Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert Musik Festival Radebeul 2025, IOCO

Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert  Musik Festival Radebeul 2025, IOCO
Plakat Musik Festival Radebeul 2025 copyright Marianne Thielemann


7. September 2025

Junge Musiker spielen Samuel Coleridge-Taylor, William Schinstine und Peter Tschaikowsky

Der Veranstaltungsraum des sanierten „Kulturdenkmals Lößnitzgrundbahn“ „Historischer Güterboden“ ist eine 800-Quadratmeter-Halle mit einer Höhe von 4,7 Metern und war im Jahre 1899 für die Güterabfertigung erbaut worden. Die „Schuhschachtel“ bietet etwa 500 Personen Platz, denn an der Rückwand nehmen drei rekonstruierte Schmalspur-Dampflokomotiven Raum ein.

In diesen interessanten „Konzertsaal“ hatte das Radebeul Musik Festival- Albrecht Menzel &Friends zu seinem Abschlusskonzert der Saison 2025 mit Werken von Samuel Coleridge-Taylor (1875-1912) und Peter Tschaikowsky (1840-1893) eingeladen.

Es war im „British Empire“ keine Seltenheit, dass Studenten aus den Kolonialländern nach London gingen, um sich dort mit ihren Fähigkeiten zu etablieren. Auch der aus Sierra Leone stammende Medizinstudent Daniel Peter Hughes Taylor (wahrscheinlich 1848-1804) wollte sich nach seiner Promovierung in der Stadt niederlassen. Mit einem Eheversprechen verführte er im Jahre 1874 die Engländerin Alice Hare Martin (1856-1953). Als die junge Frau schwanger geworden war, verließ der junge Doktor der Medizin fluchtartig England mit unbekanntem Ziel, so dass der am 15. August 1875 im Stadtteil Croydon geborene Samuel Coleridge-Taylor in der Familie seiner Mutter aufwachsen musste. Besonders der Großvater, ein Hufschmied und leidenschaftliche Freizeit-Violinist, kümmerte sich intensiv um Samuel und erkannte früh die musikalische Begabung. Vom Großvater erhielt Coleridge-Taylor die ersten Fertigkeiten des Geigenspiels. Auch sorgte der Großvater zügig für professionellen Unterricht, so dass Samuel bereits im Alter von acht Jahren vor Publikum auftreten konnte. Mit einem Stipendium studierte er am Royal College of Music bei dem irischen Komponisten Sir Charles Villiers Stanford (1852-1924). Seine gemischte Abstammung brachten dem jungen Mann schon früh rassistische Anfeindungen, so dass er als erfolgreicher Komponist zu einem entschiedenen Verfechter der Rassengleichheit wurde. Während er in der britischen Gesellschaft einen zwiespältigen Platz einnahm, verschaffte Samuel Coleridge-Taylors erster großer Erfolg, die Kantatentrilogie „Das Lied von Hiawatha“ nach einem indianischen Heldenepos, vor allem in Nordamerika  große Anerkennung. Seine späteren Werke waren von seinem Bewusstsein für sein afrikanisches Erbe geprägt. Mit seiner Hinwendung zu afrikanischer sowie afroamerikanischer Musik wollte er den Glauben an die Überlegenheit der europäischen Musik in Zweifel stellen und eine kraftvolle Koexistenz aller Kulturen gestalten. Die Manuskripte seiner unvollendet hinterlassenen Oper Thelma wurde von der britischen Musikwissenschaftlerin Catherine Carr rekonstruiert und mit einem Libretto ergänzt im Jahre 2012 uraufgeführt.

Mit nur 37 Lebensjahren verstarb Samuel Coleridge-Taylor an einer Lungenentzündung.

Die im Konzert gebotenen vier kleinen Stücke aus dem Zeitraum der Jahre 1901 und 1902 nannte Samuel Coleridge-Taylor nach Robert Schumanns Vorbild „Vier Novelletten für Streicher op. 52“. Schumann hatte den Begriff von der literarischen „Novelle“, der kleinen Erzählung, abgeleitet. Der unmittelbare Anlass der Namensgebung dürfte allerdings Schumanns Verehrung der englischen Sopranistin Clara Novello (1818-1908) gewesen sein, als diese im Winter 1837/1838 in Leipzig gastiert hatte.

Güterboden Radebeul copyright Marianne Thielemann

Um den Gründer und künstlerischen Leiter des Musik Festival Radeberg Albrecht Menzel hatte sich ein junges Solisten-Ensemble herausragender Instrumentalisten mit wundervollen, zum Teil namhaften Instrumenten, gruppiert. Einige der Musiker unterrichten inzwischen bereits die Begabten der nächsten Generation. So lehrt die Violinistin Alissa Margulis als Professorin an der Folkwang Universität der Künste, hat der Perkussionist Alexej Gerassimez eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater in München und erhielt die Bratschistin Hiyoli Togawa einen Lehrauftrag der HMT München für den Nachwuchs ihres Instruments. Von den im Güterboden vorgestellten Instrumenten wären neben Albrecht Menzels Stradivari „Lady Hallè/Ernst“ besonders Felix Brunnenkants Violoncello aus dem Jahre 1670 aus der Cremonenser Werkstatt Francesco Ruggeri (um 1630-1698) und die italienische Viola aus den 1880-er Jahren der Dana Zemtsov zu erwähnen.

