Tours, GRAND THÉÂTRE – OPÉRA, LA ESMÉRALDA - Louise Bertin, IOCO

LA ESMERALDA, Tours: Im Mittelpunkt steht die Komponistin Louise Bertin (1805-1877), von der IOCO bereits 2023 über ihre Oper Fausto (1831) berichtete; die ihre deutsche Premiere in Essen hatte. Das Leben des Tenors Adolphe Nourrit (1802-1839) lehrt uns .....

Tours, GRAND THÉÂTRE – OPÉRA, LA ESMÉRALDA - Louise Bertin, IOCO
GRAND THÉÂTRE de Tours @ Wikimedia Commons / Gzen92

 LA ESMÉRALDA (1836) - Louise Bertin - Oper in vier Akten mit einem Libretto von Victor Hugo nach seinen Roman Notre-Dame de Paris

 von Peter Michael Peters

EINE KLEINE GESCHICHTE EINES MISSERFOLGS IN VIER AKTEN…

1836: Eine vernichtende Kritik…

An historischen Dokumenten zu dieser Oper mangelt es nicht! Wir werden versuchen das Beste aus den eingesehenen Papieren dieses Werks zu machen, das im Gegenteil aber überhaupt  keinen Ruhm kannte. Dieses von Victor Hugo (1802-1885) verfasste Libretto stammt aus seinem Roman Notre-Dame de Paris (1831) und greift unter dem gleichnamigen Titel die Geschichte der schönen Zigeunerin Esméralda in vier Akten auf. Aus dem, was wir hier und da lesen konnten, scheint es das Hugo wenig Lust auf die Vertonung seines erfolgreichen literarischen Schaffens hatte. Er glaubte nicht, dass die Musik zu seinem Text passen könnte!

Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht die Komponistin Louise Bertin (1805-1877), von der IOCO schon 2023 über ihre verhältnismäßig erfolgreiche Oper Fausto (1831) berichtete, IOCO-Kritik - link HIER! Die übrigens auch mit großem Erfolg ihre deutsche Premiere in Essen hatte. Das Leben des Tenors Adolphe Nourrit (1802-1839) lehrt uns einige sehr interessante Details: Ihr Bruder Louis-Marie-Armand Bertin (1801-1854), Chefredakteur des Journal des Débats und Mitglied der Aufsichts-Kommission an der Opéra Royal de Paris und Herrn Victor Hugo, der gefeierte Autor von Notre-Dame von Paris, half ein wenig dabei eine wichtige Tür zu öffnen, die so vielen anderen verschlossen war. Herr Hugo verachtete es nicht, der sonst nur für das tägliche Leben mühsam als Schulleiter arbeitete, sich für einige Zeit als eine Art  von glänzendem Varieté-Künstler zu verwandeln. Was auch immer sein Schicksal gewesen sein mag, in seinem Stück erwies er sich als ein äußerst inspirierter Autor, aber er arbeitete weniger im Hinblick auf die Nachwelt als auf seine sogenannte Erhebung. Damals hieß es, das Herr Hugo die Mitgliedschaft der Académie Française und den Adelsstand erstrebte. Um dieses doppelte Ziel zu erreichen, schien das Journal des Débats keine zu verachtende Stütze zu sein und auch der große Eifer des Chefredakteurs für einen Freund der Familie  ein wenig mit vielleicht banalem Wohlwollen nach helfen zu wollen.

GRAND THÉÂTRE de Tours - ESMERALDA Szenenphoto - Arthur Daniel (Clopin Trouillefou), Martial Pauliat (Phoebus) @ Jean-Louis Fernandez

