Mannheim, OPAL, Oper am Luisenpark, DER SCHMIED VON GENT – Franz Schreker, IOCO
Ende gut, alles gut? Auf jeden Fall das zahlenstarke Solistenensemble, das wieder einmal seine außerordentliche Qualität unter Beweis stellte. Allen voran Joachim Goltz, der mit der Rolle des Smee seinem vielseitigen Repertoire ein weiteres Highlight hinzufügen kann.

von Uschi Reifenberg
Nationaltheater Mannheim Premiere in der OPAL am 8. März 25
DER SCHMIED VON GENT
Zauberoper von Franz Schreker (1878–1934)
Bunter Bilderreigen mit beklemmender politischer Botschaft
Eine unterhaltsame, vergnügliche Zauberoper verfasste der österreichische Komponist Franz Schreker 1932, volkstümlich im besten Sinne, „im Stil à la Breughel“, konzipiert als neuer Typus einer „Oper für Jedermann“. Nun wurde „Der Schmied von Gent“, Schrekers letzte Oper, in Zusammenarbeit mit Opera Ballett Vlaanderen auch in Mannheim zu einem vollen Erfolg, szenisch wie musikalisch! Eine selten gespielte Zauberoper verspricht Theatermagie, das Eintauchen in fremde Welten, Überwältigung. Diese Erwartungen erfüllten sich rundum, auch wenn es nicht bei solch ungebrochenen kulinarischen Vergnügen bleiben sollte. Vor allem nicht, wenn der renommierte Ersan Mondtag für Regie und Bühnenbild verantwortlich zeichnet und die Geschichte vom pfiffigen Schmied Smee mit den belgischen Kolonialverbrechen verzahnt. Da kann einem am Ende das Lachen im Hals stecken bleiben. Dem „Schmied von Gent“ war nach seiner Uraufführung keine Rezeptionsgeschichte vergönnt: die Nazis verboten nach nur drei Aufführungen die Oper und entzogen dem Halbjuden Schreker sämtliche Arbeitsgrundlagen. Er starb 1934. Erst ab Ende des letzten Jahrhunderts wurde das Werk wiederentdeckt und häufiger gespielt. Schon vor Beginn des ersten Aktes hört man seltsame Vögel- und Tierlaute, die man später als Urwaldgeräusche identifiziert, eine teufelsartige Frauenfigur, afrikanisch ausstaffiert, erscheint, dann hebt sich der Vorhang und das unterhaltsame Spiel beginnt.
Auf die Vorderfront hat Ersan Mondtag eine leicht schiefe, komprimierte Stadtansicht von Gent gebaut, in grellen, expressionistischen Farben und Formen, mit Türmchen, Türen und begehbaren Zwischenebenen. Auf der Rückseite des Bühnenbildes droht ein furchterregendes Monster mit gefletschten Zähnen und Krallen ein Baby zu verschlingen. Gruselig. Eine Baal-Figur, Symbol für das Böse schlechthin, die auch hinter der harmlosesten Fassade lauern kann. Denn nichts ist so wie es scheint, alles hat zwei Seiten: Der Dualismus ist konstituierendes Element, zieht sich durch die Handlung und das Figuren-Personal, was das eindrucksvolle, sich ständig drehende Bühnenbild demonstriert. Dazu bietet die Szene einen Mix aus Märchen, Posse, Persiflage, comicartigen Anleihen und filmischen Einspielungen, was sich auch in der beziehungsreichen Musik Schrekers wiederfindet, die in ihrem Stilpluralismus ebenso opulent wie lautmalerisch daherkommt. Die spritzige, choreografisch detaillierte Personenführung Mondtags (Szenische Einstudierung: Theresa Schlichtherle) und die kulturell vielfältigen, farbenfrohen Kostüme von Josa Marx sind eine Augenweide und offenbaren die pure Lust am prallen Musiktheater. Das Libretto hat Schreker selbst verfasst, es beruht auf der flämischen Erzählung von Charles de Coster „Smetse Smee“ von 1858, dem Schmied, einem Seelenverwandten Till Eulenspiegels, der sich mit List und Humor aus allerlei misslichen Situationen befreit. Angesiedelt ist die „faustische“ Geschichte im 16. Jahrhundert, als Belgien unter der spanischen Besatzungsmacht ächzte. Smee, ein Aufständischer gegen die Spanier, (Geuse), geht aus materieller Not einen Pakt mit der Teufelin Astarte ein, die ihn rettet und umgarnt. Er verkauft ihr seine Seele zum Preis für sieben Jahre Wohlstand und Glück. Selbstverständlich funktionieren solche Deals damals wie heute bestens. Smees Schmiede läuft ab sofort prächtig, er verlebt mit seiner lieben Frau die besten Jahre, nicht ohne den Armen zu helfen und seine Stadt zu unterstützen. „Wo ist nur die Zeit geblieben?“, sinniert er, als die sieben Jahre um sind und er verzweifelt einen Ausweg sucht. Der bietet sich, als die Heilige Familie in Gestalt von Josef, Maria und einem schwarzen Jesuskind erscheint, von Smee fürstlich bewirtet werden und er zum Dank drei Wünsche freihat. Josef gewährt ihm diese.
