Paris, Opéra National - Salle Bastille, IL TRITTICO- Giacomo Puccini, IOCO
Das Projekt des Trittico lässt sich bis in die mittlere Schaffensperiode von Giacomo Puccini (1858-1924) zurückverfolgen. Bereits kurz nach der Uraufführung der Tosca (1900) plante der Komponist, je eine Episode aus den drei Teilen von Dante Alighieris

02.05.2025 – Giacomo Puccini: IL TRITTICO (1918), GIANNI SCHICCHI / Libretto: Giovacchino Forzano, IL TABARRO / Libretto: Giuseppe Adami, SUOR ANGELICA / Libretto: Giovacchino Forzano
von Peter Michael Peters
DREI FARBEN, DREI ATMOSPHÄREN, DREI REGISTER…
È morto? Ah!
Senza mamma, o bimbo, tu sei morto!
Le tue labbra, senza i baci miei, scoloriron
fredde, fredde. E chiudesti, o bimbo, gli occhi
belli. Non potendo carezzarmi, le manine componesti
in croce… E tu sei morto senza sapere quanto
t’amava questa tua mamma.
Ora che sei un angelo del cielo, ora tu puoi
vederla la mamma. Tu puoi scendere giu pel
firmamente ed aleggiare intorno a me, si sento…
sei qui… mi baci… m’accarezzi.
Ah, dimmi quando in cielo potrò verderti,
quando potrò baciarti! Oh, dolce fine di ogni
mio dolore! Quando in cielo con te potrò salire?
Quando potrò morire? Dillo alla mamma,
creatura bella, con un leggero scintillar di
stella… Parlami, amore… (Arie der Suor Angelica/Auszug)

Giacomo Puccini grave. Villa Puccini, Torre del Lago, Italy - c wikipedia
Das Projekt Trittico…
Das Projekt des Trittico lässt sich bis in die mittlere Schaffensperiode von Giacomo Puccini (1858-1924) zurückverfolgen. Bereits kurz nach der Uraufführung der Tosca (1900) plante der Komponist, je eine Episode aus den drei Teilen von Dante Alighieris (1265-1321) Divina commedia (1307/1321) zu einem abendfüllenden Zyklus zu verbinden. Doch erst 1913, nachdem sein Verleger Giulio Ricordi (1840-1912) gestorben war, der dem Projekt stets ablehnend gegenübergestanden hatte, konnte Puccini darangehen, seine Idee in die Tat umzusetzen. Seine Wahl fiel zunächst auf den Einakter La Houppelande (1910) von Didier Gold (1874-1931), ein typisches pièce noire, das Puccini 1912 in Paris kennengelernt hatte und die Giuseppe Adami (1878-1946) in ein wirkungsvolles Libretto mit dem analogen Titel Il tabarro verwandelte.

Für das zweite Stück wandte sich der Komponist an Gabriele d’Annunzio (1863-1938) , doch ohne Erfolg: Damit endeten die seit vielen Jahren unternommenen Versuche Puccinis, mit dem bedeutendsten Dichter seiner Zeit zu einer Zusammenarbeit zu gelangen. In Giovacchino Forzano (1883-1970), einem vielseitig begabten Autor und Regisseur, fand Puccini schließlich den geeigneten Mitarbeiter; ihm verdankte er das Sujet von Suor Angelica. Die Anregung zum dritten Einakter fand man in wenigen Versen aus dem XXX. Canto des Inferno, wo Dante den Schatten des Testament-Fälschers Giovanni Schicchi beschwört. So wurde Puccinis ursprüngliche Idee zumindest teilweise realisiert. Die Welturaufführung der unter der Bezeichnung Il Trittico zu einer Einheit zusammengefassten Einakter rief unterschiedliches Echo hervor: Während Giovanni Schicchi sofort akzeptiert wurde, war die Reaktion auf die beiden anderen Einakter, namentlich auf Suor Angelica, ausgesprochen kühl. Auch bei der europäischen Erstaufführung in Rom 1919 zeigte sich die gleiche Situation: bloß Giovanni Schicchi wurde mit Enthusiasmus aufgenommen; damit war das Schicksal des Trittico besiegelt. Nur allzu bald musste Puccini erkennen, dass seine ursprüngliche Intention nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Die meisten Theater beschränkten sich auf die Kombination von Il tabarro und Giovanni Schicchi, so vor allem nördlich der Alpen, wo das Mittelstück wegen seines mediterranen Mystizismus zumeist auf Unverständnis stieß. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich das Bild nur unwesentlich gewandelt: Auch in Italien ist der vollständige Zyklus selten zu sehen (Mailand 1959, Florenz 1985). Zu den rühmlichen Ausnahmen in unserer Zeit zählt die Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin durch den italienischen Regisseur Filippo Sanjust (1925-1992), wobei die Reihenfolge nach dem Prinzip steigender Attraktivität geändert wurde (Suor Angelica – Il tabarro – Giovanni Schicchi).
