Prag, Rudolfinum, FESTSPIELE PRAGER FRÜHLING 2025, IOCO

Prag, Rudolfinum, FESTSPIELE PRAGER FRÜHLING 2025, IOCO
Rudolfinum Prag © Wiki commons

16., 17., 18.05.1025

 80. JUBILÄUMSJAHR DER INTERNATIONALEN FESTSPIELE PRAGER FRÜHLING 2025

 

Mondestrunken
Den Wein, den man mit Augen trinkt,
Gießt nachts der Mond in Wogen nieder,
Und eine Springflut überschwemmt
Den stillen Horizont.

Gelüste, schauerlich und süß,
Durchschwimmen ohne Zahl die Fluten!
Den Wein, den man mit Augen trinkt,
Gießt nachts der Mond in Wogen nieder.

Der Dichter den die Andacht treibt,
Berauscht sich an dem heilgen Tranke,
Gen Himmel wendet er verzückt
Das Haupt und taumelnd saugt und schlürft er
Den Wein, den man mit Augen trinkt.


(Pierrot Lunaire / Albert Giraud  / Übersetzung
In Deutsch von Otto Erich Hartleben  / Auszug)

 

Mit mehr als 30 000 Zuschauern, die in den legendären Sälen der tschechischen Hauptstadt: Rudolfinum, Smetana-Saal, Sainte-Agnes-Kloster, usw…, ein äußerst abwechslungsreiches Programm genossen, waren die Internationalen Musikfestspiele Prager Frühling, die vom 12. Mai bis 3. Juni ihr 80-jähriges Jubiläum feierte, ein sehr großer Erfolg.

Die mittlerweile weltberühmte moldauisch-schweizerisch-österreichische Geigerin Patricia Kopatchinskaja war Residenz-Musikerin der Festspiele und lieferte zur großen Freude und manchmal auch zum Erstaunen des Publikums einige herausragende Vorstellungen ab, indem sie an drei außergewöhnlichen Abenden eine Art virtuose Reise und nicht nur im instrumentalen Sinne alle ihre Talente zeigte. Denn sie ist auch eine Schöpferin traumhafter Welten, eine Schauspielerin, Regisseurin, Dirigentin, kurzum – man kann wohl sagen - eine wahre Zusammenfassung vieler Talente: Ihrer eigenen und auch die ihrer Musikfreunde, mit denen sie auftritt. Mit einem besonderen Partner, dem finnischen Pianisten Joonas Ahonen, aber auch der Camerata Bern sowie mehreren hochkarätigen Solisten, darunter dem polnischen Akkordeonisten Wieslaw Pipczynski, eröffnet die Geigerin ihren Zuschauern ein ganzes poetisches Feld, das weit über das „einfache“ musikalische Repertoire hinausgeht. Wir kannten die Künstlerin als Ausnahmevirtuosin: Hier entdecken wir sie als exzentrische Schauspielerin und inspirierte Philosophin…

Patricia Kopatchinskaja © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

 

Drei Tage mit Patricia Kopatchinskaja…

 

16.05.2025

ZEIT & EWIGKEIT ist ein originelles Projekt der Geigerin und Performerin Patricia Kopatchinskaja und der Camerata Bern. Eine Auswahl musikalischer Kompositionen aus sechs Jahrhunderten bildet eine kontemplative Sequenz, die menschliches Leid, die Präsenz des Bösen im Menschen und gleichzeitig die menschliche Spiritualität reflektiert, die in Form der Religion Hoffnung bietet. Moderne Kompositionen, die thematisch auf die bolschewistische Revolution und den Nazi-Terror reagieren, wechseln mit geistlicher Musik, in der Leiden zum Weg der Erlösung und Befreiung wird. Die Musiker offenbaren Zusammenhänge, die sonst verborgen bleiben könnten – etwa wenn in einer Aufführung von Hartmanns: Concerto funebre (1959) das jüdische Lied Elijahu Hanawi­ (Der Prophet Elias) vorangestellt wird, das Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) in seinem Werk zitiert. Oder sie rücken Stücke in ein neues Licht – etwa wenn Choräle aus Johann Sebastian Bachs (1685-1750): Johannes-Passion, BWV 245: Die Choräle: Ach großer König, Durch dein Gefängnis, Wer hat dich so geschlagen (1724) zwischen die Sätze von Frank Martins (1890-1974): Polyptyque (1973) eingeflochten werden, einer Komposition, die von Gemälden der Passion Christi inspiriert ist. Ganz am Ende laden sie uns ein, gemeinsam mit ihnen einen dieser Choräle zu singen – O große Lieb‘. Außerdem zusätzlich im Konzert-Programm: Tadeusz Sygietyňski (1896-1955): Dwa Serduszka (1976), Guillaume de Machaut (etwa 1300-1377): Kyrie z Messe de Notre-Dame ( ), Luboš Fišer (1935-1999): Crux für Violine (1968).

