Rouen, Opéra Normandie, L’Uomo femina - B. Galuppi, IOCO
18.12.2025
Mi fai ridere…
Che mondo!
Che governo deve essere questo,
E che strano modo di operare.
Famiglie povere governate…
Da un uomo!
Se quello che dici è vero,
E trovo difficile crederci:
Che mondo caotico!
(Cretidea /1.Akt / Szene 10 / Auszug)
Hier wird die bestehende Ordnung (wahrscheinlich) gefährdet …
Baldassare Galuppi (1706-1785), zu seiner Zeit berühmter als Antonio Vivaldi (1678-1741) war eine der führenden Figuren der italienischen Barockoper, er komponierte eine fulminante, virtuose und funkelnde Musik zu einem Libretto mit einer atemberaubenden Handlung. Auf einer traumhaften Insel sind die Rollen vertauscht: Die Frauen befehlen, führen Schlachten und erobern Liebhaber. Während diese Komödie vor drei Jahrhunderten vielleicht lächerlich gewirkt hätte, klingt sie heute ganz anders und wirft die hochaktuelle Frage nach weiblicher Macht auf. In einer Inszenierung, die durch raffinierte Verkleidungen Burleske und Reflexion spielerisch miteinander verbindet, beleuchtet die französische Schauspielerin und Regisseuren Agnès Jaoui auf humorvolle Weise aktuelle Themen. Aufgeführt von Barockspezialisten, darunter die bezaubernde französische Mezzo-Sopranistin Lucile Richardot, ist diese Aufführung ein ebenso mitreißendes wie eindrucksvolles Erlebnis von Theater und Musik.

Das lange Leben eines großen Werkes…
Der auf der Insel Burano bei Venedig geborene Galuppi war ein äußerst produktiver Komponist, der sich lange Zeit der geistlichen Musik widmete und gleichzeitig auch zur Entwicklung der noch jungen Operngattung mit über hundert Opern, sowohl komische als auch tragische, an der Entwicklung teilnahm. Unter dem Beinamen „Il Buranello“ war er in ganz Europa berühmt, von Italien bis Russland, wo er 1765 von der Zarin Katharina II. der Großen (1762-1796) zum Hofkomponisten in St. Petersburg ernannt wurde. Seine Oper Il re pastore (1762) wurde ebenfalls in Venedig zu Ehren des späteren Monarchen Kaiser Joseph II. von Habsburg (1741-1790) aufgeführt.
Die Uraufführung von L’Uomo femina im Jahr 1762 war ein großer Erfolg und wurde am Teatro della Cava in Pavia wiederaufgeführt. Obwohl das Libretto anonym veröffentlicht wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Autor Pietro Chiari (1712-1785), ein Rivale von Carlo Goldoni (1707-1793) war, den Text schrieb. Diese Oper greift somit das Thema der Mondo alla roversa von 1750 auf – ein Libretto von Goldoni und ebenfalls mit der Musik von Galuppi - , deren Handlung ebenfalls auf einer von Frauen regierten Insel spielt.

Das Werk geriet daraufhin in Vergessenheit und die Partitur wurde erst 2006 in der Bibliothek des Palais von Ajuda in Lissabon in perfektem Zustand wiederentdeckt: Bis auf drei Arien! Der französische Dirigent Vincent Dumestre und das Barock-Ensemble Le Poème Harmonique haben sich der Herausforderung gestellt, diese Partitur drei Jahrhunderte später wiederzubeleben und sind dabei mit einem relativ kleinen Orchester dem Original treu geblieben, wie jenes, das Galuppi 1762 im Teatro San Moisè benutzte und das den Klangcharakter von Venedig dieser Epoche widerspiegelt: Violinen, Bratschen, Cellos, Cembalo, Laute, Mandoline, Hörner und Oboen. Diese Instrumente wurden von Galuppi selbst gefertigt. Jaouis Inszenierung hinterfragt mit einem Lächeln einer Herrscherin die absolute Legitimität und entwirft mit Vergnügen eine Welt, in der Frauen über alles herrschen und bleibt so dem Ton dieses freudigen Dramas treu.
„Die Zeit hat sein Genie verschont“…
„Donnerstag, der 16. Mein Besuch bei Galuppi heute Morgen war lang, lehrreich und angenehm. Ich war erfreut festzustellen, dass die Zeit nicht nur das Genie dieses großen Komponisten, sondern auch seine Persönlichkeit bewahrt hat. Er ist nach wie vor lebhaft, geistig rege und wird noch viele Musikliebhaber für lange Jahre begeistern. Sein Wesen, seine Konversation, seine Natürlichkeit zeugen von Witz und Charme. Er ist sehr hager und hat ein schmales Gesicht, aber ansonsten wirkt er wie ein echter Gentleman. Galuppi war Schüler des berühmten Antonio Lotti (1667-1740) und machte sich schon früh einen Namen als begabter Cembalist und besonders als Kompositions-Genie! Er stellte mich auch freundlicherweise der Signora Galuppi vor; er zeigte mir sein Haus und ein bewundernswertes Gemälde von Paul Véronèse (1528-1588), das ein schlafendes Kind darstellt und sich seit Langem im Besitz der Familie seiner Frau befindet. Er führte mich in sein Schlafzimmer und in sein Arbeitskabinett, wo er nur ein kleines Cembalo besaß. Als er hereinkam, sagte er zu mir: „Hier verkritzele ich viel Papier!“ Seine Familie war sehr groß, aber alle seine Kinder, bis auf drei oder vier, sind gut verheiratet. Er selbst macht den Eindruck eines sehr angesehenen Familienvaters. In Venedig wird er sowohl für seinen Charakter als auch für sein öffentliches Wirken geschätzt. Er scheint etwas schockiert über die Förderung und den Schutz zu sein, die einige ungebildete Geistliche, darunter F…, ihm erteilen wollen, denn hier erfahren sie, dass er mehr als ein berühmter Komponist ist.