La Esméralda hatte Uraufführung  am 14. November 1836. Die Partitur war durch ihre gekonnte Verarbeitung ausgezeichnet, es mangelte weder an Melodien noch an Kraft. Einige Szenen und Arien stachen besonders hervor, insbesondere die von Quasimodo gesungene Glocken-Arie, die Eugène Massol (1802-1887), der über eine sehr schöne Stimme verfügt: Mit großer Verve vortrug! Fromental Halévy (1799-1862) erwähnte ehrenvoll diese Partitur, „wo uns“, wie er sagte, „eine große Fülle an Ideen, eine glückliche gezeichnete Farbe und oft eine seltene Ausdruckskraft auffielen“. Herr Hugo, der wenig Sinn für poetische Harmonien hatte und nur auf der Suche nach starken Versen leider keine sehr fließenden Texte erfand. Auch hatte Herr Hugo  mit seinem unabhängigen Auftreten seine Kollegen nicht gerade beruhigt, ganz zu schweigen davon die Schauspieler und Sänger, die dafür verantwortlich waren, Jean Chapelain (1595-1674) -würdige  Verse zu artikulieren […]. Eine Zeitung jener Zeit wagte es, dieses System anti-musikalischer Poesie zu kritisieren. La Esméralda wurde sogar ausgepfiffen! Aber trotz der Zusammen-Führung der ersten Talente: Nourrit, Nicolas-Prosper Levasseur (1791-1871), Massol, Marie-Cornélie Falcon (1814-1897), La Esméralda hatte nur einen sehr bescheidenen Erfolg. Wir müssen die Länge einer uninteressanten Handlung verantwortlich machen, in der eine Welt ohne Adel auftauchte. „Leider“ hieß es in der Zeitung, „variierte das Libretto die Situationen nicht. Es fehlt die Lebendigkeit, ohne die die beste Musik verblasst! Denn in einer französischen Oper besteht das dramatische Interesse aus den gesprochenen Worten und den gesungenen Melodien. Wenn die ersten Töne kalt sind, wirkt die Musik, die sich nutzlos bewegt wie eine Verrückte, die allein durch einen grenzenlosen Raum rennt. Einen Monat nach ihrem Erscheinen musste La Esméralda einen schweren Angriff ertragen. Die Freunde selbst hatten die Länge des Stücks erkannt: Indem wir es um einen Akt erleichterten, verkürzen wir die Langeweile der Zuschauer und eine hübsche Ballett-Pantomime wie La Fille du Danube (1836) von Adolphe-Charles Adam (1803-1856) kam als Ausgleich. Nach einer gewissen Anzahl an Auftritten hatte Nourrit die Rolle des Phoebus aufgegeben. Eines Abends machte das Publikum Lärm und wollte den letzten Akt nicht hören. Diese Oper wurde Anfang 1837 noch gelegentlich aufgeführt. Aber sie blieb nicht lange im Repertoire!“

In Hugos eigenem Bericht lesen wir: Die Proben für La Esméralda fanden im Sommer 1936 statt. Der Autor der Worte war nicht dabei, er war in der Bretagne unterwegs. Bei seiner Rückkehr war er bestürzt von der absolut dummen und kleinlichen Inszenierung der Oper. Das alte Paris bot sich gewissermaßen für die Dekorationen und Kostüme besonders gut an! Jedoch nichts Reichhaltiges oder Malerisches war zu sehen: Die Lumpen des „Hofes der Wunder“, die in der Oper Charakter und Neuheit hätten haben können, waren in neuem Stoff gekleidet, so dass die Herren wie arme Leute aussahen und die Gauner wie reiche Bürger! Herr Hugo hatte eine Idee für eine Kulisse gegeben, die eine große Wirkung hätte haben können. Es war der Aufstieg von Quasimodo, der die Esméralda von Stockwerk zu Stockwerk entfernte. Aber um Quasimodo heraufzubringen, musste er auch wieder hinunter an den Wänden der Kathedrale. Aber diese lange Abwesenheit war für unmöglich erklärt worden! Also war die Anwesenheit dieser Dekoration in der Oper nicht möglich und so wurde sie seitdem bei Seite gestellt. Die Oper wurde gesungen von den Herren Nourrit, Levasseur, Massol usw. und Fräulein Falcon. Die Oper fiel durch! Der Parteigeist mischte sich ein und rächte sich an einer Frau, deren Vater ein allgewaltige Zeitungs-Besitzer war. Jedoch die Mitwirkenden steigerten sich umso mehr zu einer ausgezeichneten  Leistung. Aber auch die Gegner steigerten sich und bei der achten Aufführung wurde der Vorhang noch vor Schluss gesenkt. Alles, was der Regisseur, Herr Henri Duponchel (1794-1868), der sein Privileg Herrn Bertin verdankte, tun konnte, war von Zeit zu Zeit vor dem Ballett einen Akt zu spielen, in dem der Autor die Hauptszenen der fünf Akte zusammengestellt hatte. Der Roman basiert auf dem alt-griechischen Wort Anánkĕ! Die Oper endet mit dem Wort Fatalität! Es war ein erstes Schicksal: Dass diese Zerstörung eines Werks erfolgte, dessen Sänger Nourrit und Falcon waren, als Musikerin eine Frau von großem Talent, als Librettisten Herr Hugo und als Subjekt Notre-Dame de Paris! Somit hat sich das Schicksal an die Schauspieler und Sänger gehängt! Fräulein Falcon verlor ihre Stimme, Herr Nourrit ging nach Italien, um sich das Leben zu nehmen. Ein Schiff namens Esméralda, das von England nach Irland fuhr, verlor Körper und Eigentum! Der Duc Ferdinand-Philippe d‘Orléans (1810-1842) hatte seine wertvollste Stute Esméralda genannt, bei einem Rennen zum Glockenturm traf sie auf ein galoppierendes Pferd und ihr Kopf wurde zerschmettert.

