Oldenburg, Staatstheater, GEORG HECKEL - der neue Intendant stellt vor, IOCO Aktuell

Oldenburgisches Staatstheater: Ein neues Logo, eine neue Führungsriege, ein Versprechen zur Kontinuität - all das gab es am 23. Mai 2024 bei der ersten Programm-Pressekonferenz unter der neuen Intendanz von Georg Heckel .....

Oldenburg, Staatstheater, GEORG HECKEL - der neue Intendant stellt vor, IOCO Aktuell
Oldenburgisches Staatstheater @ Stephan Walzl

Es ist angerichtet! - Pressekonferenz zur neuen Intendanz am Oldenburgischen Staatstheater

von Thomas Honickel

Ein neues Logo, eine neue Führungsriege, ein Versprechen zur Kontinuität mit neuen Gesichtern, ein der Stadtgesellschaft zugewandtes Kulturangebot, ein beeindruckendes Spektrum und eine kolossale Vielfalt; all das gab es am 23. Mai 2024 zu bestaunen bei der ersten Programm-Pressekonferenz unter der neuen Intendanz von Georg Heckel.

GEORG HECKEL - Intendant Oldenburgisches Staatstheater @ Stephan Walzl

„Kein `Morgen´ mehr, endlich ein `Heute´!“

So formuliert es der neue Generalintendant mit einigermaßen erkennbarer Erleichterung. Und man gönnt ihm diese Erkenntnis, dass es nun endlich losgehen möge.

Das nach wie vor siebenspartige Haus im Nordwesten wird nach dem Sommer mit einer neuen „Mann“schaft, der mehr als 50% Frauen angehören, auf hohe See gehen. Und damit das auch allen im Stadtbild und auf den vielen zu erwartenden Veröffentlichungen klar wird, gibt es erstmal (wie so oft) ein neues Logo. Damit grenzt man sich von der Vorgänger-intendanz ab, ist aber gleichermaßen bemüht, im Wortsinn ein Zeichen zu setzen, aus dem die langfristige Leitlinie abzulesen, zu deuten sein mag.

Das wahlweise an eine DNS-Doppelhelix oder eine geöffnete Miesmuschel (passend zur Küste) erinnernde neue Symbol hat in seinem Vakuum das „O“, mit dem man sich im Oberzentrum des Nordwestens verortet sieht. Gleichzeitig strahlen seine sich latent bewegenden Muster nach Außen (und nach innen), was die Worte des designierten Intendanten Heckel unterstreichen: „Wir wollen raus!“ Der Elfenbeinturm des Hochkulturtempels darf und soll auch verlassen werden, um Stadt und Region kulturell zu versorgen. Das möchte man mit einer Vielzahl an Aktivitäten und Angebote, partizipativ und interaktiv, erreichen. Angebote für Jung und Alt, in der Zusammenarbeit mit Schulen, Bildungs-einrichtungen, der VHS, den Alten- und Pflegeheimen und vielen mehr. Die Fülle an neuen (und etablierten) Angeboten erschlägt fast.

Und dennoch ist das Ganze planvoll und nicht absichtslos; langfristig möchte man dadurch natürlich auch wesentlich auf die Angebote in den zentralen fünf Spielstätten aufmerksam machen. Und deren Angebotspalette hat es unbedingt in sich!

„Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen…“

Gemäß diesem Dictum aus dem Prolog zu Goethes Faust könnte man das opulente und gleichermaßen inhaltsreiche Heft zur Spielzeit 2024/25, das heuer vorgestellt wurde, bezeichnen.

Ein etwas flapsiger Vergleich dieses allemal ehrenwerten wie ambitionierten Unternehmens mit einer „Theater-Volkshochschule“, der aus dem Kreis der Berichtenden kam, wirkte da merklich deplatziert und irritierte nicht wenige der Anwesenden. Wie soll man´s denn nun machen: exklusiv-inklusiv, hermetisch-visionär, mitnehmend-selektiv?

Sei´s drum! Wir berichten im Schwerpunkt über die beiden Sparten des Musiktheaters und des Konzertwesens, die von Intendant und GMD vorgestellt wurden, da sie hier wohl den Nerv der Mehrheit in der IOCO-Community finden werden. Sie sind ja gewissermaßen auch das Herzstück eines Hauses mit Tradition. Dazu später mehr.

Die übrigen Sparten Schauspiel, Ballett, Mundartbühne, Junges Staatstheater und Sparte 7 bleiben nicht nur erhalten, sondern können die große Bandbreite ihrer Aktivitäten fortschreiben.

Im Schauspiel überrascht der breite Bogen von der Antike bis zur Uraufführung, wobei uns vor allem die Neudeutung der Klassiker interessieren würde: Antigone, Macbeth, Der Schimmelreiter, Die Kunst der Komödie (mit dem scheidenden langjährigen Schauspieldirektor Peter Hailer). Besonderes Interesse verdienen gewiss auch Orwells Kleine Farm und die Reise der Verlorenen des Erfolgsautors Daniel Kehlmann.

Wiederaufnahmen und Uraufführungen reihen sich im Ballett aneinander. Compagnie und Chef Antoine Jully bleiben über die kommende Saison der Stadt und dem Theater erhalten. Eine gute Nachricht!

Das Junge Staatstheater mit identischer Führung kann ein weites Feld an Produktionen anbieten; darunter Michael Endes Momo, die ja aktueller denn je ist, und allerhand Wiederaufnahmen, da im Schauspiel erheblich weniger Fluktuation im Personal zu beklagen ist, als dies der Fall im Musiktheater ist. Theatervermittlung und Jugendtheatertage sind ebenso eingepreist wie die üppigen Angebote für Schulen (Starter/Enter-Programme).

In der Niederdeutschen Bühne gibt man gar kurzfristig Don Quixotte das Ruder in die Hand.

