Bochum, Ruhrtriennale, Ruhrtriennale startet in die neue Spielzeit, 09.08.2018

Bochum, Ruhrtriennale, Ruhrtriennale startet in die neue Spielzeit, 09.08.2018

Ruhrtriennale

Auftakt: Ruhrtriennale startet in die neue Spielzeit

Erste Saison unter der künstlerischen Leitung von Stefanie Carp beginnt am 9. August.

Mit der neuen Kreation „The Head and the Load“ des südafrikanischen Künstlers und Regisseurs William Kentridge startet die Ruhrtriennale in die erste Saison unter der Intendanz von Stefanie Carp. Bei einer Pressekonferenz im Bochumer Dampfgebläsehaus stellte die Künstlerische Leiterin der Jahre 2018 – 2020 ausgewählte Produktionen und Projekte vor, die ab dem 9. August den Auftakt des Festivals prägen werden.

Stefanie Carp: „Die Festivalerzählung der Ruhrtriennale will eine Zwischenzeit behaupten, in der wir noch Zeit haben, das neue Projekt des menschlichen Zusammenlebens zu imaginieren und daran zu bauen. Die flüchtenden Menschen sind die Chiffre unserer Gegenwart, die uns zeigt, dass die Zeiten eines selbstgenügsamen Europas zu Ende sind, dass wir abgeben und teilen sollten, wenn wir in zivilisatorischen Standards überleben wollen. Europa hat in diesem Jahr die Grenzen zu gemacht und sich in sich selber eingeschlossen. Umso wichtiger ist ein Programm, das uns mit unterschiedlichen Perspektiven und Narrativen konfrontiert.“

Eröffnet wird die Ruhrtriennale 2018 am 9. August mit einer Rede der indischen Umwelt-Aktivistin Vandana Shiva in der Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg Nord. Im Anschluss feiert William Kentridges „The Head and the Load“ Deutschlandpremiere in der Duisburger Kraftzentrale. Das vor wenigen Wochen in der Londoner Tate Modern uraufgeführte Stück ist eine bildgewaltige und alle Genregrenzen sprengende Produktion, die sich mit der Rolle Afrikas im ersten Weltkrieg auseinandersetzt. In einer Videobotschaft für die Ruhrtriennale drückte William Kentridge seine Freude darüber aus, dass „The Head and the Load“ ein Teil des Festivals sein wird.

Zwei Tage nach Festivalbeginn feiert am 11. August das Schauspiel „The Factory“ Weltpremiere bei PACT Zollverein in Essen. In dem Theaterstück rekonstruieren die syrischen Künstler Omar Abusaada (Regie) und Mohammad Al Attar (Autor) die skrupellosen Geschäftsmodelle des Krieges anhand der wahren Geschichte der französischen Zementfabrik Lafarge im Nordosten Syriens. Omar Abusaada gab bei der Pressekonferenz einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Stückes und kündigte eine Produktion an, die versucht, eines der bösartigsten Gesichter des Krieges zu dekonstruieren – das Bündnis von Geld und Macht.

Einen ersten musikalischen Eindruck von der Musiktheaterproduktion „Universe, Incomplete“ (Uraufführung am 17. August) präsentierte die Sängerin Tora Augestad, begleitet von Bendix Dethleffsen am Klavier. In seiner neuesten Kreation entwickelt Regisseur Christoph Marthaler als Artiste associé der Ruhrtriennale eine ganz neue Perspektive auf Charles Ives unvollendet gebliebene „Universe Symphony“. Im Gespräch mit Stefanie Carp berichteten Bühnenbildnerin Anna Viebrock und der Musikalische Leiter Titus Engel von den Proben in der Jahrhunderthalle Bochum, die für diese außergewöhnliche Produktion erstmals komplett bespielt wird. Friederike Tappe-Hornbostel, Kommunikationsleiterin der Kulturstiftung des Bundes, die das Projekt ermöglicht, informierte über das Engagement der Stiftung bei der Ruhrtriennale: „Anscheinend Unmögliches möglich machen, das hat sich auch die neue Intendantin Stefanie Carp mit ‚Universe, Incomplete‘ vorgenommen. Eine schöne 2/6 Tradition zur Eröffnung der Ruhrtriennale, die zur Philosophie der Kulturstiftung des Bundes bestens passt.“

