Marseille, L´Opéra de Marseille, Die Walküre - Richard Wagner, IOCO Kritik, 22.02.2022

Marseille, L´Opéra de Marseille, Die Walküre - Richard Wagner, IOCO Kritik, 22.02.2022

L´Opéra de Marseille

Opéra de Marseille in Marseille © Wikimedia Commons
L´Opéra de Marseille - Marseille © Wikimedia Commons

Die Walküre - Erster Tag des Ring des Nibelungen

- Die Figur eines tragischen Aussenseiters -

von Peter M. Peters

Alberichs Oper…

Richard Wagner Denkmal © IOCO / RM
Richard Wagner Denkmal © IOCO / RM

Abwesende dominieren Die Walküre. Und denken wir nicht an die Götter, die am Ende von Rheingold (1869) so feierlich die Stufen von Walhalla erklommen haben, die süße Freia und ihre goldenen Äpfel, den belanglosen Froh und den dummen Donner, die Meister des Ungewitters, des Feuers und des Regenbogens. Sie sind für immer verschwunden: Ihr Palast wird ihr Gefängnis und bald auch ihr Todesort sein. Nur Fricka taucht für einen kurzen, aber entscheidenden Moment wieder auf, um sich an ihre unerbittlichen und tödlichen Gesetze zu erinnern und Wotan denkt nur daran, vor ihr zu fliehen. Nein! Das Rheingold hatte ein schillerndes und wahnsinniges Trio gekrönt, wie es das lyrische Theater bisher kaum gekannt hatte: Wotan, Loge und Alberich, alle drei Feinde und Komplizen zugleich. An diesem ersten Tag hüteten sich die beiden Halunken davor, offen in Erscheinung zu treten, sondern beobachten nur aus der Ferne und vielleicht führten sie auch schon das Spiel? Wotan vertraut Loge nicht mehr, denn dieser ist zu frech, zu unabhängig. Aber er liebt über alles wie sein eigenes Spiegelbild, seine Tochter Brünnhilde, die er mit Erda gezeugt hatte. Getreu seiner Ankündigung am Ende des Prologs ist Loge in seinen glücklichen Zustand der tanzenden Flammen zurückgekehrt und wird die Bühne für den Abschied des Vaters von seiner Tochter in Flammen setzen. Was Alberich betrifft, er wartet ab: Der Schatten seines Fluchs bedeckt die ganze Welt, aber dieser hatte, genau wie die Erbsünde im Garten Eden, die Erschaffung der Menschheit ermöglicht. So ist die Welt der Walküre: Ein verfluchtes Land, verwüstet von grausamen Kriegen mit Hunding und seinen blutrünstigen Horden. Die Walküren die die Leichen von Kriegern pflücken, wie man Blumen pflücken würde. Inmitten dieser vom Tode kalzinierten Landschaft lodert und verzehrt sich auch ein Schicksal zweier Menschen, das durch die Liebe ausgewählt wurde! Alberich hat der Liebe entsagt und sie verflucht: Hier ist die Liebe und ihr sofortiger Zusammenbruch, ihre zerstörerische Kraft, all dies ist eins. Denken wir daran: Wenn die Legenden und Sagen Richard Wagner (1813-1883) die Größe eines Gottes gab, vergessen wir nicht dass er in den 1850er Jahren nichts anderes als der auf diese Größe eifersüchtige Zwerg war, der nur nach Gold und Anerkennung rannte! Es war Alberich der Die Walküre komponierte, die Oper von Unglück, Verzicht und Abschied.

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Rein menschlich und natürlich

Im Ring des Nibelungen ist der Platz der Walküre klar: Es zeigt uns den drohenden Glanz der Götter und bereitet das Kommen des freien und neuen Menschen vor: Siegfried. Aber zuerst war Wagner begeistert von der Geschichte von Sieglinde und Siegmund und natürlicher Weise von Brünnhilde und Wotan. Abgesehen vom Walkürenritt sind die drei Akte nichts anderes als eine Abfolge von Liebesduetten als Antrieb für Chaos und Verdammnis. Ein uninformierter Zuhörer könnte sich außerdem sehr wohl fragen, um welchen Ring und um welche Nibelungen es sich handelt, so sehr können all diese Fragen zweitrangig erscheinen. Und er kann sehr gut die tiefsten Resonanzen des Werks hören, während er seinen Kontext ignoriert. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Wagner nach diesem ersten Tag die Komposition des Zyklus unterbrach und mit Tristan und Isolde (1865) begann. Der erste Akt mit seinem verwundeten Helden, dem geteilten Kelch und der plötzlich aufleuchtenden Liebe in der Nacht kündigt mehr an als der Liebesfilter und die unbefriedigten Nächte von Tristan. Die plötzliche Schizophrenie von Sieglinde bereiten das Delirium von Tristan im dritten Akt vor. Und die Lyrik, die Wagner für den Abschied von Brünnhilde und Wotan erfunden hat, ist dieses Feuer dass zur Ekstase führt und wird in der endgültigen Liebesannahme von Isolde vollständig erblühen. Aber gerade in Tristan und Isolde gibt es eine Annahme des Jenseits, über das ein Sieg steht und ein segensreicher, rettender Tod. Der Tod in der Walküre hat nicht diese metaphysische und lyrische Dimension: Sie ist nur brutal, und gewisser Weise trivial. Es erhebt Siegmund nicht, sondern erdrückt ihn.

