Berlin, Deutsche Oper Berlin, Lady Macbeth von Mzensk, IOCO Kritik, 19.04.2018

Berlin, Deutsche Oper Berlin, Lady Macbeth von Mzensk, IOCO Kritik, 19.04.2018
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Deutsche Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin © Leo Seidel (Kontakt: leoseidel@googlemail.com)
Deutsche Oper Berlin © Leo Seidel (Kontakt: leoseidel@googlemail.com)

Lady Macbeth von Mzensk - Dmitri Schostakowitsch

“Warum bleib’ ich ohne Freude? Warum nimmt man mir jedes Recht zu leben?”   

Von Karin Hasenstein

“Warum bleib’ ich ohne Freude? Warum nimmt man mir jedes Recht zu leben?”  fragt sich Katerina Lwowna Ismailova, die Titelheldin in Lady Macbeth von Mzensk, der zweiten Oper von Dmitri Schostakowitsch.

"Die Hölle auf Erden"

Die Parallele im Titel zu Verdis Oper Macbeth bzw. zur Lady Macbeth ist sicher nicht zufällig gewählt. Dennoch hüte man sich davor, die beiden Damen in eine Schublade zu stecken. Während Verdis Lady Macbeth tatsächlich eine grausame Gestalt ist, wird die sanfte Katerina erst als Opfer der Umstände zur Mörderin. Der Zuschauer identifiziert sich mit ihr und kann jede Gewalttat nachvollziehen. Die Deutsche Oper Berlin zeigt diese Oper in einer Koproduktion mit Den Norske Opera & Ballett, Oslo. Regisseur Ole Anders Tandberg geht bei seiner Inszenierung sehr eng von der Musik aus, was sich als erfreulich erweist. Das hindert ihn nicht daran, die Handlung in ein Fischerdorf auf eine kleine Insel zu verlegen, jedoch ist diese Welt völlig stimmig und schlüssig durchinszeniert. So stellt sich der Wohlstand des Kaufmanns Sinowij Ismailov nicht durch reich gefüllte Kornspeicher dar, sondern durch üppige Fischfänge.

Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk - hier : Evelyn Herlitzius als Katerina Ismailowa © Marcus Lieberenz
Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk - hier : Evelyn Herlitzius als Katerina Ismailowa © Marcus Lieberenz

Bühnenbilder Erlend Birkeland hat sich dabei klar von der norwegischen Landschaft inspirieren lassen und eine Szene erschaffen, die in ihrer Verlassenheit und Trostlosigkeit ebenso gut in den Weiten Russlands liegen könnte. Überhaupt nutzt Tandbergs Inszenierung sehr stark Symbole. Das auffälligste ist wohl die Banda, eine Blaskapelle, die immer an besonders dramatischen Schlüsselszenen auftritt und dabei oft ausgesprochen grotesk wirkt, nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass sich die vermeintlichen Damen bei näherem Hinsehen als Herren entpuppen. Ein weiteres sind die Fische, die anstelle von Kornsäcken gehortet werden. An dieser Stelle ein Kompliment an die Werkstätten der DOB für die wunderbar naturgetreuen Fischmodelle, fast glaubt man, den Fischgeruch wahrzunehmen… Im letzten Akt ist es die kahle Insel, die mit ihren nackten Felsen für die Verlorenheit und Ausweglosigkeit der Menschen steht.

I.  Akt: Katerina, die junge Frau des reichen Kaufmanns Sinowij Ismailov, beklagt die Leere in ihrem einsamen, langweiligen Leben: “Ich sterbe noch vor Langeweile…” Ihr Schwiegervater Boris gibt ihr die Schuld an der Kinderlosigkeit der Ehe und klagt sie an, weil sie ihm keinen Erben schenkt. Auf der mit einer kleinen Felseninsel bedeckten Drehbühne stimmt der Chor ein Klagelied an. Katerinas Ehemann wird als Trottel bezeichnet und von der Regie in Kostümierung (Kostüme: Maria Geber) und Personenführung konsequent so dargestellt. Boris schickt seinen Sohn zu einem entfernten Lagerhaus, die Arbeiter singen, Katerina soll ihm treu sein, doch tatsächlich weint sie ihm keine Träne nach, da sie in dieser Ehe keine Erfüllung findet.

Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk - hier : Ensemble © Marcus Lieberenz
Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk - hier : Ensemble © Marcus Lieberenz

Es folgt eine beklemmend intensiv dargestellte Vergewaltigungsszene, in der sich Köchin Aksinja gegen die Übermacht der geilen Arbeiter wehren muss, aber kaum eine Chance gegen die zahlreichen körperlich überlegenen Männer hat. Katerina tritt hinzu und erlöst Aksinja nach quälenden Minuten voller obszöner Beleidigungen und Demütigungen. Boris taucht auf und schickt alle wieder an die Arbeit. Katerina sehnt sich nach Zärtlichkeit und körperlicher Liebe: “Alles paart sich: der Hengst läuft der Stute nach… wer aber kommt denn jemals zu mir? Wer liebt mich, bis ich vor Erschöpfung nicht mehr kann?”

