Bremerhaven, Stadttheater Bremerhaven, DER FREISCHÜTZ - Carl M. von Weber, IOCO Kritik, 01.01.2023

Bremerhaven, Stadttheater Bremerhaven, DER FREISCHÜTZ - Carl M. von Weber, IOCO Kritik, 01.01.2023

Stadttheater Bremerhaven

Stadttheater Bremerhaven © Manja Herrmann
Stadttheater Bremerhaven © Manja Herrmann

DER FREISCHÜTZ - Carl Maria von Weber

- wunderbare Stimmen gegen den Strich gebürstet -

von Astrid Petersmann

Carl Maria von Webers Freischütz gilt als als die „erste deutsche Nationaloper“. Heinrich Heine meinte nach derem beispiellosen Erfolg bei der Uraufführung am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus Berlin in einem Brief: „Haben Sie noch nicht Maria von Webers ‚Freischütz‘ gehört? Nein? Unglücklicher Mann!"

Und tatsächlich darf sich auch noch heute jeder glücklich schätzen, der Hörer der musikalischen Leistungen in der diesjährigen Bremerhavener Premiere am 25.12.2022 war. Weniger zu beneiden ist nämlicher Hörer, wenn es um die Leistungen in Bezug auf Bühnenbild und Regie geht, doch dazu später.

Im großen Haus des Stadttheater Bremerhaven ist auf musikalischer Ebene ein großartiges Team verfügbar: Der souveräne Davide Perniceni am Pult, das bestens musizierende Philharmonische Orchester, der sehr gut studierte Opernchor des Stadttheaters und die Solistinnen und Solisten, die es mühelos schaffen, jeder musikalischen Phrase ausdrucksstarke Farben zu verleihen:

Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Andrew Irwin (Kilian), Konstantinos Klironomos (Max), Thomas Weinhappel (Kaspar), Opernchor, Extrachor © Heiko Sandelmann
Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Andrew Irwin (Kilian), Konstantinos Klironomos (Max), Thomas Weinhappel (Kaspar), Opernchor, Extrachor © Heiko Sandelmann

Der griechische Tenor und Angehöriger des Bremerhavener Ensembles Konstantinos Klironomos als Max und der aus Österreich stammende bis 2019 noch eher lyrische, seither dramatische Bariton Thomas Weinhappel als Kaspar verfügen über fabelhafte stimmliche Qualitäten, welche beeindrucken.

Klironomos beherrscht die nahezu perfekte Kantilene, welche er so bravourös, innig, empathisch und selbstverständlich darbietet als könne er gar nicht anders; technisch einwandfreier Schöngesang mit voller emotionaler Hingabe in jeder Phrase ohne jemals zu forcieren. Lyrischer geht es einfach nicht mehr!

Weinhappel setzt in puncto stimmlicher Dynamik, Theatralik, Timbre und Volumen lang vermisste Maßstäbe, welche heutzutage nicht einmal mehr im Wagnerfach alltäglich sind, auch nicht an größeren Bühnen. Dort wird er mit Sicherheit schon bald gefragt sein, auch wegen seiner bühnenwirksamen Erscheinung.

Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Signe Heiberg (Agathe), Victoria Kunze (Ännchen) © Heiko Sandelmann
Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Signe Heiberg (Agathe), Victoria Kunze (Ännchen) © Heiko Sandelmann

Neben den beiden männlichen Ausnahmekünstlern bestechen die beiden Sopranistinnen und stehen ihnen um nichts nach. Die aus Dänemark stammende Signe Heiberg als Agathe, Foto oben, und die aus Deutschland kommende Victoria Kunze als Ännchen brillieren stimmlich jederzeit präsent in Frische und flexibler Phrasierung und tragen durch ihre Meisterschaft damit ebenfalls maßgeblich zum Erfolg dieser Aufführung bei.

Dirigenten, Orchester, Chor und dem überdurchschnittlichen Sängercast ist es auf der musikalischen Ebene ausgezeichnet gelungen, die romantische, volksmärchenhafte Komposition auf höchstem Niveau aufzuführen.

Bühnen- und Kostümbildner Stefan Mayer wie auch Regisseur Wolfgang Nägele geizen hingegen bei der szenischen Umsetzung des Freischütz mit Details, zeigen nur das Notwendigste an Bildern und Requisiten. Abdekoriert wie sie ist, vermisst man in dieser Oper schmückende Elemente, die vielleicht nicht essentiell für das Verständnis des Stückes, wohl aber für die Atmosphäre sind.

