München, Theater am Gärtnerplatz, Sanierung - Die Reise ins Unbekannte, IOCO Aktuell, 17.07.2012

München, Theater am Gärtnerplatz, Sanierung - Die Reise ins Unbekannte, IOCO Aktuell, 17.07.2012
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Staatstheater am Gärtnerplatz München

 Sanierung der Staatsoper am Gärtnerplatz Intendant neu,  Ensemble entlassen, Strukturen zerbrochen

Staatstheater am Gärtnerplatz © Bernd Eberle
Staatstheater am Gärtnerplatz © Bernd Eberle
Sanierungsfall Staatsoper Unter den Linden, eingeschält 2012 © IOCO
Sanierungsfall Staatsoper Unter den Linden, eingeschält 2012 © IOCO

Theater in aller Welt müssen saniert werden. Verfall und Sicherheitsanforderungen sind meist die Auslöser. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden stellt einen auffälligen Sanierungsfall dar. Der ursprüngliche Plan sah Sanierungskosten von €239 Mio vor. Darin nicht eingerechnet waren Investitionen in die Ersatzspielstätte Schiller Theater für € 27 Mio und gestiegene Betriebskosten. Sanierungsbeginn war Anfang 2010, die stolze Wiedereröffnung war für 2013 geplant. Daraus wird für längere Zeit wohl nichts. Starkregen und Pfahlbauten reichten, um die Planung zahlloser Experten zu zerstören. Neuer Eröffnungstermin der Staatsoper Unter den Linden ist nun, nach sechs Jahren Bauzeit, der Herbst 2015. Flüsterschätzungen der gesamten Sanierungskosten pendeln inzwischen bei € 500 Mio. Wann die Elbphilharmonie in Hamburg, Das schönste Steuergrab der Welt (Cicero), wieder eröffnet wird, weiß niemand. Zunächst sollte die 2007 begonnene Sanierung  € 77 Mio kosten und 2010 fertig sein. Mittlerweile liegen die Kostenschätzungen bei € 750 Mio. Als letzter Eröffnungstermin der Elbphilharmonie wird 2015 gehandelt, acht Jahre Bauzeit. Der Klang in der den neuen Räumen jedoch, so tröstet man, soll außergewöhnlich sein. Die Bühnen Köln (Theater und Oper) werden  zurzeit, unter großem Getöse und der fristlosen Entlassung des Intendanten Uwe Eric Laufenberg, für noch nicht widerrufene € 190 Mio. saniert. In solch pannenreichem Umfeld wundert man sich, zur Sanierung des Theater Heidelberg keine Tatarenmeldungen zu hören: Deren Zeitplan, August 2009 bis Oktober 2012 wurde weitgehend eingehalten. Am 24. November 2012 wird mit Tschaikowskys Mazeppa die neue Bühne ihre Jungfernfahrt antreten. Die ursprünglich geplanten Kosten stiegen, nur (!), von € 53 Mio auf € 60 Mio Dazu die unglaubliche Heidelberger Besonderheit: Die Theater-Sanierung wird von privater Seite mit € 16 Mio gestützt. Heidelberg, Du machst es besser. Heidelberg, Dir darf man gratulieren !

