Paris, Théâtre des Champs-Elysée, DER ROSENKAVALIER - R. Strauss, IOCO

21.05.2025
Richard Strauss: DER ROSENKAVALIER, Op. 59 (1911)
Komödie für Musik in drei Aufzügen von
Hugo von Hofmannsthal.
EIN GROSSES WIENER WELTTHEATER…
Heut oder morgen oder den übernächsten Tag.
Hab‘ ich mir’s denn nicht vorgesagt? Das alles
kommt halt über jede Frau. Hab‘ ich’s denn
nicht gewusst? Hab‘ ich nicht ein Gelübte getan,
dass ich’s mit einem ganz gefassten Herzen
ertragen wird‘… Heut oder morgen oder den
übernächsten Tag.
(Szene der Marschallin / 3. Akt.)
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding…
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt, und viel zu grauenvoll, als dass man Klage: Dass alles gleitet und vorüberrinnt. Hugo von Hofmannsthal (1874-1929): Terzinen – Über Vergänglichkeit (1894).
Zu den wesentlichsten Eigenschaften, welche den Menschen von der übrigen Natur unterscheiden, gehört das Wissen von der Vergänglichkeit, von Anfang und Ende also von der Gabe der Zeit, - diesen subjektiven, so eigentümlich variablen, nach seiner Nutzbarkeit so ganz dem sittlichen unterworfenen Element, das sehr wenig davon sehr viel sein kann. Thomas Mann (1875-1955): Lob der Vergänglichkeit (1952).
Über die Schwäche von allem Zeitlichen weiß keine Figur der Oper besser Bescheid als die Marschallin Fürstin Werdenberg. Sie kennt den Lauf der Welt, durchschaut den Baron Ochs auf Lerchenau als Mitgiftjäger und macht sich über die Treue ihres Liebhabers Octavian keine Illusionen. Ihre Persönlichkeit besticht durch die Mischung von Souveränität und Schwäche, sie ist fähig zum Verzicht und beweist Größe in der Art und Weise, wie sie am Schluss den Geliebten einer Jüngeren überlässt. Hofmannsthal sah in ihr und in dem Ochs als Gegenpole die Hauptpersonen des Stückes.
In seinem Brief vom 12. Juli 1910 weist Hofmannsthal an den Komponisten Richard Strauss (1864-1949) ausdrücklich darauf hin, dass die Marschallin die dominierende weibliche Figur ist: „Ich lege Ihnen dies besonders ans Herz, jetzt wo Sie im Komponieren vielleicht bald an die sentimentale Schluss-Szene kommen, weil es auch der musikalisch geistigen Einheit des Ganzen schaden würde, wenn die Figur der Marschallin zu kurz käme und wenn nicht ein starker Bezug des Schlusses von Akt 3 auf den Schluss des 1. Aktes die Gemütseinheit sozusagen der ganzen Aventure herstellte“. Und Strauss bemüht sich gegen Ende seines Lebens in den Erinnerungen an die ersten Aufführungen meiner Opern (1942) Fehldeutungen der Figur entgegenzuwirken: „…ebenso wie Klytämnestra aus der Oper Elektra, Op. 58 (1903), keine alte verwitterte Hexe, sondern eine schöne stolze Frau von 50 Jahren sein soll, deren Zerrüttung eine geistige, keineswegs ein körperlicher Verfall sein soll, so muss die Marschallin eine junge schöne Frau von höchstens 32 Jahren sein, die sich bei schlechter Laune einmal dem 17-jährigen Octavian gegenüber als „alte Frau“ vorkommt, aber keineswegs wie die Madeleine (etwa 1781/82) von Jacques-Louis David (1748-1825) ist, die übrigens auch oft zu alt gespielt wird. Octavian ist weder der erste noch der letzte Liebhaber der schönen Marschallin, die auch ihren ersten Aktschluss durchaus nicht sentimental, als tragischen Abschied fürs Leben spielen darf, sondern immer noch mit wienerischer Grazie und Leichtigkeit, mit einem nassen und einem trockenen Auge. […] Besonders die erste Szene des Ochs im Schlafzimmer muss mit äußerster Delikatesse und Diskretion gespielt werden, soll sie nicht ebenso widerlich sein, wie die Liebschaft einer alten Generalin mit einem Fähnrich. Also Wiener Komödie, nicht Berliner Posse!