Besonders hat uns die Begegnung mit dem aus Spanien stammenden David Santos Luque gefreut. Er ist Preisträger des in Rostock zum Andenken an den Kontrabassisten Johannes Matthias Sperger (1789-1812) stattfindenden Wettbewerbs des Jahres 2022.

Ensemble copyright Marianne Thielemann

Die von Coleridge-Taylor brillant ausgearbeitete Reihe kurzer Sätze für Streicher und Tamburin mit Triangel vermischten die Möglichkeiten einer modernen Streicherformation mit romantischen Sentimentalitäten. Besonders gefiel die Aufführung der farbig und dicht orchestrierten Novelletten durch ihren intensiven, rhythmischen Klang und ihrem leichten Gefühlsüberschwang.

Der erste Satz führte die Hörer in einen europäischen Ballsaal und wirkte zunächst wie ein schwungvoller Wiener Walzer, bis dessen behagliche Tonalität verblüffend von einem entlehnten Akkord aufgebrochen wurde. Damit wirkte das Allegro moderato wie ein schwungvolles Zwischenspiel, das durch den Perkussionisten Alexej Gerassimez befeuert wurde.

Im Larghetto kontrastierten abwechselnd zwei tanzartige Abschnitte. Das erste Thema wurde von einer divergierenden Tonfolge abgelöst, bis das Anfangsthema in einer ABA-Form zurückkehrte.

Den Mittelpunkt des Andante con moto bestimmte vor allem ein virtuoses Violin-Solo, das mit seiner Emotionalität und seinen üppigen Klangfarben ein berückendes Zeugnis von der Liebe des Komponisten zu seinem Instrument ablegte.

Mit Energie und Spannung des vierten Satzes Allegro molto schlossen die Interpreten mit einem glorreichen Höhepunkt ihre glanzvolle Darbietung des interessanten Stückes ab.

Über den Bau und die Herkunft von Streichinstrumenten werden unzählige Veröffentlichungen getätigt. Oft ist aber ausgespart, dass für die Klangerzeugung der Instrumente auch ein Bogen benötigt wird und dass es sich dabei nicht um eine simple mit Pferdehaaren bespannte Holzstange handelt. Um etwas Aufklärung zu schaffen, hatte Albrecht Menzel zum zweiten Teil der Final-Veranstaltung den Bogenmachermeister Thomas M. Gerbeth aus Wien eingeladen. Gerbeth (Jahrgang 1968) erlernte den Beruf des Bogenmachers im vogtländischen Markneukirchen und hatte nach einer Tätigkeit in Franken im Jahre 1997 gemeinsam mit seiner Frau Anke den Bogenbau in Wien wieder zum Leben erweckt.

Der Bogen spielt nämlich bei der Klangentfaltung von Streichinstrumenten die zentrale Rolle und gibt den Tonkünstlern die Möglichkeit Lautstärke, Projektion, Klangfarbe, Intonation und Artikulation zu variieren, dabei feine Abstufungen sowie seine Virtuosität zur Geltung zu bringen.

Einen breiten Teil seines Vortrags nahmen die Probleme um den Werkstoff für den Bogenstab ein. Die Verbindung von Stabilität, Robustheit, Elastizität und Dichte seines Materials entscheiden über die Möglichkeiten des Bogenbauers ein hochwertiges Produkt zu fertigen. Noch verfügen Hölzer mit verkernter Struktur, die unter dem Begriff Fernambuk zusammengefasst sind, über die besten Wesenszüge für den Bogenstab. Die Aufkommen der Hölzer im Regenwald von Pernambuco sind inzwischen wegen des Raubbaus früherer Zeiten deutlich eingeschränkt. Sie unterliegen deshalb strengen Handelsbeschränkungen, so dass seit über siebzig Jahren versucht wird, mit einem Mischwald-Plantagenbau des caesalpina echinata, des Pernambukbaums, die Bereitstellung in der Zukunft zu ermöglichen. Das Ehepaar Gerbeth engagiert sich deshalb seit Jahren im Rahmen der International Pernambuco Conservation Initiative (I.P.C.I.) gemeinsam mit internationalen Geigenbauer- und Bogenmacherverbänden um die Erhaltung und Weiterverbreitung des Pernambukbaums.

Dazu eine persönliche Anmerkung vom Autor des Berichtes: als zwar weit überalterter Werkstoff-Fachmann halte ich die Möglichkeiten des sogenannten Carbon-Bogens als Alternativmöglichkeit noch nicht für ausgereizt. Im Verbund von Kohlenstoff-Einkristallwhiskern hohen Elastizitätsmoduls und extremer Festigkeit mit organischen Werkstoffen hochgradiger Elastizität lassen sich Materialien ziemlich beliebiger Eigenschaftskombinationen im Anforderungsspektrum des Streicherbogen-Baus treffsicherer als beim Naturprodukt variieren. Es würde allerdings engagierte Entwicklungsarbeit seitens aller Beteiligter erfordern.

