Mannheim, Rosengarten, 3. AKADEMIEKONZERT – Barry Douglas, Ingo Metzmacher, IOCO
Ingo Metzmacher begeistert beim 3. Akademiekonzert in Mannheim mit Tschaikowskys erstem Klavierkonzert und Strawinskys „Feuervogel“. Barry Douglas glänzt als Solist, das Nationaltheaterorchester entfaltet Klangfarbenreichtum, Spannung und orchestrale Brillanz.
von Uschi Reifenberg
3. Akademiekonzert der Musikalischen Akademie des Nationaltheater Orchesters Mannheim im Rosengarten am 8. Dezember 2025
Ingo Metzmacher, Dirigent
Barry Douglas, Klavier
Nationaltheater Orchester Mannheim
Peter Tschaikowsky (1840-1893): Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll op. 23
Igor Strawinsky (1882-1971) „Der Feuervogel“
Ingo Metzmacher dirigiert Tschaikowski und Stravinsky
Er ist wieder nach Mannheim gekommen. Ingo Metzmacher, Stardirigent und seit letztem Jahr Ehrenmitglied der Musikalischen Akademie, präsentierte zwei populäre Meisterwerke russischer Komponisten und versetzte den restlos ausverkauften Mozartsaal in Begeisterung. Am Ende wurde er minutenlang euphorisch gefeiert.
Tschaikowskys 1. Klavierkonzert in b-Moll, der Klassiker unter den Klassikern und Strawinskys „Der Feuervogel“, ein bahnbrechendes Werk des 20. Jahrhunderts, überwältigten das Publikum im 3. Akademiekonzert mit neuen Hörerlebnissen, Klarheit und Frische. Er strahlt perfekt ausgewogen, der Dreiklang Dirigent - Orchester -Publikum, was bereits im gut besuchten Vorgespräch zum Konzert deutlich wurde. Metzmacher unterhielt sich, bestens gelaunt, mit Operndramaturgin Cordula Demattio über Strawinsky und Tschaikowsky, und verriet, dass das Klavierkonzert bisher nicht Teil seines Repertoires war und an diesem Abend seine Premiere feierte. Nicht zuletzt dank des renommierten irischen Pianisten Barry Douglas, ein Verbündeter im Geiste und als erster Nicht-Russe im Jahr 1986 Gewinner des legendären Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs in Moskau, sozusagen ein Virtuose alter Schule.
Es trifft wie ein Weckruf ins Mark und wird fast überall auf der Welt erkannt: das ikonische Thema zu Beginn von Tschaikowskys 1. Klavierkonzert, das die Hörner signalhaft einleiten, das Orchester mit hymnischer Emphase anstimmt, und vom Klavier mit kraftvollen Akkorden in Liszt'scher Manier ergänzt wird. Fast unmöglich, sich diesem sinfonischen Sog zu entziehen, der sich hochemotional, mit expressiver Melodik, kontrastreich und dramatisch entfaltet. Das markante Anfangsthema bleibt allerdings singulär und erscheint nicht wieder im weiteren Verlauf. Tschaikowsky komponierte das Klavierkonzert 1874, uraufgeführt wurde es 1875 in Boston mit Hans von Bülow am Klavier, nachdem es von Tschaikowskys Pianisten-Freund Nikolaj Rubinstein harsch abgelehnt wurde. Dennoch begann es kurz darauf seinen Siegeszug durch die Konzertsäle der Welt und ist bis heute einer der Publikumsmagnete im Klassikbetrieb schlechthin.
Der Pianist Barry Douglas ist ein wohltuend bescheiden auftretender Künstler, ohne selbstdarstellerische Allüren, der ganz im Dienste der Musik mit großer Wahrhaftigkeit die Tiefen der russischen Seele auslotet. Seine Interpretation ist eher klassisch geprägt, berührt besonders mit einer Poesie der Innerlichkeit, auch in den fordernden virtuosen Passagen, fernab prätentiöser Tastendonnerei. Die vielfältigen Haltungswechsel des 1. Satzes lassen den Pianisten mal dialogisierend, dann wieder rivalisierend mit dem Orchester kommunizieren, das von Ingo Metzmacher mit kontrolliertem Überschwang, Opulenz und struktureller Klarheit geführt wird. Klavier und Orchester musizieren als gleichberechtigte Partner, vereint im Geiste romantischen Musizierens, stets durchhörbar. Douglas geht mit gebändigter Energie ans Werk, besticht mit kultiviertem Anschlag, stupender Technik und hält diesem temporeichen Parforceritt mühelos stand. Er verfügt über einen großen Nuancenreichtum, nicht nur im forte Bereich über vielfache Abstufungen: stählern, volltönend, kompakt, an den leisen Stellen weich und kantabel, der Konzertflügel klingt ausgeglichen in jeder Lage. Elektrisierende Läufe im Diskant glitzern in kristalliner Klarheit, Akkordballungen werden mit artikulatorischer Finesse in die Tasten gemeißelt, die viel beschworenen Doppel-Oktavketten münden in einen dramatischen Höhepunkt. Nach den zart gezupften Streicher Akkorden des 2. Satzes, intoniert die Soloflöte ein schlichtes Thema, weit ausschwingend und fein artikuliert, vom Klavier übernommen, reflexiv, Weltabkehr und Einsamkeit verströmend. Wunderschön der intime Dialog zwischen Oboe und Cello, bis spukhaft, irrwitzig das „Prestissimo“ hereinbricht, das Douglas klangfarbenreich auffächert, bis die Musik hauchzart in einer träumerischen Gegenwelt endet. Der 3. Satz präsentiert ein vielfarbiges Spektrum an brillanter Pianistik, mit volkstümlichen Themen, tänzerisch akzentuiert, ein Feuerwerk der Klavierkunst. Die großlinigen, sich immer weiter schraubenden Steigerungswellen zieht Douglas zusammen mit Metzmachers beeindruckenden orchestralen Spannungsbögen bis zur triumphalen Schlussapotheose. Wow!
