Mannheim, Rosengarten, 8. AKADEMIEKONZERT – KEREM HASSAN, IOCO
Die Sensation des Abends war die Uraufführung des Werkes für solistisches Streichquartett und Sinfonieorchester des Komponisten und Violinisten Florian Willeitner, ein Auftragswerk der Musikalischen Akademie.

von Uschi Reifenberg
8. Akademiekonzert der Musikalischen Akademie des Nationaltheater-Orchesters Mannheim im Rosengarten am 23.06.2025.
Florence Price (1887–1953)
Adoration
Florian Willeitner (*1991)
Konzert für solistisches Streichquartett und Sinfonieorchester
Auftragskomposition der Musikalischen Akademie Mannheim
George Gershwin (1898–1937)
An American in Paris
Sergej Rachmaninow (1873–1943)
Symphonische Tänze op. 45
vision string quartet
Florian Willeitner (Violine)
Daniel Stoll (Violine)
Sander Stuart (Viola)
Leonhard Disselhorst (Cello)
Kerem Hassan, Dirigent
Nationaltheater Orchester
Krönender Abschluss mit einer Uraufführung
An diesem Konzertabend stimmte einfach alles: ein perfekt ausgewähltes, vielfältiges Programm samt Uraufführung, virtuose Solisten, das Nationaltheater Orchester hervorragend disponiert, ein faszinierender Gastdirigent, das Publikum enthusiastisch, die Stimmung festlich und sommerlich heiter. Zwei Sternstunden, mit denen die Musikalische Akademie Mannheim nun eine glanzvolle Saison beendete. Die Sensation des Abends war die Uraufführung des Werkes für solistisches Streichquartett und Sinfonieorchester des Komponisten und Violinisten Florian Willeitner, ein Auftragswerk der Musikalischen Akademie, ermöglicht durch die großzügige finanzielle Unterstützung tatkräftiger Sponsoren wie die Familie Limbourg, die Karin und Heinrich Esser Stiftung sowie die Heinrich-Vetter-Stiftung, die vor dem Konzert im Rahmen einer Feier mit Überreichung der Uraufführungs-Partitur geehrt wurden. Die Überraschung war gelungen, die Streichersolisten des „vision string quartet“ mischten den Mozartsaal gehörig auf und versetzten das Publikum aller Altersklassen in Euphorie. Die vier Musiker, das sind Florian Willeitner als Primarius an der ersten Violine, Daniel Stoll, zweite Violine, Sander Stuart, Viola und Leonard Disselhorst, Cello, ein sowohl symbiotisch als auch solistisch agierendes Ensemble, mitreißend, lustvoll, sensibel. Die stilistisch „grenzoffene“ Komposition bewegt sich „Auf Abwegen“, zwischen den Genres, eine Melange aus Klassik, Jazz, Folk, Pop, improvisativen Elementen, komponiert aus verschiedenen „Musikstilen aus aller Welt“. Hochvirtuos, mit Witz und Groove zündeten die Streicher ein wahres Feuerwerk an vielfältigen Rhythmen und Klangspezialitäten und ließen den Funken von der ersten Note an ins Publikum überspringen. Das dreisätzige, 20-minütige Werk unterhält im besten Sinne, lebt von Kontrasten und offenbart eine Bandbreite aus Vertrautem, Überraschendem und Ungehörtem. Das zeigt sich vor allem auch im Zusammenspiel mit dem Orchester, das eine andere Aufstellung erhält als üblich, wie Willeitner im Programmheft erläutert: „Bei meinem Werk sitzt das Orchester genau andersherum … -reversed symphony orchestra -: Die solistisch besetzen Bläser (jeder Bläser hat eine unabhängige Stimme) sitzen in einem Halbkreis um uns als Solisten herum, danach, immer noch in relativer Nähe, kommen die Perkussionsinstrumente und die Harfe und ganz hinten der orchestrale Streicherapparat“. Auf diese Weise ist es möglich, „das solistische Streichquartett vom symphonischen Klangkörper abzugrenzen und trotzdem zu einem symphonischen Gesamtbild zusammenzufügen“.