Zu den weiteren Highlights des Festivalauftakts gehört die Eröffnung der mehrteiligen Installation „Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection“ der Berliner Künstlerin Peggy Buth am 10. August in der ehemaligen Kirche St. Barbara in Duisburg. Bei der Ausstellung, die sich mit dem Arbeitskampf in Duisburg-Rheinhausen auseinandersetzt, handelt es sich um den diesjährigen Beitrag von Urbane Künste Ruhr zur Ruhrtriennale. Wenige Tage später, am 16. August, wird auch das Festivalzentrum der Ruhrtriennale eröffnet. Der „Third Space“, den die Künstler- und Architektengruppe raumlaborberlin auf dem Vorplatz der Jahrhunderthalle entstehen lässt, besteht aus einem gestrandeten Flugzeug, das – unter tatkräftiger Beteiligung der Besucher*innen – in den nächsten drei Jahren weiter ausgebaut und kontinuierlich transformiert wird.

Unter dem Titel „Freedom of Speech/Freiheit der Künste“ veranstaltet die Ruhrtriennale zudem am 18. August in der Turbinenhalle Bochum eine Podiumsdiskussion, in der sich die Teilnehmer*innen mit dem Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Freiheit von Kunst mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung im Kontext der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Dabei geht es auch um Sinn und Legitimation von Boykott-Strategien im Bereich der Kultur. Zu den Gesprächsgästen gehören neben Stefanie Carp auch Isabel Pfeiffer-Poensgen (Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen), Alain Platel (belgischer Choreograph und Theaterregisseur), Elliott Sharp (Komponist, Multi-Instrumentalist und Performer aus New York) und Michael Vesper (Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale). Moderiert wird die Veranstaltung von Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert.

Kurz vor dem Start der Ruhrtriennale läuft auch der Kartenvorverkauf auf Hochtouren: „Wir freuen uns sehr über das große Zuschauerinteresse“, so Dr. Vera Battis-Reese, Geschäftsführerin der Kultur Ruhr GmbH. „Zu den besonders nachgefragten Produktionen gehören ‚Universe, Incomplete‘, ‚The Head and the Load‘ und ‚Das Floß der Medusa‘. Auch wenn einige Vorstellungen bereits ausverkauft sind – es gibt für die meisten Produktionen noch Karten.“

In ihrem ersten Jahr unter der künstlerischen Leitung von Stefanie Carp zeigt die Ruhrtriennale 33 Produktionen und Projekte in den ehemaligen Industriehallen des Ruhrgebiets – davon 20 Eigen- und Koproduktionen sowie 16 Uraufführungen, Neuinszenierungen, Deutschlandpremieren und Installationen. Zum Festival sind zwischen dem 9. August und


Programmübersicht Festivalauftakt (chronologisch)


Donnerstag, 09. August 2018
Festspielrede zur Eröffnung
Earth Democracy Now
Rednerin: Vandana Shiva
09. Aug: 18.00 Uhr
Gebläsehalle, Landschaftspark Duisburg-Nord
In englischer Sprache
10 €
ruhr3.com/festivalrede