Erfüllung naht in Gestalt des neuen Arbeiters Sergej. Auf die leisen Streicher und die sehnsuchtsvolle Klarinette folgt eine krude Beischlafs-Musik, die bereits das Gewalt-Motiv vorstellt und dem Hörer verdeutlicht, dass dieses für Katerina wohl nicht der Weg zum Glück ist. Hier taucht zum ersten Mal die schräge Banda auf, eine ekstatische Musik mit viel Blech und dem für Schostakowitsch so typischen Schlagwerk. Figuren und Musik machen sich lustig über den gehörnten Ehemann, der - kaum aus dem Haus - von seiner Frau betrogen wird, die dem Fremden schenkt, was sie ihrem Mann verwehrt.

II. Akt: Boris schleicht um Katerinas Schlafzimmer herum. Er erinnert sich seiner Jugend und verspricht “Heiße Nächte würde ich dir machen!“ In diesem Walzer fühlt man sich unwillkürlich an den Ochs aus dem Rosenkavalier erinnert, der in der Arie “Mit mir, mit mir… keine Nacht dir zu lang!“ dem Mariandl Ähnliches verspricht. Boris entdeckt, dass Sergej bei Katerina war. Eigentlich wollte er an Katerina erfüllen, was seinem Sohn bisher nicht gelang. Als er entdeckt, dass er zu spät kommt, lässt er Sergej brutal auspeitschen und im Keller einsperren. Auch diese Gewaltszene wird wieder sehr drastisch und detailliert dargestellt, musikalisch illustriert durch Xylophon und Schlagwerk im Rhythmus der Peitschenschläge.

Nun greift auch Katerina zu drastischen Mitteln: sie mischt ihrem Schwiegervater Rattengift unter das Pilzgericht, um Boris den Schlüssel abzunehmen und Sergej zu befreien. Boris fühlt sein letztes Stündlein kommen, man holt den Popen, doch ehe Boris beichten kann, hat das Rattengift seine Wirkung entfaltet. Katerina lenkt den Popen ab und klagt, wer nun für sie sorgen werde. Zur Totenmesse und dem Gebet für Boris’ Seele tritt Banda auf;  lautes schräges Blech führt die ganze Situation ad absurdum.

Katerina schlägt ihr Lager neben Sergejs auf und verspricht, ihn zu heiraten. Aber sie weiß auch “Bald ist unsere letzte Liebesnacht”, denn auch wenn der Schwiegervater beseitigt ist, so weiß sie, dass ihr Mann bald zurückkehren wird. Nun tritt Boris’ Geist auf und verflucht Katerina, seine Mörderin. Sinowij kehrt zurück und wird ebenfalls ermordet. Zu ruhiger Moll-Harmonik küssen sich die Liebenden über der Leiche und Katerina beruhigt Sergej “Jetzt bist du mein Mann!"

III Akt: Hochzeitstag. Der Schäbige, auf der Suche nach Alkohol, riecht den Wodka und findet die Leiche. “Mord! Polizei!” ruft er und wieder wird die Szene untermalt von der Banda. Man schwankt zwischen Faszination und dem Gedanken “Nein, nicht die schon wieder!” Zum komischen Moment an diesem so ernsten Abend wird der Auftritt der Polizei; vor dem Vorhang dargestellt vom Herrenchor in norwegischen Polizei-Uniformen; mit Bügelbrett und Bügeleisen bewaffnet vermitteln sie - hier herrscht Ordnung! - genau das vermittelt die Nummer “Ordnung schafft die Polizei!” Dumm nur, dass man vergessen hat, den Polizeichef zur Hochzeitsfeier einzuladen! So rückt die Polizei eben uneingeladen an, um der Anzeige des Schäbigen auf den Grund zu gehen.

Die Inszenierung der Hochzeitsfeier spielt wird einmal mehr mit Klischees; Wodka fließt in Strömen, wird gar aus Wasserkanistern “genossen”. Katerina versucht noch, Sergej zur Flucht zu überreden, jedoch es ist zu spät und sie werden festgenommen. Auch diese Szene wird von der Banda kommentiert. Um die wahren Machtverhältnisse noch einmal zu demonstrieren, wird Katerina im Brautkleid vom Polizeichef vergewaltigt.

