Paris, Théâtre des Champs-Elysées, Robinson Crusoé - J. Offenbach, IOCO
05.12.2025
1867: DAS JAHR DER WUNDER VON OFFENBACH…
Salut chaumière,
Toit solitaire,
Où je croyais sitôt mourir.
Terre isolée,
Qui s’est peuplée,
Des ombres de mon souvenir!
(Arie des Robinson / 2. Akt / Szene 2)
Duo auf einer einsamen Insel…
Robinson Crusoé (1867) wurde uraufgeführt, als Jacques Offenbachs (1819-1880) Karriere ihren Höhepunkt erreichte. Die Einordnung des Werks in dieses „Jahr der Wunder“ ermöglicht es uns, seine Rezeption besser zu verstehen und den vom Komponisten zurückgelegten Weg zu ermessen. Derjenige, dem die Theater einst verschlossen blieben, spielt heute in nicht weniger als fünf Pariser Theatern, die in der Provinz und im Ausland nicht mitgerechnet.

Nachdem der belgische Schriftsteller Antoine Compagnon (*1950) sich einem bestimmten Jahr, in diesem Fall dem Jahr 1966 gewidmet hat, beschreibt er es als „annus mirabilis“ und vergleicht es mit einem „magischen, erstaunlichen Jahr“, einem „Jahr der Wunder“. Die Aussage ist für 1867 und Offenbach auch nicht übertrieben! Die Geschichte gibt darüber hinaus an, dass er sich weniger für das Kalenderjahr als vielmehr für das „Jahr der Schulen, der Universitäten oder der Kultur“, kurz gesagt für die Saison 1965/66, interessieren wollte. Wenn die Strukturierung der Theaterjahre im 19. Jahrhundert uns zu einer Nachahmung anregen könnte, muss eine noch umfassendere Periode berücksichtigt werden. Der Höhepunkt von Offenbachs Karriere beschränkt sich tatsächlich nicht nur auf die Jahre 1866/67, sondern erstreckt sich von Anfang 1865 bis zum Sommer 1870. Es beginnt mit der Ankunft des Komponisten an das Théâtre des Varietés und mit dem überwältigenden Erfolg von La Belle Hélène (1864), die am 17. Dezember 1864 uraufgeführt wurde. Henri Meilhac (1831-1897) und Ludovic Halévy (1834-1908), Hortense Schneider (1833-1920) und José Dupuis (1833-1900): Ein außergewöhnliches Team ist jetzt um ihn versammelt, auch wenn seine Beziehungen zum Théâtre des Bouffes-Parisiens, das er 1855 gegründet hat, schrecklich geworden sind. Glücklicherweise wurden mit dem Dekret über die Freiheit der Theater vom 6. Januar 1864 alle Genrebeschränkungen aufgehoben, so dass er an jedem Veranstaltungsort arbeiten konnte. Im März 1865 bestätigte der Erfolg von Die schöne Helene in Wien mit Marie Geistinger (1833-1903) seine Popularität beim Wiener Publikum. Zu Beginn des Jahres 1865 kehrte der Musiker ins Théâtre des Bouffes-Parisien zurück, wo im Dezember Les Bergers (1866) entstand, eine komische Oper in drei Akten und die in verschiedenen Epochen spielte und deren erste beiden Akte „ernsthaft“ sein sollten. Aber die furchtbare schlechte Aufnahme, die das Werk erhielt, im Gegensatz dazu der gewaltige Triumph des Barbe-Bleue (1866) im Théâtre des Variété im Februar 1866, somit vervielfachen sich die Projekte in mehreren Pariser Theatern, die alle bestrebt sind, den Musiker à la Mode zum Einsatz zu bringen.