Vandana Shiva, Atomphysikerin und Aktivistin, zählt zu den wichtigsten Gegner*innen der Kommodifizierung und Kommerzialisierung von Nahrungsmitteln. Als der Wald, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, einer Apfelplantage weichen musste, wurde sie zu einer der größten Kritiker*innen der Grünen Revolution. Statt zu einer höheren Produktivität führen Monokulturen und der verstärkte Einsatz von Pestiziden zu Umweltverschmutzung, zum Verlust lokaler Diversität und zur Auslöschung jahrtausendealten Wissens, kurz: zur Abhängigkeit der Ärmsten der Armen von teuren Düngemitteln und Chemikalien, die sie von multinationalen Anbietern beziehen müssen. Vandana Shiva gründete 1991 die Organisation Navdanya. „Navdanya“ bedeutet „Neun Saaten“ oder „Neun Samen“ und steht für den Schutz von biologischer und kultureller Vielfalt und ist ein Netzwerk aus Gemeinden und Organisationen in Indien. Eine Versuchsfarm liegt in Dehradun am Fuße des Himalaya. In deren höheren Erträgen, der automatischen Umverteilung von Ressourcen, der Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, Dürre oder Überschwemmungen sieht die Inderin Vandana Shiva ein noch größeres Potential als nur die Lösung für die globale Armut: Die Lösung für den Klimawandel – das drängendste all unserer Probleme. Statt uns weiterhin um fossile Ressourcen und ihre Verschwendung Gedanken zu machen, schlägt sie einen Perspektivwechsel vor, wie die globale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts aussehen könnte. In einer Zeit mit Millionen hungernder Menschen, die dadurch zu Migration gezwungen werden, schlägt sie vor, das Problem dort anzupacken, wo es entsteht. Die größte Gegnerin des Saatgut- und Herbizid-Herstellers Monsanto liefert den Beweis dafür, dass es noch immer Davids gibt, die es mit Goliaths aufnehmen und sich nicht vom Klima der Angst und der allgemeinen Lähmung daran hindern lassen.

Musiktheater / Tanz / Bildende Kunst / Deutschlandpremiere
The Head and the Load
Konzept, Regie: William Kentridge
Komposition: Philip Miller
Co-Komposition, Musikalische Leitung: Thuthuka Sibisi
Choreographie: Gregory Maqoma
Chamber Orchestra: The Knights
09. Aug: 20.00 Uhr
Weitere Termine: 10. | 11. | 12. Aug.
Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord
Englisch, Französisch, Italienisch, Shangaan, Shona, Zulu, Pedi, Xhosa, Wolof, Madinga und Swahili
mit deutschen und englischen Übersetzungen
20 | 35 | 50 | 65, erm. ab 10 €
ruhr3.com/head

„The head and the load are a trouble for the neck“ / „Des Nackens Leid sind Kopf und Last“, sagt ein altes Sprichwort aus Ghana, von dem William Kentridge den Titel für seine neue Kreation borgt, die sich visuell, musikalisch und choreographisch mit der Rolle Afrikas im Ersten Weltkrieg beschäftigt. Über 2 Millionen Menschen aus dem afrikanischen Kontinent wurden, meist als Träger von Waffen und Material, von den Kolonialmächten gezwungen, in den europäischen Krieg zu ziehen. Diesen verschwiegenen und kaum erforschten Teil europäischer und afrikanischer Geschichte erkundet William Kentridge in einer installativen und szenischen Musiktheaterarbeit. Der Künstler verbindet eine Neukomposition von Philip Miller, die New Yorker Orchesterformation The Knights, ein internationales Ensemble von Performer*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen, einen Chor mechanisierter Grammophone, sich überschneidende Filmprojektionen und Schattenspiel zu einer gigantischen Prozession, die jeder Genrezuweisung widerstrebt und die in einem traditionellen Theaterraum nicht gezeigt werden könnte. Schon seit seinen frühen Animationsfilmen und Zeichnungen hat sich der aus Johannesburg stammende Künstler William Kentridge mit den sozialen und ethnischen Unrechtskonflikten in Südafrika und Europa auseinander gesetzt. Die Apartheid und die Folgen der Apartheid sowie allgemeiner: Kolonialismus, Rassismus und Totalitarismus waren und sind seine Themen in der Bildenden Kunst wie in seinen Theater- und Opernarbeiten. Die Verstörung durch das grundsätzliche soziale und ethnische Unrecht ist ein schmerzhafter Antrieb für eine eigene lyrische Visualisierung, die William Kentridge in Zeichnungen, Skulpturen, Filmen, Installationen, Theater und Oper umsetzt. Kentridges Werke werden auf allen Kontinenten in Museen und Ausstellungen gezeigt, mehrfach hat er an der Biennale von Venedig und an der Kasseler documenta teilgenommen. Mit The Head and the Load in der Duisburger Kraftzentrale ist dieser weltberühmte Künstler erstmals im Programm der Ruhrtriennale vertreten. Ein Auftragswerk der Ruhrtriennale, Park Avenue Armory und 14–18 NOW, the UK’s arts program for the First World War Centenary. Mit Förderung des Holland Festival und freundlicher Unterstützung der Marian Goodman Gallery, der Goodman Gallery und Lia Rumma. Produziert von THE OFFICE performing arts + film in Zusammenarbeit mit Quarternaire.