Tatsächlich ist Galuppi - abgesehen von Antonio Sacchini (1730-1786) – wohl einer der ganz Großen unter den Musikern dieser Stadt: Er ist in Venedig so bedeutend wie ein Riese unter Zwergen! Auf meine Bitte hin versprach er mir freundlicherweise ein noch unveröffentlichtes Stück seiner Kompositionen, das ich als Erinnerungsstück und Zeichen meiner Freundschaft aufbewahren werde. Ich zeigte ihm meinen Plan: Wir unterhielten uns sehr angeregt über Musik und Musiker und unsere Ansichten ähneln sich. Seine Definition von guter Musik, die ich bewundernswert finde, obwohl sie sehr kurz ist, ist sehr durchdacht. Sie besteht, sagt er: Aus Schönheit, Klarheit und guter Modulation.“
(Charles Burney (1726-1814), The Present State of Music in Germany, the Netherlands, France and Italy - 1809/1810)
Zur Aufführung in der Opéra Normandie Rouen / Rouen am 18. Dezember 2025:
Die fragile Umkehrung der Geschlechter…
Das Orchester der Opéra Normandie Rouen führte in zwei Aufführungen L’Uomo femina von Galuppi auf, das vor einem Jahr an der Opéra de Dijon wiederaufgeführt und anschließend in Caen und Versailles präsentiert wurde. Jaoui inszenierte diese von Dumestre wieder „uraufgeführte“ Oper.

Die 2006 in Lissabon wieder entdeckte Partitur erzählt eine einzigartige Geschichte. Auf einer von einer Frau regierten Insel werden zwei Schiffbrüchige von zwei Kriegerinnen gerettet, die sich sofort in sie verlieben. Auch die Königin Cretidea erliegt dem Charme einer der Fremden, was die jahrhundertalte Ordnung ins Wanken bringt.
Zwischen Barock und Klassizismus…
Galuppis Musik bewegt sich zwischen Barock und Klassik! Manchmal weicht die Da-capo-Arie melodisch, die von einem Alberti-Bass getragen werden – oder Vokalensemble -, die an Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) erinnern, wie etwa das Schlusssextett des ersten Akts ab. An anderer Stelle erinnern Rezitative und Arien mit Basso continuo an Vivaldi, mit dem der Komponist zu jener Zeit eine gewisse Popularität teilte. Diese Verschmelzung der beiden Stile ist in der gesamten Oper ein wiederkehrendes Motiv. So folgt beispielsweise auf Robertos Recitativo secco, begleitet von zwei Theorben, eine Arie sehr im Stil von Mozart gehalten den ersten Akt . Im zweiten Akt werden in eine Arie, die wiederum von Roberto gesungen wird, ungewöhnlich dissonante Harmonien eingefügt. Ist dies als bewusster Versuch zu deuten, einen Mann aus einer fremden Welt darzustellen, in der zwei Kulturen aufeinandertreffen, oder einfach nur als Offenheit des Komponisten für einen anderen Kompositionsstil? Diese Frage bleibt wohl offen!
Dumestre installierte sein Ensemble Le Poème Harmonique für eine kleines Orchester, ähnlich dem, das Galuppi verwendete und das den Klangcharakter Venedigs jener Zeit widerspiegelt. Die Mandoline, deren Klang sofort ins Ohr geht, sticht als klangliches Leitmotiv hervor, während Oboen und Hörner bestimmten Szenen eine besondere Note verleihen. Der Dirigent füllte zudem die Lücken in der Partitur mir Arien aus anderen Opern des Komponisten. Das Libretto, das Chiari zugeschrieben wird und in Bologna aufbewahrt wird, liefert nicht nur Informationen über das Werk selbst, sondern auch über die Bühnenpraktiken jener Zeit – Elemente, die Jaouis Inszenierung prägten!
Eine neu zusammengesetzte Antike…
Mit L’Uomo femina führt Jaoui nach der Freilichtaufführung von Tosca (1900) von Giacomo Puccini (1858-1924) im Jahr 2019 zum zweiten Mal Regie. Anstatt die Handlung zu aktualisieren, verlegt sie sie in die Antike. Zwar wird die Antike zu Beginn als Symbol für die Herrschaft der Frauen im französischen Kaiserreich angeführt, doch präsentiert sich die Bühne primär als eine Ansammlung vielfältiger Bildelemente.

