Mannheim , Musikalische Akademie, 2. Akademiekonzert - Ravel, Chapela, Copland, IOCO Kritik, 03.08.2021

Mannheim , Musikalische Akademie, 2. Akademiekonzert - Ravel, Chapela, Copland, IOCO Kritik, 03.08.2021
Der Rosengarten von Mannheim, Spielstaette der Musikalischen Akademie © Ben van Skyhawk
Der Rosengarten von Mannheim, Spielstaette der Musikalischen Akademie © Ben van Skyhawk

Musikalische Akademie Mannheim

2. Akademiekonzert - Musikalische Akademie - Nationaltheater Orchester Maurice Ravel (1875-1937), Enrico Chapela (*1974), Aaron Copland (1900-1990), George Antheil (1900-1959)

- Mit sommerlichem Flair -

von

Uschi Reifenberg

Zum ersten Mal seit 15 Monaten konnte am 27. Juli 2021 endlich wieder ein Konzert der Musikalischen Akademie vor 1300 Zuhörern im Mozartsaal des Rosengarten in voller, sinfonischer Besetzung  stattfinden. Das 2. Akademiekonzert, das im November 2020 pandemiebedingt ausfallen musste, erlebte nun kurz vor Spielzeitende eine glanzvolle Aufführung.

Die Bühne wirkte komplett ausgefüllt mit 50 Musikern, ausgedehntem Schlagwerk und Konzertflügel, da alle mit Corona-Abstand positioniert waren. Trotzdem, oder gerade deshalb, herrschte bisweilen nicht nur schönste Harmonie und ansteckende Heiterkeit, der Funke sprang über und ließ auch die instrumentalen Einzelleistungen plastischer hervortreten.

GMD Alexander Soddy und das Nationaltheater Orchester hatten neben einer Uraufführung eher selten gespielte Werke ausgewählt, die mit ihrer Unbeschwertheit und dem heiter-sonnigen Flair einen Hauch von Urlaubsstimmung aufkommen ließen und damit elegant in die Sommerpause überleiteten.

Das erste Stück des Abends, Maurice Ravels „Ma mère l‘Oye“, eines seiner bekanntesten und liebenswertesten Werke, wurde 1908 ursprünglich als vierhändige Klavierkomposition für ein junges Geschwisterpärchen konzipiert und 1911 für Orchester instrumentiert.

Musikalische Akademie Mannheim © Christian Kleiner
Musikalische Akademie Mannheim © Christian Kleiner

Ravel, der sich der kindlichen Seele sehr verbunden fühlte, wollte mit diesem kleinen Zyklus „Die Poesie der Kindheit“ wachrufen. Die fünf Miniaturen entnahm er der Märchensammlung von Charles Perrault von 1627, in der die „Mutter Gans“ als Märchenerzählern auftritt. Ravel verführt die Zuhörer in die Welt bekannter Märchenfiguren und entfaltet in diesem sehr persönlichen Werk den ganzen Zauber impressionistischer Klangfarben.

Alexander Soddy lässt diese traumselige und filigrane Stimmung ganz behutsam entstehen, taucht tief ein in die Poesie und den Klangzauber dieser magischen Atmosphäre. Im ersten Stück, das schlafende Dornröschen („Pavane de la Belle au bois“), wenn die Holzbläser in sanften Wellen von weichen Streichern und Harfe ergänzt werden und alles in großer Ruhe versinkt, kann man Dornröschen atmen hören.

Der kleine Däumling, („Petit Poucet“), wird wieder von zarten Holzbläsersoli über einem Streicherteppich von aller Erdenschwere befreit. Soddy erweist sich als Meister der Reduktion,   dynamische Entwicklungen werden sensibel austariert.

Nationaltheater Mannhein / Alexander Soddy © Miina Jung
Nationaltheater Mannhein / Alexander Soddy © Miina Jung

Die heiter tanzende pentatonische Klangwelt der „Königin der Pagoden“, („Laideronnette, Impératrice des Pagodes“), beschwört das reizvolle asiatische Kolorit einer exotisch- künstlichen Welt.

