Osnabrück, emma-theater, Verbindungsfehler - von Julian Mahid Carly, IOCO Kritik, 23.06.2021

Osnabrück, emma-theater, Verbindungsfehler - von Julian Mahid Carly, IOCO Kritik, 23.06.2021
emma-theater Osnabrück © Uwe Lewandowski
emma-theater Osnabrück © Uwe Lewandowski

Theater Osnabrück

 Verbindungsfehler - Siegerstück  von Julian Mahid Carly - Digital-Premiere 

- Theater als leerlaufende Selbstreflexion des Produktiosteams -

von Hanns Butterhof

Das emma-theater war in Vor-Corona-Zeiten Osnabrücks Spielort für Modernes und Experimentelles. So sollte es auch der Ort der Uraufführung des Stücks Verbindungsfehler von Julian Mahid Carly sein, das den Osnabrücker Dramatikerpreis 2019 gewonnen hat. Jetzt erblickte Verbindungsfehler als stream im Digitalen Theater in einer Mischung aus digital animierten und realen Film-Szenen das Licht der Welt. In dem Stück verbindet sich eine Vielzahl rücksichtsvoller und feinfühliger Überlegungen zu Migration, Identität, Wirklichkeit und ihrer Darstellung im Theater derart, dass dem breiteren Publikum das Dekodieren kaum fehlerfrei möglich ist.

Regisseurin Rieke Süßkow lässt Verbindungsfehler in einer digitalen Umwelt aus bunten Tetris-Klötzen (Bühne und Kostüme: Mirjam Stängl, einfallsreiche Animation: Jan Riesenbeck / Stephan Q. Eberhard) spielen, die ein Haus sein können, in dem vier unterschiedliche Personen wohnen.

emma-theater Osnabrück / Verbindungsfehler - hier: Viet Anh Alexander Tran spielt ein*e Youtuber*in © Video-Still: Theater Osnabrück
emma-theater Osnabrück / Verbindungsfehler - hier: Viet Anh Alexander Tran spielt ein*e Youtuber*in © Video-Still: Theater Osnabrück

Ayali (Viet Anh Alexander Tran) ist ein*e Youtuber*in, welche*r mit blonder Perücke, blauen Lippen und blauem Kunstpelz am Kragen des Blaumanns das Haus und die Fans mit täglichen Botschaften versorgt. Mitbewohner Tao (Soheil Emanuel Boroumand), der rosa Sportdress zu rosa Turnschuhen trägt, gilt zu Unrecht als Japaner. Er muss sich ständig mit Fragen nach seiner wirklichen Herkunft herumschlagen und mit der, ob er ein Mann oder eine Frau ist; er hat ja so porzellanweiße Haut, dass der Techniker Kaya (Magdalena Kosch), der den titelgebenden Verbindungsfehler im Router reparieren soll, sich in seine süßen Schlitzaugen verguckt.

Aus dem Rahmen dieser diversen Bewohner fällt die Fitnesstrainerin Anette (Andreas Möckel), grauhaarig mit Bart und Ohr-Klunkern. Sie ist ein*e defensiv-aggressive Normal*a, die ihrem Kind (Christina Dom) die Anerkennung seiner Identität aus einer Verbindung mit dem farbigen Vater verweigert. Sie verheimlicht dieses Kind derart vor allen, dass es erst nur als digitaler Bauklotz um ihre Hilfe bitten muss, bevor es als reale Person auftreten kann.