Das erste Theater, dem dies gelang, war das Théâtre de Palais-Royal, Tempel der „Vorstadt-Komödien“ und Lieblingsschauplatz von Eugène Labiche (1815-1888), Offenbach, Meilhac et Halévy führte am 31. Oktober die fünf Akte von La Vie parisienne (1866) auf. Obwohl knapp, wurde die Wette klar gewonnen und die Operette besiegte das populäre und plumpe „Vorstadt-Theater“ auf eigenem Boden. Wenn das Jahr 1867 beginnt, steht Offenbach auf drei Pariser Bühnen auf dem Programm: Le Théâtre de Palais-Royal wo La Vie parisienne ihre glänzende Karriere fortsetzt, das Théâtre des Variété wird La Belle Hélène übernehmen und den Erfolg fortsetzen und das Théâtre des Bouffes-Parisienne wo der Orphée aux Enfers (1858) für den 26. Januar geplant ist. Aber Offenbach ist wieder einmal im Konflikt mit dem von ihm gegründeten Theater, er wollte diese Wiederbelebung verhindern, doch die Genehmigung von Adolphe Crémieux (1796-1880) reichte aus, um dies zu ermöglichen. Die Show , die zwei Monate lang lief, fügte ihm schaden zu, da die berühmte Kurtisane Cora Pearl (1836-1886) engagiert wurde, um die kleine Rolle des Amors zu spielen. „Dieses Debüt ist das Ereignis des Tages“, sagt eine Provinzzeitung, „und alle Zeitungen vertreten Partei „für oder gegen“ die Leichtigkeit und Transparenz ihres Kostüms“. Diese sehr unkünstlerische Exhibition – Cora spielt genauso schlecht wie sie singt – schadet dem Autor von Orphée aux Enfers, der sich aus gesundheitlichen Gründen von Ende Dezember bis Januar in Nizza aufhält. Er arbeitet nach seiner Rückkehr nach Paris an La Grande Duchesse de Géroldstein (1867) und an Robinson Crusoé. Außerdem wurde er von der Sociéte des Auteurs et Compositeurs Dramatiques verurteilt, weil er 1865 gegenüber dem Théâtre des Bouffes-Parisienne über die Art seiner Aufgaben gelogen hatte. Die hundertste Aufführung von La Vie parisienne hatte gerade den durchschlagenden Erfolg des Werks bestätigt.

Ein sehr beliebter und gefeierte Komponist…
Dank der Freiheit des Theaters ist Offenbach bei vielen Theaterdirektoren äußerst gefragt. Ende 1865 hatte das Journal Le Charivari ihm einen Artikel mit dem Titel „Ein universeller Komponist“ gewidmet, in dem wir sehen, wie er in seinem Haus abwechselnd von dem Administrator der Comédie-Française, dem Direktor der Opera Royal, einem Gesandten des Zaren, einen weiteren des Kaiser von China und sogar einen „Wilden“ empfing – alle fünf baten ihn um ein neues Stück. „Aus diesem Grund arbeitete [der] Maestro Offenbach derzeit an siebzehn Partituren“, so das Fazit dieses satirischen Artikels. Die Situation hat sich zu Beginn des Jahres 1867 kaum verändert! Wenn ein Projekt mit dem Théâtre du Châtelet aufgegeben wird, so wurde ein neuer Vertrag mit dem Théâtre la Porte-Saint-Martin abgeschlossen für die Operette Parnurge (1867), die im Herbst ihre Uraufführung haben soll. „Was für ein Schnappschuss!, seufzt das Journal Le Ménestrel und spricht von einem „l’archi-fecond Maestro“ („ein äußert-fruchtbarer Maestro“). Dieser ist vor allem mit seinem neuen Stück sehr beschäftigt für das Théâtre des Variété, dass den gleichen großen Erfolg wie La belle Hélène und Barbe-Bleue haben soll. Er entwarf es zusammen mit Meilhac und Halévy speziell für die Weltausstellung, die am 1. April 1867 ihre Pforten öffnete. Die vorherige Weltausstellung von 1855 hatte es ihm ermöglicht, das Théâtre des Bouffes-Parisienne zu Gründen und seine Musik bekannt zu machen. Dies musste ihm Weihe gebrach haben! Das Trio ging jedoch nicht den einfachen Weg, denn als es seine Opéra buffa zum Thema Politik und Krieg schrieb, musste er sich der Zurückhaltung der Zensoren stellen. Aber diese Schwierigkeiten wurden überwunden und vernünftige Kürzungen machten die gemischte Resonanz der ersten beiden Aufführungen spielbar. La Grande-Duchesse de Géroldstein, die am 12. April ins Leben gerufen wurde, erwies sich als ein großer, darüber hinaus sehr fruchtbarer Erfolg, der bis zur zweihundertsten Aufführung am 30. November andauerte. Unter den Zuschauern waren viele gekrönte Häupter, die die Ausstellung besuchten. Das Théâtre des Variété war zu einer Art obligatorischem Zwischenstopp während ihres Aufenthalts in Paris, als ob es unbedingt nötig wäre, der fiktiven Herrscherin Schneider eine Hommage zu erweisen. Die Opéra Buffa blieb trotz der Eingriffe der Zensur dennoch noch sehr gewagt und Henri Rochefort (1831-1913) schrieb zwei Tage nach ihrer Entstehung:
