Sternberg - Neubrandenburg, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Anastasia Kobekina, Kammerorchester Basel

Sternberg - Neubrandenburg, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Anastasia Kobekina, Kammerorchester Basel
Anastasia Kobekina, Kammerorchester Basel in Neubrandenburg © FMV

  1. und 13. Juli 2025

Anastasia Kobekina - Faszinierende Celloklänge

Eine Meistercellistin und das Kammerorchester Basel in Mecklenburg-Vorpommern

 

Als am vergangenen Sonntag die letzten Töne in Neubrandenburgs Konzertkirche verklungen waren, hatte die Solistin des Abends ihr neuntes von insgesamt 21 Konzerten absolviert. Und wie nicht anders zu erwarten: mit staunender Bewunderung seitens eines enthusiasmierten Publikums! Wie auch nicht, wenn Anastasia Kobekina, 1994 in Jekaterinburg geborene und inzwischen längst „ganz oben“ angekommene Cellistin, Wundersames auf ihrem Stradivari von 1717 vollbringt. Wenn sie in flottem Tempo, leichtfüßig, ihr Instrument wie eine Feder schwingend und dabei strahlend lächelnd das Podest erreicht hat und die ersten Töne erklingen lässt, dann darf man sicher sein, selten so Gehörtes zu erleben! Das meint nicht in erster Linie das Repertoire, sondern der musikalische und in engerem Sinne cellistische Umgang mit ihm. Und da haben die Festspiele MV mit ihrer diesjährigen Preisträgerin in residence  den ultimativen Glücksfall präsentiert: eine junge Dame, deren Spieltechnik atemlos zu machen vermag und deren musikalische Gestaltungsfähigkeit nahezu grenzenlos scheint. Wer Gelegenheit hatte, die Kobekina und das Kammerorchester Basel mit Barockem und Moderne in Sternberg (Stadtkirche St. Maria und Nikolaus, 12. Juli) sowie mit Klassik und Moderne in Neubrandenburg (Konzertkirche, 13. Juli) zu erleben, konnte sich davon ein sehr prägnantes und aufschlussreiches Bild machen.

Anastasia Kobekina, in Sternberg © FMV

Zunächst Sternberg: eine orchestrale Kammerbesetzung (14 Mitglieder) mit barocker Orientierung(Cembalo, Theorbe) und – in Maßen – historisch informierter Spielpraxis. Dazu die  Kobekina auf einem historischen Instrument (aber mit Stachel und modernem Bogen). Beide Partner ließen hinsichtlich einer von fesselnder Inspiriertheit und geradezu überfallartiger Musikalität geprägten Spielweise keine Wünsche offen. Traumhafte langsame Sätze, die dank ungemein differenzierter Klanggebung äußerst spannend und ungewohnt abwechslungsreich gerieten, sowie schnelle Sätze, bei denen man schon mal Schwierigkeiten verspürte, einfach sitzen bleiben zu sollen. Und dies mit einem Repertoire, das die Musikstadt Venedig im Blick hatte („Venice Beyond“): mit Werken von Albinoni (1671-1751 , Vivaldi (1678-1741), Barbara Strozzi (1619-1677)– einer Komponistin – aber auch Zeitgenössischerem von Strawinsky (1882-1971, Suite italienne), Gabriel Fauré ( 1845-1924 Les berceaux), Paganini (1782-1840, Fantasie über ein Rossini-Thema), Caroline Shaw (*1982, Limestone & Felt) und Walentin Sylvestrow (*1937, Abendserenade). Dies in unterschiedlichen Besetzungen, als Solokonzert, als Streichersinfonie, Duo für zwei Celli, Duo Cello und Gitarre, Viola und Cello. Nicht verwunderlich auch, dass diverse Arrangements das Programm bestimmten.