Freitag, 10. August 2018
Mehrteilige Installation / Urbane Künste Ruhr
Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection
Gesamtkonzept: Peggy Buth
Vernissage: 10. Aug.: 17.00 Uhr
11. Aug. – 23. Sept.
Di–So: 12.00–20.00 Uhr
Ehemalige Kirche St. Barbara, Duisburg-Rheinhausen
Deutsch mit englischen Untertiteln
Eintritt Frei
ruhr3.com/angst

In der mehrteiligen Installation Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection setzt sich die Künstlerin Peggy Buth mit der Unternehmenskultur der Friedrich Krupp AG auseinander. Bis heute prägt diese in besonderem Maße die geschichtlichen Zusammenhänge und sozialen Verhältnisse im Ruhrgebiet – vom Privaten bis in den urbanen Raum hinein. Anhand von Archivmaterial, unter anderem aus der Werkszeitung der Krupp AG oder von den Arbeitern gesammelten Zeugnissen, fragt Peggy Buth danach, welche Geschichte von wem mit welchen Bildern erzählt wird. Die Ausstellung ist in Duisburg-Rheinhausen in der ehemaligen Kirche St. Barbara Rheinhausen zu sehen, die in den frühen 1960er-Jahren auf Werksgebiet der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG erbaut wurde und ein bemerkenswertes Beispiel zukunftsweisender Architektur der Nachkriegszeit darstellt. Die nach der Schutzheiligen der Bergleute benannte Kirche steht mitten in einer Arbeitersiedlung in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Ort, an dem ab den späten 1980er-Jahren die Arbeiterkämpfe der Kruppianer gegen die Schließung ihres Hüttenwerks ihren Ausgangspunkt hatten. Peggy Buth arbeitet konzeptionell und prozessbezogen mit unterschiedlichen Medien. Ihre Arbeiten zeigt sie oft in Form von Rauminstallationen, welche die komplexen inhaltlichen Zusammenhänge ihrer Themen auf eindrückliche Weise unterstützen. So auch in der Kirche St. Barbara, die durch ihre Geschichte und Form selbst ein sprechender Teil der Installation wird. Eine Produktion von Urbane Künste Ruhr für die Ruhrtriennale.


Samstag, 11. August 2018
Schauspiel / Neue Dramatik / Uraufführung
The Factory
Text: Mohammad Al Attar
Regie: Omar Abusaada
Bühne, Kostüm: Bissane Al Charif
11. Aug: 20.00 Uhr
Weitere Termine: 12. | 15. | 16. | 17. | 18. Aug.
PACT Zollverein, Essen
In arabischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
20 | 30 | 40, erm. ab 10 €
ruhr3.com/factory