„Was mich an dem Stück besonders reizte, war die herablassende Art, mit der hochrangige Personen behandelt wurden. Sie karikieren sie, die Botschafter werden stark angerempelt, die Hoheiten werden auf eine seltsame Art und Weise belächelnd angesehen. Um dem französischen Geist zu huldigen, fügen wir hinzu, dass die im Saal anwesenden großen Würdenträger dies mit großer Freude aufgenommen haben. Diese Duchesse de Gérolstein, deren Geschichte wir ihnen später erzählen werden, ist eine verärgerte Person, die am liebsten Kanthariden in die Suppe aller um sie herum schütten würde. Vorausgesetzt, dass die Könige, die regierenden Herzöge und souveränen Fürsten, auf die wir jeden Morgen an den verschiedenen Bahnhöfen warten, in diesem lyrischem Amalgam keine anstößigen Persönlichkeiten finden“.

Die Kunst des Musikers, der Librettisten und der Interpreten ist so subtil und wirkungsvoll, dass keiner „dieser hochrangigen Leute“ schockiert ist. Sogar der Zar Alexander II. (1818-1881), der dem Spektakel gleich nach dem Aussteigen aus dem Zug beiwohnte – weil er befürchtete, dass sich die Leute über Zarin Katharina II. der Großen (1729-1796) lustig machen würden -, war überzeugt. Wie der Zensor Victor Hallays-Dabot (1828-1918) schreibt:
„Dass die witzige und freche Komödie von MM. Halévy und Meilhac, dass die Musik von Offenbach, dass die kühne Anmut von Mademoiselle Schneider, dass all dies zusammen im Wesentlichen Pariser Charme ist, die den russischen Prinzen anzog, es ist unbestreitbar! Aber dieser überstürzte Besuch hatte, wie wir glauben, einen anderen Beweggrund [wenn der Zar] eine solche Sehnsucht zeigte, La Grande-Duchesse de Géroldstein zu sehen, war diese Neugier auf die tausenden von Gerüchten zurückzuführen, die sich über dieses Stück auf dem Boulevard Montmartre verbreitet hatten und deren Echo bis zu den Ufern der Newa reichte“.
Für Offenbach ist der Erfolg total! Die erhoffte Weihe fand tatsächlich statt und am 13. Mai wurde Die Großherzogin von Geroldstein unter seiner Leitung in Wien aufgeführt. La Vie parisienne endet die Aufführungen Mitte Juli, weil das Théâtre de Palais Royal eine längere Pause macht, aber das Théâtre des Variété wird sich die Aufführungen zwischen La Grande-Duchesse… und La Belle Hélène teilen, die jeden Sonntag wieder aufgenommen wird. Sicherlich gehen die Vorbereitungen an der Opéra Comique von Robinson Crusoé langsamer voran als erwartet und die Uraufführung wird auf den Herbst verschoben. Doch es ist ein ruhmreicher Komponist, der Anfang Juli zu seinem traditionellen Sommeraufenthalt in dem Kurort Ems eintrifft. Am 9. Juli kreierte er dort eine komische Oper in einem Akt, La Permission de dix heures (1841). Das Werk, eine Adaption einer Vaudeville-Komödie von Anne-Honoré-Joseph Mélesville (1787-1865) und Pierre Carmouche (1797-1868) aus dem Jahr 1841, konnte aber im Sommer zuvor aufgrund des Krieges zwischen Österreich und Preußen nicht aufgeführt werden. Die Presse pries es als „musikalisches Juwel, raffiniert, geschliffen, charmant, das später alle „dilletanti“ in die Opéra Comique locken wird“. Dies verheißt Gutes für Robinson Crusoé! Zwar ist seine zweite Kreation, La Leçon de chant électromagnétique (1863) am 20. Juli eine Farce, die ihn zu seinen Anfängen zurückzuversetzen scheint! In Ems arbeitet der Komponist trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustands an der Orchestrierung von Robinson Crusoé. Auf dem Rückweg macht er einen Zwischenstopp in Brüssel, um eine Aufführung La Grand-Duchesse… zu besuchen, die dort seit dem 1. Juli aufgeführt wird. Die Proben im Salle Favart werden am 1. Oktober wieder aufgenommen. Sie verzögern sich aber durch die Publikumsgunst für die Oper Mignon (1866) von Ambroise Thomas (1811-1896) und vor allem durch einen Gichtanfall von Offenbach, der auf einer Trage ins Theater gebracht wird.

