Paris, Théâtre des Champs-Élysées, Josephine/The Rite of Spring - G. Acogny, P. Bausch, IOCO

Paris, Théâtre des Champs-Élysées, Josephine/The Rite of Spring - G. Acogny, P. Bausch, IOCO
OSEZ JOSÉPHINE © Malika Favre TCE

28.09.2025

 

                                                                                                                                                                                                                                OSEZ JOSÉPHINE…!

J’ai deux amours
Mon pays et Paris
Par eux toujours
Mon coeur est ravi
Manhattan est belle
Mais à quoi bon le nier

C’qui m’ensorcelle, c’est Paris
C’est Paris tout entier

Musik: Vincent Scotto (1874-1952)
Text: Geo Koger (1894-1975)  & Henri Varna (1887-1969)

 

 

Trau dich Joséphine…

Mit 81 Jahren hinterfragt Germaine Acogny weiterhin Konventionen und überschreitet künstlerische Grenzen. Die Gründerin der Ecole des Sables in Senegal bereitete sich darauf vor, die Saison 2025/25 im renommierten Théâtre des Champs-Élysées Paris mit einem ebenso ehrgeizigen wie unerwarteten Projekt zu eröffnen. Sie bringt Joséphine Baker (1906-1975) und Pina Bausch (1940-2009) auf derselben Pariser Bühne zusammen.

 

Dieses kühne Programm, feiert zwei wichtige Jubiläen in der Geschichte des Tanzes. Einerseits den hundertsten Jahrestag von Bakers erstem Pariser Auftritt im Jahr 1925 auf eben dieser Bühne des Théâtre des Champs-Élysées. Andererseits die Entstehung von Igor Strawinskys (1882-1971) Ballett Le Sacre du Printemps (1913) und durch Vaslav Nijnsky (1889-1950) im Jahr gleichen Jahr uraufgeführt: Ein Werk, das Pina Bausch  mit ihrem Tanztheater Wuppertal im Jahre 1975 meisterhaft neu interpretieren sollte.

 

Acognys Projekt offenbart eine zutiefst humanistische Vision, indem sie das Solo Joséphine selbst konzipiert und aufführt, schlägt sie eine einzigartige Brücke zwischen dem Erbe der französischen-amerikanischen Tänzerin  und der revolutionären Ästhetik der deutschen Choreografen. Dieser Dialog ist nicht zufällig: Er hinterfragt die Themen der Identität: Körperliche Freiheit und Widerstand, die sich durch die Arbeit dieser drei außergewöhnlichen Frauen ziehen.

 

Die internationale bekannte senegalesische Choreografin betreut auch die Aufführung von Le Sacre du Printemps in der Bausch-Version. Die Aufführung findet mit 38 Tänzern der Ecole des Sables in Dakar statt, die 14 afrikanische Länder repräsentieren. Gegenüber der Tageszeitung Le Monde verriet sie „Wir tourten durch die ganze Welt und zeigten, dass afrikanische Tänzer universelle Tänzer sind“.

 

Diese Aussage geht über eine bloße künstlerische Beobachtung hinaus. Sie beinhaltet einen politischen und kulturellen Anspruch, den der Universalität zeitgenössischer afrikanischer Kunst, die zu lange auf folkloristische oder exotische Darstellungen beschränkt war. Indem sie sich eines der Meisterwerke des modernen europäischen Tanzes aneignen, zeigen Acogny und  ihre  Tänzer, dass künstlerische Exzellenz geografische und kulturelle Grenzen überwindet.

 

Joséphine Baker neu erfunden…

Die Soloperformance Joséphine verspricht, weniger bekannte Facetten der französisch-amerikanischen Ikone zu enthüllen. Acogny, unterstützt von dem deutsch-französischen Regisseur Mikaël Serre und die belgisch-südafrikanische Choreographin Alesandra Seutin, greift für die Show auf Bakers persönliche Archive zurück. Sie verwendet insbesondere Auszüge aus einem Interview, in dem Baker „das Thema Hass“ diskutiert, sowie Passagen aus ihren Memoiren und nicht zuletzt ihre berühmte Rede beim Marsch auf Washington 1953 an der Seite von Martin Luther King (1929-1968).

OSEZ JOSÉPHINE Germaine Acogny ® Cyprien Tollet

 

Dieser dokumentarische Ansatz verdeutlicht die große Ambition des Projekts: Über das Bild der Bananentänzerin hinauszugehen und das politische und soziale Engagement der Frau aufzuzeigen, die im Zweiten Weltkrieg Widerstandskämpferin und Bürgerrechtlerin war. Joséphine Baker befreite den Körper der Frau, kämpfte gegen Rassismus, war im Zweiten Weltkrieg Widerstandskämpferin und adoptierte 12 Kinder“, erinnert Acogny in einem Artikel in der Tageszeitung Le Monde.

