Salzburg, Festspiele, Haus für Mozart, GIULIO CESARE IN EGITTO – G. F. Händel, IOCO
Salzburgs Festspiele starten 2025 packend: Tcherniakov verlegt Händels "Giulio Cesare" in einen Luftschutzbunker – intensives Spiel, starke Stimmen und Haïms feinsinnige Musikalität sorgen für Spannung und Begeisterung.

von Getong Feng
Ohne jede Vorwarnung ertönt im Haus für Mozart der Luftalarm – ein offizieller Evakuierungsbefehl. Alle müssen sich in kürzester Zeit in den Schutzraum begeben. Eine angespannte Kriegsatmosphäre breitet sich auf der Bühne aus. Die acht Protagonist:innen aus Händels Giulio Cesare in Egitto werden gezwungen, sich gemeinsam in einen unterirdischen Luftschutzbunker zu flüchten. Die plötzlich bebende Decke, das Erlöschen der Glühbirnen sowie Schüsse und Explosionen machen klar: Diese Opernaufführung ist voller unerwarteter Zwischenfälle. Keine Sorge – Das Publikum ist nicht nur in Sicherheit, sondern wird auch von der brillanten Darbietung der Sänger:innen und Musiker:innen einen unvergesslichen Abend bei den Salzburger Festspielen erleben.
Am 26. Juli eröffnete der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov in Zusammenarbeit mit der französischen Dirigentin Emmanuelle Haïm mit dieser beeindruckenden Barockoper die Salzburger Festspiele 2025. Ohne Zweifel war dies ein äußerst gelungenes Salzburg-Debüt für beide. Die Oper Giulio Cesare in Egitto wird im Rahmen des Festivals zwischen dem 26. Juli und dem 17. August insgesamt siebenmal zur Aufführung gebracht.

Giulio Cesare im Bunker
Das eindrucksvollste Element dieser Inszenierung ist zweifellos das realistisch und detailgetreu nachgebaute Bühnenbild eines Luftschutzbunkers. Dmitri Tcherniakov strebt eine möglichst intensive Interaktion zwischen Opernbühne und Publikum an, deshalb reicht die Bühne weit in den Zuschauerraum hinein.
Tcherniakov hat den Bunker in drei Räume unterteilt und die Protagonisten klar gruppiert: Cesare mit seinem Begleiter Curio, Cleopatra mit ihrem Vertrauten Nireno, Cornelia mit ihrem Sohn Sesto, Tolomeo mit seinem Gefolgsmann Achilla – sowie die stumme Rolle des Pompeo. Die oben genannten „Paare“ haben jeweils ihren relativ festen Aktionsraum, was es dem Publikum erheblich erleichtert, sich visuell die Rollen und Handlungsverläufe einzuprägen. Dadurch wird die komplexe Handlung der Oper mit ihren parallel verlaufenden Erzählsträngen durch den Bühnenraum übersichtlich strukturiert, sodass das Publikum dem roten Faden des Regisseurs leicht folgen und die Handlung gut nachvollziehen kann.
Der Bunker als Schauplatz entkleidet die Handlung von Giulio Cesare aller Inszenierungsästhetik – sie wird unverhüllt und schonungslos gezeigt. Tcherniakov zeigt ausschließlich den Menschen. In diesem Luftschutzbunker dreht sich alles ums Überleben. Alle sind gleich – ohne Klassen, ohne Hierarchien. Die Intrigen und das Machtspiel des Librettos bleiben zwar vollständig erhalten, doch gerade in der beklemmenden Atmosphäre von Krieg und Enge entfalten Schuld und Schmerz jedes Einzelnen eine besonders dramatische Wirkung. In der dunklen, abgeschotteten Umgebung scheint die Zeit stillzustehen, ja beinahe eingefroren. Die Menschen im Bunker versuchen einfach nur, sich die Zeit zu vertreiben. Man erlebt hier die menschliche Natur in so einer Extremsituation: ständiger Kampf, ständige Lebensgefahr. Unweigerlich fühlt man sich an Jean-Paul Sartres Drama Huis clos (Geschlossene Gesellschaft) erinnert, insbesondere an jenen berühmten Satz: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Die Hölle ist der Blick und das Urteil derer, denen man in diesem engen Raum nicht entkommen kann.
Das Spiel der Sänger:innen entspricht dieser Bühnenkonzeption. Meistens befinden sich alle acht Protagonist:innen gleichzeitig auf der Bühne. Durch die gezielte Ausleuchtung einzelner Bereiche des Bunkers lenkt das Bühnenlicht die Aufmerksamkeit des Publikums auf die jeweils singende Figur – dies ist dem präzisen Bühnenlicht von Lichtdesigner Gleb Filshtinsky zu verdanken.
Ich glaube nicht an ein „lieto fine“
Im originalen Libretto von Nicola Francesco Haym krönt Cesare Cleopatra zur Königin, die nun durch die Freundschaft mit Rom über Ägypten herrscht. Cesare umarmt Sesto und bietet ihm seine Freundschaft an. Freundschaft und Liebe sichern einen langen Frieden. In der Inszenierung von Tcherniakov ist es aber auf keinen Fall ein „lieto fine“. Er glaubt nicht an ein Happy End und geht davon aus, dass Feindseligkeit dem Menschen eingeboren ist. Dagegen hilft kein Zivilisationsgrad, dieser Wesenszug verschwindet nie.
Auch wenn es kein Happy End gibt und jeder sich in einem gnadenlosen Kampf ohne Regeln befindet, bedeutet das nicht, dass diese Inszenierung nur die grausame Seite der Menschlichkeit in Giulio Cesare zeigt. In den Protagonist:innen stecken viele unterschiedliche Seiten, wie in uns allen. Sie sind gleichzeitig stark und feige, Held und Schuft. Tcherniakov versucht, die Vielschichtigkeit der menschlichen Natur zu zeigen. Er hat in viele kleine Interaktionen zwischen den Figuren humorvolle Momente eingestreut, was immer wieder für Lacher im Publikum sorgt. Die Abstimmung zwischen humorvoller Bewegung und Musik ist dabei sehr durchdacht und wirkungsvoll gestaltet. In einer Darbietung, die zwischen Anspannung und Entspannung wechselt, werden die Zuschauer:innen schnell merken, dass sie es nicht mit antiken Helden, sondern mit heutigen Menschen zu tun haben.

