Dresden, Semperoper, Staatskapelle Dresden, 10. Symphoniekonzert

Dresden, Semperoper, Staatskapelle Dresden, 10. Symphoniekonzert
Tugan Sokhiev, Sächsischen Staatskapelle © Oliver Killig

18. Mai 2025 

Grandiose Interpretationen häufig gespielter Werke im 10. Symphoniekonzert der Staatskapelle Dresden

Tugan Sokhiev und Sol Gabetta boten populäre Kompositionen von Schostakowitsch und Bruckner mit begeisternden Interpretationen.

Die Matinee der Sächsischen Staatskapelle am 18. Mai 2025 war das Auftaktkonzert einer Reihe von zehn Musikveranstaltungen einer Tournee des Orchesters mit Dmitri Schostakowitschs 1. Cellokonzert Es-Dur op. 107 und Anton Bruckners siebter Symphonie E-Dur WAB 107. Als mit dem Klangkörper bestens vertraute Mitwirkende waren der Dirigent Tugan Sokhiev und als Solistin die Cellistin Sol Gabetta für die gesamte Konzertreihe gewonnen worden.

Im Jahre 1959 schrieb der Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) für seinen begabtesten Schüler, dem aus Baku stammenden Mstislaw Rostropowitsch (1927-2007), ein Konzert für Violoncello und Orchester Es-Dur. Der Aserbaidschaner war an das Moskauer Konservatorium zu Prokofjew und Schostakowitsch gekommen, um das Dirigieren zu erlernen. Da er aus einer Cellisten-Familie stammte, vervollkommnete er zusätzlich seine ohnehin ausgezeichneten Spielfähigkeiten auf diesem Instrument. Trotz ihres Altersunterschieds befreundeten sich Schostakowitsch und Rostopowitsch, weil ihr Musikverständniss übereinstimmte, aber auch, weil sie gern über die sowjetische Kulturpolitik sowie die Lebensumstände im Land witzelten. Der virtuose Rostropowitsch hätte gern zusätzliche technische Schwierigkeiten in den Solopart eingebaut gehabt. Ob hinter der Weigerung Schostakowitschs, dem zu entsprechen nur die Angst um die Einschränkung der Verbreitung des Tonstücks steckte, ist nicht bekannt. Aber in der Phantasie der „Schostakowitsch-Rezeptierenden“ bezüglich vermeintlicher Einflüsse und Hintergründe seiner Arbeiten sind ohnehin keine Grenzen zu finden.

Das „Konzert für Violoncello und Orchester Es-Dur op. 107“ sollte zu einem der erfolgreichsten seiner Gattung werden. Man schätzt, dass Schostakowitschs Musikstück inzwischen über achtzig Mal auf Tonträgern eingespielt, zur Verfügung steht.

Die in Argentinien gebürtige Cellistin Sol Gabetta war bereits seit dem Jahre 2009 mehrfache Gastsolistin bei der Staatskapelle gewesen. Ihre Schwierigkeiten bei Schostakowitschs Es-Dur-Komposition lagen weniger in den technischen Aspekten, der Virtuosität und Intonation ihrer Darbietung, sondern eher in der Bekanntheit des Werkes. Denn für viele Musikfreunde schweben die Einspielungen des Widmungsträgers wie ein Denkmal über jeder Interpretation des Tonstücks. Für Sol Gabetta stellte sich die Frage, wie weit sie sich von Rostropowitschs Interpretationen entfernen könnte, ohne die Werktreue zu verletzen.

Sol Gabetta, Tugan Sokhiev, Sächsischen Staatskapelle © Oliver Killig

Unser wichtigster Eindruck einer Aufführung des Schostakowitsch-Es-Dur- Opus stammt vom Debütkonzert des rumänischen Cellisten Andrei Ioniţă (*1994) beim Czech Philharmonic Orchestra im Jahre 2017 in Prag.