ESMERALDA - Szenenphoto - Arthur Daniel (Clopin Trouillefou) @ Jean-Louis Fernandez

1836: Eine frauenfeindliche Männerwelt…

In der Phalange - Journal de la Science Societé vom 10. Dezember 1836 lesen wir diese ausführliche Kritik: Endlich sind wir in der Lage, unseren Lesern unser Urteil über dieses Stück zu äußern, das in der kritischen Welt so große Gerüchte hervorgerufen hatte, aber von dem wie es uns scheint: Das nur wenige Zeitungen einen Bericht veröffentlicht haben, der frei von jeglicher Rücksichtnahme auf die Frage der Kunst war. Wir waren letzten Montag bei der Aufführung dieses Werkes. Wir waren von der Aufmerksamkeit, mit der wir zuhörten, äußerst erschöpft und dieses Unbehagen war immer die Folge vom langen Warten auf eine Sensation: Auf die wir hofften und die nicht eintrat! Die Musik von Fräulein Bertin bezeichnet eine völlige Unerfahrenheit oder das Fehlen einer musikalischen Konzeption. Ein paar verstreute Fetzen, ein paar wirklich bemerkenswerte Blitze würden uns eher dazu bringen sich auf die erste Hypothese zuzuwenden, die auch das häusliche, gefühlslose Leben einer Frau legitimieren würde und mit der Entwicklung künstlerischer Fähigkeiten völlig unvereinbar ist. Die Melodien sind so vage, dass wir sie meist nicht verstehen und wir haben uns im Laufe der Arbeit mehr als einmal gefragt, wie die Sänger solche zusammenhanglosen und bizarren Klangfolgen in ihrem Gedächtnis festhalten konnten. Insbesondere die Rolle des Claude Frollo schien uns keinen einzigen greifbaren Satz zu enthalten. Ausserdem fehlen klare Melodien an diesen so ungemeinen dunklen und leidenschaftlichen Aspekten der beiden Rollen Esméralda und Phoebus völlig. Die Melodie ist keine übliche Musik! Was an dieser Musik besonders ermüdend erscheint, ist das ungereimte unzusammenhängende Wirrwarr, das von einem Ende bis zum anderen herrscht. Wir können kaum ein oder zwei Stücke hervorheben, die scheinbar nach irgendeinem Plan entstanden sind! In anderen wird manchmal derselbe Takt hartnäckig zwölf oder fünfzehn Mal hintereinander  wiederholt, manchmal hat jeder Takt seinen eigenen Charakter und ist dem Charakter des vorhergehenden Takts völlig fremd. Ermüdende Monotonie oder extreme Abwechslung macht alles noch ermüdender! Einige Chorfragmente und Quasimodos Melodie sind leider große Ausnahmen. Von Zeit zu Zeit hören wir Harmonien und Orchester-Effekte, die uns auf etwas  Bemerkenswertes hoffen lassen: Dann ist aber nichts, wir geraten plötzlich wieder ins Chaos! So präsentiert das Ritornell einer wahrscheinlich großartigen  Arie von Claude Frollo eine Kombination  aus Posaunen, Kontrabässen und Fagotten, die eine sehr schöne Wirkung hat und in perfekter Harmonie mit dem dramatischen Charakter der Figur steht, aber alles ist darauf beschränkt für eine Bekanntmachung. Was folgt ist nur eine Ansammlung von Klängen, deren Abfolge keinen Grund  zur Existenz hat. Ohne die detaillierte Analyse weiter voranzutreiben, beschränken wir uns auf die Aussage, dass nichts Geringeres als der Einfluss der Familie des Autors notwendig war, um die Darstellung eines so unvollständigen, so mittelmäßigen Werkes wie dieses zu bestimmen. Das Bedauerliche ist, dass die Inszenierung dieses Werkes einem anderen, wahrscheinlich besseren Werkes verzögert und somit dem Publikum und dem Regisseur einen doppelten Schaden zugefügt hat. Wenn wir außerdem die vielen Pfiffe betrachten, die die letzten beiden Akte, insbesondere den letzten, begleiteten  und die ausgeprägte Langeweile, die im ganzen Raum herrschte, steht die Existenz von La Esméralda kurz vor ihrem Ende.