Il tabarro…

Das Schauspiel La Houppelande, mit dem Gold an Émile Zolas (1840-1902) Naturalismus anknüpfte, gehört zum Genre pièce noire, dessen herausragende Eigenschaft in der ungeschminkten Darstellung der dunklen Seiten menschlicher Existenz besteht. Puccini und Adami haben die Vorlage fast unverändert übernommen; neben den üblichen Kürzungen wurde lediglich die Charakterzeichnung einiger Gestalten leicht abgewandelt. So ist es Georgette, die im Drama die Initiative ergreift und den Löscher Louis zu ihrem Geliebten macht, während die Giorgetta bei Puccinis als unschuldiges Opfer unglücklicher Verhältnisse erscheint.
Puccinis Einakter tendiert dramaturgisch zur Zweiteilung. Der erste Teil erfüllt die Aufgabe, die dramatische Ausgangskonstellation zu skizzieren und das spezifische Ambiente zu schildern. Die seltsam schillernde Atmosphäre – eine Mischung aus Idyll und tristem Alltag -, die von Beginn an über dem Geschehen liegt, wird durch eine orchestrale Einleitung beschworen, die einerseits durch Festhalten an einem Barkarole-ähnlichen Rhythmus, andererseits durch ein Changieren von Tonart und Tongeschlecht bestimmt ist. Aus Kontrastgründen werden heitere und groteske Episoden eingelegt, wie die Erzählung der Frugola und ihrem Kater. Dass Giorgetta ein Liebesverhältnis mit Luigi unterhält, wird zunächst nur angedeutet, etwa in der Walzerszene, als die beiden sich hingebungsvoll dem Tanz überlassen und bei Micheles Erscheinen plötzlich auseinanderfahren; hier zeigt sich Puccinis subtile Verfahrungsweise, die Milieuschilderungen mit dramatischer Entfaltung zu verschränken. Für diese Szene ist zwar keine echte Drehorgel vorgesehen, dennoch ist der naturalistische Einschlag unverkennbar, der sich in primitiver Satztechnik und der Parallelführung der Melodie durch verminderte Oktaven äußerst, was die Illusion eines verstimmten Instrumentes erweckt. Der zweite Teil, beginnend mit dem Dialog zwischen Giorgetta und Luigi, ist überwiegend in Moll gehalten und fast ausschließlich der Entwicklung des Dramas gewidmet. Was seine vier Abschnitte, die sich in ihrem Charakter deutlich voneinander abheben, miteinander verbindet, ist die bis ins Extrem gesteigerte Technik des Ostinato, der ganz allgemein als Ausdruck des Unabwendbaren und Bedrohlichen zu begreifen ist. Steht er im Dialog Luigi/Giorgetta auch für die Entwicklungslosigkeit ihrer Beziehung, so symbolisiert er im Zwiegespräch von Michele und Giorgetta das erfolglose Werben des Ehemannes. Den musikalischen Höhepunkt des zweiten Teiles bildet der Monolog Micheles. Die ursprüngliche Fassung basiert auf dem Monolog des Dramas, in dem Michele über die Sinnlosigkeit eines Lebens ohne Liebe philosophiert, während in der definitiven Version (1922) seine Gedanken ausschließlich um seinen Rivalen kreisen, mit dem er sein Leben in den Tiefen des Flusses beenden will. Die musikalische Substanz des Monolog bildet ein Gedanke, der leitmotivisch verarbeitet wird und als Symbol des Mantels – der seinerseits als Sinnbild des Schutzes gilt – intendiert ist. Mit dem Einakter Il tabarro wird die stilistische Richtung der Oper La fanciulla del West (1910) weiterverfolgt: Die Melodik verliert ihre Vorzugsstellung als primärer Träger des Ausdrucks zugunsten des Klanges, der sich in seinen beiden Teilmomenten Harmonik und Instrumentation ausgesprochen avanciert gibt; der vierstimmige Satz wird tendenziell durch den impressionistischen Schichtensatz abgelöst. Immer wieder zog Puccini aus dem Studium der Partituren seiner Zeitgenossen persönlich Nutzen, ohne dass man ihn des Eklektizismus bezichtigen könnte, da er auch extrem heterogene Elemente in seinen eigenen Stil einzuschmelzen vermochte.