 

Mit einer kleinen Trommel und drei Schlegeln zeigte uns im Anschluss der Perkussionist Alexej Gerassimez mit einem Stück aus den Asventurios, der Abenteurer, von William Schinstine (1922-1986), wie bescheidenste Mittel bei entsprechender Kreativität ermöglichen, ein Konzertpublikum zum Kochen zu bringen.

Nach der Pause hörten wir Peter Tschaikowskys einziges Streichsextett „Souvenir de Florence op. 70“. Er hatte es im Sommer des Jahres 1890 auf einem Landsitz innerhalb von 17 Tagen komponiert. Voller Dankbarkeit hatte sich der Komponist an Florenz erinnert, weil ihm in den ersten Monaten des gleichen Jahres in der Abgeschiedenheit der Toskana gelungen war, seine Oper „Pique Dame“ zu skizzieren. Die für ihn ungewöhnliche Form des Streichsextetts wählte Tschaikowsky, damit seine Mäzenin Nadeshda von Meck (1831-1894), die den Besuch von Konzertsälen verabscheute, seinen Dank in ihrem häuslichen Umfeld von einer kleinen Formation der sechs Streicher direkt entgegennehmen könnte. Das für ihn ungewohnte Komponieren für sechs unabhängige, aber dennoch homogene Stimmen war für Tschaikowsky eine echte Herausforderung. Mit dem Ergebnis war der ansonsten von Selbstzweifeln Geplagte mehr als zufrieden, auch wenn das Sextett nur wenig italienisches Fleur ausstrahlt. Im Ergebnis der Anstrengungen Tschaikowskys war ein Stück von dauerhafter Qualität entstanden, das in den Konzertsälen als Streichsextett mit je zwei Violinen , Violas und Violoncellos oder in vielfältigen Adaptionen für Streichorchester in veränderlichster Besetzungen beliebt und erfolgreich ist. In unserem Konzert war der Part des zweiten Cellos vom Kontrabassisten übernommen worden,was der Interpretation eine besondere Note verschaffte. Zur Aufführung des „Souvenir de Florence op. 70“ im Hause der Gönnerin ist es aber nicht gekommen, denn Frau von Meck brach zu dieser Zeit aus nur vermutbaren Gründen die Verbindung zu Peter Tschaikowsky ab.

Im historischen Güterboden waren sechs von der Musik Besessene am Werk, die mit einem perfekten Zusammenspiel, blitzsaubere und klanglich absolut homoge Kammermusik vom Feinsten boten. Die filigran gesponnenen Linien und die Intimität des zauberhaften Stückes kamen auf das Vortrefflichste zur Geltung.

Das Stück begann jubelnd und voller Überschwang, so dass die Besucher vom ersten Ton des von Albrecht Menzel angeführtem Ensemble gefangen genommen wurden. Die Musiker trafen den Schwung, die ungetrübte Heiterkeit und das hohe Maß an Leidenschaft des Allegro con spirito auf das Vortrefflichste.

Ein hochromantisches Ständchen, das von einer sommerlich-flirrenden Atmoshäre durchzogen worden war, bestimmte den langsamen Satz. Das Adagio, der einzige Satz, der den Hörer tatsächlich an Italien erinnerte, wurde von einem bezaubernden Duett zwischen dem weichen Ton der Violine und des intensiven Spiels der Bratsche bestimmt.

Neckisch und aufgelockert spielte das Ensemble das volkstümliche Allegro moderato-Scherzo, als sich die sechs Streicher die Bälle nur so zu spielten. Aber es waren auch wehmütige russisch getönte Melodien zu hören.

Mit dem lebhaften Finale hatte die Streicherformation noch beachtliche technischen Herausforderungen zu bewältigen. Mit seinem meisterhaft gespielten Fugato brachte dieses Allegro vivace das Konzert und damit die Festival-Saison des Jahres 2025 in Radebeul zu einem aufregenden Abschluss.

Read more

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

7. September 2025 Zwei junge Frauen rocken das Saisoneröffnungskonzert der Berliner Staatskapelle!   Schon das Auftreten von Patricia Kopatchinskaja und Elim Chan ist fulminant: Kopatchinskaja in leuchtend rotem Seidenmantel, Chan elegant in Schwarz. Patricia Kopatchinskaja, 1977 in Moldawien (damals eine Sowjetrepublik) geboren, heute auch mit österreichischer und Schweizer Staatsbürgerschaft, ist wohl

By Bernd Runge
Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Weltstars in Ulrichshusen Daniel Müller-Schott und das Royal Philharmonic Orchestra London Die Hütte voll, die Erwartungen groß! Wollte heißen: Kein Stuhl mehr frei in Ulrichshusens wahrlich großer Konzertscheune bei einem Abend, der jeder Wunschvorstellung entsprochen haben dürfte! Wie auch nicht, wenn sich mit dem Royal Philharmonic Orchestra London das weltweit

By Ekkehard Ochs