Salzburg, Pfingstfestspiele, Haus für Mozart, HOTEL METAMORPHOSIS – Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, IOCO
Fünf Mythen sind musikalisch-theatralisch inszeniert: Orpheus und Eurydike, Pygmalion, Arachne, Myrrha sowie Echo und Narcissus. Die Bühne zeigt ein klassisches Hotelzimmer mit Kingsize-Bett.

von Getong Feng
Nach Rom und Sevilla in den vergangenen Jahren wird die imaginäre Städtereise im Rahmen der Salzburger Pfingstfestspiele fortgesetzt, das Publikum lässt sich diesmal von den Klängen der Lagunenstadt Venedig verzaubern. Unter dem Motto „Klänge der Serenissima“ wird eine solche real-irreale Stadt als Ort der Musik gefeiert. Antonio Vivaldi gilt als einer der berühmtesten Musiker Venedigs. Mit Hotel Metamorphosis brachte Barrie Kosky ein Opernpasticcio auf die Bühne, das Musik von Vivaldi mit Motiven aus Ovids Metamorphosen kunstvoll verbindet.
Im Labyrinth der Träume: eine operatische Inception
Fünf Mythen sind musikalisch-theatralisch inszeniert: Orpheus und Eurydike, Pygmalion, Arachne, Myrrha sowie Echo und Narcissus. Die Bühne zeigt ein klassisches Hotelzimmer mit Kingsize-Bett. Orpheus hat sich beim Aufstieg in die Oberwelt umgesehen - und seine Ehefrau Eurydike ist daraufhin wieder in der Unterwelt zurückgekehrt. Traurig und frustriert sitzt er nun im Hotelzimmer und träumt. Aus seiner Fantasie entspringen Geschichten: Mythosfiguren werden auf der Bühne zum Leben erweckt. Die 81-jährige Theater- und Filmschauspielerin Angela Winkler spielt Orpheus. Mit kindlich-mädchenhafter, aber zugleich klarer Stimme erzählt sie die Geschichte. Sie ist Traum-Begleiterin, sitzt am Bühnenrand, wirkt mit und beobachtet Orpheus’ gesamten Traum.

Alles in diesem Zimmer befindet sich in einem fließenden Verwandlungsprozess: Männer und Frauen, Tiere und Menschen, Götter und Pflanzen. Mit jeder eigenständigen Geschichte verändert sich der Raum aufs Neue. Das ist dem großartigen Videodesign von Rocafilm zu verdanken. Doch ein zentrales Thema durchzieht das gesamte Stück und verleiht der Collage eine innere Geschlossenheit: Einsamkeit und Melancholie. Die Protagonist:innen sehnen sich wegen dieser Einsamkeit nach Liebe – sie suchen sie, sie streben danach. Regisseur Kosky sprach in einem Interview: „Ich bin oft unterwegs, wie viele Künstler:innen, nichts ist einsamer als ein zeitgenössisches Hotelzimmer am Abend nach einer Probe - eine sterile, anonyme Welt.“ Genau aus diesem Gefühl heraus erschafft Kosky eine Welt, die realistisch und zugleich surrealistisch anmutet. Man erkennt das Hotelzimmer wieder – und doch überschreitet die Vorstellungskraft unbemerkt die Grenzen des Realismus. Orpheus träumt, und die Figuren in seinem Traum träumen auch. So gerät man wie von selbst in eine Welt verschachtelter Träume.
Vivaldi-Collage: Meisterwerke neu erzählt
Aus Vivaldis reichhaltigem Repertoire Arien, Duetten und Instrumentalstücke auszuwählen und ein neues Pasticcio dramaturgisch zusammenzustellen, ist natürlich eine großartige, aber auch anspruchsvolle Aufgabe. Im Repertoire von Hotel Metamorphosis sind nicht nur allseits bekannte Musikstücke wie etwa Dell'aura al sussurrar aus Dorilla in Tempe oder Agitata da due venti aus La Griselda zu hören, sondern es wurden auch weniger bekannte Werke wiederentdeckt. Genau deswegenist das Pasticcio kein einfaches „Vivaldi-Jukebox-Musical“. Der Reiz besteht vielmehr darin, dass es Kosky und seinem Team ermöglicht wurde, ausschließlich Meisterstücke von Vivaldi auszuwählen. Natürlich ist das eine Herausforderung für die Sänger:innen. Wie bereits erwähnt, werden die Rezitative durch gesprochene Texte ersetzt – die Sänger:innen müssen deswegen jederzeit bereit sein, eine anspruchsvolle Arie mit typischer Koloraturtechnik der Barockzeit einzusetzen.