ESMERALDA - Szenenphoto - Renaud Delaigue (Frollo) @ Jean-Louis Fernandez

Wir könnten noch weitere zahlreiche Rezensionen aus dem Jahr 1836 zitieren, die damals in der allgemeinen oder in der Fachpresse veröffentlicht wurden: Alle im gleichen Ton! Dies war Hugos einziger Ausflug in die Welt der Musik. Dieser erste Versuch hinterließ bei ihm nur einen bitteren Geschmack! Wir kennen den Ruhm des Meisters, der im Laufe der Jahre weiter zunahm. Bertin ihrerseits, diese behinderte Frau, die sich nach einer Kinderlähmung auf Krücken fortbewegt und für die Kritiker in ihren Kompositionen keinen „Trost für ihre körperlichen Gebrechen“ sahen! (Zeitung Le Siècle). Allerdings bescheinigt Hector Berlioz (1803-1869), der die Proben an der Oper leitete, in seinem Briefwechsel die musikalischen Qualitäten und harmonischen Neuheiten eines Werkes, das er als „männlich, stark und neu“ beschreibt. Wem soll man glauben? Sie starb im April 1877 im Alter von 72 Jahren. Was hätten Hugo und vor allem Bertin von dem von Luc Plamondon (*1942) und Richard Cocciante (*1946) geschaffenen und am 16. September 1998, 162 Jahre später, uraufgeführten Musical Notre-Dame de Paris gedacht? Diese neue Version, die Gesang, Tanz und Musik vermischte und La Esméralda, deren Titel sie hätte behalten können, in den Vordergrund rückte: Es war ein großer internationale Erfolg!

ESMERALDA - Szenenphoto - Jeanne Mendoche (Esmeralda), Renaud Delaigue (Frollo), Christophe Crapez (Quasimodo) @ Jean-Louis Fernandez

ESMERALDA - Grand Théâtre – Opéra de Tours - 30. März 2024

2024: La Esméralda mit Gotik und Punk…

Ein Manifest gegen Frauen-Gewalt, eine Version von Techno und Kammer-Musik begleitet. Viel Rauch und Gerüst um eine gotische Säule! Im Hintergrund ein Rosettenfenster, ein paar Glocken! Auf dem Boden eine kleine Bühne auf Böcken. Für die junge französische Regisseurin Jeanne Desoubeaux braucht es nicht viel, um eine im Bau befindlichen Kathedrale Notre-Dame de Paris  szenisch zu interpretieren. Die mystische und punkige Szenographie ist von der sehr talentierten französischen Bühnenbildnerin Cécile Trémolière kreiert worden. Es ist eine sehr verkürzte Adaption der Oper La Esméralda von Bertin, die im Jahre 1836 an der Académie Royal de Musique unter der Direktion von Berlioz uraufgeführt wurde.

Wir befinden uns beim Fest der Narren, einer Art Wunderhof mit einer Galerie von verrückten Außenseitern in queer inspirierten Kostümen: Eine Mischung aus mittelalterlicher Romantik und zeitgenössischen Mythologien, zwischen Wasserspeicher-Masken und sexuellen Provokationen. Die äußerst phantasievollen Kostüme und Masken sind von dem französischen Kostümbildner Alex Costantino entworfen. Alles zu den Beats der von dem französischen Techno-Komponisten Gabriel Legeleux entworfenen Technomusik: schwefelige mittelalterliche Obertöne, Sub-Bass und gesättigte Harmonien. Der Übergang zur lyrischen Partitur, präsentiert in einer vom französischen Pianisten und Kompositeur Benjamin d’Anfray arrangierten Kammermusik-Reduktion, erfolgt in einem subtilen Übergang.

