München, Residenztheater, DER TURM - Hugo von Hofmannsthal, IOCO Kritik, 11.11.2022

München, Residenztheater, DER TURM - Hugo von Hofmannsthal, IOCO Kritik, 11.11.2022
Residenztheater München
Residenztheater München © Matthias Horn
Residenztheater München © Matthias Horn

DER TURM -  Hugo von Hofmannsthal

-  von Hofmannsthals Suche nach der Realität -

von Hans-Günter Melchior

Nein, die uralte, polemische Frage: Was will uns der Autor damit sagen?, ist hier unangebracht. Denn von Hofmannsthal sagt uns ohne Umschweife, was er vom Leben hält: es ist zum Teil ein wenig Träumerei, zum größeren aber Gewalt und Machtstreben.

Dennoch tut man sich schwer mit diesem Stück. Zu offenbar ist der Tatbestand, als dass er in stundenlangen Diskursen breitgetreten werden müsste. Die Grundaussage ist ja nicht ganz falsch. Das Leben ist in weiten Teilen eine ziemlich mühselige und miese Kalkulation um Vorteile, Überlebenschancen und meist – zwischen den Völkern – ein brutaler Kampf um die Vorherrschaft.

Die Geschichte belehrt uns leider. Thomas Hobbes hat das schon früh und am Klarsten ausgedrückt: Der Mensch ist des Menschen Wolf (homo homini lupus). Man muss deshalb um des Friedens willen die – fast unkontrollierte – Macht vollkommen an den Staat, den Leviathan, delegieren. Der andererseits, was er an Freiheit nimmt, als Sicherheit zurückgibt.

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Ein Pessimismus, der für Demokraten unerträglich ist. Hofmannsthal wurde offenbar nicht mit dem Problem so richtig  fertig. Das ehrt ihn, den Träumer, der sich mit Calderóns Das Leben ein Traum offenbar beschäftigte, und ihn, den Verfasser von „Sekundärdramen“ (so die Regisseurin Nora Schlocker). Er feilte und schleifte und wollte bald mehr, bald weniger und landete am Ende mit seinem Stück im Chaos und der Anarchie.

In der Tat: Man hat den Eindruck, dass Hugo von Hofmannsthals Stück ständig zwischen diesen Fragen oszilliert und sich nicht so richtig entscheiden kann, vielmehr zwischen einem Versepos und einer Fassung mit versöhnlichem Schluss (ein „Kinderkönig“ übernimmt die Macht von König Basilius, was für eine absurde Idee!) schwankt. So gerät der Stoff genaugenommen zu einer einzigen Grübelei über die letztgültige Aussage und macht dem Ganzen ein Ende mit einem Schuss aus dem Hinterhalt.

Der Regisseurin macht es, mit dem Versuch, eine eindeutige Interpretation auf die Bühne zu bringen, ähnlich gegangen sein. In einer sehr sympathischen Kurzeinführung macht die selbstkritische Nora Schlocker keinen Hehl aus ihren Schwierigkeiten. Sie hat die „Personage“ radikal gekürzt, so dass einige Schauspieler, z.B. Michael Goldberg als König Basilius, Simon und Adjutant oder Thiemo  Strutzenberger als Arzt, Kardinal-Minister, Beichtvater des Königs, Rekrut und Vierter Minister verschiedene Rollen übernehmen.

Und sie, Nora Schlocker, bittet die Zuschauer, ihr am Ende doch bitte zu sagen, was sie von dem Stück und der Inszenierung bzw. der Interpretation des Stoffes halten. Demokratischer und selbstkritischer kann Theater nicht sein.

Natürlich geht es um die Macht im Stück. Und wo es um die Macht geht, geht es auch um Sprache. Gewalt ist bereits der Sprache bereits eingeschrieben. Immanent als Menschenausdrucksform. Aber dies, nämlich die Gewalt in der Sprache, ist freilich nur oder insbesondere die sublimierte, rationalisierte Form der Gewalt, die sich als Machtanspruch und Herrschaftsstreben über Gewaltunterworfene mit Gründen und Theorien ausstraffiert.

