Prachtgemäuer: Wagner-Orte Zürich, Luzern, Tribschen, Venedig, IOCO Buch-Rezension, 05.03.2021

Prachtgemäuer: Wagner-Orte Zürich, Luzern, Tribschen, Venedig, IOCO Buch-Rezension, 05.03.2021
Prachtgemäuer: Wagner-Orte in Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig Buhc ConBrio Verlag © ConBrio Verlag
Prachtgemäuer: Wagner-Orte in Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig Buch ConBrio Verlag © ConBrio Verlag
Prachtgemäuer: Wagner-Orte in Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig

Buchausgabe - Christian Bührle, Markus Kiesel, Joachim Mildner

 ConBrio Verlag 2020. 288 S., Abb., ISBN 978-3-940768-89-6, 58,00 €

von Julian Führer

Das Leben Richard Wagners ist schon oft erzählt worden, doch selten hat man die Stätten seines Wirkens so schön abgebildet gesehen. Dieser vierte und letzte Band einer Buchreihe, die Wagners Lebensstationen photographisch und mit umfangreichen Begleittexten dokumentiert, widmet sich der Schweiz und Wagners Sterbeort Venedig. Im Großquartformat und in beeindruckender Druckqualität werden Gebäude und deren Interieurs präsentiert, handschriftliche Dokumente abgebildet und transkribiert, und gründlich recherchierte Begleittexte und Auszüge aus Richard Wagners Briefen, Cosima Wagners Tagebüchern und anderen Quellen bereichern dieses Bild.

Am Anfang des Bandes steht ein hier zum Druck gebrachter Vortrag Nike Wagners (Urenkelin Richard und Cosima Wagners und Enkelin Siegfried und Winifred Wagners) „Geretteter Revolutionär oder tobender Asylant? Richard Wagner in seiner ‚neuen Heimat‘ Schweiz“, der kundig und mit viel Humor die damalige Lebenssituation des Komponisten schildert, der als geflüchteter Revolutionär in der Schweiz sich ein neues Leben aufbauen musste. Zudem lebte Wagner nicht allein, denn auch seine Ehefrau Minna und wechselnde Haustiere, dazu ein nicht unbeträchtlicher Hausrat waren zu bedenken, unterzubringen und zu finanzieren.

Den ersten, sehr positiven Eindruck von der Stadt Zürich nach der Flucht aus den deutschen Territorien schilderte Richard Wagner auch in seiner Autobiographie Mein Leben (vgl. in diesem Band S. 30):

„Die Fahrt im Postwagen durch das freundliche St. Gallener Ländchen nach Zürich erheiterte mich ungemein: als ich am letzten Mai, abends gegen 6 Uhr, von Oberstraß hinab nach Zürich einfuhr und zum erstenmal in glänzender Sonnenbeleuchtung die den See begrenzenden Glarner Alpen leuchten sah, beschloß ich sofort, ohne dies deutlich im Bewußtsein zu fassen, allem auszuweichen, was mir hier eine Niederlassung verwehren könnte.“

Festspielhaus Bayreuth © IOCO
Festspielhaus Bayreuth © IOCO

Zumindest war Wagner in Zürich vor der Verhaftung sicher, und er umgab sich schnell mit anderen Exilanten, aber auch mit Persönlichkeiten des Zürcher Lebens. Recht bald zogen Wagner und die alsbald nachgekommene Minna in die sogenannten Escherhäuser am Zeltweg (fußläufig vom damaligen Standort des Theaters gelegen, wenngleich noch außerhalb der frühneuzeitlichen Befestigungsanlagen der Stadt, die erst vor kurzer Zeit geschleift worden waren). Allerdings wurde dort noch mehrmals die Wohnung gewechselt, denn dunkle, kalte oder zu kleine Wohnungen waren für einen Menschen wie Wagner anscheinend noch unangenehmer als für andere. Noch heute ist eine Gedenktafel am heutigen Sitz des portugiesischen Konsulats angebracht, wo Wagner mit Unterbrechungen von 1853 bis 1857 wohnte. In Meilen am Zürichsee bei Familie Wille las Wagner 1852 erstmalig sein Nibelungendrama vor. Das dortige Anwesen ist bis heute im Familienbesitz, und die Autoren des Bandes haben es hier wie andernorts erreicht, auch von privaten Grundstücken und Wohnungen Aufnahmen anfertigen und publizieren zu dürfen. Charakteristisch für die Gründlichkeit des Bandes ist, dass (S. 60/61) nicht nur ein handschriftlicher Brief Wagners vom 18. September 1857 abgebildet ist, sondern auch der dazugehörige Briefumschlag mit Briefmarke (10 Rappen Franco).