Ein halb gewonnener Kampf und eine große Rache…
Das Publikum wurde gewarnt: Robinson Crusoé eine „komische, lyrische, ernsthafte Oper und keineswegs eine Farce, wie manche Zeitungen behauptet haben. Es stammt aus dem ersten Akt von Les Bergers – nichts aus Croquefer (1857) noch aus Ba-Ta-Clan (1855). „Was am Abend des 23. November geschieht, ist Freunden wie Feinden des Musikers gleichermaßen klar: Nach dem Scheitern von Barkouf (1860) und dem abgebrochenen Versuch von La Baguette (1862) zu zeigen, dass „der große Amüsierer Europas“ es verdient, auf einer offiziellen Bühne – in diesem Fall der alles andere als sanfte französische Musikwissenschaftler und Musikkritiker Alexis Azevedo (1813-1875) – aufgeführt zu werden, „vom Status einiger unbedeutender Musikmacher zum Status eines wahren Komponisten aufzusteigen“. Bei der Premiere, vor einem Publikum, zu dem auch Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871), Adelina Patti (1843-1919) und Alexandre Dumas (1802-1870) gehörten, wirkte das Werk zu lang. Offenbach und seine Librettisten nahmen rasch Kürzungen vor! Dies reichte einigen Kritikern jedoch nicht, um sie zu besänftigen. „Wenig Musik und große Ansprüche“ erklärte der Kritiker des Journale Le Corsaire kategorisch. Sein Kollege aus Le Presse musicale war weniger verächtlich, aber nicht weniger streng und sprach von „diesem wirren Durcheinander, das weder eine Operette noch eine komische Oper ist, bei der man nur mit einem Auge weint oder nur mit der Lippenspitze lacht“. Das Libretto von Crémieux und Fernand Cormon (1845-1924) erhielt gemischte Kritiken: Mehrere Journalisten stellten den Sinn einer Opernbearbeitung von Daniel Defoes (1660-1731) berühmten Roman Robinson Crusoé (1719) infrage.
Einige Kritiker hingegen bewerteten das neue Werk positiv und sahen darin eine deutliche Verbesserung gegenüber Barkouf. Doch auch sie bemängelten die mangelnde Homogenität. Xavier Aubryet (1827-1880) beschreibt daher die „Unbeständigkeit eines noch nicht definierten Genres“:
„Im ersten Akt zieht die alte komische Oper den Komponisten in ihrem Bann und er schenkt uns die alte Komödie mit Arien unserer Väter zurück; in der zweiten Szene lockt ihn die Träumerei in das Lustspiel Lalla Rookh (1862) und nach einer Symphonie, die beinahe die Bedeutung einer Ouvertüre hat, wiegt er das Ohr in der Manier von Félicien David (1810-1876) ein; im dritten Akt, als ob ihn der Pomp von L’Africaine (1865) von Giacomo Meyerbeer (1791-1864) am Schlafen hinderte, stürzt er sich in die große Oper und inmitten der feierlichsten Effekte brechen die Farcen vom Bouffe-Parisienne hervor“.
