Luxembourg, Philharmonie, LES GRANDES VOIX - Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch, IOCO

Luxembourg, Philharmonie, LES GRANDES VOIX - Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch, IOCO
Philharmonie de Luxembourg © Wiki commons

18.06.2025

 

LIEDERABEND mit Werken von Richard Strauss und  Gustav Mahler.

DIE TAUSEND GESICHTER DES LIEDES…

Morgen

Und morgen wird die Sonne wieder scheinen,
Und auf dem Wege, den ich gehen werde,
Wird uns, die Glücklichen, sie wieder einen
Inmitten, dieser sonnenatmenden Erde…

Und zu dem Strand, den weite, wogenblauen,
Werden wir still und langsam niedersteigen,
Stumm werden wir uns in die Augen schauen,
Und auf uns sinkt des Glückes stummen Schweigen…

(Richard Strauss / John Henry Mackay)

 

Mit den Liedern, die für dieses Konzert auf dem Programm stehen, haben wir es mit einem außerordentlichen reichen Korpus von Gesangsstücken zu tun, die in der wechselnden Ästhetik der deutsch Romantik und in den großen Komponisten vor Richard Strauss (1864-1949) und Gustav Mahler (1860-1911) verankert sind – größtenteils von Franz Schubert (1797-1828), Robert Schumann (1810-1856), Johannes Brahms (1833-1897) und Hugo Wolf (1860-1903) – und die jeweils auf ihre eigene Weise eine ganze Welt harmonischer Subtilität und Lyrik entfalten: Eine bewegende Landschaft, in der wir abwechselnd durch die leuchtenden Gebiete der Lieder der Liebe und Freude von Strauss reisen und auch durch die oft dunkleren und mehr ironischen Regionen der Welt von Mahler. Unter den Fingern des Pianisten hören wir auch seltsame, reiche, mehrdeutige Harmonie, gelehrte und einfallsreiche Figuren, die später bei Strauss wie bei Mahler zu brillanten Orchestrierungen dieser ursprünglich für Gesang und Klavier komponierten Lieder führten und zwar von beiden großartigen Symphonikern und Dirigenten: Die sie beide waren!

 

Von der Begeisterung bis zur mehr oder weniger verschleierter Melancholie sind alle diese Lieder Teil einer Konstanten der deutschen Romantik, die erst in der ersten Hälfte des 2O. Jahrhunderts verloren ging: Der engen Verbindungen zwischen einer Poesie der Naturelemente und dem Ausdruck von Gefühlen. Die andere Konstante ist der Rückgriff auf eine mehr oder weniger authentische, populäre Quelle: Aus dieser Ästhetik geht der Mahler-Zyklus: Das Knaben Wunderhorn, GMW 21 - 38 (1899) hervor, aus dem dieses Programm mit Auszügen bereichert wird.

 

Gesichter der Liebe…

Die von Strauss vertonten Gedichte für Acht Gedichte aus Letzte Blätter, Op. 10 Trv 141 (1885)  stammen aus der Feder von Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812-1864). Mit einer Begleitung, die an die Harmonien und pianistischen Manieren des Zyklus: Frauenliebe und Leben, Op. 42 (1840) von Schumann nach Gedichten von Adelbert von Chamisso (1781-1838) erinnern, ist wohl das Lied Zueignung“, N° 1, eines der berühmtesten von Strauss. Ein wirklich großartiger Erbe der Kunst seiner Vorgänger! „Nichts“, N° 2 ist eine witzige Miniatur, die an die Lebendigkeit der Zerbinetta in der Oper Ariadne auf Naxos, Op. 60 (1912) erinnert. „Die Nacht“, N° 3 lässt Schumanns Erbe wieder aufleben: Man denke an das Lied „Mondnacht“ aus dem Zyklus: Liederkreis, Op. 39 (1862) in dem die Figur des recto tono – einer einzelnen wiederholten Note – die Vorstellung von schwebender Zeit, von Unbeweglichkeit vermittelt. Eine fragende, fast impressionistische Harmonie kennzeichnet das Lied mit dem Titel „Die Georgine“, N° 4. Verschleierte Melancholie und der Wechsel von Dur- und Moll-Tonarten bringen auf die reichste Weise die ganze Substanz zum Ausdruck: „Ich hab‘ den Maitag dieses Lebens wie du den Frühling nicht gekannt“.