Barry Douglas dankte dem begeisterten Publikum mit einer Zugabe aus Prokofievs Ballettsuite „Romeo und Julia“: „Montagues and Capulets“, die Rahmenteile gestaltete er rhythmisch kraftvoll, in dunkel-bedrohlicher Strenge, den ruhigen Mittelteil mit delikatem Anschlag, sehr leise und sensibel.
Der „Feuervogel“, die erste seiner drei populären Ballettmusiken bedeutete für den 27-jährigen Strawinsky den Durchbruch, mit dem er 1910 seine Weltkarriere startete. Komponiert wurde das Werk für die bedeutende Pariser Ballettcompagnie „Ballet Russes“ des legendären Choreografen Sergej Diaghilev. Zwei weitere Meisterwerke sollten folgen: Feuervogel - Petruschka - Le Sacre, eine revolutionäre Trias, vor allem das Skandalwerk „Le sacre du Printemps“ half, den Weg für die „Neue Musik“ des 20. Jahrhunderts zu ebnen. Ingo Metzmacher wählte die originale Ballettmusik, die später von Strawinsky verfassten Suiten, enthielten nur die „Schlager“ (Metzmacher). Eine gute Wahl, denn das durchkomponierte Handlungsballett erzählt die Geschichte linear und dramaturgisch nachvollziehbar in 19 Nummern mit ca. 50 Minuten Spielzeit. Verwoben sind zwei russische Volksmärchen, die den Kampf zwischen Gut und Böse beschreiben: die Geschichte des Prinzen Iwan Zarewitsch, welcher den magischen Feuervogel befreit, der vom Zauberer Kastschei gefangen gehalten wird. Am Ende besiegt Iwan mithilfe des Feuervogels das Böse und gewinnt die schöne Prinzessin. Metzmacher fesselte mit einer grandiosen Interpretation des Bühnenmärchens, mit erzählerischem Duktus, transparentem Klangbild und entfachte ein Kaleidoskop an Farben und Motiven, die vielgestaltiger und aufregender nicht sein könnten. Die raffinierte Instrumentation steht noch in der meisterhaften spätromantischen Tradition von Strawinskys Lehrer Rimski-Korsakow. Die technischen Anforderungen an Dirigent und Orchester sind ebenfalls enorm, die Musiker des NTO bewiesen wieder einmal ihre Brillanz und außergewöhnliche Spielkultur. Es breitet sich eine impressionistisch-schillernde Klangwelt aus, zauberhaft, exotisch, orientalisch angehaucht, mit neuartigen Instrumenten-Kombinationen wie Celesta, üppigem Schlagwerk, reichhaltigen Bläserfarben oder Flatterzungen-Effekten.
Das Werk erhält unter Metzmachers Händen klare Konturen und Plastizität, komplexe rhythmische Strukturen lassen die Körperlichkeit der Musik spürbar werden. Zahlreiche Soloinstrumente laufen zur Höchstform auf und geben den Figuren Profil: Horn, Flöte, Oboe, Fagott. Für Überraschung sorgten drei im Saal positionierte Trompeten, die die frontale Spielrichtung mit speziellem Raumklang -Effekt durchbrachen. Metzmacher führte in die anfangs bedrohliche Atmosphäre des Zauberers, mit Streichern, Posaunen und Fagotten in tiefer Lage, ruhig, weitlinig und chromatikgetränkt, bis sich endlich der tanzende Feuervogel in helle, diatonische Klangsphären empor schraubt. Sein Gefieder schillert in allen Farben, von Streichern und Holz irisierend und flirrend dargestellt, ein zündender Farbenrausch. Einer der Höhepunkte ist zweifellos der „Höllentanz“ mit seinem markanten synkopierten Thema: scharfe Blechbläser, präzise Streicher, Xylofon, mit sakrisch schwierigen Rhythmen, von Dirigent und Musikern in dramatischer Zuspitzung überwältigend dargeboten. Hämmernde Pauke, kompromisslose Schläge, sich überlagernde Taktarten kumulieren in einem wilden Ritt. Wehmütig die Fagottmelodie, die das weiche Wiegenlied bestimmt, ruhig atmend und sehr schön phrasiert. Aus dem Piano löst sich das weit geschwungene Hornthema, ein altes russisches Volkslied, das zum Finale überleitet. Die bestens balancierten Klangschichten leuchten in immer helleren Farben, hymnisch und strahlend. Im 7-Vierteltakt lädt die opulente „Feuermusik“ des Finales ein zur großen Feier des Sieges des Guten über das Böse. Überwältigend!