Traiskirchen, Theater Traiskirchen, MÄCHENDUO – Andersen, Grimm, IOCO

Das Ensemble überzeugt durch bemerkenswerte Geschlossenheit: Jede Rolle ist fein ausgestaltet und fügt sich mühelos in das große Ganze. So entsteht ein harmonisches Geflecht aus präziser Darstellungskunst.

Traiskirchen, Theater Traiskirchen, MÄCHENDUO – Andersen, Grimm, IOCO
v.l.n.r. Anaïs Marie Golder, Christopher Korkisch, Gregor Brandstätter, Daniela Moser, Benita Holzhammer, Georg Müller-Angerer, Celina Leonardelli, Manuel Hagemayer, Bürgermeisterin Sabrina Divoky, Kulturstadtrat Robert Eichinger - 2. Reihe: Paul Barna, Nikki Barna © Marcus Haimerl

von Marcus Haimerl

Nach den erfolgreichen Stücken „Und dann gabs keines mehr“ von Agatha Christie (Oeynhausen bei Wien, Theater Traiskirchen, UND DANN GABS KEINES MEHR - Agatha Christie, IOCO) und der großartigen Umsetzung von „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry (Traiskirchen bei Wien, DER KLEINE PRINZ - Saint-Exupéry, IOCO) erlebt das Publikum im Stadtsaal Traiskirchen das neue Stück „Märchenduo“ des Ensembles Theater Traiskirchen von Schauspieler, Regisseur, Autor und Bühnenbildner Paul Barna. Er verwandelt die beiden Klassiker „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen und „Tischlein deck Dich“ der Gebrüder Grimm in ein gemeinsames Märchenerlebnis, das mit Witz, Tempo und szenischer Fantasie weit über die übliche Kinder- und Familienunterhaltung hinausreicht. Der Premierenbesuch von Bürgermeisterin Sabrina Divoky und Kulturstadtrat Robert Eichinger signalisiert, welchen Stellenwert dieses Ensemble inzwischen über die Bezirksgrenzen von Traiskirchen hinaus besitzt.

Hans Christian Andersen (1805 – 1875), Sohn eines Schuhmachers aus Odense, avancierte mit über 150 Kunst- und Volksmärchen zum dänischen Nationaldichter. International gefeiert wurde er für seine leise Melancholie, die scharfe Gesellschaftsbeobachtung und die Fähigkeit, in vermeintlich simplen Geschichten universale Wahrheiten herauszuarbeiten. Werke wie „Die kleine Meerjungfrau“, „Die Prinzessin auf der Erbse“, „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ oder eben „Des Kaisers neue Kleider“ wirken bis heute nach, weil Andersen die Berührungspunkte zwischen kindlicher Fantasie und erwachsener Eitelkeit gnadenlos offenlegt.

Des Kaisers neue Kleider
In der Märchenwelt eines eitlen Monarchen, großartig dargestellt von Christopher Korkisch, tauchen zwei Betrüger – hier pointiert verkörpert durch Gregor Brandstätter (Weber 1) und Manuel Hagemayer (Weber 2) – auf, die einen Stoff weben, „den nur Kluge sehen“. Aus Angst, für dumm gehalten zu werden, bestätigt jeder das nicht existierende Gewand – bis ein Kind die Wahrheit ausspricht. Die Moral: Konformitätsdruck macht blind; Mut zur Ehrlichkeit überführt Machtmissbrauch. Paul Barna unterstreicht dies mit satirischer Leichtigkeit, ohne je moralisierend zu werden.

Manuel Hagemayer (zweiter Weber), Georg Müller-Angerer (Albert), Gregor Brandstätter (zweiter Weber) © Attila Horváth

Jacob (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859) sammelten, redigierten und publizierten zwischen 1812 und 1858 über 200 deutschsprachige Volksmärchen. Die beiden Sprachwissenschaftler begründeten mit ihrer „Kinder- und Hausmärchen“-Edition nicht nur die moderne Erzählforschung, sondern schufen ein kollektives Gedächtnis des deutschsprachigen Kulturraums.