Exzellente Solist:innen, herausragendes Ensemble, ideenreiches Produktionsteam
Cecilia Bartoli spielt Eurydice/Arachne. Ihre gesangliche Technik und Ausdruckskraft sind unbestritten. Mit beeindruckender Leichtigkeit beherrscht sie beide Rollen – stimmlich wie darstellerisch. Die französisch-italienische Mezzosopranistin Lea Desandre spielt Status/Myrrha/Echo. Ihre Darstellung von Myrrha und Echo zeigt zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Myrrha ist schüchtern und zurückhaltend. Sie hat sich in ihren eigenen Vater verliebt, wagt es aber nicht, ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Vorsichtig und leise gesteht sie ihre Liebe, singt in Melancholie eine ergreifende Melodie. Lea Desandres Stimme wirkt zutiefst überzeugend und lässt das Publikum Mitgefühl für Myrrha empfinden. Die russisch-schweizerische Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina - Trägerin des Herbert-von-Karajan-Preises 2025 - spielt Minerva/Nutrice/Juno. Sie wechselt beeindruckend mühelos zwischen hohen und tiefen Lagen. In der Rolle der Minerva tritt sie verkleidet als alte Frau auf. Ihr Gesang passt sich der Szene humorvoll an und bereitet dem Publikum große Freude. Der französischer Countertenor Philippe Jaroussky spielt Pygmalion/Narcissus. Seine Stimme ist klar, warm und sanft. Man spürt die Emotionen, die er in jede einzelne Note legt. Seine Darstellung des Narcissus bleibt unvergesslich. Das Orchester Les Musiciens du Prince - Monaco unter musikalischer Leitung von Gianluca Capuano spielt äußerst präzise und agiert wie aus einem Guss. Tanz spielt eine entscheidende Rolle in dieser Inszenierung. Fast jede Verwandlung der Protagonisten:innen wird von sorgfältig choreografierten, erzählerischen Tanzeinlagen begleitet. Otto Pichlers Choreografie bringt die zeitlose Schönheit von Vivaldis Musik zum Ausdruck: Die Kombination von Barockmusik und modernem Tanz ist kein Gegensatz, sondern ein spannungsvoller Dialog, der kreative Funken entfacht. Auch das Bühnenbild von Michael Levine und die Kostüme von Klaus Bruns sind äußerst eindrucksvoll. Es gelingt ihnen, für die fünf unterschiedlichen Geschichten markante Szenerien und charakteristische Kostüme zu entwerfen.

Man merkte gar nicht, wie schnell die vier Stunden vergingen. Am Ende der Oper hebt Eurydike den von den bacchantischen Frauen abgeschlagenen Kopf des Orpheus auf und küsst ihn voller Zärtlichkeit. In diesem Moment rezitiert Angela Winkler das Gedicht „Lösch mir die Augen aus“ aus „Das Stunden-Buch“ von Rainer Maria Rilke. Diese Szene – untermalt von Rilkes Versen – ruft unweigerlich Erinnerungen an Richard Strauss’ Oper Salome wach. Vielleicht ist Hotel Metamorphosis Koskys Geschenk an Salzburg.