Paris, Opéra National, Tosca - G. Puccini, IOCO

Paris, Opéra National, Tosca - G. Puccini, IOCO
Opera´National de Paris © Uschi Reifenberg

08.12.2026

Persönlicher Glaube und eine manipulierte Religion…

 

Vissi d’arte, vissi d‘amore,......

Sempre con fe’ sincera,
la mia preghiera
ai santi tabernacoli saIí.....

Nell’ora del dolore
perché, parché Signore,
perché me ne rimuneri cosi?

(Arie der Tosca / 2. Akt)

 

 Das Kreuz und die Manier…

Als Opernliebhaber wissen wir, wie leicht man sich über Opernklischees lustig machen kann. Kaum ein Klischee lässt sich so leicht persiflieren wie das der gequälten Sopranistin, die am Ende aus Liebe stirbt. Gewiss, es gibt viele Opern, in denen dies der Fall ist. Leider neigen Klischees dazu, die Ernsthaftigkeit ihrer Thematik zu schwächen. Und auch Giacomo Puccinis (1858-1924) Tosca (1900) ist diesem Muster zum Opfer gefallen.

 

Tosca ist eine einzigartige Oper, da sie eine fiktive Geschichte erzählt, die an realen Schauplätzen spielt. Sie ist im Rom des Jahres 1800 angesiedelt, einer Stadt, die auf die Liberalisierung der Französischen Revolution reagiert, symbolisiert durch Napoleon I. Bonaparte (1769-1821) – eine aufstrebende Macht, die droht, Italien zu erobern. Zwei der Hauptfiguren der Oper, Tosca und Scarpia, bilden in ihrer religiösen  Identität einen Kontrast zueinander. Tosca – eine Opernsängerin – ist tiefgläubig, ihre religiösen Ansichten sind ein wesentlicher Bestandteil ihres Wesens. Im Gegensatz dazu nutzt Scarpia – ein Polizeichef – die Religion um seine Ziele zu erreichen, typischerweise in Form von sexueller Eroberung.

 

Tosca gehört zur Verismus-Schule in der Oper, einer realistischen Operntradition, die um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert populär war. Sie wandte sich vom Adel und den mythologischen Figuren früherer Werk ab und konzentrierte sich stattdessen auf Alltagsmenschen mit nachvollziehbaren Reaktionen auf alltägliche Situationen. Früher, als Opern die persönliche Beziehung zu Gott thematisierten, waren viele der Figuren Märtyrer oder Menschen, die zumindest äußerlich bereit waren, für ihren Glauben zu leiden und zu sterben. In dieser Oper sehen wir eine gläubige Laiin, die in Echtzeit mit ihrem Glauben ringt. Puccinis: Tosca untersucht, wie sich die Beziehung eines gewöhnlichen Menschen zu Gott unter Druck verändern und sogar vertiefen kann.

Ludovic Tezier (Scarpia) und Saioa Hernandez (Tosca) © Vincent Pontet

 

Als Tosca im ersten Akt erscheint, begibt sie sich zum Gebet in die Kirche. Doch sie ahnt nicht, dass dieses Gotteshaus zum Schauplatz illegaler revolutionärer Aktivitäten geworden ist, in die auch ihr Geliebter, der Maler und Napoleon-Anhänger Mario Cavaradossi, verwickelt ist. Kurz darauf trifft Baron Scarpia, der Polizeichef, ein. Er verkörpert in der Oper die repressive, reaktionäre Politik Italiens. Er beschließt, Tosca als Spielfigur in seinen politischen und sexuellen Intrigen zu missbrauchen.

 

Er versucht, Tosca zu manipulieren, indem er andeutet, Mario sei zuvor zu einem sexuellen Treffen in der Kirche gewesen, um Eifersucht zu schüren. Interessant ist nicht, was er sagt, sondern wie er es sagt. Zuerst lockt er Tosca mit Weihwasser, dann deutet er an, wie schön es sei, eine wirkliche fromme Frau in der Kirche zu sehen, im Gegensatz zu anderen Frauen, die – wie Maria Magdalena – aus Liebe in die Kirche kommen. Scarpia will hier ganz offensichtlich einen Keil zwischen Tosca und ihren Geliebten treiben, wählt  dafür aber bemerkenswerterweise biblische Bilder. Dies untermauert Cavaradossis frühere Bemerkung, dass Scarpia die Religion für seine eigenen niederträchtigen Zwecke missbraucht. 