Vor allem Nägele reduziert die szenische Darstellung von Emotionen, macht aus der ursprünglich von Weber gewollten romantischen Geschichte eine klinisch saubere psychoanalytische Studie über zwei Männer: Max (Konstantinos Klironomos) und Kaspar (Thomas Weinhappel).

Letzterer ist bereits an den gesellschaftlichen Diktaten der Kompetenz- und Leistungsnachweise seelisch gescheitert, Ersterem steht das noch bevor.  Um das weiter zu veranschaulichen, setzt Nägele ein im Original nicht vorhandenes Double von Max (Martin Mäcker) ein, welches dann und wann als Samiel agiert, ohne dass Abgrenzungen zwischen Double und Samiel stattfinden oder die Personalunion Sinn macht. Ähnlich wie im Mannheimer Freischütz im April des Jahres 2022 bleibt das Publikum irritiert zurück.

Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Konstantinos Klironomos (Max), Martin Maecker (Max Double) © Heiko Sandelmann
Stadttheater Bremerhaven / DER FREISCHÜTZ hier Konstantinos Klironomos (Max), Martin Maecker (Max Double) © Heiko Sandelmann

Aus Agathe (Signe Heiberg) wird eine kühle Emanze, die weltanschaulich mit Kuno (Bart Driessen), Ottokar (Marcin Hutek) und Killian (Andrew Irwin) verbunden ist. Sie alle sind auf Vertreter der Ellenbogengesellschaft reduziert, die Max überfordert. Darum kümmert sich Agathe nicht, auch nicht darum, wie sie ihres „Busens Schlagen“ bezwingen kann. Da schlägt ohnehin nicht viel und vor allem nicht „ungestüm“.

Über die Gründe, aus welchen Nägele hier eine so weit von der Originalfigur divergierende Darstellung wählte, kann nur spekuliert werden.

Nur vor Ännchen (Victoria Kunze) und den Brautjungfern (Katharina Diegritz, Sydney Gabbard, Lilian Giovanni und Basak Ceber) macht Nägeles Konzept Halt. Unerfahren, geradlinig, unbekümmert dürfen sie wie im Libretto vorgesehen agieren.

Wie früher Neuenfels, mit dem er viele Jahre zusammenarbeitete, sucht Nägele anscheinend Unterschwelliges und Zwischenzeiliges, anstatt die volksmärchenhafte Romanze zu zeigen, die auf dem Spielplan steht. Um der Psycho- und Sozialkritik willen opfert er die schauspielerische Darstellung von Emotionen durch die Sängerinnen und Sänger.

Den Opernbesucherinnen und Opernbesuchern stellen sich alsbald die Fragen, ob Nägele damit der Oper nicht einen Bärendienst erwiesen hat, indem er ihr das Märchenhafte nahm und sie auf das Niveau plumper Psycho- und Sozialkritik reduziert hat, und ob sie über all das hinwegsehen können.

Einige konnten nicht. Sie machten ihrem Ärger darüber lautstark Luft. Ihnen ging eine derartig radikale, vor allem gefühllose Neuinterpretation zu weit. Anscheinend überlegen nicht nur Jonas Kauffmann und Philippe Jordan, ob es Aufgabe der Oper ist, sie dazu zu benutzen, dem Publikum ständig Probleme unter die Nase zu reiben, die von den Komponisten nie als Thema des Stückes angedacht waren.

Soll sich also das Regietheater mit der bloßen Bebilderung der Oberfläche zufrieden geben? Sicher nicht. Dort wo Komponisten Gefühle in Musik gegossen haben, trifft man natürlich immer auch Unterschwelliges und Zwischenzeiliges. Aufgabe der Regie ist es nun, eine ganzheitliche werk- und rollengetreue Darstellung des Originals zu finden und keinesfalls das Stück durch Interpretation so lange gegen den Strich zu bürsten bis man eine vermeintliche Aktualität darin entdeckt. Das kann das Publikum durchaus selbständig, soferne man ihm das Original zeigt.

Nicht nur bei Weber wäre es allemal besser, die Kirche im Dorf zu lassen, die Wolfsschlucht im Wald und nicht in einem Labor und den Protagonistinnen und Protagonisten die Freiheit, ihre von Weber komponierten Rollen zu verkörpern.

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