Patricia Kopatchinskaja © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

 

TIME & ETERNITY, mit diesem ambitionierten Titel eröffnet der Abend am 16. Mai! Kopatchinskaja konzipiert ihn als eine Reise durch Werke, die mehr oder weniger eng mit einer Mystik verbunden sind, die nicht nur religiös ist und allen Glaubensrichtungen offen steht: Jüdisch, katholisch, lutherisch usw. sondern auch tiefer mit einer leidenschaftlichen Reflektion über das menschliche Schicksal, die in der Verwendung von Folklore mit all ihrer universellen Dimension und der Erzeugung gemeinsamer Emotionen wurzelt. Während des Abends voller starker Momente und reichhaltig gestaltet – Kopatchinskaja ist die Gestalterin und Hauptkünstlerin, wirkt aber nicht an allen Stücken mit – konnten wir als Auftakt die ergreifende Vision des jüdischen Gebets Kol Nidre (1996) des amerikanischen Komponisten John Zorn (*1953) einhauchen.  Dann folgte das schon erwähnte Trauerkonzert für Violine und Streichorchester von Hartmann, das 1939 inmitten der Angst vor der Nazi-Macht komponiert wurde und ursprünglich den Titel Musik der Trauer trug. Es entführte den Zuhörer in eine fesselnde Klangwelt, wenn auch voller Dissonanzen und Rauheit.

 

Ohne auf die Details eines Abends mit fast zwanzig verschiedenen musikalischen Momenten einzugehen, sei lediglich gesagt, dass der wohldurchdachte Wechsel von Solostücken, Gesangsstücken aus der Folklore und Sätzen aus Werken für Streichorchester – insbesondere das schon erwähnte großartige Polyptychon für Violine und zwei kleine Streichorchester des schweizerischen Komponisten Martin, dessen sechsfacher Auftritt den gesamten Abend prägte – zu einem jener außergewöhnlichen Momente führte, in denen die absolute Stille des Publikums im großen Dvořák-Saal des Rudolfinum die Emotion dessen, was auf der Bühne gespielt und gesungen wurde, zu übertragen und zu verstärken schien. Hinzu kommt das große musikalische Interesse an der gelinde gesagt unerwarteten instrumentalen Transkription  von Stücken wie dem Kyrie aus der Messe Notre-Dame von de Machaut oder den Chorälen aus Bachs Johannes-Passion.

Ein Debütwerk des Tschechen Fišer, das wunderschöne Crux für Violine, Pauken und Glocken, ermöglichte uns die Entdeckung dieses faszinierenden Komponisten, von dem uns der Abend des 18. Mai zwei Tage später ein ausführliches Porträt bot. Nicht zuletzt hatte Kopatchinskaja für diesen Abend die Projektion religiös inspirierter Gemälde von Meistern der italienischen Renaissance konzipiert, die der deutsche Lichtbildner Markus Güdel hervorragend in Szene setzte und den ganzen Abend über wunderschöne Lichtkolorierung schuf.