In „Die Schöne und das Biest“, („Les entretiens des la Belle et de la Bête“) lässt der Dirigent den Klang üppig anschwellen, es lösen sich allmählich die Soloinstrumente aus dem harmonischen Gefüge. Zart schmeichelt die Klarinette, düster drohend klingt das Fagott, ätherische Harfenglissandi und eine innige Solovioline verbreiten sinnlichen Klangzauber. Ebenso im letzen Stück, dem „Feengarten“, („Jardin féerique“), wenn sich noch einmal die ganze Farbenpracht mit ihrer träumerischen Melodik in schwelgerischem Glanz ergießt und in einer triumphalen Schlußsteigerung endet.

Zur Uraufführung kam die Auftragskomposition der Musikalischen Akademie „Chinampa y Trajinera“ des mexikanischen Komponisten Enrico Chapela (*1974). Thematisiert werden in diesem Stück die schwimmenden Gärten Mexico’s, die Chinampas, die schon vor hunderten von Jahren von den Atzteken angelegt wurden. Auch heute kann man diese Gärten auf einem der reich verzierten Boote, den  „Trajineras“, mitten in México City, erkunden.

Dieses feurige Stück lässt die Sonne und das Lebensgefühl Mexico’s aufscheinen, es zieht südamerikanisches Flair durch den Mozartsaal und verbreitet Energie und Lebensfreude.

Heitere Tanzrhythmen, fortlaufende Motorik, grundiert von pulsierendem Schlagzeug, mischt  Publikum und Musiker gleichermaßen auf. Das ist nicht leicht zu koordinieren, aber Alexander Soddy hat alles im Griff. Da swingt es, blitzen Mariachi-Trompeten auf, blühen Streicher-Kantilenen, alles in ungeheurer Dichte, temporeich und  stark kontrastierend. Die Orchesterfarben leuchten aufs Schönste, Dissonanzen werden ausgekostet, ein Fugato huscht vorbei, immer neue Steigerungen werden entwickelt, bis der gesamte Klangkörper am Ende einen furiosen Höhepunkt erreicht

Das längste Stück des Abends, „Appalachian Spring“, („Appalachischer Frühling“), von Aaron Copland, wurde zunächst als Ballett (Ballett für Martha) konzipiert, dem ein „ur-amerikanisches Thema“ zugrunde liegt. Ursprünglich für ein dreizehnköpfiges Kammerensemble geschrieben, bearbeitete er es 1945 als Suite für Sinfonieorchester. Copland, der sich lebenslang für einen eigenen amerikanischen Nationalstil einsetzte, erhielt 1945 für dieses Werk den Pulitzer Preis. Er integrierte den Jazz in seine Kompositionen und bezog auch viele volkstümliche Motive der amerikanischen Folklore ein. Als volkstümliches Zitat erklingt hier die „Shaker Melody“, „The gift to be simple“, die im vorletzten Teil als Variation erscheint und als populäres Thema häufig bearbeitet wurde oder auch für Werbezwecke Verwendung fand.

Seine Kompositionsweise war prägend für die amerikanische Filmmusik der Nachkriegszeit, insbesondere das Western-Genre wurde von ihm nachhaltig beeinflusst.

Erzählt wird in „Appalachian Spring“ vom Leben eines einfachen amerikanischen Siedlerpaares im 19. Jahrhundert, das sich in Pennsylvania ein Leben aufbauen will, ein Haus baut und ein Frühlingsfest feiert. Eingebunden in die Handlung sind ein Wanderprediger, eine ältere Pionierin und die Gemeinde.

Das junge Paar schwankt zwischen Hoffen und Bangen, Zweifel und Zuversicht, wird jedoch vom Prediger beruhigt. Voll Gottvertrauen machen sie sich endlich auf den Weg in eine gemeinsame Zukunft.