Das einzigartige Bühnenbild des französischen Bühnenbildner Alban Ho Van erinnert an einen italienisch-maurischen Palast: Im Innenhof grenzt ein Bauwerk an Fra Angelicos (1395-1455) Annunciazione di San Giovanni Valdarno (1432); im Garten schließt sich ein mediterran anmutender Brunnen an, dessen durch Glas einen Blick in den Harem erhascht – ein Ausdruck von unverhohlenen Luxus im Hintergrund vervollständigt eine malerische Landschaft das Ensemble. Der französische Kostümbildner Pierre-Jean Larroques bietet eine kontrastreiche Interpretation der Beziehungen zwischen Männern und Frauen! Die prächtigen, schimmernden Stoffe von Königin Cretidea und den Kriegerinnen Ramira und Cassandra stehen im Kontrast zu den die Brust betonenden Rüstungen der Soldatinnen, während Gelsomino, der Günstling der Kaiserin und ihre beiden Akolythen, die alle sehr auf ihr Äußeres bedacht sind, Kleider tragen, die ihre Figuren hervorheben. Unter den Schiffbrüchigen behält Roberto ein einfaches Hemd, das paradoxerweise zum Symbol der Männlichkeit wird, während sein Diener Giannio, der später in den Harem aufgenommen wird, einen modernen Anzug trägt, komplett dazu Schuhe mit hohen Absätzen und einer kleinen Handtasche.
Die Regie der Sänger-Schauspieler bleibt eher einfach und einige Räume – insbesondere das Innere des Harems – bleiben ungenutzt. Es sind vor allem bestimmte Bilder mit ihrer eindrucksvollen visuellen Schönheit, die durch die phantastische Lichtgestaltung des französischen Lichtbildner Dominique Bruguiera noch verstärkt werden, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Eine ausgewogene Verteilung…
Die sechs Rollen profitieren von einer wunderschönen und ausgewogenen Besetzung mit sechs hochtalentierten französischen Sängern. Die Mezzo-Sopranistin Eva Zaïcik überzeugt als Cretidea mit ihrem charakteristisch kontrollierten Gesang und einem vollen, warmen Timbre, auch wenn man sich für die Darstellung einer autoritären und diktatorischen Königin mitunter etwas mehr Wildheit wünschen würde. Die Mezzo-Sopranistin Victoire Bunel verkörpert brillant die willensstarke Cassandra und offenbart eine Großzügigkeit, die sich immer wieder in abwechselnd impulsiven und zärtlichen Gefühlsausbrüchen äußerst. Die dritte Mezzo-Sopranistin an diesem ereignisreichen Abend war Lucile Richardot mit ihrem einzigartigen tiefen Timbre in der Rolle der Ramira nach wie vor ein Genuss, obwohl die hohen Töne an diesem Abend wohl etwas schwer zu erreichen waren. Der Bariton Victor Sicard setzt sein ganzes stimmliches Können ein, um Roberto zu gestalten, einen Schiffbrüchigen, der an einer virilen und hierarchischen Weltanschauung festhält. Der Tenor François Rougier interpretiert Giannino mit einer soliden Stimme, die es ihm ermöglicht, sich subtil an die verschiedenen Situationen anzupassen, denen seine Figur ausgesetzt ist. Der afro-französische Bariton Anas Séguin glänzt schließlich als Gelsomino in allen Bereichen, von der Diktion bis hin zu den manierierten Ausdrücken und bewahrt dabei angesichts der Rolle einen Hauch paradoxer Männlichkeit; die Gewalt, die er seinem Rivalen antut, offenbart letztlich eine männliche Natur, die der Autor als gegeben hinzunehmen scheint.
Die Rückkehr zur „Ordnung“…
So erweist sich das Ende der Oper als rätselhaft und etwas enttäuschend.: „Lasst die verwerfliche Praxis, Männer in Frauen zu verwandeln! Das muss aufhören! Zwischen Unterröcken und Hosen muss ein wenig Abstand geschaffen werden“, singen Cretidea, Roberto, Ramira, Cassandra, Gelsomino und Giannino im Chor, nachdem die Königin sich Robertos Willen unterworfen hat: „das männliche Geschlecht in unserem Land beweist seine Stärke, seine Vernunft, seinen Mut, sein Wissen und seine Tugend“ […] (3. Akt, Szene 6).
Letztlich war die Insel der Frauen nur eine Utopie und der Rollentausch leider nichts weiter als ein Unterhaltungsinstrument: Wie der Karneval in Venedig!..