Mannheim, Schloss Mannheim, Verdienstorden an SONTRAUD SPEIDEL, IOCO

Sontraud Speidel ist als Künstlerin und Persönlichkeit eine Ausnahmeerscheinung. Sie zählt zu den ganz wenigen, die bei einer so intensiven Lehrtätigkeit eine derart erfolgreiche Laufbahn als Konzertpianistin vorweisen können.

Mannheim, Schloss Mannheim, Verdienstorden an SONTRAUD SPEIDEL, IOCO
Schloss Mannheim © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Achim Mende

von Uschi Reifenberg

Die Pianistin und Klavierpädagogin Sontraud Speidel erhält den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.

In einem Festakt im Mannheimer Schloss verlieh der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Pianistin und Klavierpädagogin SONTRAUD SPEIDEL den VERDIENSTORDEN DES LANDES BADEN-WÜRTTEMBERG.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann:

„Frau Professorin Sontraud Speidel ist eine herausragende Künstlerin, die nicht nur durch ihr musikalisches Talent, sondern auch durch ihr unermüdliches Engagement und ihre inspirierende Persönlichkeit bleibende Spuren hinterlässt. Als erste deutsche Preisträgerin des Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerbes Washington begann sie vor über 60 Jahren eine erfolgreiche internationale Karriere. Seit Jahrzehnten prägt sie auch als Professorin an der Hochschule für Musik Karlsruhe junge Pianistinnen und Pianisten und fördert ihre künstlerische Entwicklung. Darüber hinaus setzt sie sich für musikalische Bildung und kulturelle Teilhabe ein. Mit Initiativen wie dem „Elisabeth-Speidel-Fond“ sorgt sie dafür, dass Musik für alle zugänglich bleibt. Zudem organisiert sie Benefizkonzerte und engagiert sich in zahlreichen sozialen Projekten.“

Verbundenheit mit dem Land Baden-Württemberg und der Region durch herausragendes ehrenamtliches Engagement

Frau Professor Sontraud Speidel ist eine Pionierin in der Förderung des künstlerischen Nachwuchses in der Bundesrepublik Deutschland und weltweit. Besonders zeichnet sie dabei aus, dass sie die heute häufig mit dem Schlagwort "glocal" bezeichnete Beziehung zwischen dem Lokalen und dem Globalen/Internationalen auf vorbildliche Weise herstellt. In den über mehr als 60 Jahren ihres Schaffens ist Sontraud Speidel als Konzertpianistin und Pädagogin ihrem Anspruch auf Weltklasse-Qualität ebenso erfolgreich treu geblieben wie ihrer Verbundenheit zur Region und ihrem Bemühen, Baden-Württemberg, das erfolgreichste Musikland Deutschlands, weiter zu stärken. Dazu gehört ganz wesentlich ihr Engagement in den von ihr zum Teil selbst gegründeten Vereinen und Organisationen zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses (Vorsitz des Piano-Podiums Karlsruhe e.V., Leitung des Regionalverbands Jugend musiziert Karlsruhe, Vorstandsmitglied des Kulturfonds Baden usw.) ebenso wie ihr Einsatz für die Vorstellung von vergessenen oder nur marginal wahrgenommenen Komponist*innen und Werken, die eine Verbindung zur Geschichte Baden-Württembergs aufweisen. Darüber hinaus unterstützt Sontraud Speidel seit Jahrzehnten auch bisher wenig bekannte Komponist*innen der Gegenwart, die in der Region beheimatet sind. Als Vorsitzende des Piano-PodiumsKarlsruhe e.V. steht sie an der Spitze der Organisation eines im zweijährigen Turnus in Karlsruhe stattfindenden Klavierwettbewerbs, für das Komponist*innen eigens Werke vorlegen, die von den jungen Teilnehmer*innen verschiedener Altersgruppen erstmalig aufgeführt werden. Damit wird die Sichtbarkeit der Komponist*innen erhöht, ihr Schaffen gefördert - und die Teilnehmer*innen machen die besondere Erfahrung, zeitgenössische Werke zu erarbeiten und uraufführen zu dürfen. Zur Herausstellung der Bedeutung des Landes und der Region tragen außerdem die Projekte Sontraud Speidels bei, die die Bezüge bekannter Persönlichkeiten zu bestimmten Orten herausstellen. So konzertiert Sontraud Speidel regelmäßig in Clara Schumanns Sommerhaus in Baden-Baden. Anlässlich des 175-jährigen Jubiläums des Albums für die Jugend von Robert Schumann leitete Sontraud Speidel erst kürzlich ein einzigartiges Projekt mit Konzerten in Karlsruhe, Baden-Baden und im Schloss Neckarhausen bei Heidelberg, für dessen Konzeption sie mit dem Karlsruher Schumann-Experten und -Editor Dr. Joachim Draheim zusammengearbeitet hat. Dies ist lediglich ein sehr kleiner, beispielhafter Ausschnitt, der zeigt, wie Sontraud Speidel die Region durch ihr Schaffen bereichert. Auch die Konzertreihe „Musikforum Hohenwettersbach", deren Begründerin und künstlerische Leiterin sie ist, oder die Konzertreihe ‚Klassik im Schloss‘ des Kulturfonds Baden e.V., die sie ebenfalls künstlerisch verantwortet, haben sich in die Musiktradition der Region eingeschrieben. Zur Entwicklung der Hochschule für Musik Karlsruhe hat Prof. Sontraud Speidel einen wesentlichen Beitrag geleistet - dies gilt nicht nur für ihre pädagogische Tätigkeit, sondern auch für ihren Einsatz in den Gremien, die Leitung der Abteilung für Tasteninstrumente und ihre vielfältigen Tätigkeiten in Berufungs- und Prüfungskommissionen. Die Hochschule hat das besondere Engagement von Prof. Speidel durch die Verleihung des 2011 erstmals vergebenen Eugen-Werner-Velte-Preises an sie gewürdigt.