 

17.05.2025

Patricia Kopatchinskaja (Pierrot Lunaire) © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

PIERROT LUNAIRE: Im Herbst 1911 zog der österreichische Komponist Arnold Schönberg (1874-1951) von Wien nach Berlin, um am privaten Stern-Musik-Konservatorium zu unterrichten. Zu dieser Zeit vollendete er auch seine theoretischen Abhandlung Harmonielehre (1911), in der er die Ansicht zum Ausdruck brachte, dass die bestehenden Regeln der Musik an ihr Ende gekommen seien, die neue Kunst sich in einer Krise befände und es notwendig sei, neue Wege zu beschreiten. Für Schönberg lag die Lösung in der Lockerung der Tonalität hin zur Atonalität, was wiederum zur Dodekaphonie führte – dem Zwölfton-Skala-System, in dem alle zwölf Noten der chromatischen Tonleiter als gleichwertig behandelt werden, sodass der Komponist das thematische Material frei gestalten kann.

 

In Berlin lernte Schönberg die Schauspielerin Albertine Zehme (1857-1946) kennen, die ihn ermutigte, ein Werk mit Rezitatorin für sie zu schreiben. Im März 1912 begann er mit der Komposition von 21 kurzen Melodramen nach Gedichten des belgischen Symbolisten Albert Giraud (1860-1929), die der deutsche expressionistische Dichter Otto Erich Hartleben (1864-1905) ins Deutsche übersetzte. Die Partitur wurde im Sommer 1912 fertiggestellt und erhielt den Titel Pierrot Lunaire (1912). Die Titelfigur – interpretiert von Zehme – erschien im traditionellen Theaterkostüm der italienischen commedia dell ‘arte, mit stark aufgemalten Gesichts-Make-up. Anstelle einer gesprochenen Rezitation wählte der Komponist seinen neuen erdachten Sprechgesang. Die Partie des Pierrots ist mit präzisen Tonhöhen und rhythmischen Werten geschrieben, doch Schönberg weist die Interpreterinnen an, die „intonierte Sprache“ nicht zu verwenden: Die Stimme muss kurz die angegebene Tonhöhe berühren, bevor sie sofort ansteigt oder abfällt. Fünf Musiker spielen acht Instrumente: Klavier, Cello, Flöte, doppelte Piccoloflöte, Klarinette, doppelte Piccolo-Bass-Klarinette und Violine, doppelte Bratsche. Jedes Stück verfügt über unterschiedliche Instrumenten-Kombinationen. Die verwendete Kompositionstechnik ist die freie Atonalität, die auf traditionelle Formen wie Passacaglia und Fuge angewendet wird. Pierrots Stimme bewegt sich zwischen leisem Flüstern und äußerst harschen Schreien, Flehen, Drohungen, Anschuldigungen und grotesker Kabarettparodie.

Ensemble Pierrot Lunaire © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

 

Die Uraufführung fand am 16. Oktober 1912 im Choralikion-Saal in Berlin statt. Zehme lieferte eine brillante und facettenreiche Interpretation, die bei einigen Zuschauern sowohl Spott als auch Gelächter und bei anderen lauten Applaus hervorrief. Einer der Interpreten, der ukrainische Pianist Eduard Steuermann (1892-1964), erinnerte sich später: „Es war natürlich damals ein Skandal… aber es verursachte auch sehr große Ovationen der Begeisterung“.

 

Der russische Komponist Igor Strawinsky (1882-1971) hatte auch die Gelegenheit, Pierrot Lunaire persönlich mitzuerleben. Er spürte, dass er etwas Bahnbrechendes erlebte, doch gleichzeitig verspürte er ein starkes Gefühl der Abneigung. Der große Strawinsky – der das Publikum schon oft schockiert hatte! Doch heute ist dieses Werk von Schönberg ein fester Bestandteil des weltweiten Repertoires.

 

Zusätzlich wurden im ersten Teil des Abends folgende Werke aufgeführt: Strawinsky: L’Histoire du soldat, Suite (1917); Darius Milhaud (1892-1974): Suite pour violon, clarinette et piano, Op. 157b, (Auszug / 1937) und Béla Bartók (1881): Kontraste für  Violine, Klarinette and Piano, Sz 111 (1940).