Saioa Hernandez (Tosca) und Jonas Kaufmann (Cavaradossi) © Vincent Pontet

 

Vom Beginn des Duetts zwischen Scarpia und Tosca, als er ihr Weihwasser anbietet, bis zum Ende des Akts sind Kirchenglocken zu hören. Puccini war sowohl von Richard Wagner (1813-1883) als auch von Giuseppe Verdi (1813-1901) beeinflusst. Die Glocken fungieren daher als eine Art Tinta und Leitmotiv, das Scarpias Missbrauch der Religion für ruchlose Zwecke symbolisiert. Toscas Tinta verortet die Handlung eindeutig im napoleonischen Rom. Puccini war sehr daran interessiert, den genauen Klang der Kirchenglocken von Sant ’Andrea della Valle – zum  Schauplatzt des ersten Akts - , zu kennen.

 

Puccini wünschte sich, dass der Chor, während sich die Gläubigen zur Messe versammeln , das Latein absichtlich falsch ausspricht! Ihm  ging es weniger um die Bedeutung des lateinischen Textes als vielmehr darum, ein schmuddeliges, verwerflich klingendes Latein zu schaffen, das Scarpias Verdorbenheit unterstreicht. Scarpia und Tosca haben die deutlichsten religiösen Passagen der Oper. Toscas Arie „Vissi d’arte“ im zweiten Akt ist ein regelrechtes Gebet. Scarpias: Te Deum – ein lateinischer Hymnus – am Ende des ersten Akt ist eine Art umgekehrtes liturgisches Stück , ähnlich wie das Credo von Jago in der Oper Otello (1882) von Verdi. In diesem Fall betet Scarpia, während sich die Menge zur Messe versammelt, darum, Toscas prorevolutionären Liebhaber hinrichten und Tosca entehren zu können.

 

Tosca ist ein Thriller, der sich über einen Tag erstreckt. Die Frau, die wir am Ende sehen, ist eine ganz andere als die, die wir zu Beginn kennenlernen. Als Erstes geht Tosca  in die Kirche, um zu beten und der Jungfrau Maria Blumen darzubringen. Victorien Sardous  (1831-1908) Theaterstück La Tosca von 1887, auf dem die Oper basiert, beschreibt Toscas Kindheit detaillierter: Sie war Waise, wurde von Benediktinerinnen aufgenommen und ist seit ihrer Kindheit tief religiös. Manche Sängerinnen und Sänger haben angemerkt, dass Toscas voreheliche Intimität mit Cavaradossi im Gegensatz zu ihrer religiösen Erziehung der Grund für ihr Bedürfnis ist, in der Kirche Buße zu tun.

Ludovic Tezier (Scarpia) und Saioa Hernandez (Tosca) © Vincent Pontet

 

Im zweiten Akt, während einer Aufführung im Königspalast, lädt Scarpia die Diva Tosca in seinen Speisesaal ein. Er macht ihr Avancen, nachdem er ihr offenbart hat, dass er Cavaradossi im Nebenzimmer foltert. Als sie seine Annäherungsversuche zurückweist, stellt Scarpia ihr ein Ultimatum. Trommelwirbel kündigen einen Marsch auf der Straße an. Scarpia erklärt Tosca, dies sei der Marsch eines Toten und teilt ihr mit, dass Cavaradossi sterben werde, wenn sie seinen Avancen nicht nachgebe. Die Handlung kommt für „Vissi d’arte“, Toscas Gebet und die einzige Arie des zweiten Akts, zum Stillstand! Die berühmte amerikanische Sopranistin Sondra Radvanovsky  (*1969) – sehr bekannt für ihre Darstellung der Tosca – sagte über die Arie: „Sie nennt (Gott) „Signor“, nicht „Dio“, sondern eher informell… Und so sprach Tosca immer zu Gott… Denn sie betete jeden Tag zu Gott“. Sie spricht ihn vertraut und offen an und erinnert Gott an ihre Hingabe, die im Gegensatz zu ihrem gegenwärtigen Unglück steht.