Die Villa Otto Wesendoncks in Enge (heute ein Ortsteil Zürichs) ist inzwischen ein Museum für außereuropäische Kunst und daher in normalen Zeiten (und seit dem 1. März 2021 wieder) zugänglich. Richard Wagner bewohnte im sehenswerten Park dieser Villa das sogenannte „Asyl“, das heute nicht mehr steht – so hatte er Ruhe zum Schreiben und Komponieren, so hatte er ständigen Kontakt zu Mathilde Wesendonck. Allerdings bezog Wagner das „Asyl“ schon, bevor das Ehepaar Wesendonck die noch nicht ganz fertige Villa bewohnen konnte. Interessant sind die baulichen Parallelen zwischen der Genfer Villa Bartholini von 1830, der Villa Wesendonck von 1857 und der Bayreuther Villa Wahnfried, die (S. 86) auf überzeugende Weise nebeneinandergestellt werden. Wegen Wagners doch zu naher Beziehung zu Mathilde Wesendonck musste das „Asyl“ verlassen werden. Das Ehepaar Wesendonck verließ seinerseits Zürich, nachdem es infolge einer Siegesfeier zur Reichsgründung nach dem deutschen Sieg über Frankreich 1871 in Zürich zu deutschfeindlichen Krawallen gekommen war. Wie so oft hinterließ Wagner bei seinen Abreisen ungelöste Konflikte und manches an Zank und Streit, unter anderem mit dem Lohnkutscher Furrer, der anscheinend bei der noch in Zürich gebliebenen Minna auf grobe Weise eine Geldforderung geltend gemacht hatte – auch dieser Brief, in dem Wagner sich in scharfer Form gegen das Benehmen des Kutschers verwahrt und diesem mit rechtlichen Konsequenzen droht, ist hier dokumentiert (handschriftlich und in Transkription, S. 90/91).

In Zürich dirigierte Wagner mehrere Konzerte (auch diese werden aufgelistet), und hier war es, dass er seine Festspielidee entwickelte: In einem Theaterbau, nur zu diesem Zwecke errichtet, sollten mit einem eigens dafür zusammengestellten Ensemble der besten Musiker und Solisten nur seine eigenen Werke aufgeführt werden. Als Ort war die Zürcher Sechseläutenwiese ausersehen, heute der Platz vor dem Opernhaus. Wer nun allerdings die Preise des Bayreuther Festspielrestaurants kennt, wird dankbar sein, dass die Wagner-Festspiele nicht an dem Ort stattfinden, der in dem Ruf steht, die teuerste Stadt der Welt zu sein!

Der nächste Abschnitt des Buches ist Wagners Aufenthalten in Luzern und der Zeit im nur wenige Minuten entfernten Tribschen (1866-1872) gewidmet. Hier kam Richards und Cosimas Sohn Siegfried zur Welt; die Geburt wurde allerdings so lange geheimgehalten, wie Cosima offiziell noch mit Hans von Bülow verheiratet war. Nach erfolgter Scheidung heirateten Richard und Cosima am 25. August 1870 (dem Geburtstag König Ludwigs II.) in Luzern, und am 4. September wurde dann auch Siegfried in Tribschen getauft und damit zu einem ehelich geborenen Kind des neuen Paares. Der Tribschener Landsitz ist bis heute mit nur wenigen baulichen Veränderungen erhalten geblieben und beherbergt inzwischen ein Richard Wagner gewidmetes Museum. Auch das Häuschen für das Pfauenpaar Wotan und Fricka steht noch. Wagner lebte in Tribschen tatsächlich nicht nur mit Frau Cosima und nicht wenigen Kindern, sondern auch mit einem halben Zoo. Von Luzern und Tribschen aus unternahm Wagner ausgedehnte und ambitionierte Wanderungen bis auf die Rigi und sogar den 2500 Meter hohen Säntis, seine Begleiter immer wieder bis zur Erschöpfung bringend. Getrübt wurde die Idylle jedoch auch hier durch Zwist mit dem Vermieter Walter am Rhyn (Richard Wagner in einem Brief: „Unverschämtheit“, Cosima in ihrem Tagebuch: „Gauner“). Wenigstens verstanden sich die Kinder von Vermieter und Mieterehepaar gut und spielten viel miteinander im Garten. In Tribschen fand 1938 ein Konzert unter Arturo Toscanini statt, das man als Geburtsstunde des heutigen Lucerne Festivals ansehen kann.