“. Der Rückblick auf vergangene Epochen und Kunststile gehört zum Bild der Jahrhundertwende. Inseln der Schönheit werden gesucht, Fluchtwege aus der modernen Industriewelt. Die Wiederentdeckung des Rokoko nimmt dabei einen Vorzugsplatzt ein. Nach der Monumentalkunst der Gründerjahre und der Konfrontation mit der unerfreulichen Realität in den Werken der Naturalisten sehnt man sich nach neuer Grazie und Leichtigkeit. Offensichtlich ist auch, dass man sich dem Rokoko verwandt fühlte, weil man spürte, dass es die Kunst einer Endzeit war. Den Rückblick auf das 18. Jahrhundert finden wir nicht nur bei einigen Schriftstellern und Illustratoren, sondern auch bei Komponisten wie Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) mit Die neugierigen Frauen (1903) und Die vier Grobiane (1906) und auch Ferruccio Busoni (1866-1924) mit Arlecchino (1917). Strauss und Hofmannsthal vollzogen nach ihrer ersten Zusammenarbeit in der Elektra die Hinwendung zum Settecento mit Der Rosenkavalier und bewegten sich auch mit Ariadne auf Naxos, Op. 60 (1912) auf diesem Pfade. Was im Der Rosenkavalier auf die Bühne kam, war allerdingts kein historisch getreues Abbild einer vergangenen Epoche, sondern ein Rokoko, gesehen mit den Augen des fin de siècle, ein Gegenbild zur zeitgenössischen Wirklichkeit und gleichzeitig ein Spiegel der eigenen Gegenwart, eine herbeizitierte Vergangenheit, wobei die oft kritisch vermerkten Anachronismen – so die Verwendung des Walzers – die Vermischung von Vergangenheit und Gegenwart noch mehr unterstreichen. Die Überreichung der silbernen Rose – Mittelpunkt des Werkes und Inbegriff des Opernfestes – geht auf kein historisches Vorbild zurück, sondern ist eine Erfindung von Hofmannsthal. Ein Phantasie-Rokoko, ein künstliches Paradies! Hans Mayer (1907-2001) stellt zu Recht fest, die Titelgestalt werde durch ihre Ambivalenz zwischen Männlichem und Weiblichem „entwirklicht“, Octavian werde bei der Rosenüberreichung „zum Märchenprinzen und schönen Königssohn“. Anders gesagt: Zur schönen Täuschung!
Ist Der Rosenkavalier also eine retrospektive Utopie? Ist das Stück nur unter dem Aspekt der Eskapismus-Tendenzen der Jahrhundertwende zu sehen? Das Fragezeichen ist berechtigt! Denn nur scheinbar wurde hier die Wirklichkeit eliminiert! Hinter der Fassade des schönen Scheins dringen die Fragen und Ängste der Zeit gleichsam durch die Hintertür in die Komödie, wird der doppelte Boden des Geschehens, die latente Gefährlichkeit der Vorgänge, die Brüchigkeit der gezeigten menschlichen Beziehungen erkennbar. Der Monolog der Marschallin am Ende des ersten Aktes spielt dabei eine Schlüsselrolle. Nach der Turbulenz des Levers setzt er einen besinnlichen Ruhepunkt! Bei genauerer Betrachtung erweist er sich jedoch als Angelpunkt, als geheimes Zentrum des Stückes. Die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit menschlichen Daseins ist – wie bei anderen Wiener Autoren der Jahrhundertwende, etwa bei Arthur Schnitzler (1862-1931) – ein Grundthema in Hofmannsthals Schaffen. Wir begegnen ihr in nahezu allen seinen Werken, von dem frühen Einakter Der Tor und der Tod (1893) und dem Bergwerk zu Falun (1899), dessen Held Elis Fröbom aus der Zeit zu fliehen versucht, über die Neufassung des Spieles vom Jedermann (1911), das von nichts anderem handelt als von der Vergänglichkeit und Eitelkeit alles Irdischen, bis zu dem Drama Der Turm (1924). Die vielleicht beklemmendste Formulierung erhielt die Konfrontation mit der Vergänglichkeit in den Terzinen des Zwanzigjährigen. In ihnen ist die verrinnende Zeit „ein Ding… viel zu grauenvoll, als dass man klage“. Die Marschallin dagegen versucht sich von dieser Angst vor der Zeit durch ihr Gottvertrauen zu befreien, sucht Trost in ihrem Glauben: „Allein man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat“.

