Salzburg, Festspiele, Großes Festspielhaus, WIENER PHILHARMONIKER - Franz Welser-Möst, IOCO
Die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst überzeugten in Salzburg mit einem kontrastreichen Programm: Weinbergs vielschichtige 2. Sinfonie und Bruckners monumentale 9. d-Moll vereinten Präzision, Klarheit und spirituelle Tiefe zu einem eindrucksvollen Konzerterlebnis.

von Marcel Bub
Miteinander vertraut und sich gegenseitig wertschätzend, präsentierten die Wiener Philharmoniker mit Franz Welser-Möst auf routiniert hohem Niveau eine sich klassisch in den etablierten Bahnen bewegende Interpretation zweier höchst unterschiedlicher Werke von Mieczysław Weinberg und Anton Bruckner. Bevor nach der Pause in unaufgeregter Monumentalität Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll zu erleben war, erfüllte die in ihrer komplexen Diversität und atmosphärischen Wandelbarkeit berührende Sinfonie Nr. 2 op. 30 von Weinberg das Große Festspielhaus. Programmatisch treffend zusammengestellt, endete diese vergewissernde Aufführung mit großem Applaus und stehenden Ovationen.

In seiner im Winter 1945/46 entstandenen zweiten Sinfonie für Streichorchester beginnt der erste Satz mit einem träumerisch-sanft anmutenden Schweben, das sich schnell in prägnant vorantreibende Unruhe wandelt. Immer wieder wechseln sich machtvolles Schreiten oder dramatisches Marschieren mit Momenten erstrahlender Auflösung ab. Atmosphärisch angespannt, drücken sich hier sowohl herbe Schmerzensklage als auch kraftvolle Zuversicht aus. Während weite Teile Weinbergs Familie von den Nationalsozialisten ermordet wurden, gelang dem jungen Komponisten vorerst die Flucht in die Sowjetunion, wo sich dann jedoch bald die Schrecken des Stalinismus immer mehr radikalisieren sollten.
Präzise, klar und kraftvoll ließen die Wiener Philharmoniker diesen kompositorisch faszinierenden Beginn des Werks erklingen. Welser-Möst, die allgemeine Struktur gestaltend, bewegte sich dabei stetig zwischen orchestraler Autonomie und punktuellem Akzentuieren. Im zweiten Satz kam die schneidend-einnehmende Klanggewalt des groß besetzten Streichorchesters erneut kraftvoll zur Geltung. Dunkel und melancholisch spannt auch dieser Teil der Sinfonie einen Bogen zwischen schockierender Intensität und zarter Zerbrechlichkeit. Auf expressive Klangspitzen und aufbrechenden Ausdruck wurde in dieser Interpretation zugunsten abgestimmter Stabilität und einnehmender Gravitas verzichtet. Innere Zerrissenheit und perspektivische Uneindeutigkeit treibt Weinberg im dritten Satz schließlich auf teils groteske Spitzen. Erschauderndes Pizzicato, tänzerische Elemente und beängstigendes Wanken brechen immer wieder ins Groteske. Vor dem Hintergrund eindringlich drückender Violoncelli schnitten die Violinen der Wiener Philharmoniker hier immer wieder mit brutaler Härte in diese bittere Heiterkeit. Weinbergs exzellentes Werk endet schließlich im langsam erliegenden Tanz, jede Bewegung erstarrt. Es ist ein Glücksfall, dass diesem Komponisten auch in diesem Jahr wieder ein solcher Raum eingeräumt wurde. Erst in der vergangenen Festivalausgabe beeindruckte dessen erschütternde Oper „Der Idiot“ auf allen Ebenen.

Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll artikuliert in seiner Monumentalität und spirituellen Dichte den tiefen Glauben des Komponisten und findet dabei eine musikalische Sprache ergreifender Strahlkraft. Als unvollendetes Werk gilt es zugleich als eines der visionärsten und modernsten des Komponisten. Die für Bruckners Werke so kennzeichnende kathedrale Architektur löst sich hier teilweise ins Unvorhersehbare, Fragmentierte und Dissonant-Atonale auf. Atmosphärisch wird sich zwischen existenzieller Dramatik und melancholischer Jenseitigkeit bewegt. Feierlichkeit und mystisches Aufbäumen des ersten Satzes entfalteten sich im kontrolliert kraftvollen Klang der Wiener Philharmoniker auf monumentale Weise. Die dramatischen Kontraste, großen Steigerungswellen und erstrahlenden Bögen interpretierten die Musikerinnen und Musiker auf der Basis einer kompakten und dichten Klangstruktur, die vom Dirigenten rahmengebend zusammengehalten wurde. Als dramatisches Herzstück erinnert der zweite Satz Bruckners Komposition in seiner bewegten Lebendigkeit an einen ungestüm bedrohlichen Tanz, getrieben von schroffen Rhythmen, durchzogen von gewaltvollen Einschnitten. Sich langsam aufbäumend und in kantigen Klangsalven entladend, setzten Orchester und Dirigent erneut auf kontrollierte und kompakte Intensität. Im Adagio des dritten Satzes ließ Welser-Möst mit seiner auch hier zwischen allgemeiner Strukturgebung und punktueller Akzentuierung changierenden Leitung die feierliche Strahlkraft und Erhabenheit in abgerundeter Heftigkeit erklingen. Komponiert als eine Reflexion über Sehnsucht, Abschied und das spannungsgeladene Dazwischen von Diesseits und Jenseits, kulminierte schließlich alles in andächtiger Spannung. In diese erfüllende Stille brach der herzliche Applaus eines zufriedenen Publikums. Die Wiener Philharmoniker und Welser-Möst präsentierten zwei kompositorische Meisterwerke und schufen in ihrer bekannt-bewährten Interpretation abermals klassische Referenzpunkte.