Sontraud Speidel, Pianistin, Klavierprofessorin © Kirsten Bohlig

Strahlkraft durch einzigartige pädagogische Tätigkeit

Wie bereits bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Jahre 2005 hervorgehoben wurde, ist Sontraud Speidels Engagement bei der Entdeckung und Förderung junger Musiktalente herausragend. In den fast zwanzig Jahren, die seit der Verleihung vergangen sind, hat sie unzählige weitere Schüler*innen und Studierende ausgebildet. Nach wie vor unterrichtet sie an der Hochschule für Musik Karlsruhe eine weit über 20 Studierende zählende Klavierklasse. In dieser befindet sich neben Studierenden im Studiengang Solistenexamen und den regulären BA- und MA-Studierenden eine bemerkenswerte Anzahl von Jungstudierenden des PreCollege, von denen die Jüngste gerade einmal zehn Jahre alt ist. Ob Jungstudierende oder Konzertexamen-Kandidat*innen - Sontraud Speidel bezeichnet sie als Künstler*innen und Kolleg*innen und behandelt sie entsprechend. Doch nicht nur die Anzahl der Studierenden, die sie weiterhin betreut, zeigt, wie sie sich weit über die beruflichen Pflichten hinaus für den Nachwuchs einsetzt. Sie vermittelt den angehenden Musiker*innen eine künstlerische und menschliche Haltung im Leben, ist ihnen in Bezug auf Disziplin, Bescheidenheit und Menschlichkeit ein Vorbild und trägt zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung bei. Es ist etwas Besonderes, „Speidel-Schüler*in" zu sein, wissen alle im Umfeld: Man wird gefordert und gefördert, hat zahlreiche Möglichkeiten, an Konzerten und Projekten mitzuwirken, und das Privileg, an der Seite einer großen Künstlerin aufzutreten.  Sontraud Speidel scheut keine Mühe, um dies zu ermöglichen. Sie übernimmt die gesamte Kommunikation und Organisation, reist über lange Distanzen und wohnt tagelangen Proben bei. Zugleich gelingt es Sontraud Speidel, ihre Schüler*innen aus der „Isolationshaft am Klavier", wie sie es oft selbst bezeichnet, herauszuholen, indem sie in ihrer Klavierklasse und darüber hinaus eine Atmosphäre schafft, in der ein selbstverständliches und respektvolles Miteinander herrscht. Auf diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Schüler*innen von Sontraud Speidel national und international sehr erfolgreich sind. Deren Wettbewerbspreise aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Es sei jedoch erwähnt, dass allein in den letzten Jahren mehrere Pianist*innen, die ihr Studium bei ihr absolviert haben, auf Professuren an renommierten Musikhochschulen berufen wurden, wie Prof. Franziska Lee (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart), Prof. Ruben Meliksetian (Hochschule für Musik und Theater Leipzig) und Prof. Yoo-Kyung Han (Korea National University of Arts). Frank Düpree, der seine gesamte Pianistenausbildung bei Sontraud Speidel absolviert hat, wird von der internationalen Musikpresse hochgelobt. 2018 erhielt er nichts Geringeres als den Opus Klassik-Preis für die Konzerteinspielung des Jahres (20./21. Jahrhundert). Auch die Schüler*innen von Sontraud Speidel, die sich für eine andere Laufbahn entscheiden (und auf Gebieten wie Medizin, Jura oder Naturwissenschaften erfolgreich sind), profitieren dabei von ihrer jahrelangen disziplinierten Ausbildung am Klavier. Sontraud Speidel fördert aber nicht nur ihre eigenen Schüler*innen. Sie gibt Meisterklassen weltweit (u.a. in Soul/Korea und Kanada, 2024 stand Brasilien auf dem Programm) und wird jährlich u.a. ins Wiener Musikseminar eingeladen. Dadurch teilt sie ihr Wissen und ihre Kunst mit einer immensen Anzahl an jungen Künstler*innen aus aller Welt. Der internationalen Zusammensetzung ihrer Klassen begegnet sie mit einer vorbildhaften Weltoffenheit, die Diversität zugleich als Selbstverständlichkeit und Reichtum betrachtet: von anderen Kulturen kann man immer lernen. Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass in Sontraud Speidels pädagogischer Tätigkeit das eigenständige und kritische Denken sowie eine grundlegende Ethik des Umgangs mit Werken und Komponist*innen eine wichtige Rolle spielen. Ohne von den Ansprüchen auf Qualität Abstriche zu machen, wirkt sie der zum Teil durch den Kanon zementierten Marginalisierung bestimmter Komponist*innen entgegen. Sie nimmt selten gespielte Kompositionen in das Repertoire auf. Der Unterdrückung jüdischer Künstler*innen und Frauen in der Geschichte der Musik setzt sie statt Lippenbekenntnissen Tatkraft entgegen. Ihre eigenen frühen Einspielungen der Kompositionen von Fanny Hensel, der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, gelten weltweit als Referenzaufnahmen, und in den Repertoires ihrer Schüler*innen finden sich regelhaft nicht nur die Namen dieser selten gespielter Komponist*innen, sondern auch solche, die Bezüge zu den jeweiligen Herkunftsländern der jungen Künstler*innen haben. So hat sie zum Beispiel mit Ruben Meliksetian und anderen gemeinsam eine CD mit Werken dreier armenischer Komponisten aufgenommen. Die gelebte Internationalität mit der Botschaft zu verbinden, dass die Herkunft und die Kulturen der Regionen, aus denen wir kommen, immer einen Schatz bergen, den es auszugraben gilt, fügt sich dann auch mit ihrer eigenen besonderen Verbundenheit gegenüber Baden-Württemberg und ihrer Heimatregion in und um Karlsruhe zusammen.