Im Gegensatz zur Rehabilitations-Bewegung, die in den letzten Jahren in Bezug auf vergessene Komponistinnen gestartet wurde: Die erste Aufnahme von La Esméralda erschien 2008 bei Accord unter der Leitung von Lawrence Foster (*1941) an der Opéra de Montpellier, übernimmt Desoubeaux und behauptet auch durch einige Ergänzungen, Kürzungen und Abschweifungen eine notwendige aber nur Teil-Vision der Oper erhalten zu haben. Genauer gesagt „voreingenommen“: weil es in der Anprangerung von Gewalt gegen Frauen verankert ist!

Auf dem Scheiterhaufen der Begierde: Der von Esméralda, der zu Freien, der zu Schönen, der zu fremden Hexe angezündet wurde, dem eiskalten Gegen-Feuer eines dreifachen Femizids, begangen von drei Männern: Frollo, dem teuflischen Erzdiakon, dem feigen und unterwürfigen Quasimodo und Phoebus, dem Macho und Narziss. In einem langen weißen Hemd, fast geschorenen Haaren wird die junge Frau als Märtyrerin sterben, wie die Jeanne d’Arc (um 1412-1431) in dem Film La Passion de Jeanne d’Arc (1928) von Carl Theodor Dreyer(1889-1968).

ESMERALDA - Szenenphoto @ Jean-Louis Fernandez

Proselyten-Versuchung…

Die Stärke der Aufführung liegt vor allem in einem belebenden Kontrapunkt zwischen Theater und Musik, zwei Disziplinen für die die Regisseurin, die zwei Jahre an der Pariser Opern-Akademie verbracht hat, die Codes zweifellos besitzt. Aber dieses allegro ausgeführte Bühnenwerk wird durch die missionarische Versuchung gleich doppelt beeinträchtigt: Nach den Beleidigungen, die einem sexuellen Aggressor Quasimodo im Cabaret de la Pomme d’Eve – ein zweiter Ort des Trinkens und der Verderbtheit – ins Gesicht geworfen werden, wird die Szene von Esméraldas Vergewaltigung mit ihrer sanften Choreografie von Körpern in fleischfarbener Unterwäsche und der Silhouette eines voyeuristischen Frollo, der in seinen Händen ejakuliert, einem merkwürdigen dramaturgischen Verlust aufweisen, obwohl sie im Gegenteil den Höhepunkt darstellen sollte.

Auf der instrumentalen Seite müssen wir die Leistung des Ensemble Lélio mit seinen vier hervorragenden Musikern: Martha Ramirez, Violine; Lucie Arnal, Cello; Roberta Christini, Klarinette; Aline Riffault, Fagott unter der ausgezeichneten Leitung des Pianistin Benjamin d’Anfray äußerst  loben.

Leider müssen wir von einer Gesangs-Besetzung enttäuscht sein, der es an sehr viel Homogenität mangelt, angefangen bei dem französischen Bass Renaud Delaigue als Frollo, dessen abgenutzte Klangfarbe und eine unsichere Intonation manchmal schmerzhaft zu ertragen war. Wenn der französische Tenor Cristophe Crapez einen ziemlich geschmeidigen Quasimodo interpretiert, der nicht das geringste Mitgefühl hervorrufen kann, ist der französische Tenor Martial Pauliat mit dem leicht zerzausten Phoebus viel interessanter. Der Tenor schafft es, seine Rolle nicht ohne Elan zu halten, vom Sadomaso-Spaziergang, der wie ein Hund an der Leine gehalten wird bis hin zu einer Farce-Session mit dem Arsch ins Gesicht, bevor er schließlich kopfüber an einer Barre hängt.

Nur die feine und strahlende Esméralda, die ideal zum Opfer durch die Interpretation der französischen Sopranistin Jeanne Mendoche wurde, bewegt und verführt in einer Rolle, deren Leidenschaft, reine Linien und geschmeidige Musikalität sie sehr hervorhebt. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit wandelt sich auch der äußerst talentierte französische Schauspieler Arthur Daniel als Clopin Trouillefou, selbsternannter König von Thune, wie selbstverständlich vom Rezitator, Spielmacher, leicht alberner Possenreißer zum talentierten Straßensänger. (PMP/01.04.2024)

Auskünfte - Karten:  theatre-billetterie@ville-tours.fr