Aubryet wendet sich an Offenbach und fragt ihn, ob es nicht „teilweise seine Schuld sei, dass seine Ernsthaftigkeit nachlässt und sein Werk den Eindruck erweckt, als trüge er einen schwarzen Anzug über einem prächtigen bunten Kostüm?“ Mit 32 Aufführungen bis Februar 1868 ist Robinson Crusoé weder ein Triumph noch ein Misserfolg. Das Publikum scheint die Ratlosigkeit der Kritiker geteilt zu haben. Doch das Jahr ist für Offenbach noch nicht vorbei, denn er nutzt die Gelegenheit, seine Musik in einem fünften Pariser Theater aufzuführen. Ende 1868 hatte Auguste Gaspari (1812-1882) das Théâtre des Menus-Plaisirs am Boulevard de Strasbourg eröffnet. Da es ihm schwerfiel, das Publikum für sein neues Haus zu gewinnen, beschloss er als gewiefter Geschäftsmann, Offenbach hinzuzuziehen. Dieser brachte eine neue Fassung von Geneviève de Brabant (1867), die 1859 kaum Anklang gefunden hatte, heraus. Aus der zweiaktigen, siebenszenischen Oper wurde eine dreiaktige, siebenszenischen Oper, wobei Crémieux anstelle von Adolphe Jaime fils (1825-1901) Étienne Tréfeu (1821-1903) anstellte um an dieser Überarbeitung mitzuwirken. Die Uraufführung fand am 26. Dezember statt, das Werk stammte also kaum noch aus dem Jahr 1867. Doch es ermöglicht dem Komponisten einen krönenden Jahresabschluss, der umso wertvoller ist, als Louis-August Hervé (1825-1892) gerade mit L’OEil crevé (1867) triumphiert hat. Zulma Bouffar (1843-1909) glänzt darin ebenso wie in La Vie parisienne: Sie ist „die Schneider des Menus-Plaisirs“, kommentiert Eugène Tarbe (1846-1876). Das Werk ist völlig offen eine Farce und hat zudem das große Glück, ein Stück zu enthalten, das das Publikum begeistert: Das „Couplet der Waffenknechte“, mit großem Witz von Paul Ginet (1801-1891) und Emile Gabel (1833-1898) gesungen, die „ein Paar Gendarmen von monströser Groteske“ bilden. Geneviève de Brabant wird bis Mai 1868 aufgeführt, anschließend geht die Produktion auf Tournee.

Gustav Chadeuil (1821-1893) begann seine Fortsetzungsgeschichte über Robinson Crusoé mit einem Rückblick auf die Karriere seines Autors und schrieb im November 1867 ohne Zögern: „Nach Napoléon Bonaparte I. (1769-1821) ist Offenbach zweifellos die zeitgenössische Persönlichkeit, die die größte Neugierde erweckt hat. Bevor man sich mit seinen Operetten befasst, interessierte man sich für seine Person, sein Lorgnette und seine geistreichen Bemerkungen“. Hier gibt es keine Komplimente! Chadeuil wirft dem Musiker vor, für einen „verkommenen Geschmack“ verantwortlich zu sein. Doch er muss dessen weltweiten Ruhm anerkennen! Anfang Januar 1868 widmete ein Journalist der Zeitung Le Figaro zwei Artikel über Offenbach in der Theaterkritik von 1867. Im Fazit dieser Übersicht schreibt er:
„Der erfolgreichste, aktivste und glücklichste Kompositeur war Offenbach. La Vie parisienne… Orphée… La Belle Hélène… La Grande Duchesse… Robinson Crusoé… Geneviève… Hier die eingenommene Total-Summe vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1867: 240.000 Francs – Zweihundertvierzigtausend Francs – aber auch noch Tantiemen, Bonusse, Manuskriptverkäufen usw. Dies ist, wie wir bestätigen, sein Gesamteinkommen für diese zwölf Monate“.
Zum Glück für ihn und seine Bewunderer genoss Offenbach bis zu seinem Tod im Oktober 1880 und darüber hinaus anhaltenden Erfolg. Doch kein Jahr sollte für ihn so reich an Wundern sein wie 1867.
Zur Aufführung im Théâtre des Champs-Élysées am 05 Dezember 2025:
Eine Insel der lyrischen Glückseligkeit…
Fast vierzig Jahre lang warteten die Pariser auf eine Neuinszenierung von Offenbachs: Robinson Crusoé, seit Robert Dhérys (1921-2004) eher uninteressanten Produktion von 1986 und insbesondere der Uraufführung an der Opéra Comique im Jahr 1867. Und dies ist ein neues Meisterwerk des dynamischen Duos: Der französische Dirigent Marc Minkowski mit seinem Ensemble Les Musiciens du Louvre und dem Chor accentus, desgleichen mit dem mittlerweile weltberühmten französischen Regisseur Laurent Pelly.