Residenztheater München - DER TURM hier v.l. Johannes Nussbaum, Lisa Stiegler, Valentino Dalle Mura, Thiemo Strutzenberger © Birgit Hupfeld
Residenztheater München - DER TURM hier v.l. Johannes Nussbaum, Lisa Stiegler, Valentino Dalle Mura, Thiemo Strutzenberger © Birgit Hupfeld

In ihrer elementaren Form ist Gewalt freilich ein der Tiernatur des Menschen eingepflanzter Trieb. Der Mensch als triebgesteuertes Wesen. Und deshalb sind Gewaltanwendung und Gewaltmaßnahmen immer abstoßende Mischformen von Grausamkeit.

So sind die doppelbödige, die naturhaft und die sich rechtfertigend mit Gründen und Ideologien befrachtende Gewalt und der Herrschaftswille über andere ein Faktum, das der ständigen Kontrolle und Regulierung bedarf. Die Idee der Demokratie: Macht wird in freier Entscheidung der Machtunterworfenen verliehen und gesetzlich eingegrenzt.

Hofmannsthals Zweifel an dieser Konzeption sind offensichtlich. Bei ihm geht das demokratische Konzept nicht auf. So bleibt am Ende der pessimistische Befund: Gewalt und Gewaltherrschaft sind Menschenschicksale. Unausweichlich. Am Ende stirbt der Hoffnungsträger einer neuen Zeit, Sigismund, durch die Hand eines Anarchisten.

Residenztheater München - DER TURM hier v.l. v.l. Michael Goldberg, Johannes Nussbaum, Thiemo Strutzenberger, Katja Jung © Birgit Hupfeld
Residenztheater München - DER TURM hier v.l. v.l. Michael Goldberg, Johannes Nussbaum, Thiemo Strutzenberger, Katja Jung © Birgit Hupfeld

Nora Schlocker bediente sich aus den verschiedenen Fassungen, mit denen Hofmannsthal rang. König Basilius (Michael Goldberg), siehe Foto, sperrt seinen Sohn Sigismund (Lisa Stiegler; Nora Schlocker: warum nicht eine Frau als Sigismund?) 20 oder gar 22 Jahre ein. Als er ihm endlich die Macht übergeben – widerwillig genug und fast vom Sohn erschlagen – will, übernimmt ein marodierendes Rebellenheer die Herrschaft im Staat. Sigismund – wieder verbannt und nach oben ins Niemandsland befördert (Nora Schlocker hievt sie / ihn hoch über der Bühne auf einen engen Stuhl – wird von einem nicht sichtbaren  Soldaten des Anarchisten Olivier (Valentino Dalle Mura) aus dem Hinterhalt erschossen. Ein Schuss fällt. Der Traum ist aus.

Das alles geht ein wenig durcheinander und verlangt vom Zuschauer Gedankensprünge. Erst soll da einer neuer König werden, dann ist er fast ein Mörder, dann wird er verbannt, und schließlich erschossen. Man hastet ein wenig hinterher. Moment mal, was war eigentlich jetzt…

Natürlich werden Assoziationen an die gegenwärtige Kriegslage in der Ukraine geweckt. An den Verstoß gegen das Recht und die Selbstbestimmung. Putins pure Gewalt gegen ein Volk, das sich der Unterwerfung verweigert.

Ein Stück, mit dem der Autor nicht fertig geworden ist. Der Zuschauer leidet ein wenig mit.

Immerhin ist es Nora Schlocker und ihrer Dramaturgin gelungen, den reichlich sperrigen Stoff mithilfe eines hervorragenden Ensembles (und fantasievolle, Assoziationen an die Zeitlosigkeit der Idee hervorrufende Kostüme: Bettina Werner) auf anregende 1 Stunde und 40 Minuten – gewissermaßen das Zeitlose in die gegenwärtige Zeit – zu bringen.

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