Diana Damrau, Jonas Kaufmann © Sébastien Grebille

 

Alle diese Gedichte sind an die Geliebte gerichtet und die weckt beim Komponisten eine besondere Intensität, als ob Strauss es sich zur Aufgabe gemacht hätte, diesem besonderen Bereich des Liebesgedichts mit seiner Mischung aus Verlangen, Unsicherheit, Melancholie und Begeisterung zu verleihen… „Geduld“, N° 5 ist eines der schönsten Beispiele mit dieser ewigen Note, wie ein Pol verliebter Besessenheit und Revolte: „Geduld, sagst du […]. Aber ich muss lieben und umarmen, wie der Rosenbusch, nur einen einzigen Frühling“ das sind die ersten und letzten Worte dieses großartigen Gedichts. „Die Verschwiegenen“, N° 6, das Lied erzählt von der Revolte eines missverstandenen Herzens und ist in seinen zerrissenen Akzenten von fast expressionistischem Stil, mit ziemlich heftigen Interpunktionen des Klaviers und großen Intervallsprüngen für die Stimme. „Die Zeitlose“, N° 7 drückt die Idee der Illusion der Schönheit aus, die den Tod aber nicht verhindert. Wie ein Kommentar zum Wort „tödlich“, das in der sehr tiefen Stimmlage ausgesprochen wird, bildet es ein Nachspiel bei Schumann, das dieses desillusionierte Lied abschließt. Genau wie das Lied „Zueignung“, das diesen Liederabend eröffnete, ist das letzte Lied von Opus 10, „Allerseelen“, N° 8, wohl eines der berühmtesten von Strauss. Diese Erinnerung an den Monat Mai, der mit seinem Duft der Resede den herbstlichen Allerheiligen färbt, vertont Strauss mit unvergleichlicher Subtilität und Emotion und verleiht den letzten Tönen des Klaviers trotz der Melancholie eine ganze Welt der Gelassenheit.

 

„Wer hat’s getan?“, Op. 84a (1885) auch nach einem Gedicht von Gilm zu Rosenegg erinnert an die Düsternis und morbide Regelmäßigkeit des letzten Lieds aus der Winterreise, D 911 (1827) von Schubert: „Der Leiermann“ oder auch noch das Lied „Der Doppelgänger“ von dem selben Schubert. Der Ausdruck der Verzweiflung verbindet sich mit dem der Resignation. Auch hier scheint das ausdrucksstarke Nachspiel, das das Lied krönt, die geheimsten Gedanken des Komponisten zu enthalten. Mit „Liebeshymnus“, N° 3 aus Fünf Lieder, Op. 32 RrV (1896) nach einem Gedicht von Karl Friedrich Henckell (1864-1929) inspirierte sich Strauss zu einem subtileren Lied als der Text vermuten lässt, auf einer Begleitung in regelmäßigen Noten, die an das Lied von Schumann: „Ich grolle nicht“ aus dem Zyklus Dichterliebe , Op. 48 (1840) erinnert. „Schlagende Herzen“, N° 2 aus Drei Lieder, Op. 29 TrV (1895) nach Gedichten von Otto Julius Bierbaum (1865-1919) klingt in der gleichen Pseudo-Naivität wie die Lieder aus Das Knaben Wunderhorn von Mahler, mit ihrem vom Klavier subtilen wiedergegebenen „Kling-Klang“ und ihrem spirituellen Klaviermotiv im Glockengeläut… Unerwartete Harmonie und extreme Lebhaftigkeit der fantasievollen Effekte für die Stimme, mit ihrer Mischung aus Verführung und Ironie… Ganz anders ist „Ich trage meine Minne“, N°. 1,  desgleichen auch aus Fünf Lieder nach einem Gedicht von Henckell ist ein Lied der Begeisterung und Einfachheit: Aufrichtigkeit des Liebenden und Unschuld der Geliebten. „Einerlei“, N° 3 aus Fünf kleine Lieder, Op. 69 (1918) nach einem Gedicht von Ludwig Achim von Arnim (1781-1831) verwirklicht ein fruchtbares Paradoxon, indem es nicht die Idee der Monotonie, sondern die der Vielfalt illustriert – „mancherlei“ das allerletzte Wort des Gedichts – durch eine Klavierkomposition von extremer harmonischer Erfindungsgabe, die durch die Beweglichkeit der Gesangslinie vermittelt wird. „Nachtgang“, N° 3 aus Drei Lieder nach einem Gedicht von Bierbaum, fällt durch die Unentschlossenheit seiner Harmonien auf, die weder tonal noch atonal sind, und durch das Gefühl der Unsicherheit, das sie hervorrufen. Wie um die Mehrdeutigkeit dieses Gedichts subtil auszudrücken im Geiste der Gedichte von Heinrich Heine (1997-1856), wo verliebte Ekstase Illusion und versprechen von Schmerz ist… „Freundliche Vision“, N° 1 aus Fünf Lieder, Op. 48 TrV 202 (1900) nach einem Gedicht von Bierbaum klingt wie die helle und friedliche Seite desselben Traums des vorherigen Lied, der hier aber glücklich endet, während in „Nachtgang“ alles in großer Bitterkeit endete. Im Gegensatz zu dem, was der Titel vermuten lässt, „Ich liebe dich“, N° 2 aus Sechs Lieder, Op. 37 TrV 187 (1897/ 98) nach einem Gedicht von Detlev von Liliencron (1844-1909) ist keine einfache sentimentale Erklärung, sondern ein Lied voller Fieber und Heldentum, das die tapfere Moral der Ritter und ihre Treue zu ihrer Dame beschwört, in einem siegreichen Modus, der durch ein martialisches und extravagantes Nachspiel bestätigt wird. Zum Abschluss dieses ersten Teils, der Strauss gewidmet ist: „Wie sollten wir geheim sie halten“, N° 4 aus Sechs Lieder aus „Lotosblätter“, Op. 19 TrV 152 (1888) nach einem Gedicht von Adolf Friedrich Graf von Schack (1815-1894). Wie wir die Glückseligkeit, die uns erfüllt, geheim halten können, stellt das Glück dar, das der Text durch eine zarte und lebendige Klavierbegleitung hervorruft, die eine ausdrucksstarke Gesangslinie unterstützt. Der Komponist verwendet eine ganze Reihe äußerst raffinierter Modulationen, wie ein Werk über das wachsende Licht, das die immer höheren Ebenen beschwört: In denen zwei Wesen in tiefer Symbiose sich langsam entwickeln.