Mit dem Beginn des Cellokonzerts brachte Schostakowitsch eine humorvoll-bissige Variation seines aus den vier Tönen D-Es-C-H mit den Initialen des autobiographischen Motivs ins Spiel, auf die das Orchester mit marschartigen und kauzigen Kommentaren antwortete. Für die Solocellistin war das kein launiges Bravourstück, durch das sie ihre technische Meisterschaft zeigen konnte. Sie ging den Eingangssatz verhalten, in sich gekehrt, fast spielerisch und unbeschwert an. Sie setzte die Tempovorgabe „Allegretto“ konsequent um und erzeugte eine solide Grundstimmung. Das tänzelnde Anfangsmotiv verdichtete sich mit federnder Energie und knackiger Artikulation, wurde zur Farce, als der Solo-Hornist des Orchesters Robert Langbein der Cellistin ihr Anfangsmotiv um die Ohren blies.

Warme Streicherklänge, denen das Solo-Horn Langbeins eine besondere Note verschaffte, eröffneten das „Moderato“ langsam und friedlich. Sol Gabetta kam aber recht schnell zur Eindringlichkeit zurück und sorgte für Balance. Mit Eleganz, sanft von der Celesta Nathan Raskins unterstützt, glitt sie zum Übergang zur ausgedehnten atemberaubenden Kadenz. Das Cello erlöste sich mit grandiosen Höhen und zeigte die grandiose Virtuosität der Sol Gabetta in einem Zustand höchster Meditation in ihren lyrischen Passagen.

Das Finale bot Sol Gabetta fast spielerisch und ließ sich nicht von der Motorik der Tempowechsel des Orchesters drängen. Die prägnante Thematik des Kopfsatzes tauchte wieder auf, aber nunmehr durch die Erfahrungen des Vorangegangenen ergänzt. Höchste Gestaltungskraft und  faszinierende Intensität der Solistin sowie klangliche Brillanz mit rhythmischer Schärfe des umsichtig von Tugan Sokhiev geleiteten Orchesters sicherten das außergewöhnliche Niveau der Aufführung.

Mit der 2. Nana aus Manuel de Fallas „Suite Populare Espagnole“ bedankte sich die Solistin beim Publikum für den reichen Beifall.

Sol Gabetta, Tugan Sokhiev, Sächsischen Staatskapelle © Oliver Killig

Mit seiner siebten Symphonie erlebte Anton Bruckners (1824-1896) seinen Durchbruch als Symphoniker. In Wien hatten die Kompositionen Bruckners wenig Interesse gefunden, als er Bruchstücke seiner E-Dur-Symphonie im Februar 1883 vorstellte. Selbst die Partituren seiner vorherigen Symphonien Nummer 5 B-Dur aus dem Jahre 1875 und Nummer 6 A-Dur aus den Jahren 1879 bis 1881 warteten in Graz bzw. in Wien noch auf ihre Uraufführung. Lediglich der Pianist und Bruckner-Schüler Joseph Schalk (1857-1900) hatte Transkriptionen der Symphonien seines Lehrers eingerichtet. Besonders eine „vierhändige Klavier-Bearbeitung von Bruckners Siebter Symphonie“ hatte es ihm angetan, weil Bruckner nach der Nachricht vom Tode Richard Wagners das Adagio der E-Dur-Symphonie zum klingenden Epitaph des Verstorbenen gestaltet hatte. Bei einem Besuch in Leipzig zeigte Schalk den Klavierauszug dem damaligen Kapellmeister des „Neuen Theaters“ Arthur Nikisch (1855-1922). Der Theater-Kapellmeister fing sofort Feuer und verkündete, das Werk mit Musikern des Gewandhausorchesters zur Aufführung bringen zu wollen. Ein intensiver Briefwechsel zwischen dem sechzigjährigen Bruckner und dem kaum halb so alten Nikisch führte zum Einverständnis des Komponisten für eine Uraufführung in Leipzig. Die Beilegung der üblichen Querelen zwischen Gewandhaus und Oper gelang erst, als die Uraufführung der Symphonie im „Neuen Theater“ als Konzert zu Gunsten des Wagner-Denkmalfonds deklariert wurde. Bruckner war extra wegen des Konzertes am 27. Dezember in Leipzig angereist. Eine gedruckte Partitur stand noch nicht zur Verfügung, so dass Nikisch die Proben und dann das Dirigat der Uraufführung am 30. Dezember 1884 mit einem „Autograph“, einer Arbeitspartitur Bruckners mit allerhand Überarbeitungen und Anmerkungen von der Hand des Komponisten, dirigieren musste. Ziemlich sicher ist, dass Bruckner unzufrieden war, dass in Leipzig keine Wagner-Tuben für die nach Wagners Tod nachkomponierte Coda des Adagios zur Verfügung standen. Ob der „Beckenschlag“, den Nickisch dem ihm zugänglichen Notenmaterial zugefügt hatte, mit Bruckner abgestimmt war, bleibt unklar. In dem von Joseph Schalk sorgfältig überwachten Erstdruck der Partitur der Siebten ist der Beckenschlag, Pauken und Triangel mit angeblich Bruckners Zustimmung aufgenommen worden. Trotzdem war damit in der Bruckner-Rezeption ein regelrechter Glaubenskrieg entfesselt worden, der noch heute Interpretationen „ob mit oder ohne Beckenschlag“ unterscheidet.