Hofmannsthal Fixierung auf die Vergänglichkeit des Daseins ist im Zusammenhang zu sehen mit der in Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts reflektierten Krisensituation des bürgerlichen Menschen, die sich nicht zuletzt in der Furcht vor dem Verlust des Bestehenden äußerst. Der Zeitmonolog der Marschallin hat einen Vorläufer in Alfred de Mussets (1810-1857) Erzählung Emmeline (1837). Hier stellt die Gräfin Emmeline, als sie ihre Liebe zu dem jungen Gilbert entdeckt, folgende Betrachtung an: „Er ist schön, er ist mutig, dachte sie, er liebt mich. Dabei pochte ihr Herz überlaut; sie horchte auf das Ticken der Uhr, und das monotone Schwingen des Pendels war ihr unerträglich; sie stand auf, um es anzuhalten. Was tue ich? Fragte sie sich: Kann ich Zeit und Stunde anhalten, indem ich diese kleine Uhr zum Schweigen zwinge? Die Augen starr auf die Uhr gerichtet, überließ sie sich Betrachtungen, die ihr noch nie gekommen waren. Sie dachte an die Vergangenheit, an die Zukunft, an die Flüchtigkeit des Lebens; sie fragte sich, warum wir auf Erden sind, was wir hier tun, was uns danach erwartet. Sie forschte in ihrem Herzen und fand nur einen einzigen Tag, an dem sie wirklich gelebt hatte, der Tag, da sie gefühlt hatte, dass sie liebte. Alles übrige war nur ein wirrer Traum, ein Nacheinander von Tagen, so gleichförmig wie die Bewegung des Pendels. Sie legte die Hand auf ihre Stirn und empfand ein unüberwindliches Verlangen zu leben – oder soll ich besser sagen, zu leiden? Vielleicht?“. Hofmannsthal, dem exzellenten Kenner der französischen Literatur, dürfte die Erzählung vertraut gewesen sein. Darauf deuten einige Übereinstimmungen mit dem Monolog der Marschallin hin: Das Anhalten der Uhr, der Blick in Vergangenheit und Zukunft.
Für das Rätselhafte und Irrationale der Zeit entwickelten viele Künstler und Literaten der Jahrhundertwende ein besonderes Sensorium. Der Rosenkavalier wurde 1911 uraufgeführt. Die Dresdener Premiere war – wie Joseph Gregor (1888-1960) später feststellte – das „letzte ganz sorgenfreie internationale Theaterfest Europas vor dem Ersten Weltkrieg“. Mann, der 1929 in seinem Nachruf auf Hofmannsthal auf die „Schicksalsverwandtschaft“ mit dem Dichter hinwies, begann 1913 seinen Roman Der Zauberberg zu schreiben. Ein Buch, in dem das Thema von Zeit und Vergänglichkeit leitmotivisch immer wieder auftaucht. „Was ist die Zeit?“, lässt der Autor seinen Helden Hans Castorp fragen: „Ein Geheimnis, - wesenlos und allmächtig. Eine Bedingung der Erscheinungswelt, eine Bewegung, verkoppelt und vermengt dem Dasein der Körper im Raum und ihrer Bewegung. Wäre aber keine Zeit, wenn keine Bewegung da wäre? Keine Bewegung, wenn keine Zeit? Frage nur!“. Für die Marschallin ist die Zeit „ein Geschöpf des Vaters“, für Naphta im Der Zauberberg „eine allgemein göttliche Einrichtung“.