 

Ein verrückter Pierrot Lunaire… ebenfalls im Rudolfinum, konnten wir bei einem weiteren abendfüllenden Programm im ersten Teil ein Strawinsky, Milhaud und Bartók gewidmetes Konzert und im zweiten Teil den schon sehr zitierten Schönberg mit seinem inzwischen weltberühmten Pierrot Lunaire hören. Sagen wir gleich zu Beginn, dass uns der erste Teil völlig verführt hat, der zweite jedoch bei dem in der Schönberg-Welt erfahrenen Zuhörer einige Zweifel an der Interpretation der Violinistin weckte, die hier in  Pierrot verwandelt wurde. Die Künstlerin bot in Strawinskys: L‘Histoire du Soldat eine äußerste bissige Vision begleitet von zwei außergewöhnlichen Musikern, den schweizerischen Klarinettisten Reto Bieri und den schon genannten Pianisten Ahonen. Und das kurze Stück für dieselbe Besetzung von Milhaud – aus der Suite du Voyageur sans valise – war ein wunderschöner Wiederhall. Was Bartóks: Kontraste betrifft, so bildeten sie trotz ihrer gewaltigen technischen und ausdrucksstarken Schwierigkeiten den krönenden Abschluss des ersten Teil.

 

Doch Pierrot Lunaire, wie Kopatchinskaja ihn interpretierte, ließ uns nicht den Atem anhalten. Das Instrumentalensemble, bestehend aus denselben Interpreten wie im ersten Teil, ergänzt durch die spanische Flötisten Julia Gállego, die Violine und Bratsche von der koreanischen Meesun Hong Coleman und den deutschen Cellisten Thomas Kaufmann, interpretierte das Werk mit allen Nuancen, die der Komponist ihm eingeschrieben hatte. Zwischen Härte und Melancholie, zwischen Ironie und Gewalt zeichnen die Musiker eine unverkennbare Schönberg-Landschaft. Doch mit der Entscheidung, den Sprechgesang zu übernehmen, geht die Violinistin ein großes für uns unverständliches Risiko ein: Sie verzerrt durch eine zu große und vor allem unpassenden Theatralik die vom Komponisten vorgesehene dramatische Substanz. Statt eines würdigen Sprechgesang ergeht sich die Künstlerin in einer unangenehmen Ausschweifung von Mimik und Lauten, die eher den sanften Wahnsinn einer etwas kindlichen Frau beschwört als die Bitterkeit und den halluzinatorischen Charakter, die die wunderbare deutsche Übersetzung von Hartleben der Gedichte von Girauds suggerieren. Der blasse und todtraurige Charakter des Werkes fehlt hier völlig. Auch die Gewalt, wenn nicht gar eine Art neurotische Prägung des Pierrots, die uns das Wesen von Schönbergs Werk zu verraten hat. Kurzum dieses hysterische und schreiende herumfuchteln dieser Clowns-Figur geht völlig am Werk vorbei, die Interpretin sollte besser bei ihrer Geige bleiben. Dazu versteht man kein Wort, was besonders bei diesem Werk sehr wichtig ist!

 

Dennoch offenbart Kopatchinskaja in diesen Szenen ein offensichtliches schauspielerisches Talent, eine Beweglichkeit und fast schon Sinn für Akrobatik, die Fähigkeit, sich in einem perfekt exzentrischen, verrückten und humorvollen Licht zu präsentieren – Eigenschaften, die im Theater und im Zirkus offensichtlich genutzt werden können. Aber auf keinen Fall in Pierrot Lunaire, der unserer Meinung überhaupt nichts davon hat und auch nicht verlangt.