Diese Allgegenwart und Allmacht der Liebe lässt dieses Reinmenschliche, das Wagner in der Oper behandeln wollte, uns jedoch etwas perplex, denn er selbst war doch von Natur aus äußerst künstlich. In Oper und Drama (1852) geschrieben im Fieber des Ring-Projekts, kehrt diese Idee des Menschlichen und Natürlichen immer wieder zurück. Hier bezeichnet der Mythos nicht irgendeine entfernte und dunkle historische Quelle, irgendein skandinavisches Märchenland oder eine altdeutsche Legende. Wagner braucht sie nicht, um die Charaktere von der Walküre zu erschaffen, die nur Menschen sind und nur Kraft ihres Daseins getragen werden. Hier ist die wahre Essenz des Mythos, diese einfache, edle und reine Sprache, absolut menschlich, was Thomas Mann (1875-1955) sich nicht scheute zusagen, „die ewige Wahrheit zu nennen, die aus den Tiefen der Seele entspringt“. Was Charles Baudelaire (1821-1867) provokativ, aber so treffend „lieu commun“ nennt, das heißt dieses von allen bekannte und geteilte Territorium. Die Situationen in der Walküre suchen nicht die Komplikationen und den Exotismus, die künstliche Fremdheit und das Spektakuläre der Librettos der französischen grand opéra und der italienischen romantischen Oper: „Diese monströsen gemischten, historisch-romantischen, dramatischen Potpourris mit teuflisch-religiösen, libertino-fanatischen, frivolen und frommen, mysteriösen und unverschämten, sentimentalen und schurkischen“ von Wagner angeprangert und aus der nur eine „höchst kuriose“ Musik, ein „verblassendes Lächeln widerwärtiger Koketterie oder die von wahnsinnigen Ehrgeiz grinsenden Verrücktheiten und Verrenkungen entstehen können“.

Opéra de Marseille / Die Walküre hier Petra Lang als Walküre, Samuel Youn als Wotan © Christian Dresse
Opéra de Marseille / Die Walküre hier Petra Lang als Walküre, Samuel Youn als Wotan © Christian Dresse

Nietzsche gegen Wagner

Friedrich Nietzsche (1844-1900) verteidigte zur Zeit seiner Liebe zu Wagner leidenschaftlich diese Verwendung von Mythen und verherrlichte den Komponisten dafür, dass er „wie das Volk“ dachte und sich dem theoretischen Menschen widersetzte. Im vierten Band der Inaktuellen Erwägungen (1873) stellt er fest, dass die Sprache von Wagner die Fallstricke jeder Sprache vermeidet, die ständig nach Konzeptualisierung rufen soll. Dem Altdeutschen so bedeutungsvoll verwandt, hat er der Sprache seine ursprüngliche mythische Klarheit und Beschwörungskraft, seine reine Poesie, die alleine schon Lied ist, zurückgegeben. Aber später dagegen wird Nietzsche nicht grausam genug sein und äußerst sarkastisch, um sich über Wagner-Situationen und Charaktere lustig zu machen: „Aber, was wollen wir sagen über den Inhalt von Wagner-Texten? Ihr mythischer Inhalt, ihr ewiger Inhalt? Frage: Wie analysiert man diesen Inhalt? Der Chemiker antwortet: Indem er Wagner in das moderne reale Leben versetzt… Seien wir noch grausamer: Im bürgerlichen Leben! Was passiert also mit Wagner? Unter uns, wir hatten diese Erfahrung! Nichts ist unterhaltsamer, nichts ist für den Spaziergang empfehlenswerter als die Werke von Wagner verjüngt zu erzählen […]. Würden sie uns glauben, wenn wir ihnen sagen, dass alle Wagner-Heldinnen ausnahmslos ihrer heroischen Pracht beraubt, genau so aussehen wie Emma Bovary (1857). Umgekehrt verstehen wir, dass es Gustav Flaubert (1821-1880) gelegen hätte, seine Heldin in einen skandinavischen oder karthagischen Stil zu transponieren, um sie dann mythologisiert Wagner in Form eines Opernlibrettos anzubieten. Ja, es scheint grob gesagt, dass Wagner sich nie für andere Probleme interessierte als für diejenigen, die sich von den kleinen Pariser dekadenten Kokotten faszinieren ließen. Immer in der Nähe eines Krankenhaus!“