Für die Dresdener Premiere Der Rosenkavalier fuhren 1911 die Sonderzüge, drei Jahre später fuhren die Sonderzüge an die Front. Im Der Zauberberg wird der Bezug der Zeit-Thematik zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs spätestens am Schluss des Buches erkennbar, wenn Hans Castorp in einer der schrecklichen Vernichtungsschlachten den Tod sucht. Auch der Monolog der Marschallin geht über die Befindlichkeit einer einzelnen Figur weit hinaus. Ihr Abschied von einer Epoche, ihr Erschrecken vor der Vergänglichkeit alles Bestehenden ist das Erschrecken vor dem Tod. Verklärt freilich durch die Musik von Strauss, die hier wie auch anderswo Hofmannsthals Todesgedanken mit dem goldenen Schein der Abendsonne überglänzt, wie überhaupt im Der Rosenkavalier die Ebenen von Text und Musik vielfach nicht deckungsgleich sind, sondern auseinanderstreben.
Der Tod in Der Rosenkavalier ist noch an anderer Stelle beschworen, diesmal in einer komödienhaften Brechung, deren Hintergründigkeit oft übersehen wird: Im Tête-à-Tête des Ochs auf Lerchenau mit Mariandel alias Oktavian im dritten Akt. Mariandel nach dem ersten Schluck Wein: „Wie die Stund hingeht, wie der Wind verweht, / Menschen sin‘ ma halt. / Richtn’s nicht mit G’walt, / Weint uns niemand nach, net dir net und net mir“. Was wie eine Parodie des Monolog der Marschallin aussieht, ist eine durch die Komödiensituation getarnte Botschaft über die Vergänglichkeit des Lebens. Identifiziert sich der Dichter mit seiner Figur? „… niemand fordert mich auf, niemand will, niemand erwartet etwas von mir“, soll Hofmannsthal kurz vor seinem Tod geäußert haben…
Die Aufführung im Théâtre des Champs-Elysée Paris am 21. Mai 2025:
Ein visuell kontroverser, aber musikalisch gefeierter Rosenkavalier…
Der Rosenkavalier von Strauss, eine Sonderproduktion der Opernsaison Avenue Montaigne, ist von dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski im Théâtre des Champs-Elysées inszeniert und mit einer internationale Besetzung: Darunter die französische Sopranistin Véronique Gens, der englische Basse Peter Rose, die irische Mezzo-Sopranistin Niamh O’Sullivan, die schweizerische Sopranistin Regula Mühlemann und der ungarische Dirigent Henrik Nánási an der Spitze…
Seit seiner Gründung im Jahr 1913 durch Gabriel Astruc (1864-1938), einen Musikliebhaber mit einer besonderen Leidenschaft für das Werk von Strauss, ist das Theater in der Avenue Montaigne eng mit der Figur des deutschen Komponisten verbunden. Von der ersten Saison an wollte Astruc sogar schon die französische Erstaufführung der musikalischen Komödie Der Rosenkavalier bringen. Obwohl das ursprüngliche Projekt unvollendet blieb, nimmt das Théâtre des Champs-Elysées regelmäßig Werke von Strauss in sein Repertoire auf. Der Komponist trat selbst dort im Jahr 1930 auf und dirigierte in einem außergewöhnlichen Konzert persönlich mehrere seiner Partituren. Diese Verbundenheit hält bis heute und von Saison zu Saison an, die letzte Bühnenproduktion der Oper Der Rosenkavalier datiert jedoch auf das Jahr 1889 zurück, gefolgt von einer konzertanten Version im Jahr 2014.
Eine besondere Bedeutung erlangt die Produktion durch die Regie von Warlikowski, der 2020 Salome, Op. 54 (1905) im Theater präsentieren sollte. Leider musste die mit viel Spannung erwartete Produktion mit der französischen Sopranistin Praticia Petitbon in der Titelrolle aufgrund des Covid-Lockdown abgesagt werden. In dieser Saison sorgt eine weitere große französische Stimme für viel Aufsehen: Véronique Gens übernimmt erstmals die Rolle der Marschallin und weckt damit große Vorfreude beim Publikum.