Suor Angelica…
Suor Angelica ist neben La Rondine (1917) die einzige Oper Puccinis

, deren Libretto nicht auf ein Drama oder einen Roman zurückgeht. Mehr als in jedem anderen Werk Puccinis dominiert im Einakter das Atmosphärische, was impliziert, dass die eigentliche Handlung erheblich reduziert ist; sie setzt erst ein mit der Begegnung zwischen der Fürstin und Angelica, also etwa in der Mitte der Oper. Hinsichtlich der Gewichtsverteilung zwischen der dramatischen und deskriptiven Komponente stellt sie das extreme Gegenbeispiel zu Tosca dar, mit der sie jedoch eines gemeinsam hat: Die religiöse Sphäre wird zum Gegenstand musikalischer Gestaltung. Beziehungen zwischen den beiden Opern sind sogar im Detail vorhanden: Die Einleitungsmusik zu Suor Angelica basiert auf einem Glockenmotiv, das uns bereits im 1. Akt von Tosca begegnet. Das religiöse Kolorit in Suor Angelica entsteht durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wie Mixtechnik, modaler Wendungen und Ostinati sowie durch den Cantus „Ave Maria“. In der Schluss-Szene setzt Puccini zwei zusätzliche Klangkörper ein: Einen gemischten Chor – die einzigen Männerstimmen in dieser Oper – sowie ein Bühnenorchester. Der Klang ist ganz auf Transparenz abgestellt, das Diskantregister wird auffällig betont – Symbol für die Sphäre des Außerirdischen. Dramatischer Kristallisierungspunkt der Oper ist die Begegnung zwischen der Fürstin und Angelica; diese Szene ist durch leitmotivische Verarbeitung, bohrende Chromatik sowie durch eine äußerst differenzierte Instrumentation gekennzeichnet. Die Charakterisierung der Fürstin als einer bigotten, aber kalten und mitleidslosen Frau ist überzeugend gelungen. Angelica ist besonders im zweiten Teil, wo sie als tragische Gestalt erscheint, musikalisch als Individuum herausgehoben. Ihr großes Solo „Senza Mamma“ – ein mehrteiliger Arienkomplex, der formal offen und tonal changierend angelegt ist – basiert im Wesentlichen auf drei äußerst expressiven Melodien, die teilweise schon vorher exponiert wurden – als Angelica von der Ankunft der Kutsche erfährt – und auch später Verwendung finden, so etwa in der Schluss-Szene sowie in einer Art Intermezzo sinfonico, das aufgrund seiner emphatischen Melodie, seiner polyphon angereicherten Satzstruktur und seiner farbigen Instrumentation besonders wirkungsvoll ist.

Gianni Schicchi…
Gianni Schicchi de’Cavalcanti (?-1280) ist keineswegs eine Erfindung Dantes, sondern eine historische Gestalt. Dass ihn der große Dichter für das tatsächlich begangene Verbrechen der Testamentsfälschung ins Inferno verbannte, hatte sicherlich nicht zuletzt einen ganz persönlichen Grund: Dantes Gattin Gemma Dante (1329-1332) nämlich war eine geborene Donati, gehörte also jener Familie an, die dem Streich Gianni Schicchis zum Opfer gefallen war.
Unter den Buffo-Opern dieses Jahrhunderts nimmt der Einakter, der ganz bewusst an die große Tradition der commedia dell’arte anknüpft, eine herausragende Stellung ein. Die vorgegebene Größenordnung zwang die beiden Autoren zur Konzentration und zur allgemeinen Beschränkung des Nebensächlichen, Episodenhaften auf ein Minimum. Die Folge ist ein atemberaubendes Tempo, das den Zuschauer kaum zur Besinnung kommen lässt. Puccini verzichtet auf ein Vorspiel, ihm genügen wenige Orchestertakte, um die Situation zu skizzieren. Zwei individuelle geformte Motive repräsentieren die beiden Kontrahenten: Gianni Schicchi wird durch ein gewaltiges dreiklangartiges Holzbläsermotiv charakterisiert, die Verwandten durch eine ständig wiederholte melodische Floskel, als Ausdruck von Trauer. Dass die Hinterbliebenen in Wahrheit nur an ihr Erbe denken, wird zunächst durch rein musikalische Mittel verdeutlicht: Puccini lässt das Klagethemen zwischen Dur und Moll changieren und entlarvt damit die demonstrierte Trauer Heuchelei. Mit nur wenigen Strichen wird das Schwanken der Verwandtschaft zwischen Hoffnung und Resignation umrissen. Als sie beim Lesen des Testamentes feststellt, dass der größte Teil des Erbes den Mönchen vermacht wurde, kennt ihre Wut keine Grenzen; hier verdichten sich rasches Tempo, Konfliktrhythmen und dissonante Harmonik zu einem Gestus, der als adäquater Ausdruck ihrer Emotionen zu begreifen ist.