 

Tosca nimmt Scarpias Avancen an, im Austausch für Cavaradossis Leben – er soll erschossen statt gehängt werden, allerdings mit Platzpatronen. Tosca ist unwissentlich hereingelegt worden und Mario wird trotzdem sterben. Doch im letzten Moment entdeckt sie ein Messer und ersticht Scarpia. Die visuelle Geschichte der Tosca ist stark von Traditionen geprägt, von denen viele aus dem Theaterstück stammen. Vieles von dem, was die große Schauspielerin Sarah Bernhardt (1844-1923) – eine berühmte Tosca-Interpretin – im Theaterstück tat, wurde in die Oper übernommen, insbesondere die Art und Weise, wie Tosca den Polizeichef Scarpia ermordet. Sie war die Erste, die Kerzen in Form eines Kreuzes um Scarpias Leiche anordnete, um die Sünde des Mordes zu sühnen.

 

Ganz gleich, wie man das Ende des zweiten Akts inszeniert, Toscas erste Worte lauten: „È morto! O gli perdono! È avanti a lui tremava tutta Roma!“ Man spürt noch immer, dass Tosca einen tiefen religiösen Kern bewahrt hat, selbst nach dem Mord, auch wenn dieser durch ihre Verteidigung  verhärtet oder gar verändert wurde. Das Ende der Oper im dritten Akt zeigt, wie sehr sich Tosca verändert hat! Als Tosca die Täuschung Scarpias erkennt, trifft die Polizei ein, um sie zu verhaften, nachdem sie Scarpias Leiche gefunden hat. Anstatt sich der Verhaftung zu stellen, stürzt sie sich von der Burgmauer in den Tod und ruft Scarpia zu: „vor Gott auf sie zu warten!“

 

Die letzte Zeile der Oper zeigt deutlich, dass sie nicht aus Liebe stirbt, wie viele glauben, sondern um ihre Menschenwürde zu bewahren. Dennoch wünscht sie sich Gerechtigkeit und will Scarpias göttliche Vergeltung mit eigenen Augen sehen. Bezeichnend ist, dass sie freiwillig Selbstmord begeht – eine Todsünde für eine gläubige Katholikin. Theologisch gesehen riskiert sie, in Gottes Gegenwart unrettbar zu werden. Daher hat sich ihre Beziehung zu Gott deutlich verändert und ist differenzierter geworden. Sie folgt nicht länger sklavisch religiösen Geboten, sondern gestaltet ihre Beziehung zu Gott selbst. Sie ist menschlicher, glaubwürdiger und ganz im Sinne des Verismus.

Jonas Kaufmann (Caravadossi) © Peter Michael Peters

 

 

Zur Aufführung in der Opéra National de Paris / Salle Bastille am 08. Dezember 2025:

 

Die Sterne stehen günstig für Tosca…

Als Sardous Theaterstück La Tosca 1887 im Théâtre de la Porte Saint-Martin uraufgeführt wurde, befand sich der Komponist  auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Mit der legendären Bernhardt in der Hauptrolle und inmitten eines Netzes falscher Gerüchte triumphierte Tosca und wurde einer der emblematischsten Rollen der „Dame“ im französischen Theater. Während das monumentale Fünf-Akte-Drama zu Unrecht an den Rand der Pariser Bühnen verbannt wurde, sicherte erst die Opernbearbeitung der feurigen Floria, dem rebellischen Cavaradossi und dem beeindruckenden Scarpia Unsterblichkeit. Puccinis Oper Tosca, uraufgeführt im Jahr 1900, ein Jahrhundert nach den Ereignissen des Librettos, ist zu einer der der meistgespielten Opern der Welt geworden und erfreut sich nach 125 Jahren nach ihrer Entstehung weiterhin großer Beliebtheit. Puccinis fünfte Oper, Tosca, zeugt bereits von der bemerkenswerten Reife ihres Komposition. Mit 42 Jahren löste sich Puccini endgültig vom Verdi-Modell und wandte sich einem pompösen Stil zu, der dennoch seine dramatische und emotionale Intensität bewahrte. Dies zeigt sich in der straff strukturierten Drei-Akte-Handlung, die sich um das tragische Trio der Hauptfiguren dreht und in der Musik, die weit weniger melodramatisch ist als die La Boheme (1896) oder Edgar (1889). Tosca ist eine Partitur, die ihrer Handlung entspricht: Lyrisch, kraftvoll und ergreifend bis zur Verzweiflung!