Die Opern von Strauss eignen sich aufgrund ihrer verschiedenen stilistischen und textlichen Vorgaben hervorragend für ein mise-en-abyme Spiel – Ariadne auf Naxos bietet ein Spektakel im Spektakel, Capriccio, Op. 85 (1941) ist eine Oper über die Oper… -.Dasselbe gilt für Der Rosenkavalier, wenn auch auf diskretere Weise – insbesondere über die Arie des Italienischen Sängers und Octavians Verkleidung. Während Strauss seine Aufmerksamkeit musikalisch auf die Vergangenheit richtet – Wiener Walzer, Belcanto, Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) oder auch Jean-Baptiste Lully (1632-1687) -, betont Warlikowski diese Metatheatralik – Theater im Theater -, indem er seinen Blick auf den Raum des Théâtre des Champs-Elysées selbst richtet. Wie schon der kanadische Regisseur Robert Carsen, der das Palais Garnier als Spiegel für Capriccio nutzte, möchte auch die polnische Bühnen- und Kostümbildnerin Malgorzata Szczęśniak, die treue langjährige Mitarbeiterin des polnischen Regisseurs, das Studio der Comédie des Champs-Elysées nachbilden, eine kleine Bühne des benachbarten Theaters, das sich das Gebäude teilt und 1923 von Louis Jouvet (1887-1951) gegründet wurde. Die Glaswand, die die Bühne umrahmt, ist dabei von dem Maison de verre im 7. Arrondissement von Paris vom Architekten Bernard Bijvoet (1889-1979) inspiriert.

Optisch ist die Welt von Warlikowski sofort erkennbar: Ein Innenraum, der von einer Glaswand mit quadratischen Mustern dominiert wird, die an Badezimmerfliesen erinnern, mit einem integrierten Waschbecken, das charakteristisch für seine introspektive Ästhetik ist. Der Regisseur schöpft hier das metatheatralische Potenzial des Werks voll aus, indem er es in den Vordergrund stellt und einen kritischen Spiegel unserer Gesellschaft des Spektakels errichtet, der durch den Einsatz moderner Technologien verstärkt wird. Die durchdachte Dramaturgie ermöglicht eine insgesamt stimmige Umsetzung: Alle Protagonisten werden zu Akteuren einer Show und tragen dabei extravagante, bunte Perücken und Kostüme. Im Verlauf der Handlung verändern sich die Räume: der Salon der Marschallin wird zur Theatergarderobe mit Kleiderständern und Glühlampenspiegeln, der zweite Akt spielt in einem Kino und der dritte verwandelt sich in eine Tanzbühne. Am Ende dieser internen Aufführung kommen die „falschen“ Schauspieler, um das Publikum zu begrüßen.
Doch diese Fülle an Zeichen, heterogenen Kostümen, visuellen Nippes, Walzern, die in Breakdance umgewandelt wurden, oder auch die Projektionen von Ausschnitten aus dem Stummfilm Der Rosenkavalier (1925) von Robert Wiene (1873-1938) in Synchronisation mit der Bühnenhandlung, lässt keinen wirklichen roten Faden und inhaltliche Kohärenz erkennen. Die unbestreitbare anregende mise en abyme wird zur treibenden Kraft dieser Bühnenlesung, drängt jedoch die Dimension dessen, was Strauss als „Komödie in Musik„ beschrieb, in den Hintergrund, da es nur wenigen Szenen gelingt, wirklich Gelächter hervorzurufen. Die Regie der Sängerschauspieler ist dennoch präzise und streng und jeder Darsteller findet seinen rechtmäßigen Platz innerhalb dieses Theatermechanismus und zeigt dabei stets sein Engagement auf der Bühne.