Smee kann nun in bewährter Märchenmanier die drei Teufel überlisten und entkommt noch einmal seinen Peinigern. Hier verdichtet sich die eingefügte Ebene von Mondtags kolonialhistorischem Narrativ zu einem unerwartet beklemmenden Exkurs. Es werden Waffen hin- und hertransportiert, ebenso ein Bild des kongolesischen Befreiungskämpfers Patrice Lumumba und eine Skizze des prächtigen Bahnhofs von Antwerpen, der mit Mitteln der Ausbeutung der kongolesischen Bevölkerung gebaut wurde. Das hatte der belgische Kolonialherr König Leopold II. zu verantworten, in dessen Maske Smee, nun alt geworden, geschlüpft ist. Er sitzt vor einem übergroßen Prospekt des Antwerpener Bahnhofs und stirbt. In einem Museum mit afrikanischer Kunst, das sich als Hölle herausstellt, wird die originale Unabhängigkeitsrede Lumumbas von 1960 vom Band gespielt, ebenso sieht man per Video die Verbrechen an der kongolesischen Bevölkerung. Das behagt Smee/Leopold gar nicht, er randaliert und tritt gegen einen Korb, aus dem Gliedmaßen herausfallen. Eine weitere makabre Anspielung auf die Massaker der blutigen belgischen Kolonialgeschichte. Da ihn aber die Hölle nicht aufnimmt, versucht er in den Himmel zu kommen, was er mit einem Deal erreichen will: er besorgt sich einen Waffelstand und verteilt duftende Waffeln an einzelne Zuschauer im Publikum. Schade, dass nur einige wenige in den Genuss kamen … Dafür finden sich seine Frau, der Gefährte Flipke und Slimbroek, sein Konkurrent und Freund, mit bester Laune zum Feiern ein. Erst als seine Frau bei Petrus für Smee bittet und an dessen Hilfe für die Heilige Familie erinnert, wägt dieser die guten Taten gegen seine schlechten Taten auf, und nach bester christlicher Tradition wird er letztendlich mit Glanz und Gloria als guter Mensch in den Himmel aufgenommen. Ende gut, alles gut? Auf jeden Fall das zahlenstarke Solistenensemble, das wieder einmal seine außerordentliche Qualität unter Beweis stellte.
Allen voran Joachim Goltz, der mit der Rolle des Smee seinem vielseitigen Repertoire ein weiteres Highlight hinzufügen kann. Er agiert mit seiner schneidigen, weißen Uniform als ausgemachtes Schlitzohr, ist fast pausenlos auf der Bühne und manövriert sich aus jeder misslichen Lage. Sein beweglicher Bariton wechselt unangestrengt vom Parlando über ariose Stellen und Koloraturen, bis zu heldischen Passagen und beweist einmal mehr, welche Ausdruckspalette ihm zur Verfügung steht. Seine Textverständlichkeit ist herausragend, mit seinem körperlichen Einsatz und tänzerischen Fähigkeiten unterstreicht er unterhaltsam seine doppelbödigen Spielchen. Seine Frau ist Julia Faylenbogen, in rosa Kostüm und Reifrock, die ihrem Mann in jeder Lebenslage beisteht, ihm aber auch den Spiegel vorhält. Mit volltönendem Mezzo, der dramatisch auftrumpft, verführerisch schmeichelt und in der Tiefe unforciert und mühelos klingt, erweist sie sich als geradlinige und rational handelnde Partnerin. Smees Konkurrent, Slimbroek, lila gewandet, mit Zylinder, wird von Christopher Diffey mit gut fokussiertem, kraftvollem Tenor gestaltet, der sein Denunziantentum mit seiner schönen Stimme veredelt. Eine wenig angenehme Persönlichkeit in den ersten beiden Akten, im Jenseits vor dem Waffelstand wandelt er sich dann zum guten Freund Smees. Seunghee Kho als Verführerin Astarte ist wie die beiden anderen höllischen Gesandten ein Eyecatcher. Rot bemalt, mit Hörnern und getupftem Kleid, wirkt sie wie eine Schamanin und gibt dieser schillernden Figur mit brillantem Sopran und funkelnden Höhen animalische Präsenz. Der Geselle Flipke erscheint als transgender Figur, mit ausgestelltem sandfarbenem Rock und Vollbart, den Raphael Wittmer als quirligen Gesellen zeichnet und diesem mit lockerem, koloratursicherem Tenor Ausdruck verleiht. Hervorragend das weitere Ensemble: Sung Ha als satanischer Herzog Alba, ebenso beeindruckend Uwe Eikötter in der Rolle des Henkers Jakob Hessels, die Heilige Familie mit Ilya Lapich als Josef und Yaara Attias als Maria, bassgewaltig Bartosz Urbanowicz als Petrus mit Heiligenschein, sowie Lennart Kost, Thomas Berau, Rafael Helbig-Kosta und Amelia Scicolone mit alles überstrahlenden Spitzentönen. Die heterogene musikalische Stilistik Schrekers ist bei Janis Liepinš in den besten Händen.
Die brillant instrumentierte Partitur überwältigt mit einer Abfolge an Formen und Farben, Liedern, Tänzen, Märschen und opernhaften Passagen. Vom hämmernden Schmiede Rhythmus in der Orchester-Einleitung, über derbe Tanzrhythmen, spröden Tonfolgen à la Hindemith, spätromantische Strauss -Opulenz, barocken Fugen und klirrendem Schlagwerk mit parodierend kitschigem Finale. Liepinš findet allzeit den richtigen Klang, fächert die reichhaltige Partitur plastisch auf, lässt das Nationaltheater Orchester brillieren, kammermusikalisch, instrumentalsolistisch, rauschhaft. Großartig der Chor unter der Leitung von Alistair Lilley, ebenso mit viel Sanges- und Spielfreude der Kinderchor von Anke-Christine Kober. Ein spektakuläres Opernerlebnis, vom Publikum heftig und lautstark gefeiert. Absolut empfehlenswert!