Copland skizzierte 8 Szenen, die er im Ablauf auch inhaltlich beschreibt. Im ersten Satz werden die einzelnen Darsteller eingeführt, Holz- und Blechbläser wechseln sich ab, weiträumige Akkorde erklingen, die aufblühenden Streicher ergänzen die ruhige, erwartungsvolle Stimmung, die Alexander Soddy mit großer Spannung dehnt, bis er dann schwungvoll  in die „freudig erregte, als auch religiöse Stimmung“ (Copland) des zweiten Teiles überleitet. Er erweist sich auch hier wiederum als einfühlsamer Geschichtenerzähler, der jeder einzelne Szene Gestalt gibt, aber auch den großen Bogen dieser urwüchsigen Story jederzeit im Blick hat. Immer wieder schiebt sich die Klarinette in den Focus, die auch das „Shaker Thema“ intoniert und im Dialog mit der Querflöte wunderschön harmoniert. Spannende stilistische Kontraste folgen aufeinander, mit vertrackten Taktwechseln, von Folk über Square Dance bis zum hymnischen Choral, „Der Prediger der Erweckungsbewegung und seine Schafe“. Mitreißend die tänzerischen Passagen, die in ihrer aufpeitschenden Schroffheit an Stravinsky erinnern. Alexander Soddy lässt  die „Shaker Melody“ in ihrer einfachen Schönheit leuchten, bis der Variationensatz am Ende mit dem Hauptthema in einer glorreichen Apotheose erstrahlt. Das Stück endet wie es begonnen hat, in ruhiger, andachtsvoller Stille.

Der Amerikaner George Antheil, selbsternannter „Bad boy of music“ schrieb „A Jazz Symphonie“ um 1925, mit der Absicht, den Jazz aus New Orleans in die traditionelle Sinfonik zu integrieren.

Aber damit nicht genug. Als Grenzgänger und Grenzüberschreiter experimentierte der Pianist Antheil wild mit Stilen, Formen oder Geräuschmaschinen wie beispielsweise Ambosse oder Sirenen. Er startete seinen Angriff auf traditionelle Hörgewohnheiten als einer der unangepasstesten und skandalträchtigsten Avantgardisten des 20.Jahrhunderts. Er war Bürgerschreck und Provokateur, Futurist und Erfinder der Maschinenmusik. Nicht nur die „Emanzipation der Dissonanz“ (Schönberg), sondern auch die „Emanzipation des Geräuschs“ wurde nach dem 1. Weltkrieg zur ästhetischen Forderung einiger radikaler „Neutöner“.

Antheils wohl bekanntestes Werk, das „Ballett mécanique“ von 1925, in dem neben 16 mechanischen Klavieren auch Flugzeugpropeller, Autohupen und elektrische Glocken  zum Einsatz kamen, machte ihn in dieser Eigenschaft schlagartig bekannt.

Er entschlackte 1955 die Jazz Symphonie, reduzierte die Besetzung, beispielsweise von 3 Klavieren auf ein Soloklavier, und strich den „Geräusch-Anteil“ sowie die dissonantesten Passagen, ohne auf den radikalen Anspruch gänzlich zu verzichten.

Alexander Soddy und die inspirierten Musiker ließen sich auf das amerikanische Lebensgefühl dieser überbordenden Collage kompromisslos ein und fanden sich im geordneten Chaos dieser , bunten und frechen Stilwelt bestens zurecht. Der hervorragende Pianist Frank Düpree, darf als Spezialist dieser Musik gelten und beeindruckte mit seinem hochvirtuosen Klavierpart gleich zu Beginn. leider war der Flügel zu abseitig positioniert. Die aberwitzigen Rhythmen, furiosen Tempi, die cool eingeworfenen Jazz Motive, das schmissige Schlagzeug und die fulminanten Klaviersoli elektrisierten das enthusiasmierte Publikum, die „Jazz Symphonie“ erwies sich zum Schluss auch als idealer „Rausschmeißer“.

Die Musiker beendeten das Spektakel im Stehen, Dirigent und alle Beteiligten wurden vom dankbaren Publikum nach Monaten der Abstinenz mit rauschendem Beifall überhäuft.

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