Osnabrück, Theater am Domhof, Lucia di Lammermoor - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 28.01.2022
Lucia di Lammermoor - Ovationen für Sophia Theodorides als Lucia
- Überfließende Liebe und unmäßige Selbstsucht -
von Hanns Butterhof
Der Beifall des Premierenpublikums für Gaetano Donizettis tragischer Oper Lucia di Lammermoor, Libretto von Salvatore Cammarano nach einem Roman von Walter Scott, wollte zu Recht nicht enden. Mit einem schlüssigen Regiekonzept, dem überzeugenden Ensemble um die herausragende Titelheldin Sophia Theodorides als Lucia und einem fulminant aufspielenden Orchester unter Andreas Hotz gelang dem Theater am Domhof ein unvergessliches musikalisches Großereignis.
Die abstrakte Bühne von Bengt Gomér, auf der bis auf wenige Ausnahmen bei den Frauen alle ununterscheidbar Schwarz und schwere Gummistiefel tragen (Kostüme: Sarah Mittenbühler), wird fast völlig von einer niedrigen Wasserfläche beherrscht. Im Verlauf der Handlung, die hauptsächlich in ihr stattfindet, verwandelt sie sich symbolisch ausdrucksstark in eine Kloake.
Lucia Ashton (Sophia Theodorides), eine junge Frau im unschuldig weißen Kleid, mit langem blonden Zopf und barfuß, liebt Edgardo von Ravenswood (Oreste Cosimo) aus einer verarmten, verfeindeten Familie. Lucias Bruder Enrico (Rhys Jenkins) will in einer misslichen politischen und finanziellen Lage die Schwester mit dem mächtigen Lord Arthuro Bucklaw (James Edgar Knight) verheiraten. Der soll seinen Ruin abwenden. Mit List und Gewalt zwingt er Lucia, in die Heirat einzuwilligen. Doch in der Hochzeitsnacht tötet sie den Angetrauten, wird für wahnsinnig erklärt und ersticht sich, wie sich später auch Edgardo.
In sieben meist sehr klaren Bildern stellt Regisseur Sam Brown weniger die überfließende Liebe des unglücklichen Paares als vielmehr das Unmaß an Selbstsucht und brutaler Machtausübung in den Vordergrund, an dem nicht nur die Liebe scheitert. So erscheint Lucia auch nicht als Wahnsinnige, Sophia Theodorides zeichnet sie als starke, letztlich bis in den Tod selbstbestimmte Frau. Gleich im ersten Akt verführt sie zielstrebig ihren Geliebten, der schnell für eine politische Mission davon will, zu dem fesselnden Liebesduett mit orgiastischem Finale zum Bleiben.
Man bangt und leidet mit dieser Lucia, der Sophia Theodorides darstellerisch und gesanglich großes Format gibt. Die klaren Koloraturen ihres dramatischen Soprans steigern sich, weich und warm ansetzend, ohne Schärfe zu den Spitzentönen, die über das Brillante hinaus immer auch das treffende Gefühl tragen. In der erschütternden Wahnsinn-Arie findet sie für das, was ihr angetan wurde, statt Worten nur verzweifelte Töne, dass einem die Tränen kommen – umwerfend!
Sie umgibt ein ausgewogen gut besetztes Ensemble. Rhys Jenkins gibt als Lucias Bruder Enrico, der vor nichts zurückschreckt, um sie seinem Willen gefügig zu machen, mit finsterem Bass ihr liebloses Gegenstück,. Unterstützt wird er mit bösem Eifer von seinem Handlanger Normanno (Aljoscha Lennert) und dem devoten Priester Bidebent (Erik Rousi), der mit überzeugendem Bass dem Unheil seinen Segen gibt. James Edgar Knight zeigt in seiner kleinen Rolle als Lord Arthuro Bucklaw mit glänzendem Tenor, dass er hierarchisch an der Spitze steht.
Oreste Cosimo zeichnet den Edgardo mit einnehmend lyrisch weichem als unglücklich handlungsschwache, sentimentale Figur. Zu schnell ist er geneigt, an der Liebe Lucias zu zweifeln, zu rasch wendet er sein Unglück nach innen und bringt sich um, als er Lucias Tod erfährt.
Die Regie von Sam Brown zeigt, dass Lucia di Lammermoor entgegen verbreiteter Kritik in der Opern-Literatur noch immer aktuell ist. Sie legt bloß, dass es das Schicksal vieler Frauen ist, in ihrer Selbstbestimmung gebrochen zu werden, ohne plakativ einer verworfenen Männerwelt alle Schuld zu geben. Von der blinden Seherin Alisa (Olga Privalova) erhält Lucia so wenig Hilfe wie von den schwarzen Frauen, die gehässig die sterbende Lucia schmähen.
Das fulminant aufspielende Osnabrücker Symphonieorchester unter Andreas Hotz lässt keine Wünsche offen. Sängerfreundlich und sensibel folgt es den Gefühlslagen der Figuren, kommentiert mit melodischem Glanz und schauerromantischem Schrecken die Szenen und verleiht dem Chor unter Sierd Quarré kräftigen Nachdruck.
---| IOCO Kritik Theater am Domhof |---
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