Die Aufführung seiner siebten Symphonie in München durch Hermann Levi (1839-1900), dabei aber mit Wagner-Tuben, dürfte den Komponisten befriedigt und den Durchbruch des Symphonikers Anton Bruckner auf den Konzertpodien der Welt gesichert haben.

In fließendem Tempo eröffnete Tugan Sokhiev das „Allegro moderato“ und ließ das Hauptthema, eine der schönsten melodischen Erfindungen Bruckners, gelassen sich entwickeln. Sonore Klangentfaltung, klare Sicht auf das symphonische Geschehen und gute Durchhörbarkeit machten bereits den ersten Satz zum Ereignis.

Gänzlich unpathetisch, aber ohne zu schleppen begann Sokhiev das „Adagio“, die Trauermusik Bruckners für den verstorbenen Richard Wagner. Der wunderbare Streicherklang der Staatskapelle bot mit blühender Melodik „instrumentalen Gesang ohne Worte“. Mit verführerischer Eleganz kam die sorgfältige Auffächerung der Holz- und der Blechbläser zur Wirkung, dazu vor allem die Imposanz der Wagner-Tuben. Schöne Balancen sorgten für instrumentale Freiräume und ein fast beschwingtes Musizieren sicherten die Begrenzung des enthusiastischen Effekts.

Fast anmaßend und provokant ertönte das Trompetensignal zum Auftakt des Scherzos. Mit Spontanität zeichnete die Staatskapelle ein ungewöhnlich trotziges und selbstbewusstes Charakterbild Bruckners, dem man doch eher Zurückhaltung nachsagte. Mit bestgelaunter Musik und federnder Rhythmik gestaltete Sokhiev auch den Finalsatz durchgehend heiter, so dass mit dem recht kurzen Stück die Darbietung den Charakter der Trauer verlor und ein gut gelauntes Publikum in den Sonntag entließ.

MDR überträgt das Konzert am 19. Mai 2025 nach den 20-Uhr-Nachrichten.

Die Tourneestationen des Konzertes mit seinem Programm häufig gehörter Werke sind bis zum 28. Mai Hamburg, Berlin, Wien, München, Basel, Paris und Toulouse.

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Hamburg, Elbphilharmonie, "Kintsugi" + "Silentium", Leon Gurvitch Ensemble / Hamburger Kammerballett, 16. Mai 2025

Hamburg, Elbphilharmonie, "Kintsugi" + "Silentium", Leon Gurvitch Ensemble / Hamburger Kammerballett, 16. Mai 2025

Hamburg, Elbphilharmonie: LEON GURVICH ENSEMBLE und das HAMBURGER KAMMERBALLETT–16. 5. Während der in Hamburg lebende Komponist und Pianist Leon Gurvitch in letzter Zeit bereits auf mehrere erfolgreiche Auftritte in der Hamburger Elbphilharmonie zurückblicken konnte, war es für das Hamburger Kammerballett am Abend des 16. Mai eine Premiere. Dieses von

By Wolfgang Schmitt