 

Die Opéra National de Paris präsentiert mit der Wiederaufnahme der Inszenierung des verstorbenen libanesisch-französischen Theaterdirektor und Regisseur Pierre Audi (1957-2025) das unbestreitbare Talent dieses Meisters der Bühnenregie. Die gesamte Handlung wird von einem riesigen, rußbefleckten Kreuz aus rohem Holz durchzogen – eine Art Symbol für die immense Last des Glaubens, eine manifeste Liturgie mit tragischer Dimension. Im krassen Gegensatz dazu ist die Sinnlichkeit allgegenwärtig! Im ersten Akt wird das Porträt der Gräfin Attavanti als reuige Magdalena zur sinnlichen Flucht eines Fragments aus William Bouguereaus (1825-1905) Les  Oreaden (1902). Im zweiten Akt tauscht Scarpias riesiger Saal im Palazzo Farnese Marmor vergoldete Stuckarbeiten gegen blutroten Lederdamast und im dritten Akt kontrastiert die flackernde Flamme eines Nachtlichts im Biwakzelt eines neapolitanischen Regiments mit der fahlen Sonne, die den Tod der beiden römischen Liebenden ankündigt. Eine Inszenierung von seltener Subtilität, die im Libretto von Giuseppe Giacosa (1847-1906) und Luigi Illica (1857-1919) unerwartete und aufregende symbolische Türen öffnet.

Saioa Hernandez (Tosca), Oksana Lyniv, Dirigentin und Jonas Kaufmann (Cavaradossi) © Vincent Pontet

 

Heute Abend durften wir eine außergewöhnlich hochkarätige Besetzung erleben. In der Titelrolle zeigte die spanische Sopranistin Saioa Hernandez unbändige Energie und eine reiche, resonante Stimme. Ihre Forte-Passagen gingen nie im Notenwirrwarr unter; alles war klar und präzise, das Timbre fein geschliffen, ohne jemals in melodramatische Übertreibung abzudriften. Ihr „Vissi d’arte“ war subtil vorgetragen und ihre finale Konfrontation mit Scarpia entwaffnend theatralisch. Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann bot als Liebender, der mit seinen inneren Konflikten ringt, eine nuancierte Darstellung des Cavaradossi. Trotz einer gewissen Zurückhaltung in „Recondita armonia“ waren wir von seinem edlen, heroischen Tonfall im gesamten zweiten Akt und seinem legendären „Lucevan le stelle“ gefesselt. Der unvergleichliche französische Bariton Ludovic Tézier als morbider Scarpia, hätte wohl als Hauptantagonist vielleicht niemand besser sein können. Ein brillanter Scarpia im wahrsten Sinne des Wortes! Im ersten Akt gibt sich Tézier streng uns berechnend, wie ein Detektiv à la Jean Gabin (1904-1976) oder Bertrand Blier (1939-2025), der keinerlei Zugeständnisse macht. Im zweiten Akt verkörpert er mit seltener Subtilität die brutale und beinahe bestialische Seite des lüsternen Scarpia. Sein Geist wandert wie ein grimmiges Gespenst, das auf zynische Rache sinnt, durch die trostlosen Ebenen des dritten Akts. Ergänzt wird diese Besetzung durch Sängerinnen und Sänger mit vielfältigen Talenten, die diese Aufführung mit uneingeschränktem Können  bereichert haben.

 

Trotz der brillanten Musiker des Orchestre et Choeurs de l‘Opéra National de Paris, die mit der Partitur bestens vertraut sind, wirkte die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv manchmal etwas zurückhaltend. Für dieses Werk hätten wir etwas mehr Engagement und dramatische Intensität aus dem Orchestergraben gewünscht, um die beeindruckende Struktur, die dieses Ensemble über die drei Akte hinweg geschaffen hat, besser zu unterstützen.

 

Tosca setzt ihre ewige Reise von der ewigen Stadt ihrer Geburt bis in die Ausläufer der unterschiedlichsten Landschaften fort. Hoffen wir, dass Audis Vision, sinnlich wie historisch, uns weiterhin tief berühren wird, wie der „Baccio di Tosca!“

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