Die französische Zementfabrik im Nordosten Syriens ist eine der größten ausländischen Investitionen, die jemals getätigt worden ist. Einige Monate nach der Eröffnung jedoch bricht eine soziale Revolution gegen das totalitäre Regime aus, und bald darauf stürzt das destabilisierte Land in einen brutalen Bürger- und verheerenden Stellvertreterkrieg. Besitzer und Geschäftspartner bestehen darauf, dass in der Fabrik, die inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen liegt, weiter gearbeitet werden muss – koste es, was es wolle. Zunächst kontrolliert die syrische Armee die Region; im Sommer 2012 übernimmt die Kurdische Demokratische Unionspartei (PYD) Teile davon, während die Freie Syrische Armee (FSA) andere kontrolliert. Ende 2013 erringt der IS die vollständige Vorherrschaft über das Gebiet. Die Produktion in der Fabrik läuft weiter. Ein banaler Betriebsunfall führt schließlich zu Ermittlungen in dieser Geschichte eines komplizierten Netzwerks aus Nutznießern des Krieges und schmutzigen Unternehmern. Davon erzählt Mohammad Al Attar in seinem Stück. Nach dem großen Erfolg ihrer beiden jüngsten Aufführungen While I was waiting und Iphigenie schreiben der 1980 in Damaskus geborene Dramatiker Mohammad Al Attar und der ebenfalls aus Syrien stammende Regisseur Omar Abusaada ihre Überlegungen fort zu den kolossalen Umwälzungen, die ihr Heimatland heimsuchen. Diese Uraufführung eines der wichtigsten syrischen Autoren auf der Bühne von PACT Zollverein in Essen erarbeiten sie gemeinsam mit einer Gruppe syrischer Schauspieler*innen. Theater als Versuch, eines der bösartigsten Gesichter des Krieges zu dekonstruieren: das Bündnis von Geld und Macht. Ein Auftragswerk an Mohammad Al Attar und Omar Abusaada. Eine Koproduktion der Volksbühne Berlin mit der Ruhrtriennale.


Donnerstag, 16. August 2018
Third Space. Öffentlichkeit im Schwebezustand
Gesamtkonzept: raumlaborberlin
Eröffnung: 16. Aug: 18.00 Uhr
17. Aug – 23. Sept
Mi, Do, Fr: 15.00 – 21.00 Uhr, Sa, So 12.00 – 21.00 Uhr
an Veranstaltungstagen länger Eintritt Frei
Vorplatz der Jahrhunderthalle Bochum
ruhr3.com/festivalzentrum

Die Künstlergruppe raumlaborberlin gestaltet den Vorplatz der Jahrhunderthalle Bochum als Baustelle und gibt ihm den Namen Third Space. Bruchlandung oder Neukonstruktion eines Flugzeugs? Ein Herstellungs- oder Reparaturbetrieb für öffentlichen Raum? Für alle sichtbar wird der leere, unwirtliche Raum vor der ehemaligen Gaskraftzentrale, der heutigen Jahrhunderthalle, für die Dauer des Festivals umgestaltet. Am Anfang standen Fragen: Ist die einzige Konsequenz aus dem Dualismus von digitaler Welt und realem öffentlichem Raum, dass ich mich nur noch über Tinder in der Shopping Mall mit einem potentiellen Partner verabrede? Kann ich meine Meinung anders als über Like-Buttons oder über Beschwerdeposts auf einem Community Blog äußern? Können öffentliche Plätze und ihre Bespielung dazu beitragen, dass die Idee von Gemeinschaft mit neuen Inhalten gefüllt wird? Ist nicht der öffentliche Raum der Ort für Meinungsbildung? Ein Ort für die (Wieder-)Entdeckung von lebendigen Formen gemeinsamen Lebens? Sollte nicht gerade der öffentliche Raum ein Anti-„egal,-geht-mich-nichts-an“- Raum sein? raumlaborberlin entwickelt für Third Space vor der Jahrhunderthalle Bochum ein Set aus Bauelementen, die während der Ruhrtriennale immer wieder neu zusammengesetzt werden. Jedes Jahr zur Festivalzeit wird am Third Space weitergearbeitet, und neue, überraschende Räume entstehen. Auf der größten Selbstbaustelle des Landes gibt es Kurse, Workshops und Mitmachangebote in unterschiedlichen Einmischungsgraden. Neben dem Mitbauen werden über die Verpflegung der Baustelle, die Beschaffung von Material und Werkzeug, die Vermittlung von Knowhow und die Verbreitung von guter Laune alle Aktivitäten auf ihre Beteiligungspotentiale hin untersucht: Jeder und Jede soll etwas finden, was er oder sie beisteuern kann. Third Space ist Baustelle und Bar; informeller Treffpunkt und Platz für öffentliche Diskussion; Wohnzimmer und Akademie in einem. Kurz: Das Festivalzentrum der Ruhrtriennale 2018 2019 2020. Eine Produktion der Ruhrtriennale. Gefördert von der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft.