Für die erkrankte Dirigentin Anna Rakitina konnte kurzfristig der junge britische Dirigent Kerem Hasan gewonnen werden, der die Neukomposition innerhalb weniger Tage einstudierte, eine großartige Leistung! Kerem Hasan (geb.1992) gilt als einer der vielversprechenden jungen britischen Dirigenten, gewann 2017 den renommierten Young Conductors Award bei den Salzburger Festspielen und war von 2019 bis 2023 Chefdirigent des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck. Das stehend spielende Quartett und das Orchester eröffneten mit impressionistisch anmutenden, dissonanten Klangflächen, die sich mit Spätromantischem mischen und einen großen Sound entfalten, polymetrische Muster, Taktwechsel, Schlagzeug und dynamische Drumsets drängen sich immer mehr in den Vordergrund, der unbändigen Bewegungsenergie des Quartetts kann man sich nicht entziehen, die Streichersolisten grooven, was das Zeug hält. Ruhiger, oszillierend, zeigt sich der 2. Satz, Harfe und Hörner dialogisieren, faszinierende, fantasievolle Einsprengsel des Schlagwerks entfalten eine mystische Stimmung. Der dritte Satz strotzt vor Energie, nicht nur die Musiker haben viel Spass, „ein sehr virtuoser Tanz irgendwo zwischen Prokofiew und Gospel“ (Willeitner). Das Quartett dialogisiert mit dem Orchester, es wird noch einmal aufgefahren, was geht, ein swingender Reigen an Stilen, Klängen und Rhythmen, ein geordnetes Durcheinander, das einen kaum auf den Sitzen hält. Als Zugabe folgte ein Auszug aus dem Album „Spectrum“ des vision string quartet „Copenhagen“, jazzig, improvisativ, mitreißend!
Als Einstimmung in das Programm gab es eine 3-minütige Orchester-Preziose: „Adoration“ der fast unbekannten US-amerikanischen Komponistin Florence Prize (1887-1953), die als „schwarze Frau“ einen schweren Stand in der damaligen Zeit hatte. Das Zitat über ihre eigene Situation erklärt alles: „Ich habe zwei Handicaps - des Geschlechts und der Rasse. Ich bin eine Frau; und ich habe auch schwarzes Blut in meinen Adern“. Kerem Hasan gab der liedhaft-romantischen Komposition schwebende Leichtigkeit und brachte das innige Melos der feinsinnigen Streicherlinien zum Blühen.
Mit Gershwins „An American in Paris“ ging es im zweiten Teil heiter-beschwingt weiter, der musikalische Spaziergang durch die französische Metropole aus dem Jahre 1928 beschreibt zunächst die Sehnsucht des Touristen nach der amerikanischen Heimat, der - nach überstandenem Blues - mit wachsender Begeisterung dem Zauber der Stadt an der Seine immer mehr verfällt. Das dürfte auch 100 Jahre später kaum anders sein … Klassik im Verbund mit Jazz, Saxofon, Celesta, Autohupen als Orchesterinstrumente, ein lakonisches Hauptthema im Ragtime Stil, das spannend variiert wird, von der virtuosen Solotrompete cool vorgeführt. Kerem Hasan balanciert zwischen tänzerisch swingender Attitüde, mal im amerikanisch anmutendem Impressionismus, mit schwebenden Streichern, dann wieder mit Pariser Charme. Breitwandklang steht neben fetzigen Holzbläser Motiven, die vibrierende Atmosphäre beschwört Bilder aus dem gleichnamigen populären Film herauf.
Rachmaninow‘s „Sinfonische Tänze“ seien sein „bestes Werk“ wie er selbst befand, vielleicht weil Abschiedswerken immer ein besonderer Nimbus anhaftet, sich Autobiografisches in ihnen spiegelt, Bilanz gezogen wird. Vielfältige Selbstzitate, Verweise auf sein früheres Schaffen, erhalten in der finalen Aussage eine neue Belichtung. Komponiert 1940 im Exil auf Long Island, drückt es - ähnlich wie beim „American in Paris“, die Sehnsucht nach der Heimat, nach Russland, aus, aber existenzieller, endgültiger. Rachmaninow überschreibt sein dreisätziges Werk zunächst mit „Mittag“, „Abenddämmerung“ und „Mitternacht“, Metaphern für seine Lebensstationen, vielleicht für die sich verdüsternde Weltlage. Er ersetzt diese Titel später durch musikalische Satzbezeichnungen: 1.(Non) legato 2. Andante con moto, tempo di valse, 3. Lento assai - Allegro vivace. Die monumentale Orchesterbesetzung mit riesigem Schlagwerk und Klavier vereint ein Maximum an Ausdrucksdichte, opulentem Klang und Farbenrausch, die Dirigent und Orchester mit Hingabe und stupendem Können darboten. Der absteigende Dreiklang als Hauptmotiv steigert sich vom transparenten Beginn zum schwungvollen großformatigen Hauptgedanken, feinsinnige Holzbläsersoli, ergänzt vom Alt-Saxofon, bilden eine Insel der Ruhe, Harfe und Klavier komplettieren das schön aufblühende idiomatische Thema. Im zweiten Satz führt Rachmaninow den Walzer in vielgestaltigen Varianten und Beleuchtungen durch die Partitur, spätromantisch, affirmativ, verfremdend, grotesk. Den dissonant eröffnenden Blechbläserakkorden folgen schnelle Flöten-Soli, Violine, Oboe, immer unterbrochen vom ironisch daherkommenden Dreiertakt, den Kerem Hasan präzise kontrastierte, mit nie nachlassendem tänzerischem Schwung im Wechsel mit üppig aufblühenden Melos. Ein Abgesang auf eine vergangene Epoche. Der letzte Satz entwickelt sich mit dem „dies irae“ Motiv, den Glocken und Tamtam Schlägen zum veritablen Totentanz mit erlösendem „Alleluja“ am Ende. Kerem Hasan fesselte mit viel Gespür für Rachmaninows düster-anklagende letzte Aussagen, die in immer intensiveren Steigerungswellen im kathartischen Finale kulminiert, rauschhaft, berauschend.

Großer Jubel, Ovationen.
Die Musikalische Akademie verabschiedet sich nun in eine längere Sommerpause, weiter geht’s mit den Konzerten wieder Anfang Oktober, dann in die 247. Spielzeit.