Schlussapplaus © Jochen Quast
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Theater Lübeck

Theater Lübeck © Olaf Malzahn
Theater Lübeck © Olaf

EUGEN  ONEGIN – Pjotr Tschaikowsky

– Grandioser Start des Theater Lübeck in die neu Spielzeit –

von Wolfgang Schmitt

Mit Pjotr Tschaikowskys dreiaktiger Oper Eugen Onegin – lyrische Szenen in sieben Bildern, basierend auf Alexander Puschkins gleichnamigen Versroman – eröffnete das Theater Lübeck am 2. September die neue Spielzeit 2023-24, und um es gleich vorweg zu sagen, diese wunderschöne, ideenreiche Neuinszenierung von der jungen Regisseurin Julia Burbach in dem noblen ästhetischen Bühnenbild von Agnes Hasun ist ein grandioser Erfolg, und das Premierenpublikum sparte dann auch bereits zur Pause nicht mit lautstarken Beifallskundgebungen.

GMD Stefan Vladar leitete das bestens disponierte und hoch motivierte Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck, und es gelang ihm, für jedes der sieben Bilder ein eigenes klar umrissenes Tschaikowsky-Klangbild mit wohl abgestimmten Tempi zu präsentieren. Die facettenreiche Komposition, teils mit folkloristischen Anklängen, überwiegend voller Melancholie und filigraner Romantik, dennoch spannungsgeladen und dramatisch, unheilvoll wie in der ersten Ballszene, bedrohlich wie im Duell-Bild, aufrüttelnd wie im letzten Bild, verschmolz wunderbar einheitlich mit dem gesamten Bühnengeschehen.

Theater Lübeck / Eugen Onegin hier Jacob Scharfman als Onegin, Evmorfia Metaxaki als Tatjana © Wolfgang Radtke
Theater Lübeck / Eugen Onegin hier Jacob Scharfman als Onegin, Evmorfia Metaxaki als Tatjana © Wolfgang Radtke

Das Bühnenbild, bestehend aus zwei großen weißen, ineinander verschachtelten überdimensionierten Rahmen, wirkte opulent, beinahe wie kubistische Architektur, mit eingefügten Treppen und Podesten, verschiebbaren Wänden und Schnürenvorhängen. Das Ganze war auf der Drehbühne angeordnet, und so ließ sich der Szenenwechsel vom Garten zum Salon und zu Tatjanas Schlafraum schnell bewerkstelligen. Die von Bettina John entworfenen Kostüme waren neuzeitlich elegant und zunächst in Pastelltönen für die Damen gehalten. Für Larina und Tatjana gab es Hosenanzüge, Tatjana im silberfarbenen Schlafanzug, zuletzt im roter  Abendrobe. Onegin war vom Typ her ein Dressman in eleganten hellen oder schwarzen Anzügen, während der väterliche Fürst Gremin als würdevoller konzilianter Adliger ganz in weinrot gekleidet war.

Julia Burbach hat ihre Inszenierung in neuerer Zeit angesiedelt, und so waren die Choristen bei ihr auch keine Schnitter und Landarbeiter, sondern bunt und karnevalesk kostümierte Partygäste.

Tatjana ist bei ihr auch nicht das trübsinnige introvertierte Mädchen, sondern sie wird als fröhlicher Teenager dargestellt, die gern auf einer Schaukel sitzend ihre Liebesromane liest und begierig darauf ist, so etwas selbst zu erleben, und da kommt ihr der attraktive Herr Onegin gerade recht. Eine interessante Idee ist es auch, Onegin in Tatjanas Briefszene auftreten zu lassen, der dann als ihr imaginärer Gesprächspartner fungiert und sich beide in dezenter Choreographie umeinander bewegen, während sie ihren Brief an ihn entwirft.

Die Duellszene geht direkt in das Ballsaal-Bild im Hause Gremin über. Onegin fühlt sich dort offenbar deplatziert, hadert mit seiner Vergangenheit und glaubt, unter den Ballgästen Lenski und Olga zu sehen. Während Fürst Gremin seine große Arie singt, senkt sich ein Neonrahmen von oben herab, in diesem sieht man nun Tatjana und Onegin eng aneinander geschmiegt – so hätte das Leben dieser Beiden aussehen können.