Köln / Oper unter Dauersanierung © IOCO
Köln / Oper unter Dauersanierung © IOCO

Theatersanierungen sind oft undurchsichtig, Reisen ins Unbekannte. Eine solch prekäre Reise tritt seit Mai 2012 auch das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz an. Mit 180.000 verkauften Karten und einer Auslastung von 82% in der Spielzeit 2011/12  verzeichnet das Staatstheater am Gärtnerplatz in der Spielzeit 2011/12 einen Höhepunkt unter Intendant Ulrich Peters, einem Verfechter des Ensemble-Theaters.   Intendant Ulrich Peters verläßt das Haus mit dem Ende der Spielzeit. Der aus Klagenfurt kommende Nachfolger und Regie-Protagonist Josef Ernst Köpplinger hat als erste Tat die Zusammenarbeit mit 57 Mitarbeitern im künstlerischen Bereich (zumeist Dramaturgie, Ensemble) beendet, gewachsenes Theater KnowHow und Traditionen geschliffen (NB: als Köpplinger Nachfolger in Klagenfurt wurde mit Florian Scholz bewußt kein aktiv tätiger Regisseur gewählt, "das ist nicht mehr zeitgemäß, so der dortige Juryvorsitzender Ioan Holender"). Am Gärtnerplatztheater gehen die Uhren zukünftig anders: Produktionen der kommenden Spielzeiten werden in neuen Strukturen produziert u.a. mit Fremdensembles. In solche Logik passend, engagiert Köpplinger bereits in der seiner ersten Münchner Spielzeit seinen Freund, Daniel Prohaska, als Leopold in die kommende Im weißen Rössl  Produktion (s.u.). Unter der Intendanz von Ulrich Peters,   Ehefrau ist Sängerin, war die Beschäftigung "nahestehender" Personen verrucht. Gärtnerplatztheater: Eine bayerische Institution mit farbiger, erfolgreicher Vergangenheit schwebt durch raue, nebulöse Gegenwart in eine künstlerisch ungewisse Zukunft.

Nun soll für geplante € 71 Mio das Staatstheater am Gärtnerplatz von Mai 2012 bis Herbst 2015 saniert werden. Große Defizite der Infrastruktur des historischen Theatergebäudes müssen dringlich behoben werden: Sanitäranlagen, Lüftungstechnik, Brandschutz, Integration der Probebühne, Eingangshalle, barrierefreier Zugang. Das Gärtnerplatz-Hinterhaus wird komplett entkernt. Der denkmalgeschützte Innenbau bleibt unverändert. Der Auszug aus dem Stammhaus ist seit Mai 2012 abgeschlossen. Büros wurden ausgelagert, In einer provisorischen Werkshalle auf dem Hofgelände werden Werkstätten, Schreinerei, Schlosserei etc angesiedelt. Während der Sanierung wird der Spielbetrieb in sieben Ausweichspielstätten verlagert: In ein Behelfszelt des Deutschen Theater, in das herrliche Cuvilliéstheater, die Alte Kongreßhalle, das wunderbare Prinzregententheater, die Reithalle und anderen. Los geht die Spielzeit 2012/13 mit ensuite Produktionen: Am 11. Oktober in Fröttmaning, im Zelt des Deutschen Theater mit 31 Vorstellungen von Im weißen Rössl und  25. Oktober 2012 mit Don Pasquale von Gaetano Donizetti im Cuvilliéstheater (Details siehe link).

Der neue Intendant Josef Ernst Köpplinger muss, gleich Jürgen Flimm, seinem Pendant an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, eher als Logistikmanager reüssieren denn als Kunst verkaufende Lichtgestalt. Was in Berlin nicht so recht gelingen will muß in München bis 2015 noch bewiesen werden. Doch, in Berlin hat man zumindest ein erprobtes Ensemble. Köpplinger setzt zunächst auf die Zerschlagung traditioneller Strukturen des Gärtnerplatztheater. Viele der künstlerisch gestaltenden Mitarbeiter wurden entlassen. Auch 82% Auslastung reichen Köpplinger offensichtlich nicht. Man grübelt, warum bei der heutigen hohen Auslastung künstlerische Ziele neu formuliert  werden. Auch hätten, wegen der langjährigen, komplexen Sanierungsphase des Theaters und sieben Interim-Spielstätten, die bestehenden, künstlerisch erfolgreichen Strukturen des Hauses nicht angetastet werden dürfen. Tempi passati.

Dem Gärtnerplatztheater und seinen verbliebenen  500 Mitarbeitern (Orchester, Bühnenarbeiter, Elektriker, Telefonie, Verwaltung etc) unter Josef Ernst Köpplinger stehen für Jahre sehr unruhige Zeiten bevor. Josef Ernst Köpplinger muss viel liefern: Logistische Höchstleistungen, Auslastung von deutlich mehr als 82%, Begeisterung, aber auch packende, neue Kunstformen; dem Gärtnerplatz-Theater ein wahrhaft neues Gesicht geben!  Anderes reduziert die von Köpplinger veranstaltete Aufruhr zu hohlem, krachledernem Theaterdonner, dem gelebte Tradition und 57 Mitarbeiter zu Opfer fielen.  IOCO / Viktor Jarosch / 17.07.2012

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