Ein insgesamt starkes Ensemble
Die Rezitativ-Passagen des Librettos sind vom Produktionsteam gekürzt, wodurch an einigen Stellen die Arien fast nahtlos ineinander übergehen. Dies beschleunigt nicht nur den Handlungsverlauf, sondern steigert auch die dramatische Wirkung der Aufführung. Für die Sängerinnen und Sänger bedeutet das jedoch eine zusätzliche Herausforderung: Sie müssen Händels wunderschöne, aber mit Koloraturen gespickte Arien in hoher Intensität darbieten.
Die Alte-Musik-Spezialistin Emmanuelle Haïm übernimmt die musikalische Leitung und das Cembalo und führt das Ensemble Le Concert d’Astrée zu einer perfekten Interpretation von Händels Musik. Auf der Bühne eine Gruppe von barockerfahrenen Sänger:innen: vier Countertenöre, ein Sopran, ein Mezzosopran und zwei Baritone – das Ensemble ist außergewöhnlich.
Die ukrainische Sopranistin Olga Kulchynska gab ihr Festspiel-Debüt und auch das Rollen-Debüt als Cleopatra. Sie verkörperte die Rolle mit großem Erfolg. Cleopatras berühmte Arien wie V’adoro pupille (Ich bete euch an, ihr Augen) und Piangerò la sorte mia (Ich werde mein Schicksal beweinen) interpretierte sie bewegend und mit poetischer Tiefe. Besonders hervorzuheben ist die originelle Inszenierung der Arie V’adoro pupille: Das Orchester befindet sich über dem Bühnenbunker. Nach einem unerwarteten Knall richtet sich das Licht auf Cleopatra, der Vorhang über dem Bunker hebt sich langsam, und die Musik scheint vom Himmel herabzuströmen – eine Szene von großer Eleganz und Erhabenheit. Die Kostümbildnerin Elena Zaytseva entwarf für sie ein auffälliges Outfit: eine lange rosa Perücke, eine Kunstfelljacke in Pink und schwarze Lederhose. Im Verlauf der Handlung taucht man immer tiefer in Cleopatras Innenwelt ein, sie legt ihre äußere Maske allmählich ab, bis schließlich ihr kurzes schwarzes Haar zum Vorschein kommt. Countertenor Christophe Dumaux als Cesare beeindruckte das Publikum gleich zu Beginn mit seinen kristallklaren Koloraturen und überzeugenden Interpretation von Empio, dirò, tu sei (Frevler, ich sage: Du bist es!).
Außerdem zeigen alle Sängerinnen und Sänger auf der Bühne eine herausragende darstellerische Leistung. Ran Arthur Braun entwirft als Kampfchoreograf die Kampfszenen. Viele der Szenen beinhalten schwierige Kampfeinlagen oder riskante Stürze aus gewisser Höhe. Als Zuschauer kann man nicht umhin, mitzufiebern. Doch Sänger:innen meistern nicht nur ihre gesanglichen Partien brillant, sondern führen auch die körperlich anspruchsvollen Choreografien fehlerfrei aus. Dafür verdienen sie stehenden Applaus.
Ein Auftakt mit Begeisterung – großer Jubel bei der ersten Opernpremiere der Salzburger Festspiele 2025.