Wien, Palais Ehrbar, LA FEMME - Konzert, IOCO Kritik

LA FEMME - Konzert im Ehrbar-Saal von Wien. Im November 2022 veröffentlichte das Label Naxos die vielbeachtete CD La Femme der Mezzosopranistin Flaka Goranci, die sich ausschließlich mit dem Schaffen weiblicher Komponistinnen befasst.

Wien, Palais Ehrbar, LA FEMME - Konzert, IOCO Kritik
PALAIS EHRBAR mit Ehrbar Saal @ Wikimedia Commons

LA FEMME - Konzert - auschließlich über Werke von Komponistinnen - nach der vielbeachteten CD LA FEMME von NAXOS

von Marcus Haimerl

Im November 2022 veröffentlichte das Label Naxos die vielbeachtete CD La Femme der Mezzosopranistin Flaka Goranci, die sich ausschließlich mit dem Schaffen weiblicher Komponistinnen befasst. Gemeinsam mit dem World Chamber Orchestra unter der Leitung der ukrainischen Dirigentin Aleksandra Korobka fand im ausverkauften Wiener Ehrbar-Saal ein gleichnamiges Konzert statt. Der erste Teil des Abends besteht ausschließlich aus Werken von Komponistinnen, die auch auf der CD vertreten sind, und wird auf Wunsch der Künstlerin auch als Gesamtwerk dargeboten, wobei der Applaus erst am Ende dieses Teils erfolgt.

Ähnlich einer Ouvertüre steht zu Beginn das Stück "The borrowed dress" der jordanisch-kanadischen Komponistin Suad Bushnaq. Dieses eindringliche und berührende Werk, das auch von persönlichen Erlebnissen der Komponistin erzählt, schuf sie für den gleichnamigen Dokumentarfilm über eine syrische Familie, die durch den Krieg in ganz Europa verstreut lebt.

Mit "The Window" folgt ein Lied der Komponistin und des Gründungsmitglieds der iranischen Female Composer Association Niloufar Nourbakhsh. Mit diesem musikalisch sehr zeitgenössischen Lied möchte die Komponistin die Geflüchteten-Community feiern und bringt auch ihre eigenen Gefühle und Erfahrungen ein. Die Textgrundlage schuf die persische Schriftstellerin Forugh Farrokhzad.

Das Lied „Wiegala" der jüdischen Dichterin und Liedermacherin Ilse Weber, 1944 in Auschwitz ermordet, interpretiert Flaka Goranci beinahe originalgetreu, a capella als Klagelied für die Kinder des Konzentrationslagers, die Ilse Weber ab 1942 als Krankenschwester der Kinderstation in Theresienstadt betreute.

LA FEMME - Jia Li, Laura Llozi, Flaka Goranci, Christina Thalassinou, Aleksandra Korobka, Aoi Udagawa (c) Marcus Haimerl

Das ukrainische Lied "Oi ne sviti misechenku" ("Schein nicht so hell, Mond") wurde für die CD von der bekannten Mezzosopranistin Zoryana Kushpler, die selbst ukrainische Wurzeln hat, neu arrangiert. Dieses rund 200 Jahre alte Liebeslied vermittelt in seiner Melodie die reiche spirituelle Kultur der Ukraine. Die Dirigentin Aleksandra Korobka begleitete Flaka Goranci bei diesem Lied selbst auf der Geige.

Die Violinistin Laura Llozi beeindruckte schließlich mit dem Violinsolo "Perpetuo" (Teil I und II, getrennt durch die drei nachfolgenden Werke). "Perpetuo" wurde 2020 als Solostück für Violine geschrieben und verbindet unterschiedliche Einflüsse der Sololiteratur für Violine im geometrisch-dynamischen Kosmos der bekannten Sängerin, Komponistin und bildenden Künstlerin Annamaria Kowalsky, die sich für dieses großartige Werk verantwortlich zeichnet.

"Pelagia" ist ein Stück der byzantinischen Äbtissin Kassia (ca. 810-865), die man heute als erste weibliche Komponistin kennt. "Pelagia" ist eine berührende Hymne an die gleichnamige Heilige, die als Kurtisane in Antiochia lebte und als Gläubige getauft wurde. Bis zu ihrem Tod lebte sie unentdeckt als Mönch.

Das sehr eingängige Instrumentalstück "Salomea" der deutschen Komponistin Jasmin Reuter ist dem Kurzfilm "Salomea’s Nase" gewidmet. Der knapp 20-minütige Film handelt von Rivalität zwischen Geschwistern, Entstellung und dem Schmerz, der uns alle verbindet. Schon wenige Minuten Musik zeugen von der Fähigkeit der Komponistin, das Publikum allein durch ihre Musik die Geschichte erleben zu lassen.