Freitag, 17. August 2018
Kreation / Musiktheater / Uraufführung
Universe, Incomplete
Regie: Christoph Marthaler
Mit Kompositionen von Charles Ives
Musikalische Leitung: Titus Engel
Bühne und Kostüme: Anna Viebrock
17. Aug: 20.30 Uhr
Weitere Termine: 19. | 22. | 23. | 24. | 25. Aug.
Jahrhunderthalle Bochum
Mit deutschen und englischen Übertiteln
20 | 35 | 50 | 65 | 80, erm. ab 10 €
ruhr3.com/universe

„Für den Fall, dass es mir nicht gelingen sollte, dieses Werk zu vollenden, findet sich vielleicht jemand anderes, der den Versuch unternimmt, meine Gedanken auszuarbeiten. Es könnte sein, dass die von mir erstellten Skizzen viel mehr Sinn ergeben, wenn man sie aus der Perspektive von jemandem betrachtet, der nicht ich selbst bin.“ (Charles Ives) Von dieser verführerischen Formulierung inspiriert entwickeln der Regisseur Christoph Marthaler, der Dirigent Titus Engel und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock ihre ganz eigene Perspektive auf ein unvollendet gebliebenes Vorhaben des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1875–1954): der Universe Symphony, die eines der großen utopischen Werke des 20. Jahrhunderts ist. Utopisch, weil Charles Ives sie als ein alle klassischen Aufführungsformen sprengendes Klangereignis konzipierte. Utopisch auch, weil er sie nie vollendete, sondern immer neu entwarf. Sie ist ein aus Notizen, Skizzenblättern und Partiturseiten bestehendes Konvolut der Unvollständigkeit. Ausgehend von den tatsächlich komponierten Teilen des Werkes entwerfen Christoph Marthaler, Titus Engel und Anna Viebrock in der Jahrhunderthalle Bochum einen szenisch-musikalischen Raum, in dem Instrumentalsolist*innen sowie die Bochumer Symphoniker und ein aus Schauspieler*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen bestehendes Ensemble auf einer szenischen und einer klanglichen Ebene aus einer entfernten Zukunft auf unser heutiges Leben zurückblicken und aus der Gegenwart eine Zukunft phantasieren. Andere, von der Universe Symphony unabhängige Kompositionen von Charles Ives werden dabei die Leerstellen des unvollendeten Universums einnehmen. Das künstlerische Team untersucht ein musikalisches Gesamtwerk, dem es ein szenisch-visuelles Spannungsfeld heutiger Erfahrung zwischen Verlust und Erfindung hinzufügt. Der Schweizer Dirigent Titus Engel (1975) arbeitet mit verschiedenen Orchestern und an diversen Opernhäusern mit einem Schwerpunkt auf moderner und zeitgenössischer Musik. Die Bühnenbildnerin und Professorin für Bühnenbild an der Wiener Kunstakademie, Anna Viebrock, ist seit 30 Jahren engste künstlerische Begleiterin von Christoph Marthaler. Seit 2002 realisiert sie eigene Musiktheaterprojekte und installative Ausstellungen. Eine Produktion der Ruhrtriennale. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Mit freundlicher Unterstützung von der Stiftung Pro Bochum.


Samstag, 18. August 2018
Podiumsdiskussion
Freedom of Speech/Freiheit der Künste

Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale,
Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen,
Alain Platel, belgischer Choreograph und Theaterregisseur,
Elliott Sharp, Komponist, Multi-Instrumentalist und Performer aus New York,
Michael Vesper, Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale,
Moderation: Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D.