 

Mahler, zwischen Folklore und hoher Kunst…

In seiner Monographie: Mahler, eine musikalische Physiognomik (1936) schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno (1903-1969): „Diese Mischung aus Naivität und Mangel an Naivität bei Mahler hat man immer mit besonderer Irritation, ja als Widerspruch empfunden: Die Physiognomie einer Musik, in der die bekanntesten populären Wendungen mit Bedeutung aufgeladen werden, während umgekehrt die hohen Ansprüche der sinfonischen Musik keinen Augenblick in Frage gestellt werden“. Dieses Gleichgewicht zwischen Naivität und Mangel an Naivität, der Kern aller  Poesie bei Mahler, kommt in den Liedern von Das Knaben Wunderhorn auf kraftvolle Weise zum Ausdruck, wie die drei Lieder aus dem Zyklus in diesem Programm zeigen. Das erste, das einzige Lied aus Das Knaben Wunderhorn verankerte sich im Gedächtnis der Walzer-Musik von Johann Strauss (1825-1899). „Rheinlegendchen“ N° 7 (1893) für eine Singstimme und Klavier nach einem Gedicht von von Arnim / Clemens Brentano (1778-1842) klingt wie eine Quintessenz des Wiener Walzers, mit genau der richtigen Menge an rubato, einem Gefühl von jubelndem „oum-pa-pa“ und rhythmischer Trägheit, gefolgt von der schillerndsten Brillanz. „Wer hat dies Liedlein erdacht?“ N° 4 auch nach einem Gedicht von von Arnim und Brentano, das klingt mit einem rebellischen Charakter, wie die desillusionierte Geschichte eines gleichgültigen Erzählers. Was in „Es sungen drei Engel einen süßen Gesang“ N° 2 (1892/1899) mit einem Text anonym, der von Mahler transkribiert und weiterentwickelt wurde und aus dem fünften Satz der 3. Symphonie in D-moll (1902) stammt, unterbrochen von einem unheimlichen „Bimm-Bamm“-Gesängen eines Kinderchors, die diesen sehr seltsamen Text unterstreicht. Obwohl sie nicht der poetischen Quelle aus Das Knaben Wunderhorn entstammen, verwenden die beiden Lieder mit den Titeln „Um schlimme Kinder artig zu machen“ N° 6 und „Ablösung im Sommer“ N° 11 mit anonymen Texten aus Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit (1887/1891) dieselben Mittel. Das zweite wird als dritter Satz in der 3. Symphonie  aufgegriffen.