Albena Petrovic Vratchanska ist eine luxemburgische Tondichterin mit bulgarischen Wurzeln. "Peperuga" (Schmetterling) wurde für die CD La Femmein Auftrag gegeben und ist laut der Komponistin ein archaisches Ritual zur Regenbeschwörung und gilt als wichtiges traditionelles Brauchtum in Bulgarien. Ihren persönlichen kreativen Stil konnte die Komponistin mit Elementen bulgarischer Musik verbinden. Begleitet wurde Flaka Goranci neben dem World Chamber Orchestra auch von der bulgarischen Perkussionistin Maria Petrova. "Dantel" (Spitze) ist eine von drei Konzertetüden der türkischen Komponistin und Pädagogin Nazife Güran, die 1921 als Diplomatentochter in Wien geboren wurde. "Dantel" wurde laut der Musikwissenschaftlerin Nelja Melike Atalay 1941 in Berlin komponiert, allerdings erst 30 Jahre später von ihr in Istanbul wieder aufgegriffen. Das Stück erinnert, so die Komponistin, an die filigrane Struktur von Spitze. Innerhalb des Stückes wird eine Technik genutzt, bei der vermehrt Sekundenintervalle präsent sind. Das Stück weist einen Trend zur Abstraktion auf, in welchem modale Verbindungen und Rhythmuswechsel stattfinden. Der Pianistin Jia Li gelingt es mit ihrem beeindruckenden Spiel, diese filigrane Struktur des Werkes deutlich hörbar zu machen.

Das letzte Stück des ersten Teils stammt von Flaka Goranci selbst. Die kosovarisch-österreichische Mezzosopranistin begann in ihrer Schwangerschaft mehr über die Frauen in der Musik, ihre Erlebnisse und Herausforderungen nachzudenken. So entstand auch das CD-Projekt La Femme. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen als Kind im Krieg schrieb Flaka Goranci Text und Musik von "The Speech of Love". Das sehr persönliche und ebenso berührende Stück ist angereichert mit Motiven aus dem Balkan, dem Mittleren Osten in Kombination mit dem Wiener Walzer. "The Speech of Love" sieht die Künstlerin als eine Manifestation des göttlichen Gefühls, der Liebe Gleichheit, Güte und Menschlichkeit für die Zukunft.

Der zweite Teil des Abends startete mit dem Lied "Hana" (Mond) der albanischen Komponistin und Pädagogin Eriona Rushiti. "Hana" ist eine traditionelle albanische Liebesgeschichte, deren sensibler Text ebenfalls von der Komponistin stammen. Die sanfte Melodie basiert auf urbaner albanischer Musik und der Musik aus der albanischen Stadt Shkodra.

Eindrucksvoll auch das armenische Volkslied "Lusin Yelav" (Der Mond kam), bei dem Flaka Goranci von der Pianistin Jia Li begleitet wurde.

LA FEMME - hier Laura Llozi, Flaka Goranci, Christina Thalassinou, Aleksandra Korobka (c) Marcus Haimerl

Ella Milch-Sheriff ist eine der produktivsten Komponistinnen Israels. Ihr einzigartiger Musikstil verbindet zeitgenössische westliche Musik mit israelischen Motiven und jenen des Mittleren Ostens. Als Hauptthema ihres Schaffens stellt sie entweder Frauen, Geflüchtete oder Fremde in den Mittelpunkt. Das Lied, nach dem hebräischen Gedicht des israelischen Lyrikers Yona Wollach, "Zeh hayofi", ist zugleich eine Hommage an ihren sehr jung verstorbenen Freund. Ihrer Aussage nach zeigt dieses Lied nicht ihren typischen Stil als Komponistin, weist aber die emotionale Tiefe auf, die charakteristisch für ihre Musik ist und gleichzeitig ihre traditionelle Kultur repräsentiert.

Mit dem argentinischen Komponisten Astor Piazzolla begegnet dem Publikum erstmals ein männlicher Künstler. Mit dem Tango "Por una cabeza", der unter anderem aus dem US-amerikanischen Film "Scent of a Woman" bekannt ist, spielt das World Chamber Orchestra auf höchstem Niveau. Dieser schwungvolle Tango verleitete auch Dirigentin Aleksandra Korobka sogar zu einem spontanen Tanz mit einem Herrn aus dem Publikum. Dieses Musikstück ist die optimale Überleitung zu einem weiteren Werk des argentinischen Komponisten, seiner Tango-Operita "María de Buenos Aires" (Libretto Horacio Ferrer), das am 8. Mai 1968 in Buenos Aires uraufgeführt wurde. Diese Oper erlebt aktuell eine Renaissance und wird aktuell in der Wiener Kammeroper gespielt. Bereits im Sommer 2023 war Flaka Goranci beim Immling Festival in Halfing in der Titelpartie zu erleben. IOCO berichtete von diesem großartigen Rollendebüt (Link: https://www.ioco.de/halfing-immling-festival-2023-maria-de-buenos-aires-tango-operita-ioco-kritik-31-07-2023/). Mit der herausragenden Darbietung von "Yo soy María" (Ich bin Maria) kann die Mezzosopranistin das Publikum, wie schon beim Immling-Festival, in ihren Bann ziehen.