Mann, dessen Leidenschaft für Wagner durch die Kritik von Nietzsche hindurchging, befruchtete diese Perfidie, indem er das Wagner-Drama dem bürgerlichen Drama näherte, wie Henrik Ibsen (1828-1906) es zur Vollendung gebracht hatte. Und Mann hatte die Intelligenz, darin nichts Reduzierendes zu sehen, ganz im Gegenteil: Er sah in ihnen denselben Zauber und dieselben Rufe in die Tiefe. Hat man den Wagner-Charakteren den eitlen Glanz des Göttlichen genommen und sie dieser Mythologie entkleidet, die wir zu Unrecht mit Mythos verwechseln, so treten sie in ihrer ganzen Tiefe und Ewigkeit auf. Wagner würde als erster zustimmen: Er ist in erster Linie ein Charakterschöpfer. Die Musik ist nur Mittel, um uns die Seele der Charaktere nahe zu bringen. In dieser Perspektive müssen wir die Verwendung von Leitmotiven verstehen. Es ist ihr Spiel, ihre Rückkehr und ihre Verstrickungen, die den melodischen Rahmen bilden und der tiefen Bedeutung der Musik einen Namen geben. Dies könnten wir auch Wagner vorwerfen: Starrheit und die Tatsache, dass sich seine Musik ständig selbst kommentierte und widerholte, eine ewige Redundanz. Das veranlasste auch Nietzsche zu der Aussage, dass Wagners Genie trotz allem ein Genie der Miniatur war. Das ist auch der Wert und die Wichtigkeit von Wagners Erzählungen. Sie sind keine  großartigen Arien und erfordern keine virtuosen Fähigkeiten, aber wie viel Konzentration auf die Bedeutung der Worte. Sie verwenden keinen der melodischen Reize und der vordergründige Inhalt mag uns unnötig entwickelt zu erscheinen. Und selbst eine Geschichte wie die Wotans, erzählt uns nichts neues, was nicht schon im Rheingold gezeigt wurde. Aber dieselbe Geschichte ist eine langsame und faszinierende Reise in die Tiefen der Seele, ein allmählicher Abstieg in die unerforschtesten Grenzen der Gefühle und eine Annäherung an dieses unaussprechliche „secret douloureux“, das von Baudelaire in La Vie antérieure (aus der Sektion: Spleen et Idéal / Les Fleurs du mal / 1857) zitiert wird.

 L´Opéra de Marseille / Die Walküre hier Sophie Koch als Sieglinde und Nicolai Schukoff als Siegmund © Christian Dresse
L´Opéra de Marseille / Die Walküre hier Sophie Koch als Sieglinde und Nicolai Schukoff als Siegmund © Christian Dresse

Hätte Wagner an seinem Projekt Siegfrieds Tod festgehalten, wäre Wotan nur der verstörende Name eines allmächtigen, aber unsichtbaren Gottes gewesen. Und wenn Wagner bei seiner Version des Mythos von 1848 geblieben wäre, hätte der Tod von Siegfried nur ein wenig mehr zu seinem Ruhm beigetragen. Brünnhilde wird wieder Walküre, Siegfried wiederbelebt und wird der wunderbarste Held von Walhalla, die Herrschaft von Wotan erlangt ihre Ewigkeit zurück. Aber die Lektüre von Arthur Schopenhauer (1788-1860) hat den Sinn des Mythos völlig verändert und Wagner selbst wird transformiert, oder besser gesagt, er findet zu sich selbst. In Schopenhauer fand Wagner die Bestätigung, dass alles zwangsläufig zugrunde geht und auch die Götter. Die durch den Willen bewegte Liebeslust zieht alles unweigerlich in das Grab. Aber, was ist ein Gott, der seinem Schicksal unterworfen ist? Ein Schicksal das ihm entgeht? Wotan ist ein Gott, wie Hedda Gabler (1891) in den Augen ihres Mannes göttlich ist. Ibsens Heldin verdankt ihre einschüchternde Überlegenheit ihrer Schönheit, ihrer Bildung und ihrem gesellschaftlichen Rang. Wie Wotan bei Hunding, es genügt ein Wort des Gottes und Hunding fällt für immer in die Verdammnis. Auch bei Hedda genügt nur ein Wort um ihren Mann, Eylert Lövborg, auf das tiefste zu traumatisieren und ihn zum Selbstmord zu zwingen. Aber wie der klagende Wotan: Dass er nur Sklaven schaffen konnte und da er alles Opfern musste was er liebte. Auch wie Wotan gezwungen war, seine Ohnmacht angesichts des Schicksals und der nutzlosen Last einer Gottheit zu erkennen, die keine Macht hatte vor dem ruchlosen Ende. Hedda Gabler zieht es vor, sich am Ende zu beeilen um selbst in den Tod zu stürzen.