 

18.05.2025

Lubos Fiser © Wiki commons Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

HOMMAGE A LUBOŠ FIŠER (1935-1999): Der Komponist zählt zu den bedeutendsten tschechischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein musikalisches Talent zeigte sich bereits in früher Kindheit. Später hatte er Glück, Meister-Schüler seines Lehrers Emil Hlobil (1901-1987) am Prager Konservatorium  und anschließend an der Musikfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag zu werden. In den ersten beiden Semestern wurde  er teilweise auch von Pavel Bořkovec (1894-1972) unterrichtet, der ihm eine fundierte Einführung in der Kompositionskunst gab und ihn in seinem weiteren Streben nach makelloser Kompositionstechnik sowie den erforderlichen „handwerklichen“ Fähigkeiten unterwies. Fišer erinnerte sich später oft daran, wie streng diese Ausbildung tatsächlich war. Dennoch zeigten sich ihre klaren Vorteile in seiner späteren Entwicklung: Er konnte nicht nur Impulse der Avantgarde-Szene der 1960er Jahre problemlos aufnehmen, sondern auch ein messerscharfes Gespür für das emotionale Spektrum entwickeln, das der Musik für Film, Fernsehen und andere Medien relevant ist. Gleich zu Beginn seiner Karriere, 1960 machte er mit der Oper Lanzelot auf sein Talent aufmerksam, eine seiner späteren Produktionen der Oper wurde vom Tschechischen Fernsehen aufgeführt. Seine zweite Oper Der ewige Faust aus den 1980er Jahren schrieb er speziell für das Fernsehen. Seine lebenslange Verbindung zu Kino und Fernsehen wurde zu einem festen Bestandteil seiner Karriere und trieb ihn zu einer langen Liste von originellen, wirkungsvollen und sogar kultigen Werken.

Patricia Kopatchinskaja © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

 

In den 1960er Jahren wurde Fišer von der Ästhetik und den Ausdrucksmitteln der Avantgarde-Komponisten beeinflusst und nicht wenige seiner Kompositionen fallen in Zeit der Kategorie Musica nova. Dazu gehören Fünfzehn Blätter nach Albrecht Dürers (1471-1528) Apokalypse (1498 // 1965), die den ersten Preis des UNESCO International Rostrum of Composers in Paris gewannen; Symphonisches Fresko (1962/63); Relief für Orgel (1964) oder Caprichos für gemischten Chor und Kammerchor (1966). Der Umfang und die Gattungsvielfalt seines Schaffens sind durch und durch außergewöhnlich. Neben den oben erwähnten Opern schuf er großangelegte vokalsinfonische Werke wie z. B. Requiem für Sopran, Bariton, zwei gemischte Chöre und Orchester (1968); Weihnachtslieder für Soli, gemischten Chor und Orchester (1969). Klage über die Zerstörung der Stadt Ur für Sopran- und Bariton-Solo, drei Rezitatoren, Kinderchor, gemischte und Rezitativchöre, Pauken und Glocken (1970). Konzertante Kompositionen, darunter Concerto  für zwei Klaviere und Orchester (1983); Sonate für Leonardo für Gitarren Solo und Streichorchester (1995); Pastorale per Giuseppe Tartini (1692-1770) für Violine und Orchester (1998). Sowie symphonische, Chor- und Kammermusik-Kompositionen und natürlich über 300 Film-, Fernseh- und Bühnenmusik-Partituren, darunter auch viele zahlreiche äußerst populäre Werke, Titelmelodien für Fernsehserien und Spielfilme, die auch über ihr ursprüngliches Medium hinaus zu großen Hits wurden.

 

In einem Interview für das Magazin Hudebni rozhledy (1980) kommentierte Fišer seine Verbindung zur Avantgarde und seine weitere Entwicklung wie folgt: „Das 20. Jahrhundert brachte ein höchst eigentümliches Dogma mit sich. Nämlich, dass der Künstler immer wieder Neues schaffen muss. Um zu schockieren, zu verblüffen, aber niemals zu wiederholen. Das widerspricht dem Grundprinzip der Kreativität!“ Dies bringt sein späteres Bestreben, Musik zum Synonym für eine „Ökologie des Geistes“ zu machen, auf den Punkt. Dies spiegelte sich in seiner Mitgründung in den 1990er Jahren wider: Zusammen mit Sylvie Bodorová (*1954), Otmar Mácha (1922-2006) und Zdeneke Lukáš (1928-2007), einer Gruppe von Komponisten mit dem Titel Quattro, als gemeinsame Plattform für Komponisten, die die gleichen Überzeugungen hinsichtlich der Bedeutung und des Zwecks der klassischen Musik teilen.