Tischlein deck dich
Ein Schneider schickt seine drei Töchter (bei Grimm Söhne) in die Welt, wo jede eine scheinbar wunderbare Gabe erhält: ein selbst deckendes Tischlein, ein Esel, der Gold speit, und ein Knüppel, der Betrüger züchtigt. Die Wirtin stiehlt die Gaben, bis der Knüppel Gerechtigkeit schafft. Moral: Ehrliche Arbeit wird belohnt, Habgier bestraft. Paul Barna ersetzt in diesem Stück die Söhne durch Töchter und den Wirt durch eine Wirtin. Einerseits bleiben die beiden Stücke dadurch nicht rein männlich, er setzt damit auch einen behutsamen modernen Akzent, ohne das grimmsche Fundament zu verwässern.

Anaïs Marie Golder (jüngste Tochter), Benita Holzhammer (älteste Tochter), Christopher Korkisch (Vater), Celina Leonardelli (mittlere Tochter) © Attila Horváth

Paul Barna verbindet beide Märchen durch einen Erzähler (Robert Stuc), der wunderbar mit dem Publikum interagiert und die Geschichten aus einem großen Folianten vorliest, sowie einer raffinierten Cross-over-Schnittstelle: in der Wirtshausszene von „Tischlein deck dich“ kehren die beiden Weber ein und spinnen dort bereits ihre Fäden für den Kaiser und auch am Ende von „Tischlein deck dich“ gibt es noch einen unterhaltsamen Verweis auf „Des Kaisers neue Kleider“. Die Einheitskulisse – mittelalterliche Burgmauern – bieten mit einer Schwenk- und Stichwand (Tom Svehla) zwei Spielräume. Rechts das prunkvolle Schlafgemach mit Himmelbett, Gemälden des narzisstischen Kaisers, einer Kommode und einem Tischchen mit Geburtstagsgeschenken, links das Arbeitszimmer der beiden Weber im Kaiserschloss. Bei „Tischlein deck dich“ schließlich links die Stube des Schneiders mit zahlreichen Requisiten (Nikki Barna), vom Kamin über dem Fleisch, Wurst und Gemüse hängen, einem Butterfass und einem Stapel Brennholz neben dem Kamin. Auf der rechten Seite das Wirtshaus mit Theke und einem Tisch für die Gäste nebst einem Fahndungsplakat nach dem gestiefelten Kater.

Paul Barna beweist mit „Märchenduo“ eindrucksvoll, dass Personenführung seine große Stärke ist. Jede Figur erhält einen klar erkennbaren Charakter, das Ensemble bleibt stets in perfekter Balance, selbst während größerer Soli bleiben im Hintergrund kleine, präzis geführte Aktionen der übrigen Darsteller*innen nicht unbemerkt, die den Raum lebendig halten. Paul Barna verbindet dramaturgische Klugheit, choreografische Präzision und visuelle Fantasie zu einer Regiehandschrift, die seine Darstelleryx                                        strahlen lässt und das Publikum mitreißt – ein Glanzstück für den Kulturbetrieb Traiskirchens.

Nikki Barna trifft mit detailverliebten und authentischen Kostümen exakt den Märchenton: von der Uniform des Kaisers, über die Livree der Bediensteten bis hin zur einfachen, aber zeitgemäßen Kleidung der Weber und der Schneiderfamilie trägt alles zu einem beeindruckenden Gesamterlebnis bei. Für die perfekten Licht- und Tonabstimmungen, sowie einen unterhaltsamen Dialog mit dem Erzähler ist Jakob Gurnhofer verantwortlich und trägt damit ebenso zu einem großartigen Abend bei.

Auch die schauspielerischen Leistungen des neunköpfigen Ensembles sind beeindruckend. Mit lässiger Autorität im Ohrensessel am Bühnenrand führt Robert Stuc als Erzähler durch den Abend und hebt die Produktion auf ein zusätzliches Niveau. Seine warme, präzise modulierte Stimme paart sich mit Pointensicherheit: Wenn er augenzwinkernd vorschlägt, anstatt Märchen wissenschaftliche Texte zum Vortrag zu bringen, verwebt er Bildungswitz und Märchenpoesie zu einem humorvollen Brückenschlag zwischen Generationen. Stuc bleibt dabei nicht bloßer Kommentator, sondern agiert als Spielmacher. In spontanen Dialogen mit Techniker Jakob Gurnhofer, die umgehend mit Licht- oder Geräuscheffekten beantwortet werden, treibt er die Handlung schwungvoll voran und verleiht dem Geschehen eine charmante Live-Show-Dynamik. Sein gezielter Blickkontakt macht das Publikum zu Komplizen, ohne den dramaturgischen Bogen zu strapazieren. Robert Stuc dirigiert Wort, Technik und Zuschauer:innen mit federnder Eleganz. Sein humorvoll-intelligentes Erzählerprofil verankert die Doppelinszenierung und adelt sie zugleich – ein kabinettstückhaftes Solo, das den Abend unverwechselbar prägt.