Als einziger distanziert sich Rinuccio vom Standesdünkel der Verwandten! Sein Arioso „Avete torto“ ist ein Loblied auf Schicchi und die „nuova gente“, der Florenz einen Großteil seines Ruhmes zu verdanken habe. Eine emphatische Vierteltaktphrase bildet den Ausgangspunkt für Laurettas Arie „O mio babbino caro“, die eine doppelte Funktion erfüllt: Einerseits wirkt sie als retardierendes Moment, andererseits markiert sie die Peripetie. Schicchi lässt sich von Lauretta erweichen und nimmt sich des Falles an – eine kurze Szene, die überaus wirkungsvoll ist: Auf Schicchis zweimalige Weigerung – eine kurze Phrase über geballten Dissonanzen – reagieren Rinuccio und Lauretta mit einer expressiven Melodie, die am Schluss zu einem Duettino entwickelt wird.
Dem Titelhelden gelten die Sympathien der Autoren, auch wenn dessen Handlungsweise unter moralischen Gesichtspunkten fragwürdig erscheint. Am Ende siegt nicht das Gute über das Böse, sondern der Schlaue über die Dummen! Die Oper verzichtet also auf moralische Implikationen zugunsten eines einzigen Zweckes: Der Unterhaltung! Das geht nicht zuletzt aus dem Schluss der Oper hervor, für den sich die Autoren einen besonderen Effekt aufgespart haben: Indem er auf die beiden Liebenden zeigt, die sich auf dem Balkon umarmen, wendet sich Gianni Schicchi an den Zuschauer mit der Frage, ob das Geld des Buoso ein besseres Ende hätte nehmen können und schließt mit den Worten: „Wenn ihr euch heute Abend amüsiert habt, so plädiert für mildernde Umstände!“ Das fanfarenartige Thema, eines der Personalmotive des Helden, lässt keinen Zweifel daran, dass er sicher sein kann, den Beifall des Zuschauers zu erhalten.
Die Aufführung in l’Opéra National de Paris / Salle Bastille am 02 Mai 2025:
Ein dreifacher Triumph für Il Trittico…
Nach einem triumphalen Werther (1892) von Jules Massenet (1842-1912) im Théâtre des Champs-Elysées (siehe IOCO-Artikel!) gab der deutsche Regisseur Christof Loy endlich sein Debüt an der Opéra National de Paris mit Pucchinis Il Trittico. Diese Produktion vermittelt sowohl hinsichtlich ihrer Inszenierung, ihres Vokalensembles – besonders aber auch die außergewöhnliche Interpretation der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian in allen drei Operneinaktern… in allen drei Rollen – als auch in ihrer musikalischen Leitung eine ergreifende Emotionen und stellt einen überaus großen einmaligen Erfolg dar…
Während man erwartet, die Eröffnungsakkorde von Il tabarro zu hören, sind es tatsächlich die ersten Töne von Gianni Schicchi, die aus dem Orchestergraben aufsteigen, wobei das Werk in der ungewöhnlichen Reihenfolge Gianni Schicchi, Il tabarro, Suor Angelica präsentiert wird. Diese Wahl, auch wenn sie im Widerspruch zu Puccinis Wünschen steht, erweist sich dennoch als äußerst angemessen in dem emotionalen Crescendo, das es erzeugt, indem es das ergreifendste Werk des Triptychons zu einem Höhepunkt erhebt und es Grigorian, die die drei aufeinanderfolgenden Rollen von Lauretta, Giorgetta und Suor Angelica interpretiert, ermöglicht es ihrer großen musikalischen Kunst und ihrer gesanglichen Tonfarbenpalette schrittweise einzusetzen, um mit viel Meisterschaft drei sehr unterschiedliche Charaktere mehr als glaubwürdig zu verkörpern. Und dass bis zum Höhepunkt, der darin besteht, dass sie während der Schlussszene von Suor Angelica ganz „allein auf der Bühne“ steht!