Triumph und Niederlage

Die Ohnmacht und Melancholie von Wotan sowie seine Wiederkehr als Wanderer in Siegfried (1876) verbinden ihn mit der Romantik von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): „Jedem hat ein Gott im Voraus den Weg bestimmt: Sodass der unglückliche Mensch zum Ziel gelangt, um die Höhe eilig zu erlangen. Aber von dessen Unglück sein Herz verkrampft ist und sich vergebens rebelliert gegen die Grenzen des ehernen Fadens, den die Schere so bitter sie auch sein mag, nur einmal schneidet (…). Aber wer ist dieser Mann abseits? Im Dickicht wird sich sein Weg verirren, hinter ihm schließen sich die Büsche und die Grashalme richten sich auf. Die Leere verschlingt ihn! Ah! Wer wird die Leiden des Wesens heilen, für das der Balsam Gift war und der des Menschen  Kelch gefüllt aus Liebe trank? Zuerst verachtet von den Menschen, verachtet er sich selbst und nagt heimlich an seinem Besten: Die Unzufriedenheit mit seinem eigenen Egoismus.“ Aber kein allliebender Vater, kann den Vater aller Dinge selbst trösten. Jedenfalls wäre es absurd, in Wotan das Bild eines glücklichen Willens zur Macht zu sehen. Wie er Brünnhilde zugibt, wäre es für ihn sinnlos, einen eigenen Willen zu haben und er will nur eines: Das Ende seiner Herrschaft, eine falsche Herrschaft, da seine Allmacht zur Ohnmacht wird. Wotan läuft seinem eigenen Verlust hinterher. Und nur in diesem Wettlauf zum Abgrund wird er unsichtbar. In Les Enfants humiliés (1934/48), zitiert Georges Bernanos (1888-1948)  Adolf Hitler (1889-1945) und entdeckt dieses Gefühl der Tragödie wieder: „Herr Hitler ist verzweifelt. (…) Der Herr Deutschlands ist in Wirklichkeit sein Sklave. Herr Hitler ist ein toter Mann, ein Gespenst, ein Phantome“ und weiter: „Er ist der Gott des besiegten Deutschlands, der Gott der deutschen Niederlage, er stürzt sich in die Tat wie sich ein brennender Mensch ins Wasser wirft“. Triumph und Niederlage, Elend und Glanz werden eins. Für die langen und herzzerreißenden Abschiede, die Wotan an Brünnhilde richtet, sind vielleicht die Abschiede an sich selbst. Wagner scheint ein noch unerforschtes musikalisches Territorium erschlossen zu haben: Eine wilde, aber tragische Lyrik, jenes Mitgefühl, das sich mit Verzweiflung vermischt und wo die Geste des Abschieds, der Entsagung des unglücklichen und einsamen Menschen eine Größe findet, die die höchste Manifestation seiner Göttlichkeit ist.

 L´Opéra de Marseille / Die Walküre hier Sophie Koch als Sieglinde, Petra Lang als Brünnhilde und die Walküren © Christian Dresse
L´Opéra de Marseille / Die Walküre hier Sophie Koch als Sieglinde, Petra Lang als Brünnhilde und die Walküren © Christian Dresse