Robert Stuc (Erzähler) © Attila Horváth

Christopher Korkisch beherrscht die Bühne wie ein natürlicher Scheinwerfer: Sobald er als eitler Kaiser in goldener Brokatrobe auftritt, füllt seine Präsenz den Raum, doch jeder Satz bleibt dank glasklarer Artikulation mühelos verständlich. Seine Diktion ist so präzise, dass selbst die letzten Reihen den feinen Spott in jeder Silbe kosten können. Dann der komplette Rollenwechsel: Als warmherziger Schneider verliert er das aristokratische Pathos, zeigt bodenständige Gelassenheit und entwaffnende Sympathie. Korkisch zeichnet die beiden Charaktere hervorragend konträr zueinander – im Körper, in der Stimmfärbung, in der Tempo­dramaturgie – und liefert damit ein Lehrbeispiel schauspielerischer Wandlungsfähigkeit. Korkisch verbindet herrscherlichen Bombast mit menschlicher Verletzlichkeit, humoristische Exzesse mit glaubwürdiger Emotionalität. Eine meisterhafte Doppelrolle, in der technische Präzision und charismatische Ausstrahlung zu einem mitreißenden Bühnenerlebnis verschmelzen.

Christopher Korkisch (Kaiser), Celina Leonardelli (Otto) © Attila Horváth

Georg Müller-Angerer liefert ein Musterbeispiel wirkungsvoller Rollenvielfalt. Als Hofbeamter Albert der Satire, als Esel und als Ziege im Grimm-Kosmos wechselt er mühelos zwischen völlig unterschiedlichen Charakteren, ohne je die Kontur zu verwischen. Sein Spiel überzeugt durch hohe innere Konzentration, präzise gesetzte Impulse und einen stets organischen Fluss, der die Übergänge zwischen Sprache, Stimme und Bewegung scheinbar mühelos verschmelzen lässt. Müller-Angerer verkörpert jede Figur glaubhaft und verleiht der Inszenierung eine professionelle Vielschichtigkeit.

Gregor Brandstätter glänzt als listiger Weber und ebenso als energischer „Knüppel aus dem Sack“. In der Andersen-Hälfte gibt er dem Betrüger ein verschmitzt kalkulierendes Charisma: jede Augenbraue, jeder fein getupfte Tonfall verrät geistige Wendigkeit und die Freude an der Täuschung. Seine klar geführte Stimme und das pointierte Timing lassen die Ironie des Betrugs lustvoll aufblitzen, ohne zur Karikatur zu werden. Als Knüppel schlägt Brandstätter spielerisch die gegenteilige Tonalität an – urplötzlich verkörpert er die handfeste Gerechtigkeit, bringt mit markantem Auftreten und präziser Körperarbeit den Umschwung der Handlung auf den Punkt. Eine ausgesprochen gelungene Doppelperformance, die das Tempo und den Witz des Abends maßgeblich trägt.

Als zweiter Weber verleiht Manuel Hagemayer dem Betrüger-Duo jene komische Dynamik, die den Schwindel am kaiserlichen Hof zur vergnüglichen Farce macht. Mit wachem Spielinstinkt zeichnet er den eifrigen Mitläufer: ein Hauch devotes Kopfnicken hier, ein überschwängliches Bestätigen der genialen Idee seines Komplizen dort. Hagemayers präzise Mimik – mal staunend, mal verschwörerisch – und sein elastisches Timing betonen die Unterlegenheits­hierarchie im Gaunerpärchen, ohne die Figur zur bloßen Karikatur schrumpfen zu lassen. Indem er den naiv-begeisterten Follower glaubwürdig verkörpert, stärkt Hagemayer nicht nur die Schlagkraft seines Bühnenpartners, sondern sorgt zugleich dafür, dass der Betrug dramaturgisch glaubwürdig und hochkomisch funktioniert. Eine feine, technisch saubere Leistung, die das Ensemble harmonisch abrundet.