 

Bei den Rückert-Liedern, Op. 44 (1905) haben wir es mit einer viel zurückhaltenderen Welt zu tun als bei Das Knaben Wunderhorn, auch wenn das Lied durch seine Verspieltheit noch immer im volkstümlichen Ton gehalten ist. Friedrich Rückert (1788-1866) wird auch Mahlers: Kindertotenlieder (1905) inspirieren und wir können bestätigen, dass die „Begegnung“ des Komponisten mit dem Dichter – im Laufe der Zeit, da die beiden Künstler keine Zeitgenossen sind – eine von denen ist, die die Geschichte des Liedes prägen, wie die von Schumann und Heine. In den hier ausgewählten Gedichten von Rückert hört Mahler eine Form von Intimität und Subtilität und selbst in der späteren orchestrierten Fassung, die der Musiker schaffen wird, überwiegen die kammermusikalischen Aspekte. Mahler hat Alma Schindler (1879-1964), seine zukünftige Frau , noch nicht kennengelernt, als er ihr die ersten Lieder dieses Zyklus komponierte. Doch die Begegnung wird in der Zwischenzeit stattfinden, da das letzte Lied mit dem Titel „Liebst Du um Schönheit“, N° 5 aus Fünf Lieder nach Texten von  Friedrich Rückert (1901/1902) ist eine klare Anrede an Alma. Für „Blicke mir nicht in die Lieder“, N° 1 verwandelt Mahler das Wort „Lider“ in „Lieder“, als wolle er eine leicht veränderte Bedeutung suggerieren. Das Lied „Ich atmet‘ einen linden Duft,“ N° 2 inspiriert den Musiker zu einer musikalischen Darstellung von Parfüm, mit einer Art deutschem Impressionismus. „Ich bin der Welt abhanden- gekommen“, N° 3, klingt wie eine Studie über Nacktheit: Wie man den größten Reichtum an Effekten in außergewöhnlicher musikalischer Einfachheit entfaltet.

 

Ein letzter musikalischer Strauß  von Strauss für eine Sommernacht…

Die acht Lieder von Strauss, die dieses Programm krönen, bilden eine Art abschließenden Schluss, der zugleich heiter und freudig, profan und mystisch ist. Als wollten die drei hochkarätigen Interpreten dieses Abends die Quintessenz der Lieder von Strauss in seiner königlichsten Form zum Klingen bringen. „Leises Lied“, N° 2 nach einem Gedicht von Richard Dehmel (1863-1920) aus Fünf Lieder, Op. 39 TrV 189 (1898) beschwört das Mysterium der Nacht und der Stille, der Ruhe und der Abwesenheit. „Wozu noch, Mädchen, soll es frommen“, N° 1 nach einem Gedicht von von Schack aus Sechs Lieder aus „Lotosblätter“, Op. 19 TrV 152 (1888) ist eines jener Lieder voller Freude,  deren Geheimnis nur Strauss kannte. „Breit‘ über mein Haupt“, N° 2 auch mit einem Gedicht von von Schack und desgleichen aus dem Zyklus Sechs Lieder mit seinem hymnischen Akkorden und seiner Einfachheit ist die friedliche Seite dieses verliebten Jubels, der sich durch den letzten Teil dieses Liederabends zieht. „Ich schwebe wie auf Engelsschwingen“, N° 2 nach einem Gedicht von Henckell aus Fünf Lieder, Op. 48 TrV 202 (1900) ist eines der erhabensten Lieder von Strauss, in der seine Mischung aus Melodienführung, die zu den hohen Tönen hin getragen wird, als ob es in die höchsten Sphären menschlicher Freude ginge. „Heimliche Aufforderung“, N° 3 nach einem Gedicht von John Henry Mackay (1864-1933) aus Vier Lieder, Op. 27 TrV 170 (1894) ist eines der berühmtesten Lieder des Komponisten und vermittelt dasselbe erhabene Glücksgefühl wie das vorhergehende Lied. „Ruhe, meine Seele“, N° 1 nach einem Gedicht von Henckell desgleichen aus Vier Lieder arbeitet mit dem Bild des Schlafes, in einer mysteriösen Langsamkeit und mit beinahe Claude Debussy (1862-1918)-artigen Akzenten. „Morgen“, N° 4 desgleichen mit einem Gedicht von Mackay aus Vier Lieder ist gleichermaßen berühmt, könnte seinen Fragen und seinem Gefühl des Wartens wie der „Schritt zurück“ sein, der es den drei Künstlern ermöglicht ihren Schwung zu nutzen, um schließlich die Gipfel zu erreichen. „Cäcilie“, N° 2 nach einem Gedicht von Heinrich Hart (1855-1906) und auch aus Vier Lieder gibt ihnen, ebenso wie dem Zuhörer die Mittel und die Flügel…