Die Walküre - aufgeführt 16. Februar 2022 - Opéra Municipal de Marseille

Trotz sehr strenger Covid-Einschränkungen hat die Direktion der Opéra Municipal de Marseille das Wunder erreicht: Eine äußerst interessante und ästhetische Produktion auf die Beine zu stellen, ohne jedoch revolutionäre Erneuerungen oder neue Blickwinkel in die Inszenierung zu bringen. Der französische Regisseur Charles Roubaud mit seinen ausgezeichneten Mitarbeitern: Der französische Video-Künstler Camille Lebourges, der französische Lichtbildner Marc Delamézière und die französische Kostümbildnerin Katia Duflot, haben wunderschöne Bilder und bezaubernde Momente geschaffen. Da das Orchester durch einen halbdurchsichtigen Gazevorhang verdeckt auf der Bühne spielte, wurden alle theatralen Aktionen auf dem verschlossenen Orchestergraben vollführt. Die großartigen und phantastischen Szenenbilder wurden auf den Vorhang projektiert und vermittelten einen imposanten und einmaligen Blick auf: Hundings Haus im Schatten einer großen Eiche. Die glanzvolle Götterburg Walhalla verdunkelt von schwarzen Wolken. Ein vom Winde stark verwehter Hain. Ein großer gewaltiger Felsbrocken… Alle diese teilweise sehr beklemmenden und angsterfüllten Szenen erinnerten an eine riesengroße 3D-Grossleinwand mit einer Hollywood-Produktion. Leider war das Spiel der Sänger nicht sehr einfallsreich und endeten meistens in typischen Operngesten.

Das reduzierte Orchestre de l’Opéra de Marseille wurde in einer Bearbeitung des deutschen Komponisten und Dirigent Eberhard Kloke (*1948) von dem indonesischen Dirigenten Adrian Prabava korrekt geführt, obwohl teilweise das musikalische Relief und die satten Tonfärbungen fehlten.

Die deutsche ehemalige Mezzosopranistin Petra Lang singt seit langem auf allen internationalen Bühnen einschliesslich auf den Bayreuther Festspielen die drei Brünnhilden. Leider mussten wir feststellen, dass an diesem Abend ihre Stimme stark ermüdet war. Die Sängerin hatte nie eine natürliche Bühnenausstrahlung und dazu fehlte auch hier die Hilfe vom Regisseur. So stand sie unbeholfen da und wusste nie was sie mit ihren Armen und Händen machen sollte. Man dachte unweigerlich an Marionetten oder an die unbeholfene aufziehbare Puppe Olympia.

Die Sieglinde der französischen Mezzosopranistin Sophie Koch wahr vielleicht vom gesanglichen nicht immer ideal, besonders in den Höhen fehlte es an Strahlkraft. Aber sie glich alles aus mit einem derartigen schauspielerischen Können und sensiblen Eintauchen in die Rolle, das man bereitwillig alles andere vergaß, dazu hatte sie eine traumhafte Diktion.

Die französische Mezzosopranistin Aude Extrémo interpretierte mit ihrer vollen voluminösen Simme eine majestätische Fricka der Extraklasse, vielleicht mitunter im Spiel noch etwas zu steif und auch sollte sie noch an ihrer Aussprache arbeiten.

Der österreichische Tenor Nikolaï Schukoff sang den Siegmund mit einer derart großen gesanglichen sowie schauspielerischen Schönheit und Perfektion, sodass man erstaunt und bewunderungswürdig mit offenen Mund lauschte. Wir kennen den Tenor noch aus seiner Anfangszeit in Nürnberg und später dann in Paris, wo er viele Hauptpartien aus dem deutschen, italienischen und französischen Fach sang. Leider hat er unserer Meinung nicht die Karriere gemacht die er normaler Weise verdiente.

Die erste Wotan-Darstellung des südkoreanischen Bass-Bariton Samuel Youn ist sehr gut verlaufen, der junge Sänger zeigte eine erstaunliche Durchhaltekraft für diese große und schwere Rolle. Sicherlich wird er in einigen Jahren mit der nötigen Reife in diese schwererdrückenden Rolle des allgewaltigen Gottvaters hineinwachsen.

Der Bösewicht Hunding wurde von dem französischen Bariton Nicolas Courjal gesungen. Uns gefiel nicht sein kratziges Timbre, dazu auch spielte er mit einer verrissenen hämischen Grimasse, das uns an schlechte Thriller erinnerte.

Die acht Walküren waren durchweg auf hohem Niveau: Gerhilde, Mezzosopran: Jennifer Michel; Helmwige, Sopran: Ludivine Gombert; Ortlinde, Sopran: Laurence Janot; Waltraute, Mezzosopran: Lucie Roche; Rossweisse, Mezzosopran: Carine Séchaye; Siegrunde, Mezzosopran: Cécile Galois; Grimgerde, Mezzosopran: Marie Gautrot und Schwertleite, Alt: Julie Pasturaud.

Auf jeden Fall haben wir in keiner Weise die relative strapaziöse Reise in das Walhalla von Marseille nicht bereut. Es war ein Moment des Glücks und der Erneuerung in dieser so dunklen Zeit, die von schweren schwarzen Wolken verdeckt ist.    (PMP/20.02.2022)

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