Gens verkörpert die Marschallin als edle und melancholische Figur, hin- und hergerissen zwischen den Impulsen einer noch immer lebendigen Liebe und der Klarheit angesichts des Laufs der Zeit. Warlikowski gibt ihr eine zentrale Rolle und platziert ihre Figur zur Eröffnung und zum Abschluss der Show, sowohl auf der Bühne als auch in den projizierten Videosequenzen. Diese enthüllen ihr nacktes Gesicht, ihre unverfälschten Emotionen, im Kontrast zur Künstlichkeit der Bühne – Perücke, Kostüm und Federboa als Unterlage. Die Marschallin distanziert sich somit von den Illusionen der Jugend und beobachtet die Szene der Übergabe der silbernen Rose mit viel Distanz. Sie ist zu einer einfachen Zuschauerin einer Welt geworden, die sie gerade zu verlassen bereit ist. Gesanglich zeigt Gens ein leuchtendes und kantiges Timbre, das besonders in den Klaviernuancen ausdrucksstark ist und ihre Musikalität mit Gewandtheit zum Ausdruck bringt. Während die Stimmprojektion in ihrer Bandbreite beeindruckend ist, neigt das kräftige Vibrato manchmal dazu, die Klarheit der Darbietung zu verändern und die Diktion leicht zu verwischen, die jedoch im Allgemeinen dennoch verständlich ist.
Als Ersatz für schweizerische Mezzo-Sopranisten Marina Viotti gibt O’Sullivan ihr Debüt als Octavian und kehrt nach ihrer Rolle als Ino aus Semele (1743/siehe IOCCO-Artikel) von Georg Friedrich Händel (1685-1759) zum Théâtre des Champs-Elysées zurück. Ihre Stimme, jugendlich und durchsetzungsstark zugleich, korrespondiert gut mit der jugendlichen Leidenschaft der Figur: Das Instrument ist lebendig, kraftvoll projiziert, mit soliden gewaltigen Höhen. Die Gesangstechnik ist geschmeidig und kontrolliert, unterstützt durch eine feine und sorgfältig ausgearbeitete Prosodie. Andererseits fällt es ihr auf der Bühne manchmal schwer, die starken Emotionen dieses jungen, von der Liebe gequälten Helden voll zum Ausdruck zu bringen. Die Verkleidung als Dienstmädchen bringt nicht die erwartete Leichtigkeit und Fantasie mit sich, bleibt eher neutral und schöpft das von den Autoren erdachte komische Potenzial nicht aus.

Regula Mühlemann singt die junge Sophie mit einer weichen und feinen Stimme, die die Höhen ihres Stimmumfangs subtil auslotet, untermalt von einem leichten Vibrato. Ihre zarte Lyrik, getragen von einem seidigen Legato, betont die ausdrucksstarke Flexibilität ihrer Phrasierung. Ihr Deutsch, natürlich und gut artikuliert, behält eine gewisse Eleganz, auch wenn die Diktion nicht immer ganz klar ist.
Der Bass Peter Rose nimmt seine ikonische Rolle als Baron Ochs von Lerchenau souverän wieder auf. Sein ausdrucksstarkes und theatralisches Deutsch verbindet sich mit einer musikalischen Phrasierung von großer Flüssigkeit. Seine Interpretation changiert mühelos zwischen gesprochener und gesungener Stimme und zeichnet sich durch sehr tiefe Basstöne und konstante Genauigkeit über den gesamten Tonumfang aus. Seine Bühnenpräsenz verleiht ihm eine echte komödiantische Autorität und strukturiert den burlesken Bogen der Oper den ganzen Abend lang.
Der französische Bariton Jean-Sébastien Bou wiederum singt und spielt den Faninal mit rundem Timbre und dichter Stimme, seine Interpretation driftet allerdings bisweilen ins Groteske ab. Seine stimmliche Projektion ist zwar kraftvoll, grenzt aber ans Übermaß und seine Aufregung auf der Bühne beeinträchtigt die Klarheit seiner Aussprache, der es dann an Präzision und Überzeugung mangelt.
Die französische Mezzo-Sopranistin Éléonore Pancrazi spielt und singt eine listige, pikante und verführerische Annina in High Heels und Minirock, die ihre wendige Kamera mit Leichtigkeit und im Dienste einer besonders bemerkenswerten Bühnenleistung einsetzt. Ihr faszinierender Partner, der kroatische Tenor Krešimir Špicer spielt einen Valzacchi, der hier zum Tontechniker wird: Eine Neuinterpretation, die ihm gut liegt, denn seine Theaterleistung ist präzise und gut abgestimmt. Trotz seiner gelegentlichen Atemnot und der durch die Text-Flut bedingten Hektik gelingt es ihm, dieser redseligen und karikaturhaften Rolle eine gewisse Tiefe zu verleihen.