 

Der dritte Abend, ein Konzert mit Kopatchinskaja und Ahonen, bot zumindest für nicht-tschechischen Zuhörern die Gelegenheit, das Werk von Fišer zu entdecken, einem der bedeutendsten tschechischen Musiker des 20. Jahrhunderts. Beeinflusst in den 1960er Jahren von der europäischen Avantgarde, fand er später seinen eigenen Stil, frei von jeglichem kommunistischen Dogma. Fišer ist Autor von acht Klaviersonaten und anderen Werken, einem wahren Reservoir instrumentaler, harmonischer und rhythmischer Erfindungsgabe und hat zudem ein beeindruckendes Werk an Kammermusik geschaffen. Das Konzert am 18. Mai bot daher die Gelegenheit, ein Programm zu hören, das seinen Stil sehr gut repräsentiert: Die Sonate für Violine solo „In memoriam Terezin“ (1982), benannt nach dem Nazi-Konzentrationslager Theresienstadt, in dem unter dem Vorwand die Kreativität zu fördern, eine äußerst zynische Maschinerie  zur Vernichtung jüdischer Künstler eingesetzt wurde… Es folgten Ludwig van Beethovens (1770-1827) Sonate für Violine und Klavier, N° 8 in G-dur, Op 30  N°. 3 (1802), danach Fišers: Sonate für Violine und Klavier „Ruce“ (1961), eine Sonate für Klavier N° 3 (1961) und schließlich zum Abschluss: Beethovens: Sonate für Violine und Klavier N°4 in A moll, Op. 23 (1801).

Joonas Ahonen © Petra Hajska Internationale Festspiele Prager Frühling 2025

 

Die drei auffälligsten Merkmale der Musik von Fišer, wie wir sie zumindest anhand der für diesen Abend programmierten Werke wahrnehmen können, sind harmonische Dichte, die manchmal bis zu einer Art „königlicher“ Kakophonie reicht, intensive Gewalt auch im Instrumentalspiel: Schnelle Abfolge von Akkorden im Klavier, die manchmal nuanciert über das Fortissimo hinausgehen, große Intervallsprünge der Violine, die den Interpreten zu einer Art Akrobatik zwingen und natürlich auch Melancholie. So konnten wir uns ein ziemlich genaues Bild von der Ästhetik dieses Musikers machen: Expressionismus, Karlheinz Stockhausen (1928-2007) -artige Moderne des Klaviersatzes – man denke an einige Klavierstücke des deutschen Komponisten… - Einfluss jüdischer Folklore, Stilfusionen!

 

Der Pianist Ahonen, dessen immenses Talent wir bereits an den beiden Vorabenden bewundern durften, offenbart sich mit seiner klanglichen Erfindungsgabe und seiner technischen Meisterschaft als überwältigend. Sein Spiel wirkt jedoch nie narzisstisch oder demonstrativ. Im Gegenteil, der Künstler präsentiert sich mit Finesse und Eleganz eines Meisters der Schatten, ohne seinen Charakter auf Kosten der von ihm interpretierten Werke zu zwingen, sondern ihnen durch sein konzentriertes, ausdrucksstarkes Spiel ihre poetische, traumhafte, halluzinatorische Tragweite zu verleihen. Ein Meister, der dieser Ausnahmekünstlerin Kopatchinskaja in nichts nachsteht…

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Wismar, Kirche St. Georgen, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Blomstedt, Mühlemann, NDR Elbphilharmonie Orchester, IOCO

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By Ekkehard Ochs