Die Regie zeigt nicht nur mit der (mutmaßlich) paradoxen geschlechtlichen Besetzung, dass es ihr um das Unterbinden unreflektierter Zuschreibungen auf möglichst vielen Ebenen geht. Gut gemeint ist dabei, wenn auch dem Sinn von Theater als Zusammenwirken von Wort und Bild reichlich widersprechend, dass nicht dem Bild getraut werden darf, sondern nur das Gesagte und das dahinterstehendes Gefühl ernst zu nehmen sind. Eher nicht ironisch wird davor gewarnt, dass dabei Worte mit rassistischen, queeren und transgender-feindlichen Diskriminierungen fallen werden, die geeignet sind, auf Zuschauer*innen verletzend oder (re)-traumatisierend zu wirken.

emma-theater Osnabrück / Verbindungsfehler - hier: Digitales Spiel mit Wirklichkeiten. Viet Anh Alexander Tran, Christina Dom, Soheil Emanuel Boroumand © Video-Still: Theater Osnabrück
emma-theater Osnabrück / Verbindungsfehler - hier: Digitales Spiel mit Wirklichkeiten. Viet Anh Alexander Tran, Christina Dom, Soheil Emanuel Boroumand © Video-Still: Theater Osnabrück

Dabei wird viel über Vieles geredet, es geht um Penisgröße, Vaginalpilz oder das Gefühl, nach einem analen Geschlechtsakt eine Abtreibung zu brauchen, weil der Partner nicht genügend Leidenschaft aufgebracht hat.

Eine Geschichte wird nicht erzählt, und die Sprache der Szenen ist expressiv, zerfetzt. Sie besteht oft nur aus der Abfolge einzelner Begriffe, die entweder unmittelbar ein Gefühl treffen oder ins Leere gehen, auch Leere schaffen.

Allenthalben ist die Absicht spürbar, keine möglichen „Opfer“ zu verletzen und jeden Verdacht zu vermeiden, aus einer privilegierten „weißen“ Sicht zu sprechen. Dabei hat das Stück wohl nur dann einen Sinn, wenn es von einem Publikum mit genau dieser privilegierten „weißen“ Sicht zum Zwecke seiner Sensibilisierung und Veränderung aufgenommen wird. An der Verbindung zum Publikum muss noch gearbeitet werden. Sonst degeneriert Theater zur leerlaufenden Selbstreflexion nur derer, die an der Produktion beteiligt sind.

Verbindungsfehler von Julian Mahid Carly ist ab sofort kostenfrei verfügbar im Digitalen Theater auf

www.theater-osnabrueck.de 

---| IOCO Kritik Theater Osnabrück |---

Read more

Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert  Musik Festival Radebeul 2025, IOCO

Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert Musik Festival Radebeul 2025, IOCO

7. September 2025 Junge Musiker spielen Samuel Coleridge-Taylor, William Schinstine und Peter Tschaikowsky Der Veranstaltungsraum des sanierten „Kulturdenkmals Lößnitzgrundbahn“ „Historischer Güterboden“ ist eine 800-Quadratmeter-Halle mit einer Höhe von 4,7 Metern und war im Jahre 1899 für die Güterabfertigung erbaut worden. Die „Schuhschachtel“ bietet etwa 500 Personen Platz, denn an

By Thomas Thielemann
Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

7. September 2025 Zwei junge Frauen rocken das Saisoneröffnungskonzert der Berliner Staatskapelle!   Schon das Auftreten von Patricia Kopatchinskaja und Elim Chan ist fulminant: Kopatchinskaja in leuchtend rotem Seidenmantel, Chan elegant in Schwarz. Patricia Kopatchinskaja, 1977 in Moldawien (damals eine Sowjetrepublik) geboren, heute auch mit österreichischer und Schweizer Staatsbürgerschaft, ist wohl

By Bernd Runge
Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Weltstars in Ulrichshusen Daniel Müller-Schott und das Royal Philharmonic Orchestra London Die Hütte voll, die Erwartungen groß! Wollte heißen: Kein Stuhl mehr frei in Ulrichshusens wahrlich großer Konzertscheune bei einem Abend, der jeder Wunschvorstellung entsprochen haben dürfte! Wie auch nicht, wenn sich mit dem Royal Philharmonic Orchestra London das weltweit

By Ekkehard Ochs