Der Höhepunkt ist die Duett-Szene des letzten Bildes, wenn bei rotierender Drehbühne auch Tatjana ihre noch immer vorhandenen Gefühle für Onegin offenbart, sie vor ihm durch die Räume flieht und Onegin schließlich qualvoll zusammenbricht.

Die gesangliche Leistung des Lübecker Ensembles war sowohl stimmlich als auch darstellerisch  wieder einmal beeindruckend. In der Partie der Tatjana glänzte Evmorfia Metaxaki mit ihrem strahlenden lyrisch-jugendlichen Sopran, dem sie als zunächst fröhliches junges Mädchen, später als zurückgewiesene, enttäuschte Liebende vielerlei ausdrucksstarke Nuancen abgewinnen konnte, von heller Zartheit über melancholische Zwischentöne bis hin zu unangestrengter Leuchtkraft und dramatischer Impulsivität war sie in der Lage, alles das aufzubieten, was für die Rolle der Tatjana essentiell ist.

Theater Lübeck / EUGEN ONEGIN hier das Ensemble zum Schlussapplaus © Wolfgang Radtke
Theater Lübeck / EUGEN ONEGIN hier das Ensemble zum Schlussapplaus © Wolfgang Radtke

In Jacob Scharfman hatte sie einen ebenbürtigen Partner. Er legte den Onegin als weltmännisch überheblichen Dandy an, herablassend im dritten Bild Tatjana die Abfuhr erteilend, in den beiden letzten Bildern jedoch verzweifelt, gebrochen und hoffnungslos ob seines verpfuschten Lebens. Seinen virilen, dunkel timbrierten Kavaliersbariton führte er geschmeidig und mit viel Ausdruckskraft.

Gustavo Mordente Eda war ein gemütlich wirkender, gutmütiger Lenski, dem das Verhalten seines Freundes unbegreiflich ist. Diese Enttäuschung, Kränkung und Verletztheit hat der junge aus Brasilien stammende Tenor, der noch Mitglied des Lübecker Opernstudios ist, stimmlich wunderbar zum Ausdruck bringen können. Berührend war die Szene vor dem Duell, als sich Lenski und Onegin noch einmal umarmen, doch eine Versöhnung der Beiden scheint unmöglich.

Laila Salome Fischer mit ihrem dunklen Mezzosopran war die quirlige, stets fröhliche Olga, die ihren großen Moment im ersten Bild mit ihrer Arie „Ah Tanya Tanya“ hatte und glaubhaft machte, daß sie für Schwermut nicht zu haben sei.

Die Partie der Larina sang Julia Grote, mit ihrem klangschönen Mezzo führte sie das Eingangs-Quartett an, während Edna Procnik als elegant gekleidete Filipjewna liebevoll und besorgt um das Wohl Tatjanas im zweiten Bild ihren warmen Mezzosopran zur Geltung bringen konnte.

Die relativ kurze, aber desto wirkungsvollere Partie des Fürst Gremin war mit Runi Brattaberg mit seinem sonoren Bass und seiner Autorität ausstrahlenden Statur adäquat besetzt.

Mit seinem klangvollen lyrischen Tenor sang Noah Schaul das Couplet des Monsieur Triquet, welches er mit einem ‘tempo largo’  innig empfunden zum besten gab.

Changjun Lee als Saretzki und Yang-Ho Choi als Hauptmann ergänzten das erstklassige Solisten-Ensemble in den kleinen Partien.

Der von Jan-Michael Krüger wie stets hervorragend einstudierte Opern- und Extrachor des Theaters Lübeck erfüllte auch seine mannigfachen, von Klevis Elmazaj choreographierten darstellerischen und tänzerischen Aufgaben bravourös in ihren phantasievollen Kostümierungen.

Diese rundherum gelungene Produktion hätte es verdient, auch noch in den kommenden Spielzeiten weiter im Spielplan des Theater Lübeck zu verbleiben.