IV. Akt:  Das kleine Haus auf der Insel ist verschwunden, wir befinden uns in einem Gefangenlager. Sergej und Katerina sind auf dem Weg in die Verbannung. Der Chor beschreibt die Strapazen des Weges: “Wer hat die Meilen gezählt?” Trauer und Hoffnungslosigkeit in der Musik werden durch eindringliche Bilder auf der Bühne, abgerissene, schmutzige gebrochene Menschen, zum Teil in Unterwäsche, und sensibel eingesetztes Licht, unterstrichen. Die Gefangenen haben jede Hoffnung verloren. Es wird jedoch nicht nur das Einzelschicksal Katerinas und Sergejs beschrieben; das ganze Volk wird durch die Darstellung der zur Zwangsarbeit Verurteilten angesprochen.

Katerina liebt Sergej noch immer. Sie besticht eine Wache, damit sie zu ihm gelangen kann. Dieser klagt sie jedoch an “Du hast mein Leben zerstört!” Er hat inzwischen eine andere Geliebte und bittet Katerina um ihre warmen Strümpfe für Sonjetka. Katerina gibt sie ihm aus Liebe und muss schließlich eine Liebeszene zwischen Sergej und Sonjetka mit ansehen. Das harte Gegenlicht unterstreicht die Kälte, mit der Sergej handelt. Der Chor stimmt ein Klagelied an Irgendwo im Wald liegt ein See. Das Wasser ist so schwer wie ihr Gewissen.“ Katerina muss erkennen, dass Sergej sie nicht mehr liebt; sie verhöhnt. Während die Gefangenen weiterziehen, erwürgt Katarina Sonjetka, reißt sie mit in die Tiefe, beide ertrinken. Ein Klagelied erklingt, da capo.

Der Stoff, den Schostakowitsch hier vertont hat, ist schwere Kost. Die Orchestrierung ist, typisch für Schostakowitsch, stark in den Holzbläsern besetzt, aber auch das schwere Blech setzt starke Akzente. Mit großem Schlagwerk vermittelt sich die Brutalität der Handlung durch eindringliche Rhythmen und große Dynamik.

Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk- hier: Katerina und der Schäbige © Marcus Lieberenz
Deutsche Oper Berlin / Lady Macbeth von Mzensk- hier: Katerina und der Schäbige © Marcus Lieberenz

Donald Runnicles führt das Orchester der Deutschen Oper souverän durch den Abend. Er präsentiert sich einmal mehr als erfahrener Begleiter für die Solisten mit sängerfreundlicher Dynamik und perfekten Tempi. Der Chor sowie die Herren des Extrachores (Einstudierung Jeremy Bines) beeindrucken mit deutlicher Diktion und sauberen Wegnahmen und folgen Runnicles‘ Dirigat präzise. Insbesondere im letzten Akt besticht der Chor durch flexible Dynamik und vermittelt mit großem Ausdruck die Hoffnungslosigkeit der Gefangenen auf ihrem Weg in die Verbannung.

Bei den Solisten sei voran Evelyn Herlitzius als Katerina erwähnt. Die als Strauss-Interpretin bekannte Sopranistin verfügt über einen jugendlich-dramatischen Sopran, der wunderbar zur Rolle der Katerina passt. Im ersten Akt noch mit etwas viel Metall in den Höhen wird ihre Interpretation in den folgenden Akten immer überzeugender und ergreifender. Hinzu kommen ihre starke Bühnenpräsenz und große Glaubwürdigkeit, mit der sie die verzweifelte und zerrissene Persönlichkeit verkörpert. Sergey Poljakow ist ihr ebenbürtiger Partner, der die Rolle des Sergej überzeugend und mit tenoraler Strahlkraft ausfüllt.

Wolfgang Bankls kraftvoller Bass passt gut zur Rolle des plumpen und brutalen Boris. Bankl scheut sich auch nicht vor “schmutzigen” Tönen, die es aber braucht, um diesen Charakter glaubhaft darzustellen. Sehr beeindruckend auch die Szene als Geist, dessen Auftritt fast ein wenig an die Szene des Komturs in Don Giovanni erinnert. Ensemblemitglied Thomas Blondelle gibt den gehörnten Ehemann Sinowij mit lyrischem Tenor und verleiht ihm so viel Tragik, dass er einem fast schon leid tut. Ist es auch eine relativ kleine Rolle, so legt er doch viel Begeisterung hinein und überzeugt das Publikum durch große Spielfreude. Burkhard Ulrich hat als Schäbiger einen kurzen aber eindrucksvollen Auftritt und überzeugt als fieser Verräter. Die Rolle der Sonjetka ist mit der Walter-Sandvoss-Stipendiatin Vasilisa Berzhanskaya perfekt besetzt.

Alles in allem wurde an diesem Abend eine großartige Ensembleleistung präsentiert, die vom begeisterten Publikum mit anhaltendem Applaus und zahlreichen Bravi entsprechend gewürdigt wurde. Die Intensität, mit der vor allem Herlitzius und Poljakow agierten, wirkte lange nach. Ein doppelter Wodka - wie in der Vorstellung - schien auch nach der Vorstellung wahrhaft angebracht.

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