Der italienische Tenor Francesco Demuro steht als Italienischer Sänger im Mittelpunkt einer der seltenen wirklich komischen Szenen, in der er eine Liebesepisode mit der Marschallin – sie langweilt sich dabei zu Tode – „spielt“, indem er seine Belcanto-Arie „Di rigori armato il semo“ in einer bewusst absurden Interpretation singt: Zuerst im Morgenmantel, dann in einfacher Unterwäsche und mit einer Pistole bewaffnet. Sein stilisierter und auf Belcanto-Phrasierung bedachter Gesang entspricht der Karikatur mit überbetonter Atmung und verstärkt so die komische Wirkung der Szene.
In der Rolle der Marianne setzt die italienisch-französische Sopranistin Laurène Paternò eine geschmeidige und bewegliche Koloraturstimme ein, die mit bemerkenswerter Elastizität ausgestattet ist. Sie zögert nicht, ihre technische Meisterschaft unter Beweis zu stellen, selbst bei den hohen Tönen, die sie mit Selbstvertrauen und Präzision singt. Die Bruststimme hallt kraftvoll durch den Raum und die Prosodie ist tadellos.
Der französische Bariton Florent Karrer verleiht dem Notar ein klares Timbre, wobei seine Ausdruckskraft und Projektion gegenüber dem Orchester im Hintergrund bleiben. Allerdings gewinnt er an Statur und Präsenz, wenn er die Rolle des Polizeikommissars übernimmt. Der schweizerische Tenor Francois Piolino spielt einen Butler mit blonder Perücke und einem halb gesprochenen, leichten und manchmal unsicheren Gesang, der der Komödie wohl dienen soll. Schließlich verkörpert der französische Tenor Yoann Le Lan den Gastwirt mit Klarheit und Präzision und zeigt dabei ein gutes Stimmvolumen und eine klare Aussprache.
Henrik Nánási übernimmt das Kommando über das riesige musikalisch Schiff: L‘ Orchestre National de France, das zwischen Orchestergraben und Seitenbühnen aufgeteilt ist. Seine Leitung, präzise und flexibel, meistert das umfangreiche Orchester- und Vokalensemble tadellos und ohne rhythmische Schwächen. Allerdings treten im Orchestertutti einige dynamische Ungleichgewichte auf, die im Verhältnis zu den Stimmen auf der Bühne manchmal zu präsent sind. Die Anordnungen der Notenständer sind raffiniert und zahlreiche Soloeinsätze, darunter von Celli und Oboe, unterstreichen die Aufführung im Saal den großen Reichtum der Orchestrierung von Strauss. Außerdem hüllen die üppigen Walzer und seidigen Melodielinien das Publikum in eine fesselnde Klangatmosphäre.
Der Unikanti-Chor erscheint in unverwechselbaren und extravaganten Kostümen. Das Ganze ist akkurat, präzise, homogen und stimmlich auf einem guten Stand. Die Kinder der Maîtrise des Hauts- de-Seine wiederum singen in der Szene mit Baron Ochs mit ihren sanften Stimmen im Chor das enthusiastische „Papa, Papa“.
Nach der Verbeugung der „falschen“ Schauspieler in der Show selbst, begrüßen die echten Künstler das Publikum beim Schlussvorhang – oder vielmehr Glaswand – und werden vor allem vom Dirigenten und den Stars herzlich willkommen geheißen. Bevor Warlikowski und sein Team mit einer Salve aus Pfiffen und Buhrufen begrüßt wird, die sichtlich überrascht sind von der Brutalität des Aufruhrs und der Intensität der Unzufriedenheit, die ihre Arbeit hervorgerufen hat. Wir persönlich jedoch empfanden die Inszenierung äußerst gelungen! Und wie immer bei der nächsten Wiederaufnahme wird laut Bravo geschrien…
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