Manuel Hagemayer (zweiter Weber), Gregor Brandstätter (erster Weber), Georg Müller-Angerer (Albert) © Attila Horváth

Als älteste Schwester führt Benita Holzhammer das magische Tischlein deck dich auf die Bühne. In jeder Szene überzeugt sie durch fokussierte Ausstrahlung, saubere Sprachpräzision und ein unaufdringliches, aber deutlich spürbares Timing: Jede Reaktion sitzt, jede Pointe wird exakt abgegeben, ohne je forciert zu wirken. Eine feine Rollenführung verschafft den emotionalen Momenten – etwa dem Stolz, das wundersame Tischlein heimzubringen – das nötige Gewicht, ohne die Leichtigkeit des Märchens zu verlieren. Gerade in den Ensembleszenen zeigt sie sich als verlässliche Partnerin, die Impulse aufnimmt, weitergibt und damit das Zusammenspiel geschmeidig hält. Benita Holzhammer liefert eine solide, warmherzige Darstellung, die der Handlung Struktur verleiht und das Publikum sanft, aber sicher an die Hand nimmt – eine leise, aber unverzichtbare Stärke innerhalb des Ensembles.

Celina Leonardelli beweist in zwei gänzlich unterschiedlichen Rollen beachtliche Wandelbarkeit. Als Diener Otto, der dem Kaiser den Spiegel vorhält, stattet sie den lakonischen Hofbediensteten mit trockenem Humor und feiner Körperdisziplin aus. In „Tischlein deck dich“ verkörpert Leonardelli die mittlere Tochter. Mit geschmeidiger Gestik und klar gefärbter Stimme machen den Optimismus der Figur unmittelbar erlebbar. Ihre durchgehend präzise Sprechweise, das sichere Timing – Qualitäten, die besonders in den Ensembleszenen für rhythmische Leichtigkeit sorgen.

Als jüngste Tochter führt Anaïs Marie Golder die Geschichte mit spürbarer Entschlossenheit zum Happy End: Mit klarer Bühnenpräsenz, und lebendigem Spieltrieb nimmt sie den „Knüppel aus dem Sack“, zwingt die listige Wirtin zur Rückgabe von Tischlein und Goldesel – und behält dabei stets eine charmant kecke Leichtigkeit. Golders Artikulation bleibt durchweg verständlich, ihre Gesten wirken präzise, doch nie mechanisch. Dadurch wird die Figur zum glaubhaften Kraftpol zwischen Humor und Gerechtigkeitssinn und verleiht dem Finale eine frische, sympathische Energie.

Georg Müller-Angerer (Goldesel), Benita Holzhammer (älteste Tochter), Celina Leonardelli (mittlere Tochter), Christopher Korkisch (Vater) © Attila Horváth

Daniela Moser macht die listige Wirtin zur funkelnden Antagonistin des Abends. Mit scharf gesetzten Blicken und akkurat dosierten Gesten zeichnet sie ein Bild gieriger Berechnung, ohne dabei jemals zur plumpen Karikatur zu geraten. Ihr Spiel balanciert elegant zwischen schmeichelnder Gastfreundschaft und hinterhältiger Verschlagenheit. So werden der Diebstahl von Tischlein und Goldesel nicht bloß Handlungspunkte, sondern ein dramaturgischer Höhepunkt, den Moser mit punktgenauer Präsenz ankurbelt. Ihre Darstellung verleiht dem Märchen die notwendige Dosis Bedrohung, treibt die Spannung voran und zeigt gleichzeitig, wie viel nuancierte Spielfreude in einer scheinbar einfachen Märchenfigur stecken kann. Eine überzeugende Leistung, die das Ensemble um eine herrlich verschmitzte Facette bereichert.

Das Ensemble überzeugt durch bemerkenswerte Geschlossenheit: Jede Rolle ist fein ausgestaltet und fügt sich mühelos in das große Ganze. So entsteht ein harmonisches Geflecht aus präziser Darstellungskunst, das den Abend von der ersten bis zur letzten Szene auf hohem Niveau trägt.

 „Märchenduo“ ist weit mehr als ein vergnügliches Familienprogramm – die verspielte Ironie, das pointierte Schauspiel und die kluge Regie halten auch erwachsene Zuschauer in Atem. Ein anhaltend herzlicher Applaus beschloss den Abend und bestätigte nicht nur die Begeisterung des Publikums, sondern auch, wie kraftvoll das Ensemble des Theaters Traiskirchen die regionale Kulturlandschaft und weit über die Region hinaus bereichert.

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