Mit Kurt Weill gelang noch ein männlicher Komponist zur Aufführung. Mit dem Salomon-Song aus seiner "Dreigroschenoper" gibt Flaka Goranci einen Vorgeschmack auf den Sommer 2024. Sie wird auch dieses Jahr beim Immling-Festival vertreten sein und in der "Dreigroschenoper" die Partie der Jenny verkörpern. Mit der "Zuhälter-Ballade", ebenfalls aus der "Dreigroschenoper", kann der Tenor Glenn Desmedt begeistern.

Die chilenische Folklore-Musikerin Violeta del Carmen Parra Sandoval schuf mit dem Lied "Gracias a la vida" (Danke an das Leben) ein zutiefst berührendes Lied, das vor allem durch die Grand Dame der lateinamerikanischen Folklore-Musik "la Negra" Mercedes Sosa und der US-amerikanischen Folk-Sängerin und -Gitarristin Joan Baez zu Weltruhm gelangte. Flaka Goranci interpretiert eine Strophe dieses Liedes und braucht auch hier keinen Vergleich mit ihren Vorgängerinnen zu scheuen.

Die mexikanische Künstlerin Consuela Velázquez wurde 1916, zu Beginn der mexikanischen Revolution geboren und veröffentlichte jahrelang unter einem männlichen Pseudonym. Obwohl sie auch als Pianistin, vor allem durch ihre Darbietung von Debussy, große Bekanntheit erlangte, sollte ein Lied, das sie im Alter von 15 Jahren komponierte, zu den bedeutendsten in der Geschichte lateinamerikanischer Musik werden: "Besame Mucho". Am Ende des Konzerts stand das bekannteste Lied der als "Mama Africa" bekannt gewordenen Miriam Makeba: "Pata Pata". Ihre Karriere startete 1954 und mit ihren Aufnahmen wurde sie zu einer vielgehörten Sängerin in Südafrika. Aufgrund der kritischen Inhalte ihrer Texte wurde sie bald ein Symbol des Widerstands gegen das Apartheidsystem. Miriam Makeba sang eine Vielzahl von Liedern, aber durch ihre Interpretation von Songs der Xhosa und Zulu brachte sie diese auch der westlichen Welt näher. "Pata Pata" war ursprünglich ein Tanzstil in den illegalen Clubs der Townships in Johannesburg Mitte der 1950er Jahre. Pata Pata war mit Abstand Miriam Makebas charakteristischster und bekanntester Hit und außerdem der letzte Song, den sie vor ihrem Tod performte.

Aufgrund des begeisterten Publikums wurde dieses Lied gleich im Anschluss nochmals als Zugabe gespielt und bildete damit einen schwungvollen Abschluss zu einem rundum gelungenen Abend. Flaka Goranci nahm ihr Publikum mit auf eine emotionale, berührende Reise, eine Achterbahnfahrt von tiefster Trauer über großes Glück bis hin zu höchster Euphorie. Ihre Stimme ist reich an Tiefe und Fülle und beherrscht ein reiches Spektrum an Nuancen. Es gelingt ihr das Publikum mit ihrer satten und kraftvollen Resonanz zu fesseln und erreicht damit beim Zuhörer tiefe emotionale Ebenen. Jeder Ton ist durchdrungen von Melancholie, Leidenschaft, Intensität und einer bemerkenswerten Ausdruckskraft. Ihre Interpretationen sind von einer feinen Sensibilität und einem tiefen Verständnis für die Musik geprägt. Flaka Goranci verleiht jeder Note Individualität und lässt die Melodien lebendig werden. Ihre phänomenale Kontrolle über Dynamik und Phrasierung ermöglicht ihr, die subtilsten Nuancen der Musik herauszuarbeiten und sie mit Leben zu erfüllen. Als Gast überzeugt der Tenor Glenn Desmedt mit seiner klaren und kraftvollen Stimme und Bühnenpräsenz interpretiert er die Zuhälterballade aus Kurt Weills Dreigroschenoper und begeistert das Publikum. Aleksandra Korobka und das World Chamber Orchestra bieten eine präzise, leidenschaftliche und ausdrucksstarke Umsetzung der einzelnen Lieder und Musikstücke und beweisen ein hohes Maß an technischer Finesse. Neben Laura Llozi, die mit ihren Violin-Soli begeisterte, überzeugen auch die restlichen Musikerinnen auf allerhöchstem Niveau: Tomiris Temirgaliyeva (Violine), Daria Lyall (Viola), Aoi Udagawa (Cello), Carmen Lucila Rodriguez Carmona (Kontrabass), Barbara Megyeri (Flöte), Christina Thalassinou (Klarinette), Bojana Popovicki (Akkordeon), Maria Petrova (Percussion) und die Pianistin Jia Li.  

Mit viel Jubel und leidenschaftlichem Applaus dankte das Publikum für diesen wahrhaft außergewöhnlichen und besonders emotionalen Abend, der seinesgleichen sucht. Es bleibt zu hoffen, dass man von diesem Konzert noch einige Wiederholungen erleben darf.

Interessierten sei an dieser Stelle auch die CD "La Femme – A Journey of Female Composers" empfohlen, erschienen im Label Naxos. So wie dieser Abend ist auch diese CD ein besonderes Erlebnis.