 

Die persönliche  Begegnung der beiden Frauen, wenn auch nur kurz, war der Ausgangspunkt dieser Schöpfung. Ascogny erinnert sich „Ich war 29 Jahre alt. Es war in Wien, wo sie sang und ich mein Solo Ye’ou (Das Erwachen) aufführte. Wir gaben beide Seite an Seite Autogramme“. Diese Anekdote, die in Rosita Boisseaus Artikel berichtet wird, veranschaulicht die künstlerische und spirituelle Verbindung zwischen diesen beiden Figuren des Widerstandstanzes.

 

Das Champs-Elysées-Projekt ist seine Fortsetzung der Arbeit von Acogny an der 1998 in Toubab Dialaw, Senegal, gegründeten École des Sables. Diese Institution, die sich zu einer weltweiten Referenz für zeitgenössischen afrikanischen Tanz entwickelt hat, bildet jährlich Tänzer vom Kontinent und aus der Diaspora aus. Die Einladung von Salomon Bausch (*1981), der Sohn der Choreografin und Leiter der Pina Bausch Foundation, Le Sacre du Printemps im Jahr 2021 aufzuführen, stellt eine große internationale Anerkennung dieser Arbeit dar.

OSEZ JOSÉPHINE Germaine Acogny © Cyprien Tolle

 

Diese transkontinentale Zusammenarbeit veranschaulicht perfekt Acognys Philosophie: Den zeitgenössischen afrikanischen Tanz zu einer universellen Sprache zu machen, die in der Lage ist, die großen Klassiker der westlichen Moderne neu zu interpretieren. Le Sacre du Printemps, “ein atemloses Rennen mit einem Hauch von Terror und Blut“, wie es die Le Monde formulierte, findet so eine neue Inkarnation in den Körpern afrikanischer Tänzer und bereichert Bauschs Werk um neue kulturelle und ästhetische Resonanzen.

 

Dieses Programm im Théâtre des Champs-Élysées vom 24. Bis 28. September verspricht ein künstlerisches Großereignis zu werden. Es bestätigt Acognys Status als eine der großen  Persönlichkeiten des weltweiten zeitgenössischen Tanzes, die mit 81 Jahren in der Lage ist, Projekte von bemerkenswertem Anspruch und Relevanz zu konzipieren. Mehr als nur eine Aufführung, bietet diese Kreation eine Reflexion über künstlerisches Erbe, kulturelle Weitergabe und die Fähigkeit der Kunst, Grenzen zu überschreiten, um universelle Bedeutung und Emotion zu erzeugen.

 

Zum Tanzabend im Théâtre des Champs-Élysées am 28. September:

 

In der Intimität von Joséphine…

Zur Eröffnung seiner Tanzsaison hat das Théâtre des Champs-Élysées ein Doppelprogramm ausgewählt: Im ersten Teil würdigt Acogny, eine großartige Choreografin und Tänzerin, die heute 81 Jahre alt ist, Baker, hundert Jahre nach ihrem ersten Auftritt auf der berühmten Bühne der Avenue Montaigne. Im zweiten Teil führen 45 Tänzer vom afrikanischen Kontinent Le Sacre du Printemps in der vor fünfzig Jahren entstandenen Choreografie von Pina Bausch auf. Ein einzigartiger Abend, der die Geschichte des Theaters und die Geschichte des Tanzes dieser großen Choreografinnen in Erinnerung ruft.

LE SACRE DU PRINTEMPS École des Sables Dakar ©Maarten van den Abeele

 

Osez Joséphine!: Ist ein Solo von Acogny, die es zusammen mit Seutin choreografiert hat. Es ist ein großes Wagnis, dem Varietéstar zu huldigen, indem man allein auf der Hauptbühne des Théâtre des Champs-Élysées auftritt! Serre hat für Regie und Dramaturgie eine leuchtende Kulisse geschaffen, die an die Garderobe eines Varietés erinnert. Acogny wollte ihre Verbindung zu Baker in ihrem Körper als schwarze Afrikanerin zeigen. Manchmal stellt sie sich dar und imitiert sie: In ihrem rosa Bademantel oder mit schwingenden Hüften, während sie einen raschelnden Gürtel bewegt. Dies sind die gelungenen Passagen dieses Solos, das die eindrucksvollsten Bilder von Baker heraufbeschwört.