Der Vorhang hebt sich also und gibt den Blick frei auf das Schlafzimmer des verstorbenen Buoso Donati mit einer nüchternen eleganten Kulisse des schweizerischen Bühnenbildner Etienne Pluss, der mit seiner Nachtmütze auf dem Sterbebett liegt. Während tutta la famiglia, die sich klugerweise für die vereinbarte Totenwache in einer Reihe aufgestellt hatte und dabei Spaghetti aß und natürlich dabei literweise Krokodilstränen verweinte. Der unwiderstehliche komische Effekt kommt voll zur Geltung, vor allem da die Elemente der Farce durch die musikalische Leitung des italienischen Dirigenten Carlo Rizzi und die Sänger-Schauspieler unter der Leitung von Loy mit bemerkenswerter Finesse und Präzision sowie auch durch einige nette und gleichzeitig auch bösartige Gags gekonnt unterstrichen werden. Buosos sterbliche Überreste werden vor der Ankunft des Notars kurzerhand hinter das Bett geworfen! Schicchi kehrt mit den Kerzenleuchtern und anderen Gegenständen, die ihm die Familie zu stehlen suchte, in seines neues Haus zurück… Die vielen Charaktere, aus denen die Familie besteht: Schwager, Onkel, Cousine, usw., sind fein gezeichnet und werden von einer Gruppe hervorragender comprimari interpretiert, aus denen vielleicht ein besonders schönes weibliches Trio hervorgeht: Nella von der italienischen Sopranistin Lavinia Bini, La Ciesca von der deutsch-italienischen Mezzo-Sopranistin Theresa Kronthaler und Zita von der albanischen Mezzo-Sopranistin Enkelejda Shkoza hervorragend interpretiert. Wie schon gesagt: Grigorian singt Lauretta in einem sehr eindrucksvollen „O mio babbino caro“ und bildet mit ihrem Geliebten Rinuccio – der ausgezeichnete russische Tenor Alexey Neklyudov – ein absolut glaubwürdiges Paar. Doch der Sänger, der hier wirklich die Bühne dominiert, ist tatsächlich Gianni Schicchi, gesungen von dem armenischen Bariton Misha Kiria – der wie Neklyudov sein Debut an der Opéra National de Paris gibt -, der sich in seiner Rolle als gerissener Bauer vollkommen wohl fühlt und über eine unverschämte, sehr gesunde Stimme verfügt. Sein beeindruckendes „Vittoria, vittoria“, gefolgt von einem „Si corre dal notaio“, das zugleich schelmisch und fast verstörend ist.
Ein Stimmungswechsel mit Il tabarro, dessen Regie Loy bewundernswert erneuert – das zweideutige Spiel zwischen Giorgetta und Luigi bei den Tanzschritten, die amouröse und erotische Spannung der Liebenden, die Heuchelei der beiden Eheleute, usw. – und die große Sorgfalt, mit der auch die kleinsten Details – wie dem unbrauchbar gewordenen Kinderwagen des nie geborenen Kindes von Michele und Giorgetta, der in einer Ecke der Bühne verstaubt liegt – nachgegangen wird. Erwähnenswert ist noch einmal die meisterhafte Kunst des Dirigenten, der mit millimetergenauer Präzision und ohne unnötige Übertreibungen die Momente aufkommender Spannung und dann die Ausbrüche von Leidenschaft oder Gewalt unterstreicht. Zu den großen (!) Nebenrollen gehört wohl der irländische Tenor Dean Power als eleganter Un Venditore di canzonette. Grigorian erweist sich auch hier als Giorgetta wieder als perfekte Schauspielerin und entfacht in ihrer Beschwörung von Belleville „È ben altro il mio sogno“ einen leidenschaftlichen Gesang. Der kanadische Tenor Joshua Guerreros als Luigi ist vollkommen überzeugend, auch wenn ihm in den dramatischeren Ausbrüchen einer kurzen, aber stimmlich spannenden Rolle ein wenig Kraft fehlt. Schließlich packt der russische Bariton Roman Burdenko den Zuschauer buchstäblich mit der Kraft seiner Darbietung: Abwechselnd von Trauer erdrückt, flehend, berührend, verrückt vor Liebe, gewalttätig und hasserfüllt gelingt es dem Sänger, die Komplexität von Micheles Charakter vollständig zu vermitteln: Eine erstklassige Bühnen- und Gesangsleistung!