Seit Jahrzehnten gelingt es dem Gründer von Les Musiciens du Louvre mit der schöpferischen Fantasie Pellys zusammenzuarbeiten. Nach Orphée aux Enfers, Les Contes d’Hoffmann (1881), La belle Hélène, La Périchole (1868), nicht zu vergessen der unvergessliche Platée (1745) von Jean-Philippe Rameau (1633-1764) und vielen anderen Werken ist die Wiederaufführung von Robinson Crusoé, einer komischen Oper, die damals nach dem Misserfolg eines anderen Meisterwerks, Barkouf, sieben Jahre zuvor nur mäßigen Erfolg hatte, ein voller Triumph. Dennoch war es schwierig, das Libretto von Cormon und Crémieux wörtlich zu interpretieren, das zwar theatralisch wirkungsvoll, aber voller kolonialistischer Vorurteile war – wie die Streichung der Arie von Suzanne „Oui, c’est un brun“ zu Beginn des dritten Akts beweist, in der Vendredi mit einer Ware verglichen wird -. Wie immer gelingt der französischen Dramaturgin Agathe Mélinand eine intelligente Adaption, ohne das Original zu verfälschen: Die Piraten verschwinden und werden durch US-Soldaten ersetzt, während die Kannibalen in einem modernen Schlachthof arbeiten, alle in Orange gekleidet mit fluoreszierend grünen Füßen und der Stamm, der den Gott Saranha verehrt – ist eine urkomische Erscheinung – als ein gewisser Republikaner mit einer großen blonden Stirnlocke und orangefarbenen Gesicht verkleidet. Selbst die Sprache von „Friday“ ist wesentlich geprägt – verschwunden ist das pseudo-einheimische Kauderwelsch, dessen Tradition mindesten bis zu Jean-Baptiste Poquelin, genannt Molières (1622-1673) Le Bourgois gentilhommes (1670) zurückreicht -. Die Londoner Szene, die – entgegen suggerierenden Regieanweisungen im Libretto – keineswegs an eine William Hogarth (1697-1764)- Radierung erinnert -, präsentiert ein steifes, sehr bürgerliches Interieur der „Seven Teens“, das eine große Langeweile ausstrahlt, die Robinson zur Seefahrt treibt. Ein erster Akt , der enttäuschen könnte und nur schwer in Schwung kommt, wenn er nicht als Prolegomenon für den Aufbruch des Helden dienen würde und wenn er nicht durch entzückende, oft unwiderstehliche Musik, insbesondere seine atemberaubende Ouvertüre und seine reichen Orchesterpassagen, aufgewertet würde.

Mit seinem charakteristischen Humor und Einfallsreichtum hat Pelly zusammen mit seiner langjährigen Mitarbeiterin, der französischen Bühnenbildnerin Chantal Thomas die wilde Insel gegen Manhattan eingetauscht, das von einigen Wolkenkratzersilhouetten dominiert wird. Die Hütten der Ureinwohner gegen die Zelte der frisch gestrandeten Obdachlosen der modernen, kapitalistischen Gesellschaft: Das Quechua-Zelt dient sogar als Metonym für die gesamte Insel. Die Szene, in der Robinsons Freunde Toby und Suzanne Gefahr laufen, Zutaten für den berühmten Eintopf zu werden, den ein überdrehter Jim Cocks zubereitet – der Beginn einer Reihe urkomischer Gags -, verwandelt sich in eine grandiose Fleischfabrik, die der Moderne würdig ist, symbolisiert durch ein gigantisches, neonbeleuchtetes „EAT“,
von dem nur noch der letzte Buchstabe übrig ist, ein Symbol für Edwiges christusähnliches Opfer, das in der letzter Minute von einem mutigen Freitag gerettet wird und Robinson so die Flucht aus der dystopischen Illusion ermöglicht.