 

Insgesamt wirkt die Choreografie recht verinnerlicht. Man sieht, dass Acogny an den Vibrationen und der Verbindung mit Baker gearbeitet hat, doch die langsamen Bewegungen und Schritte können kaum überzeugen und diesem letztlich eher kontemplativen Solo, weit entfernt von der strahlenden Energie der gleichnamigen Künstlerin, keinen Rhythmus verleihen.

 

Vielmehr erleben wir eine dokumentarische Performance, die jedoch sehr weise und sanft ist. Acogny konzentriert sich auf eine Statuette, die Ashanti-Puppe, ein Symbol der Fruchtbarkeit und der Schöpfungskraft, das an die Figur Bakers erinnert. Sie stellt sie vor sich hin oder hält sie wie eine Waffe, scheinbar im Dialog mit der verstorbenen Tänzerin. Diese gemeinsame Intimität ist berührend, reicht aber nicht aus, um ein ganzes Ballett zu konstruieren. Die Rezeption dieses Solos wäre in einem kleinen Raum in der Nähe des Publikums sicherlich ganz anders, doch die Distanz, die hier zwischen der Hauptbühne und den Zuschauern entsteht, schafft eine Kluft zwischen der Intimität des riesigen Theaters im Jugendstil. Gottseidank das uns die original komponierte Musik des französischen Komponisten Fabrice Bouillon-LaForest eine gewisse Wärme und einen rasenden Rhythmus lieferte: Zwischen Jazz- und Varieté-Musik, da und dort eingetauchte Spirituals und andere glühende südamerikanische Rumbas und Bossa-Novas… Es war leider Tonbandmusik!  

LE SACRE DU PRINTEMPS École des Sables Dakar © Maarten van den Abeele

 

Die Pause bietet dann ein wahres Ballett: Container werden herangetragen, die Bühnenmeister bedecken die Bühne mit gestampfter Erde, einem zentralen Element des polnisch-deutschen Bühnen – und Kostümbildners Rolf Borziks, der hier seine Szenografie für Bauschs berühmte Choreografie Le Sacre du Printemps stolz wieder zeigt. Die italienischen Lichtbildner Fabiana Piccioli und Enrico Bagnoli sorgten für die Licht-Dimensionen…

 

Im Jahre 1913 hatte das Ballett mit der Musik von Strawinsky im Théâtre des Champs-Elysées einen grossen Skandal ausgelöst. Es war Nijinsky, der das Ballett damals choreografierte und selber tanzte! Mit seinen eigenartigen Sprüngen und den nach innen gerichteten Füßen  schockierte er unerwartet. Aber 62 Jahre später entstand Bauschs: Le Sacre du Printemps für ihre Kompanie, das schon legendäre  Tanztheater in Wuppertal. Es besteht aus zwei Gruppen von Männern und Frauen, die an der Opferung der Auserwählten teilnehmen.

 

Die Choreografie ist sehr körperlich, mit weit ausholenden Armen und rennenden und springenden Tänzern bis zum Umfallen. Die Aufführung wird heute Abend auf Initiative der Pina Bausch Foundation 45 Tänzern aus 13 afrikanischen Ländern anvertraut. Dieser Ansatz entspricht ganz dem Ziel von Bausch, ihre Tänzer aus sehr unterschiedlichen Ländern einzuladen, die ihre richtige Bewegung entsprechend ihrer persönlichen Geschichte und ihres eigenen Körpers versuchen zu finden.

 

Die Dynamik der Gruppe ist heute Abend atemberaubend. Die Tänzer setzen die Akzente der Choreografie perfekt ein! In harmonischem Einklang mit der Musik des Orchestre Les Siècle unter der Leitung des italienischen Dirigenten Giancarlo Rizzi. Man hört den Atem der Tänzer, die all ihr Herzblut und ihre ganze Energie in diese Choreografie stecken. Dank ihrer präzisen Dynamik unter Interpretation ist die Wiederaufnahme ein voller Erfolg, wie die Erschöpfung  der Tänzer am Ende der Show zeigt, die vom Tanzen bis zur Atemlosigkeit völlig erschöpft sind. Die Auserwählte, die für das Opfer das rote Kleid anziehen muss, ist atemberaubend: Ihr verängstigter und faszinierter Blick lenkt ihren Tanz mit großer Kraft. Der Applaus des Publikums wird diesem Gesamtspektakel gerecht.

 

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