Der Vorhang von Suor Angelica öffnet sich schließlich in der gleichen Dekoration wie für Gianni Schicchi – natürlich ohne Bett – und schließt somit den Kreis! Von Anfang an wird den Pflanzen ein wesentlicher Platzt eingeräumt, den Einfachen, die Angelica mit großer Sorgfalt pflegt und die wenig später eine entscheidende – und fatale – Rolle spielen werden. Wie zu Beginn der beiden vorhergehenden Werke sind die kleinen Genreszenen, mit denen das Werk beginnt, mit der Präzision eines Entomologen skizziert, wobei jede Figur perfekt charakterisiert ist – Suor Genovieffa von der russischen Sopranistin Margarita Polonskaya gestaltet oder auch La Badessa, in der wir mit großen Emotionen die berühmte deutsche Mezzo-Sopranisten Hanna Schwarz wiederfinden. Die musikalische Leitung ihrerseits unterstreicht auf schlichte und wirkungsvolle Weise jeden von Puccini beabsichtigten Effekt – nennen wir unter zahlreichen anderen Beispielen die wunderbaren Flöten in der Einleitung des Werks oder die subtile Verlangsamung des Tempos, wenn die Emotion einsetzt „Un altr’anno è passato! È passato un altr’anno! E una sorella manca…“.
Die Spannung steigt plötzlich mit Angelicas ängstlichem Warten und natürlich der Ankunft der Zia Principessa, beeindruckend interpretiert von der großen finnländischen Sopranistin Karita Mattila, deren schaurige Darstellung – auch wenn ihre Stimme altersbedingt hier und da einige Unregelmäßigkeiten offenbart – völlig überzeugend ist. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als Angelicas Mutter erwähnt wird und dann der Tod ihres Kindes verkündet wird. Dann betreten wir eine Welt der Gewalt und des unübertrefflichen Schmerzes, die in gewisser Weise und natürlich in einem ganz anderen Register an den vierten Akt von Loys jüngstem Werther erinnert.
Hier ist wohl der absolute Höhepunkt des Abends erreicht! Angelica hat sich offensichtlich verändert: Alles ist ihr gleichgültig geworden… Sie reißt zuerst ihren religiösen Schleier ab und nimmt bald darauf wieder ihre Zivilkleidung einer eleganten Aristokratin an. Als Angelica in einem ihr gebrachten Koffer das Porträt und die Kleidung ihres kleinen Jungen entdeckt, erreicht die Emotion ihren Höhepunkt und zwar so sehr, dass ihr meisterhaft interpretiertes „Senza Mamma“, das in einer absoluten Totenstille erklingt, glücklicherweise keinen Applaus hervorruft – was in einem solchen Moment ein Sakrileg wäre! Suor Angelica wird ein Glas Wasser gebracht, dann ziehen sich die Schwestern zurück… Grigorian bleibt allein auf der Bühne und der Selbstmord, mit dem das Werk dank des Suds giftiger Pflanzen endet, lähmt das Publikum durch die völlige Hingabe der Künstlerin, die Präzision ihres Spiels und eine absolut überragende Gesangsinterpretation, herzzerreißend in ihrer Süße „La grazia è discesa dal cielo“, wie auch in den letzten und erschreckenden Gesangsausbrüchen „Madonna! Salvami! In letzter Minute beendet durch die Ankunft ihres kleinen Jungen in einer fiebrigen Wahnvorstellung und somit das Ende der Oper mit einer außergewöhnlichen Stärke und Genauigkeit…
Der absolute und einstimmige Triumph, der alle Künstler beim Schlussvorhang empfing – wir müssen auch den von der chinesischen Chorleiterin Ching-Lien Wu vorbereiteten Opernchor, sein in außergewöhnlicher Form befindliches Orchester und die wunderschönen Kostüme von der deutschen Kostümbildnerin Barbara Drosihn erwähnen – und insbesondere natürlich Asmik Grigorian, die buchstäblich stehende Ovationen erhielt, ist selten genug, um hervorgehoben zu werden.
Eine bis ins kleinste Detail durchdachte und sorgfältig ausgearbeitete Produktion, makellose Bühnen-, Instrumental- und Gesangsdarbietungen, ergreifende Emotionen, die sich zu einem Crescendo steigern… wir verlassen diesen Abend überwältigt und mit nur einem Wunsch dieses unvergessliche Spektakle so bald wie möglich noch einmal zu sehen! (PMP/07.05.2025)
Auskünfte und Kartenverkauf: www.operadeparis.fr oder Tel.: 0 892 899 090