Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2021, Tristan und Isolde - als Kinderoper, IOCO Kritik, 16.10.2021
Tristan und Isolde - als Kinderoper - Richard Wagner
- Ein kindgerechter Tristan – weniger Tragik, aber dennoch mit Tiefgang -
von Julian Führer
Seit einigen Jahren zeigen die Bayreuther Festspiele in jedem Sommer zusätzlich zu den großen Opern und Musikdramen auch noch eine ‚Kinderoper‘ – basierend auf den Werken Richard Wagners, aber mit reduzierter Länge und inhaltlich so angepasst, dass es für Kinder im Zielalter von acht bis zwölf Jahren idealerweise nicht nur erträglich, sondern auch spannend wird. Wie bei den Festspielen der Erwachsenen auch, sind die Karten meist sehr schnell vergriffen. 2020 fanden keine Festspiele und mithin auch keine Kinderoper statt. 2021 wurde für die Kinder Tristan und Isolde auf die Bühne gebracht. Aufführungsort war nicht das Festspielhaus, sondern die Kulturbühne Reichshof im Stadtzentrum von Bayreuth. Diesem Bau sieht man an, dass es sich um einen ehemaligen (und zwar schönen) Kinosaal handelt. Das Orchester wurde auf dem Rang platziert.
Beim Einlass des Publikums ist die Bühne bereits zu sehen: links eine Art Ausguck und ansonsten tatsächlich ein Schiffsbug, hinten eine blau angestrahlte Leinwand. Die Bühnenbildelemente sind drehbar und erlauben schnelle Verwandlungen zwischen den Aufzügen (Bühne: Johanna Meyer). Schwierig ist bei Tristan und Isolde das Verhältnis von handlungsreicher Vorgeschichte, die, wie so oft bei Wagner, erst einmal ausführlich erzählt werden muss, und der doch recht überschaubaren Aktion während den drei Aufzügen. Bei der Kinderoper gibt es keine Krankenhausbetten und keine Phantomisolden wie in den letzten beiden Bayreuther Deutungn, sondern einen recht konsequent an den von Wagner festgelegten Schauplätzen angesiedelten Durchgang. Diese Fassung geht auf Katharina Wagner, Markus Latsch und Dennis Krauß, der auch Regie führte, zurück und nimmt tatsächlich einige Elemente und sogar Objekte aus Katharina Wagners Inszenierung für die Großen wieder auf.
König Marke (Jens-Erik Aasbø) lässt die Aktion auf der Bühne beginnen – er langweilt sich, sagt er, als König habe man zu tun, aber er hätte auch gerne eine Frau, und Tristan habe zugesichert, ihm Isolde zu holen. Dann hebt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) unter Azis Sadikovic an, und Kinder und Erwachsene hören das Vorspiel zum ersten Aufzug, von Marko Zdralek so bearbeitet, dass es auch in drei Minuten geht. Die Übergänge sind im gesamten Stück so gestaltet, dass auf das rhythmische, dynamische und harmonische Umfeld so weit wie möglich Rücksicht genommen wird, und das funktioniert erstaunlich gut, selbst wenn man es anders im Ohr hat. Das gilt auch für die Akustik mit dem Orchester im ersten Rang des Theater- bzw. Kinobaus.
Die Sprechpassagen bringen die Handlung voran und gestalten die Übergänge zwischen den Aufzügen. Bemerkenswert ist, dass alle Solisten ohne Ausnahme, seien sie nun deutscher Muttersprache oder nicht, sehr deutlich und textverständlich sprechen und singen, denn auch bei der Kinderoper verzichtet Bayreuth auf eine Übertitelung. Im ersten Aufzug ist im Vergleich zu Wagners Vorlage der Impuls durch Brangäne (Simone Schröder) wichtiger, die den Liebestrank reicht. Wie bei Richard (und Katharina) Wagner ist Isolde die antreibende Figur, während Tristan sich eher fügt. Kelly Gods Isolde wirkt auf der Bühne überzeugend, im ersten Aufzug nicht zu furienhaft (sonst liefe sie Gefahr, eine Art verliebte Knusperhexe zu werden). Ihr Gegenüber Tristan wird von Stephen Gould verkörpert, der auch auf der großen Bühne viele Jahre lang diese Figur gesungen hat und sich nicht zu schade ist, sein Können auch den Kindern zu präsentieren – Chapeau. In der Kinderoper ist ein Liebestrank ein Liebestrank – und Brangäne erzählt im Übergang zum zweiten Aufzug dem Publikum, dass das alles natürlich nicht so einfach wird, wenn Tristan und Isolde nun schwer ineinander verliebt sind, Isolde aber eigentlich Marke versprochen ist. Die Kinder im Publikum lauschen gebannt und sind extrem leise; sie haben einen coronabedingten Abstand zwischen den Sitzen, aber sie scheinen wirklich gefesselt und sitzen ganz still, der Zauber des Theaters und der Musik wirkt also.