Richard Wagner in Venedig © IOCO
Richard Wagner in Venedig © IOCO
 Riccardo Wagner _ hier eine Gedenktafel in Venedig © IOCO
Riccardo Wagner _ hier eine Gedenktafel in Venedig © IOCO

In Venedig weilte Wagner nicht nur an seinem Lebensende, sondern insgesamt bei sechs unterschiedlich langen Gelegenheiten. Gerne aß Richard Wagner dort Eis, das er aber leider nicht vertrug. Wieder wurde gründlich recherchiert und photographisch dokumentiert, wo Wagner jeweils abstieg. Zu den einzelnen Palazzi erfährt man auch einiges zur jeweiligen Bau- und Besitzgeschichte. Für Wagners letzten Aufenthalt in Venedig wurden mehrere Palazzi besichtigt, bevor der Palazzo Vendramin-Calergi ausgewählt wurde. Die anderen, schließlich nicht bezogenen Wohnstätten (Palazzo Contarini Fasan, Palazzo Morosini Brandolin, Palazzo da Mula Morosini, Palazzo Loredan Cini, Palazzo Loredan dell’Ambasciatore) werden aber ebenfalls gezeigt, und in der Tat bekommt man so einen Eindruck des repräsentativen Rahmens, wie er Richard und Cosima Wagner vorgeschwebt haben muss. In Venedig umgab sich die Familie eher mit Malern als mit Musikern, allerdings war der Dirigent Hermann Levi (der in Bayreuth 1882 die Uraufführung des Parsifal übernommen hatte) noch am Vorabend von Wagners Tod zu Besuch. Inzwischen ist im Palazzo Vendramin ein kleines Wagner-Museum zu besichtigen, an dem Ort, wo der Komponist am 13. Februar 1883 starb.

Auf den letzten Seiten des Buches (ab S. 260 bis 275) werden noch die Trauerfeierlichkeiten für Richard Wagner in Bayreuth und die verschiedenen Rechtsformen der Bayreuther Festspiele bis heute rekapituliert; dies passt zum Sinn der Autoren für Vollständigkeit, jedoch geht es dabei weder um „Wagner-Orte“ noch um Wagners Beziehungen zur Schweiz oder zu Venedig. Anmerkungen und Bildnachweise beschließen den insgesamt sorgfältig lektorierten Band, in dem nur wenige Druckfehler stehengeblieben sind – dass auf S. 156 Igor Strawinsky als ‚überzeugter Faschist‘ bezeichnet wird, hätte weitere Ausführungen, zumindest aber einen Beleg verdient – hier ist er: Joan Evans, Die Rezeption der Musik Igor Strawinskys in Hitlerdeutschland, in: Archiv für Musikwissenschaft 55 (1998), S. 91-109, hier S. 98.

Es wurde also zu den im Titel genannten Orten gewissermaßen jeder Fleck dokumentiert, der mit Wagner-DNA in Berührung gekommen ist, und wenn diese Stellen noch zu sehen sind, wurden keine Mühen für qualitätvolle Abbildungen gescheut. Der Titel „Prachtgemäuer“ spielt wohl etwas ironisch (Wagner wohnte nicht immer luxuriös) auf Loges Bericht aus der zweiten Szene in Das Rheingold an. Die quietschrosa Farbe des Einbands ist eine Einladung, das Buch möglichst oft zu öffnen, um sich lieber am Inhalt zu erfreuen. Ob, wie die Autoren selber auf S. 4 meinen, die anderen Bände der Reihe „einen gewissen Kultstatus“ haben, wäre sicherlich noch zu diskutieren, dieser Band ist allemal eine Bereicherung der überreichen Literatur zu Wagner, seinem Leben und seinem Werk.

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