Einzigartige Künstlerpersönlichkeit mit herausragender pianistischer Tätigkeit

Sontraud Speidel ist als Künstlerin und Persönlichkeit eine Ausnahmeerscheinung. Sie zählt zu den ganz wenigen, die bei einer so intensiven Lehrtätigkeit eine derart erfolgreiche Laufbahn als Konzertpianistin vorweisen können. Häufig schließt das eine das andere aus oder reduziert es unweigerlich. Nicht so bei Sontraud Speidel, bei der das künstlerische Schaffen mit den oben angeführten pädagogischen Tätigkeiten und ehrenamtlich übernommenen Aufgaben harmonisiert. Ihre doppelte Berufung füllt Sontraud Speidel aus, indem sie der Musik ihren gesamten Alltag widmet, ohne jegliche Bemessung von „Arbeitszeit". Ihre Diskografie umfasst über 50 Alben/CDs und eine enorme Anzahl an Rundfunkaufnahmen, zu denen jährlich weitere hinzukommen. Darunter finden sich solistische und kammermusikalische Werke sowie zahlreiche Ersteinspielungen. Solistisch ist Sontraud Speidel bereits im Alter von 16 Jahren aufgefallen, als sie den 1. Preis der Schulen der Bundesrepublik erhielt. Es folgten zahlreiche weitere nationale und internationale Preise, unter anderem der 1. Preis beim Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb Washington, USA und der Jackson Prize des Boston Symphony Orchestra. Als „eine Art Clara Schumann unserer Zeit" bezeichnet, wurde sie 1979 von Bundeskanzler Helmut Schmidt ins Palais Schaumburg in Bonn eingeladen, wo sie einen Klavierabend gab. Sie spielte erstmals in Griechenland (Thessaloniki) das Klavierkonzert von Alexander Scriabin und in Karlsruhe trat sie mit der Uraufführung der von Dr. Joachim Draheim neu entdeckten „Variationen über ein Nocturne von Chopin“ von Robert Schumann auf. In Solingen spielte sie die Uraufführung des ihr gewidmeten Klavierkonzerts „Kristallspiele" von Violeta Dinescu. Im Jahr 2018 erfolgte die Ur- bzw. Erstaufführung eines Werks des 1887 in Karlsruhe geborenen jüdischen Komponisten Richard Fuchs (1947 in Neuseeland gestorben). Sontraud Speidel spielte mit dem Stanislas-Quartett das 1941 entstandene Quintett d-Moll in Karlsruhe und Nancy, Frankreich. Das Repertoire von Sontraud Speidel ist außergewöhnlich vielfältig und umfasst neben solistischem auch kammermusikalische Werke. Sie ist eine sehr gefragte Kammermusikpartnerin und in verschiedenen Kammermusikensembles aktiv. In ihrer Biografie listet Sontraud Speidel mehr als 60 Kammermusikpartner*innen auf. Besonders erwähnt seien ihre langjährige Duo-Partnerin Evelinde Trenkner, mit der sie Werke für Klavier zu vier Händen eingespielt hat sowie das Klaviertrio mit ihren Professorenkollegen Josef Rissin (Violine) und Martin Ostertag (Violoncello) und ebenso Maria-Elisabeth Lott (Violine).

Im Jahr 2000 wurde Sontraud Speidel in Würdigung ihrer besonderen Leistungen von der Wiener Landesregierung das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. 2003 verlieh ihr das Internationale Wiener Musik-Seminar seine höchste Auszeichnung, die Goldene Josef-Dichler-Medaille. Wie bereits erwähnt wurde sie 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet und 2011 erstmals mit dem erstmals vergebenen Eugen-Werner-Velte -Preis der Hochschule für Musik Karlsruhe.

Read more