Mit einer hochkarätigen Besetzung, angeführt von Célestine Galli-Marié (1837-1905), der Schöpferin der Carmen (1875) aus der gleichnamigen Oper von Georges Bizet (1838-1875) als Freitag, präsentiert die Pariser Wiederaufnahme von Robinson Crusoé erneut ein erstklassisches Ensemble, darunter einige treue Weggefährten des Duos Minkowski und Pelly, wie etwa der französische Bass-Bariton Laurent Naouri in der etwas frustrierenden Rolle des Sir William Crusoé. Seine Stimme ist nach wie vor kraftvoll und klanggewaltig und sein schauspielerisches Talent, selbst in seiner Mimik, ist unbestritten. In der Rolle seiner besorgten Ehefrau verkörpert von der französischen Mezzo-Sopranistin Julie Pasturaud ist eine willensstarke Deborah, die ebenfalls mit diesem Repertoire bestens vertraut ist. Auch sie ist frustriert darüber, dass sie im ersten Akt in einer Reihe von Ensembleszenen weitgehend auf diese Rolle beschränkt ist und ihr daher wenig Raum zur Entfaltung lässt. In der Titelrolle, die ursprünglich für den amerikanischen Tenor Lawrence Brownlee vorgesehen war, glänzt der madegassische Tenor Sahy Ratia dank seines klaren und gleichmäßigen Timbres, das gelegentlich etwas nasal klingt jedoch in den elegischen Passagen besonders überzeugend wirkt. Edwige, geschminkt wie eine Barby-Puppe aus dem Hollywood der 60er Jahre, wird von der hinreißenden französischen Sopranistin Julie Fuchs in Höchstform verkörpert, die ihr vielseitiges schauspielerisches Talent eindrucksvoll unter Beweis stellt und sich von einer wohlerzogenen jungen Dame im ersten Akt zu einem wilden Mädchen in den letzten beiden Akten verwandelt. Ihre Stimme, warm und kristallklar, beeindruckend virtuos und zugleich zurückhaltend – die hohen Töne sind zwar kurz, aber sehr präsent – beschert uns einige wahrhaft schöne Theatermomente. Die französiche Mezzo-Sopranistin Adèle Charvets in der Rolle des Freitags litt wohl etwas an einer Grippe am Premierenabend, jedoch in der zweiten Aufführung war sie voll da. Die Töne klangen nicht mehr rau und sie interpretierte die Rolle mit einem vollen Timbre und mit einem unerschütterlichen Engagement perfekt aus. Im Londoner Akt am Anfang noch zurückhaltend, entfaltet der französische Bari-Tenor Marc Mauillon als Toby und die ungarische Sopranistin Emma Fekete als Suzanne in den letzten beiden Akten eine ungeheure einmalige stimmliche Wucht – ein unwiderstehliches Duett der Opferung-: Bühnenpräsenz und makellose Diktion zeichnen ihn aus, ohne die übertriebene Frechheit, für die er mitunter kritisiert wurde; dazu als Partnerin: Ein liebliches, helles Sopran-Timbre, im gesprochenen Dialog zwar etwas zurückhaltend, aber stets schelmisch und witzig, besonders im Kontrast zu dem extravagant verkörperten Jim Cocks des französischen Tenor Rudolphe Briand, der wie direkt einer Szene aus dem Film Dr. Strangelove (1964) von Stanley Kubrick (1928-1999) entsprungen zu sein scheint. Der französische Bariton Mathieu Toulouse, der den Piratenkapitän Atkins seine wohlgeformte Stimme leiht, vervollständigt das Ensemble, das von Pelly meisterhaft dirigiert wird. Unterstützt wird dies durch das effektvolle, dramatische Licht durch den französischen Lichtbildner Michel Le Borgne. Besondere Erwähnung verdient der Chor-accentus, der von dem französischen Chorleiter Louis Gal hervorragend einstudiert wurde.
Im Orchestergraben wirkt Minkowski völlig entspannt und dirigiert mitreißend. Mit seiner charakteristischen Eloquenz bringt er die vielen Orchesterpassagen der Partitur – eine der reichhaltigsten Offenbachs in dieser Hinsicht – zum Ausdruck und hebt dabei die prägnanten Klangfarben der Holzbläser, die Geschmeidigkeit der Streicher und den spielerischen Charme der Blechbläser hervor – alles in einem einzigen, theatralischen Schwung. Eine unvergessliche Aufführung! Man darf auf eine bleibende Einspielung hoffen…