Diana Damrau, Jonas Kaufmann © Sébastien Grebille

 

Zum Liederabend am 18. Juni 2025 in der Philharmonie de Luxembourg / Grand Auditorium:

Ein Abend voller Charme und Emotionen…

Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann, seine Landsmännin Sopran Diana Damrau und ihr gemeinsamer österreichische Pianist Helmut Deutsch vereinen sich erneut zu einem Liederabend mit deutschen Liedern. Dieses Programm, in dem die Stimmen in drei Teilen abwechselnd Strauss, Mahler und wieder Strauss vortragen, wird dem internationalen Ruf der Künstler sehr gerecht! Eine Koproduktion von LES GRANDES VOIX und der Philharmonie de Luxembourg im Rahmen einer Europa-Tournee.

Jeder für sich, doch vereint durch den expressiven Reichtum: Dies prägt sowohl die Leistung der beiden lyrischen Solisten an diesem Abend als auch die Gestaltung des hier gegebenen Programms und sogar das der vorherigen Jahre dieser drei Ausname-Künstler: Nach Wolf, nach Schumann und Johannes Brahms  (1833-1897) finden sich die drei in diesem Lieder-Repertoire wieder zusammen um diesmal Strauss und Mahler zu interpretieren. Deutsch begleitet alle Lieder, in denen Sopran und Tenor abwechselnd auftreten: Jeweils ein Lied - mit zwei Ausnahmen - für Strauss und jeweils eine Stimme für Mahler. Einige Lieder sind hier gemäß den Katalog-Nummern der Komponisten miteinander verknüpft, andere - viel mehr - überhaupt nicht. Obwohl sie wie hier problemlos für Frauen- oder Männerstimmen transponiert werden können, sind diese Lieder keineswegs als Dialog zwischen zwei Stimmen konzipiert.

Die beiden Künstler nutzen dies jedoch zum Austausch, indem sie abwechselnd singen und sich abwechselnd die Lieder anhören und interagieren. Es ist sogar bemerkenswert, dass derjenige, der nicht singt, dem anderen seine erhabenen, lachenden und leidenschaftlichen Blicke zuwirft. Sie erlauben sich auch Vaudeville-artige Mimik und Ausdrücke – oft gemeinsam, - aber mit einer Offenheit und Aufrichtigkeit, die das Publikum ebenso unmittelbar berührt wie alle Momente der Emotion, der Kontemplation und der Lyrik.

Die beiden Künstler scheinen sich so mehr von sich zu erzählen, füreinander erlebte Geschichten zu kommentieren – anstatt ein Paar darzustellen, das durch dazwischenliegende und eingestreute Lieder Erklärungen abgibt. Sie versuchen nicht, diesen Liedern eine Erzählung aufzuzwingen, die in Zyklen oder verstreut, verschiedene Emotionen zu durchlaufen scheinen, weit entfernt von jeder binären Abfolge. Was das Ergebnis an fusionierter Kohärenz verliert, gewinnt es an Vertrauen und Beredsamkeit – und bezieht auch das Publikum in diese Erzählung ein. Der Sänger und die Sängerin schreiben sich somit jeweils eine komplette Palette von Stücken mit unterschiedlichem und abwechslungsreichem Charakter zu, auch wenn bestimmte Stücke aufgrund ihrer stimmlichen Eigenschaften besser dem anderen zugeschrieben worden wäre.

 

Die beiden Künstler machten sich dieses Programm jedoch voll und ganz zu eigen und sangen es im wahrsten Sinne des Wortes, wodurch ihre Verbundenheit und die des Publikums gestärkt wurde.

 

Kaufmann braucht zu Beginn jedes Programmteils Zeit, um seine Stimme voll entfalten zu können. Sie verfügt jedoch von Anfang an über diese emblematische „Kehlkopfmuskulatur“, seinen berühmten hohen Ton, den er durch Hochziehen und Anheben zu einem Schrei verstärkt. Er verlässt sich insbesondere auf den Reichtum seines tiefen Registers, das für einen Tenor, die Phrasierung verlängert, nährt und vibriert bis zur Verlängerung der Schlusstöne. Er hält die stimmliche Klarheit bis zur Weichheit seiner Lippenspitze, während er den Reichtum eines platzierten Crescendo anleitet.