Die große Liebesszene wird natürlich erheblich gekürzt. „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ hört man trotzdem, ebenso Brangänes Ruf, der hier aber rein orchestral bleibt, weil Tristan und Isolde währenddessen einen Sprechdialog haben. Hier blüht das Orchester tatsächlich; das Englischhorn des Frankfurter Orchesters ist exzellent, bei den Streichern hört man im Einzelfall auch einzelne Instrumente heraus, das Blech hat stellenweise leichte Probleme, aber Wagners Musik ist da und entfaltet ihre Wirkung. Tristan und Isolde steigern sich vor den Kindern in nicht in eine Todessehnsucht hinein, sondern reden von „einer anderen Welt“, in der sie zusammen sein könnten. Stark gekürzt ist auch Markes Monolog, nachdem das Paar in flagranti erwischt wurde.
Den Übergang zum dritten Akt gestaltet Kurwenal (Kay Stiefermann), Tristans Freund und Gefolgsmann, der ihn also mit der von Melot beigebrachten Verletzung nach Kareol gebracht hat. Tristans Fieberphantasien im dritten Aufzug haben schon manche Besucher an ihre Grenzen gebracht – sie werden den Kindern zuliebe radikal gekürzt. Durch Tristans Ausbruch „Das Schiff! Das Schiff! Dort streicht es am Ruff! Siehst du es nicht? Kurwenal, siehst du es nicht?“ und die danach förmlich kollabierende Musik ist deutlich genug, dass Tristan in sehr schlechtem Zustand ist und dass sich alles in seinem noch wachen Geist auf die immer noch nicht kommende Isolde konzentriert. Als Isolde dann kommt, stirbt Tristan ganz ähnlich wie in Katharina Wagners Inszenierung. Melot (Martin Homrich) und Kurwenal sterben beide nicht, sondern bringen den toten Tristan außer Sicht. Ganz anders als bei Katharina Wagner endet diese Deutung versöhnlich: Marke hätte Tristan und Isolde ihre Zweisamkeit gegönnt. Isolde singt ihren „Liebestod“, und dann sehen wir ganz ähnlich wie bis 2019 bei den „Großen“, dass Tristan und Isolde durch einen Lichteffekt (Licht: Peter Younes) in eine andere Welt zu gehen scheinen. Sie halten sich, nur als Silhouetten sichtbar, bei den Händen und werden von links und rechts mit Luftschlangen beworfen, während das Orchester in der Liebestonart H-Dur schließt.
Besondere Erwähnung verdient auch das Programmheft, das einerseits die üblichen Informationen bietet, andererseits den Kindern aber auch mit Zeichnungen und sehr klaren Erläuterungen deutlich macht, wie man Bühnenbild und Kostüme konzipiert. Dazu gibt es Übungen zur Stimmbildung, Tonbeispiele (per QR-Code leicht erreichbar) und den direkten Link auf die Musikschule Bayreuth (HIER!) dort auch die Doppelseite aus dem Programmheft). Und wenn die Wartezeit bis zum Beginn zu lang ist, gibt es immer noch das Labyrinth auf Seite 7.
Der Applaus war stark und dankbar. Wagners Werke für Kinder nachvollziehbar und spannend zu machen, ist ein schwieriges Unterfangen, vor allem bei den Werken ohne Drachen und Prügeleien. Es ist wohl nötig, hier etwas rabiat mit der Vorlage umzugehen und den Mut zu Kürzungen und Umstellungen zu haben. Erstaunlich ist, wie stimmig das Ergebnis dann dennoch wirkt: weniger Schmerz, weniger Qual, Wahn und Tod, dafür aber die Grundkonstellation mit Tristans Treue zu Marke, der Freundschaft von Melot und Tristan einerseits, Tristan und Kurwenal andererseits, das enge Verhältnis Brangänes und Isoldes und der Liebestrank, der die Katastrophe auslöst, die hier durch das Herübergehen in die „andere Welt“ abgemildert wird. Markes versöhnliche Geste ist schon bei Richard Wagner zu finden.
So gesehen ist diese Fassung von Tristan und Isolde auch eine gute Einführung für Erwachsene. Es wäre sehr wünschenswert, sie auch in anderen Städten und außerhalb der Festspielzeit zu zeigen
---| IOCO Kritik Reichshof Kulturbühne |---
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