Mit Blick auf das Kammerorchester Basel, ein unter/mit Konzertmeisterin Julia Schröder fabelhaft lebendig, ja mitreißend musizierendes Ensemble, waren natürlich Vivaldi, Albinoni, Strawinsky und Paganini Schauplätze meisterlichen Agierens, für Anastasia Kobekina die Solopartien bei Vivaldi, Shaw, Strozzi, Strawinsky, Fauré, Paganini und Sylwestrow – eine stilistisch breite Palette, die allerdings ein Qualitätsmerkmal einte: die wahrlich faszinierende Fähigkeit der Kobekina, selbst einem Einzelton Farbe, Gestalt, Intensität und Ausdruckskraft zu verleihen. Von den Möglichkeiten ganzer Satzgestaltungen, die ihr geradezu „wortreich“, wenn man will sogar „szenisch“ gelangen, abgesehen. Das war nicht schlechthin „schön“, das war weit mehr und verhinderte übrigens, dass man sich in „Schönheit“ verlor. Stattdessen griff man damit sehr fordernd nach dem Hörer, ließ ihn nicht los, zwang ihn zum aufmerksamen Zuhören. Fast schon verwunderlich bei Meistern, die man gut zu kennen glaubte...

Anastasia Kobekina, Kammerorchester Basel in Sternberg © FMV

Das betraf zum Beispiel am Tag darauf in Neubrandenburg auch ein Werk wie das Konzert C-Dur für Violoncello und Orchester von Joseph Haydn: jeder Ton bekannt, Überraschungen nahezu ausgeschlossen. Was für ein Irrtum! Fast möchte man sagen: nicht wiederzuerkennen! Oder, weniger pauschal, derart tonlich-gestisch angereichert, dass sich der Eindruck eines gravierenden Gestaltwandels direkt aufdrängte. Kobekina musizierte diesen Haydn mit einer verblüffenden spielerischen Lockerheit, ganz in Übereinstimmung mit einer offensiven Körpersprache, die jeden Gedanken daran, dass das Ganze auch harte Arbeit sei, gar nicht erst aufkommen ließ. Der unabdingbare Krafteinsatz manifestierte sich aber im Gegenteil: in einer geradezu intimen Spielweise, einer Tongebung von äußerster Variabilität und Sensibilität besonders im langsamen Mittelsatz, in auch spritziger, sehr lustbetonter Virtuosität, in Eleganz, sprühendem Spielwitz, gewinnender Grazie, größten gestischen Freiheiten und – selten so offensichtlich zu erleben – mitreißender Spielfreude. Ein Haydn, wie man ihn nicht oft erlebt! Von der Zugabe eines so kunstfertig wie haarsträubend effektvoll eingerichteten spanischen „Fandango“ ganz zu schweigen.

Sehr anders ein Arrangement Brahmsscher Ungarischer Tänze für Violoncello und Orchester (Streicher, 2 Oboen) in der Fassung von Wladimir Kobekin (Vater). Das Werk ist eines jener Produkte, das sich Solisten gern zur Bereicherung ihrer oft von Standards lebenden Programme arrangieren lassen. Hier natürlich mit (in der vierhändigen Klavierfassung nicht vorhandenem) solistischem Anteil, was zusätzlich zur einfallsreichen Instrumentation Effekt machte und genaues Hinhören durchaus lohnte.

Anastasia Kobekina, Kammerorchester Basel in Neubrandenburg © FMV

A propos Effekt. Davon gab es dann mit drei reinen Orchesterstücken deren viele. Etwa in den Vier transsilvanischen Tänzen für Streicher von Sándor Veress (1907-1992), die mit ihrer hochmusikantischen Verbindung von Volksmusiktradition und modernem kompositorischen Zuschnitt sehr für sich einnahmen. Gleiches galt für Béla Bartóks Rumänische Volkstänze für Klavier (Sz 56), hier in Orchesterfassung von Arthur Willner, die in nahezu gleicher Weise temperamentvolle volksmusikantische Originalität präsentierten.

Auch damit hatte sich inzwischen das Kammerorchester Basel so richtig heiß gespielt, um dann mit Wojciech Kilars (1932-2013) Orawa noch einen dicken Punkt auf`´s I zu setzen. Dieses der minimal music verpflichtete und auf einen gleichnamigen polnischen Fluss bezogene Stück von 1986 genießt inzwischen Kultcharakter. Es war so recht geeignet, einen ohnehin inspirierenden Konzertnachmittag mit dem aufpeitschenden Gleichmaß orgiastisch stampfender Akkorde fast schon spektakulär zu beenden. 

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