 

So pflegt er weiterhin die Wärme seines mittleren Tonbereichs, den Reichtum seiner Register und verlängert den „Samt seiner Bekleidung“. Die Trauerregister verstärken den Bass, der ihm wie ein Schlag auf die Brust klang – wie der Text es suggeriert – und entfaltet das Lied im akustischen Raum dieser großen Philharmonie wie auf einer Opernszene.

Diana Damrau, Jonas Kaufmann © Sébastien Grebille

 

Die Stimme überwältigt dann alles vor sich und steigt zu hohen Tönen und Kräften auf, die uns daran erinnern, dass Kaufmann nun auch ein Richard Wagner (1813-1883)-Sänger ist. Und vielleicht noch mehr in der Intensität der Süße, dieser Rundheit der Lippen, die jede Silbe zu einem ausdrucksstarken Universum macht.

 

Damrau entfaltet ihr großes stimmliches Können, sei es, dass sie ihre Bühnenpräsenz zur Schau stellt oder ihr Schauspiel zwischen einzelnen Stücken verbirgt, indem sie so schnell wie möglich – und daher kräftig – hustet. Ihre Stimme verrät dies jedoch nicht und auch sie selbst nicht! Zwar bleibt der Klang nach den Attacken dünn, selbst wenn diese kraftvoll und klangvoll sind, doch die Sopranistin versteht es, den Gesang bei Bedarf zu nähren. Ihre Phrasierung entfaltet sich dann, Musterbeispiele der Ausgewogenheit mit intensiver Verankerung, reichem Fundament, großer Homogenität und Resonanzen, die das Ganze bereichern. Sie investiert ebenso viel in die langsameren Sätze, insbesondere am Ende des Abends.

Helmut Deutsch, Diana Damrau, Jonas Kaufmann © Sébastien Grebille

 

Die drei Künstler verfügen über eine vorbildliche „Aussprache“, so dass auch das Spiel des Pianisten Deutsch dadurch artikuliert wird, das er jeder Betonung der musikalischen Phrasierungen folgt und jeden Akkord und jede Note so interpunktiert, als bilde er ein Wort, eine Silbe: Die Deutsch oft stumm mit den Lippen ausspricht! So stellt er sich ganz in den Dienst der Partitur, der Musik, des Gesangs, auf den er sich wohl äußerst konzentriert hatte. So sehr, dass man bis zum zweiten Teil des Liederabends ungeduldig warten muss, um erneut diese ausdrucksstarken Ausbrüche zu genießen – die unerlässlich geworden sind, da es darum geht: Mahlers Orchester vom Klavier aus zu evozieren! Wie Bekannte uns  hier in Paris erzählten: Er improvisierte sogar in der Philharmonie de Paris das Ende eines Liedes, ein unpassendes Tippen auf seinem Tablet brachte alles in Unordnung, nachdem es zu viele Seiten umgeblättert hatte. Der Liederabend musste unterbrochen werden, während er elektronisch zurückblätterte, während das Tablet unentwegt weiterblätterte. Wieder am richtigen Platz angekommen, bewiess Deutsch, dass seine Klavier-Digitalität von einer Präzision ist, die alle Tastaturen der Welt erblassen lässt und das „unkonzentrierte“ elektronische Tablet erweiste sich dann doch noch etwas Menschlich und auch gefügig.

 

Selbst unter diesen Umständen lächelt das Publikum herzlich, unterstützt durch die gute Laune und einige mitfühlenden Kommentare der Sänger. Der Abend bot somit die Demonstration eines der wirksamsten Mechanismen dieses musikalischen Repertoires, dass wenn sie präzise interpretiert wird: Die Romantik, die Freude und die Traurigkeit auf so enge Weise vereint!

 

Das Ergebnis ist ein großzügiger, explosiver Cocktail, der vom Publikum begeistert bejubelt wurde, das drei wunderbare Zugaben als Dank erhielt. Es sind drei Zugaben, die von den Musikern sorgfältig vorbereitet wurden: Mahler: „Trost im Unglück“, N°  3 (1901) nach einem Gedicht von Brentano / von Arnim aus Das Knaben Wunderhorn. J. Strauss: „Das eine kann ich nicht verzeihen“ aus Wiener Blut, Op. 354 (1899) mit einem Libretto von Victor Léon (1858-1940) und Leo Stein (1861-1921). Erich H. Thiman (1912-2003): „Spring Wind“ (1925) nach einem Text von Christina Georgina Rossetti (1830-1894)… (PMP/26.06.2025)

 

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