Die Ruhrtriennale veranstaltet unter dem Titel „Freedom of Speech/Freiheit der Künste“ eine Podiumsdiskussion, in der sich Künstler*innen, Kurator*innen und Politiker*innen mit dem Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Freiheit von Kunst mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung im Kontext der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Dabei geht es auch um Sinn und Legitimation von Boykott-Strategien im Bereich der Kultur.


18. Aug: 15.00 Uhr
Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum
Eintritt frei
Telefonische Anmeldung unter Tel. 0221 280 210
Tanz / Musiktheater / Deutschlandpremiere
Kirina
Konzept und Choreographie: Serge Aimé Coulibaly
Komposition und Musikalische Leitung: Rokia Traoré
Libretto: Felwine Sarr
18. Aug: 20.00 Uhr
Weitere Termine: 19. | 21. | 22. Aug.
Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck
Französisch mit deutschen und englischen Übertiteln
20 | 30 | 40, erm. ab

Wanderer, die in einem Land eintreffen, werden für lange Zeit am Aufbau dieses Landes mitwirken. Das ist die Realität der Menschheit, ihre Hoffnung.“ In seiner Arbeit Kirina macht Serge Aimé Coulibaly die Migrationen innerhalb des afrikanischen Kontinents zum Thema einer choreographischen, musikalischen und intellektuellen Erforschung. Immer haben Migrationsbewegungen unsere Kulturen wesentlich bestimmt und Transformationen hervorgerufen. Welche Sprachen, musikalische Formen und Erzählungen sind durch Migration entstanden und wie haben diese die Kulturen anderer Völker und Länder beeinflusst? Auf seiner Suche nach einer zeitgenössischen Sprache, die zur Befragung der heutigen Welt und der ihr zugrunde liegenden Systeme taugt, wird Serge Aimé Coulibaly sich mit den Gründungsmythen der westafrikanischen Kultur beschäftigen und damit, wie ihre Geschichten über Generationen hinweg im Bewusstsein heutiger Gesellschaften arbeiten und auf deren Zukunftsentwürfe einwirken. Kirina ist dabei der Name eines Ortes im heutigen Guinea, der für die Gründung der westafrikanischen Kultur eine starke symbolische Bedeutung besitzt. In der aus dem benachbarten Mali stammenden und international berühmten Musikerin Rokia Traoré, die ihre eigene, heutige Version der klassischen Mandinka-Musik schafft, hat Serge Aimé Coulibaly, der selbst aus Burkina Faso stammt, eine ideale Partnerin für diese neue Arbeit gefunden. Seine Choreographie wird um vier Musiker*innen, den Dialog zweier Sängerinnen und um einen Sprecher erweitert. Die gedankliche und textliche Basis wird der aus Senegal stammende Ökonom und Musiker Felwine Sarr, Autor des Buches Afrotopia, mit seinem Plädoyer für eine afrikanische „Contemporanéité“ schaffen. Der Tänzer und Choreograph Serge Aimé Coulibaly war Mitglied in Kompanien von u. a. Alain Platel und Sidi Larbi Cherkaoui. Er arbeitet in Ogadougou / Burkina Faso, in Brüssel und weltweit. 2002 gründete er mit dem Faso Danse Théâtre eine eigene Kompanie. Seine Arbeiten sind von einer kraftvollen Tanzsprache und starker politischer Motivation. Eine Produktion von Faso Danse Théâtre und der Ruhrtriennale. Executive Producer: les ballets C de la B. In Koproduktion mit Festival de Marseille, Onassis Cultural Centre Athens, Théâtre Paris-Villette, Théâtre de Namur, Théâtre National Wallonie-Bruxelles, Romaeuropa Festival, Kampnagel Hamburg, De Grote Post Ostend, Vooruit Gent, La Rose des Vents Villeneuve d’Ascq und ExtraPôle ProvenceAlpes-Côte d’Azur. Mit Unterstützung der Féderation Wallonie-Bruxelles und Taxshelter Belgium. Tourmanagement: Frans Brood Productions Besonderer Dank an Ankata und Fondation Passerelle.


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