Wien, Volksoper Wien, Kiss me, Kate: Musical Pur, IOCO Kritik, 03.12.2012



Kiss me, Kate: Magnet am Währinger Gürtel

Die Volksoper Wien besitzt eigenes Charisma: Anders als die ehrwürdige Wiener Staatsoper liegt die Volksoper nicht im noblen I. Bezirk der Stadt Wien und auch nicht zentral. Zugereiste müssen die Volksoper erst finden. Doch räumliche Distanz zur Staatsoper sowie die Leitung durch den schauspiel-affinen Intendanten Robert Meyer (seit 2007) scheinen der Volksoper in Wien hervorragend zu bekommen: Unterirdische vor-2006 Auslastungszahlen der Volksoper wandelte Meyer seit 2007 zu Spitzenwerten. Die Volksoper 2012: Eigenständiger wie höchst populärer Spielplan, hohe Auslastung. Ein überaus lebendiger Kontrast zur noblen Wiener Staatsoper.

Zu Cole Porters Kiss me, Kate hat die Volksoper eine fast intime Beziehung: Uraufgeführt 1948 am Broadway in New York hatte das Musical dank hohen persönlichen Einsatz von Marcel Prawy 1956 seine große Bühnenpremiere im deutschen Sprachraum. Wo? An der Wiener Volksoper. Bis heute blieb Kiss me, Kate der Volksoper in vier Produktionen dauerhaft verbunden: Bis Februar 2013 wird das Musical 354 Mal am Währinger Gürtel gespielt worden sein; Sozusagen sechs Mal pro Jahr, durchgehend seit 1956. Kiss me, Kate und Volksoper: Eine blendend funktionierende Dauerehe.

Die hohen Publikums-Erwartungen an die neue Kiss me, Kate - Produktion von Regisseur Bernd Mottl werden, um es vorweg zu sagen, voll erfüllt: William Shakespeares Komödie Der Widerspenstigen Zähmung (engl. The Taming of the Shrew) über die ewigen und sehr menschlichen Beziehungskonflikte zwischen Mann und Frau entstand um 1600. Cole Porter schafft in seinem 1948 entstandenen Musical Kiss me, Kate zwei Handlungsebenen: Shakespeares "Geschlechterkrieg" wird bei Cole Porter zusätzlich auf die Ebene der Schauspieltruppe projiziert, welche Der Widerspenstigen Zähmung gerade aufführt: Bernd Mottl transponiert die "zerstrittene Schauspieltruppe" seiner Kiss me, Kate - Produktion mit farblich spartanischer aber fetziger Choreographie und tanzerprobtem Ensemble (Wiener Staatsballett) in die tanzwütigen 80er-Jahre. Dicker, platter Slapstick wie schrille Farben kennzeichnen das "Widerspenstigen Zähmung-Ensemble".
Die Einstimmung des Publikums auf das Stück beginnt, nahezu unbemerkt, bereits 15 Minuten vor offiziellem Beginn der Vorstellung: Der Bühnenvorhang hebt sich. Auf der Bühne und im Graben bereiten sich Schauspieltruppe (meist in schwarzem oder weißem Outfit) und Orchester auf einer kulissenfreien Drehbühne deutlich sicht- und hörbar auf die Vorstellung ihrer Widerspenstigen Zähmung vor: Wirre Sprachfetzen, Instrumente die gestimmt oder gespielt werden. Dazwischen eine Stimmprobe: "Die Bäckerei hat gebrannt brannt brannt, da bin ich schnell gerannt rannt rannt".

Auf der Drehbühne trennen Bernd Mottl und sein Choreograph Alonso Barros die vor spartanischen Kulissen streitende, tanzende Schauspieltruppe optisch von der mit Zypressen und toskanischer Landhauskulisse in laute, plakative Farben getauchte Ebene der Widerspenstigen Zähmung. Auch sonst glänzt die Inszenierung mit Tempo und vielen prickelnden wie deftigen Einfällen: Sei es der Walzer Wunderbar als Begleitung zu einer Art Debütantinnenball im ersten Akt (Tribut an den von Marcel Prawy geforderten Bezug zu Wien?), dem rockig gespielten (Dirigent Lorenz C. Eichner und das Orchester der Volksoper) wie brillant getanztem "Es ist viel zu heiß" zu Beginn des 2. Aktes oder der von Kunstfiguren getragene Brunnen. Den Kiss me, Kate-Ohrwurm Schlag' nach bei Shakespeare: Die bess'ren Damen gewinnt man nur durch die Beherrschung der Literatur....... spielen, singen die beiden cool oder in Rokokostümen gekleidete Ganoven (Boris Eder, Herbert Steinböck) in umwerfend schräger Slapstick-Komik. Die unzeitgemäße, aber zum Ende des Stückes vorgegebene, sichtbare Unterwerfung der Frau kehrt Bernd Mottl kurzerhand und wohltuend um in ein: Frau unterwirft Mann!

Die sängerisch und schauspielerisch zentralen wie tragenden Partien dieses Musicals sind mit Andreas Lichtenberger als Fred Graham / Petruchio und Franziska Becker als Lilli Vanessi / Kate hervorragend besetzt. Dabei sind die Erwartungen gerade an diese Partien hoch: Vorgängerlegenden als Fred Graham wie Fred Liewehr, Kurt Huemer, Harald Serafin und der ehemals von Ioan Holender engagierte Mario Adorf und als Kate Brenda Lewis, Sonja Mottl, Ulla Sallert, Dagmar Koller, Elisabeth Kales, Helga Papouschek oder Julia Stemberger setzen gerade an der Volksoper für dieses Stück sehr hohe Maßstäbe. Franziska Becker dominiert denn auch als kratzbürstige Kate dank ihrer komödiantischen Klasse und sehr gut timbrierter Musical-Stimme. Der ausgewiesene Schauspieler und Musical-erfahrene Andreas Lichtenberger steht darstellerisch wie stimmlich nahezu ebenbürtig dar. Aber auch die meisten anderen Partien des grossen Sänger-Ensembles sind gut besetzt. Auffällig dabei Johanna Arrouas als Lois Lane / Bianca und Robin Poell als Bill Calhoun / Lucentio. Überwältigt bleibt der Besucher zum Ende der Vorstellung von der perfekten Personenführung des riesigen Ensembles wie der musikalischen, tänzerischen und choreographischen Vielseitigkeit dieser Produktion.
Das Publikum dankte überschwänglich. Die funktionierende Dauerehe von Kiss me, Kate und Volksoper ist in solcher Qualität für viele Jahre gesichert. Kiss me, Kate an der Volksoper:
Perfekter Stimmungsaufheller für kalte, dunkle Winterabende!IOCO / Viktor Jarosch / Dezember 2012