Die Sparte 7 mischt auf mit Aktivitäten im Stadtgebiet, wo man Spuren durch Oldenburg sucht, Sheroes auf neuen Wegen erleben kann und im langjährigen und etablierten Format des Diskursgewitters Digitalität einerseits und Verstrickungen im Nationalsozialismus andererseits erkundet.

„…ein Jeder sucht sich endlich selbst was aus….“

In der Sparte Musiktheater gelingt das Kunststück viele stets angestrebte Facetten der szenischen Musik aus über 300 Jahren in ausgewählten Werken darzustellen: Alte Musik, Nationale Schulen, Operette, Musical, vergessene Werke, klassische Moderne, Gassenhauer, lokale Bezüge.

Mit dem letzteren startet die neue Intendanz im September, wenn sich nach langer Abstinenz für Webers Freischütz der Vorhang hebt. Das Werk, ein Klassiker des Repertoires, war das Eröffnungswerk der Oldenburger Opernsparte 1921. Beziehungsreicher geht´s kaum!

OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER - Die neue Führungsriege und der Spielplan 2024/25 @ Stephan Walzl

Um den teils antiquierten Texten, dem bedenklichen Frauenbild und der Unterbelichtung der schillernden Figur des Samiel adäquat zu begegnen, hebt man das Opus mit zwei Kunstgriffen ins 21. Jahrhundert: Zeitgemäße Zwischen-texte und melodramatische, zusätzliche Musik für eben diesen Teufel Samiel, der in uns allen sitzen mag und damit zur kritischen Identifikation taugt. Die wenigen leitmotivischen Ideen von Weber für die Inkarnation des Bösen, das die Fäden in diesem Schauermärchen zieht, werden ergänzt durch die Komponistin Elena Kats-Chernin. Vielleicht eines der spannendsten Unternehmungen der Sparte.

Liza Minelli als Sally Bowles mit ihrem legendär-titelweisenden „Cabaret“ oder das „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ des Conférenciers klingen in unseren Ohren, wenn wir an Cabaret denken. Die Verfilmung erhielt 1973 gleich acht Oscars und gilt bis heute als eines der besten Film-Musicals. Aber es funktioniert selbstredend auf der Bühne noch einmal gänzlich anders und (hoffentlich) noch intensiver. Das ausschweifende Nachtleben des Berlin in den 20ern ist ja derzeit enorm en vogue, wenn man zum Beispiel auch an die Fernseh-Saga Babylon Berlin denkt. Und natürlich sind die Themen (Neo)Faschismus, Antisemitismus und Armutsspirale damals wie heute brandaktuell und zeigen auf, dass wir erneut auf einem Vulkan tanzen. Die Produktion findet mit kleinem Ensemble, das treffend in die Szene integriert werden soll, unter der Leitung von Eric Staiger statt, der die neu geschaffene Position eines 2. Kapellmeisters bekleiden soll.

Die zunehmend seltener gespielte, oft verfilmte Komödie „Das Feuerwerk“ mit der hinreißenden Musik von Paul Burghard lässt uns eintauchen in die spießig-miefige Welt der Nachkriegszeit in Deutschland. Wer kennt ihn nicht, den Hit seiner Kindheit „O, mein Papa“? Auf die Darstellung des Ausstattungshits im Kleinen Haus darf man gespannt sein. Bella-Hop!

Unter Leitung von Thomas Bönisch, dem Barockspezialisten am Haus, erklingt dann Händels bekannter und beliebter Xerxes, der nicht nur wegen des häufig zu hörenden „Ombra mai fu“ zu seinen nachhaltigsten Erfolgen wurde. Die Hauptrolle mit Maayan Licht als Sopranist lässt aufhorchen.

Ein besonderes Verdienst ist die Reanimierung von Walter Braunfels Die Vögel, in der allegorisch die Verführbarkeit des Menschen, die Überheblichkeit unserer Rasse und die Entstehung totalitärer Systeme verhandelt wird. Basierend auf einer antiken Vorlage des Aristophanes hat Braunfels, der unter den Nazis in die innere Emigration abwanderte, eine faszinierende und psychologisierende Musik geschaffen. Ein Plädoyer für einen Vergessenen der spätesten Phase der Spätromantik!

Derzeit scheint Oldenburg ein gutes Pflaster für Brittens Opernschaffen; nach Midsummernight´s Dream und jüngst Peter Grimes gibt es nun das gruselige Kammerspiel-Psychogramm The Turn of the Screw. Wie die Schraube in dieser Inszenierung gedreht werden wird, ist eine spannende Frage; ebenso wie die nach der Besetzung der nicht gerade einfachen Kinderpartien im Werk. Nach Korngolds Toter Stadt in dieser Saison erneut ein Werk, das uns mit Fragen nach Schein und Wirklichkeit, Traumdeutung, Psychoanalyse und Selbstbetrachtung konfrontiert.

Ein wenig zum Abkühlen gibt es dann einen Reißer des romantischen Repertoires, wenn unter Stabführung von Oldenburgs 1. Kapellmeister Vito Cristofaro von Offenbach seine einzige wirkliche Oper Hoffmanns Erzählungen erklingt. Ein Werk, das uns in die amourösen und stets erfolglosen Abenteuer der Titel-gestalt mitnimmt. Das Faszinosum liegt in der Vielgestaltigkeit der Frauenpartien in Typ, Charakter und stimmlicher Auslotung. Selten gelingt eine Besetzung mit einer einzigen Darstellerin für alle vier Figuren Olympia, Giulietta, Antonia, Stella. Wir sind gespannt!

Abgerundet wird die Saison in der Oper von Janaceks Meisterwerk Das schlaue Füchslein. Auch hier ein Werk von bedrückender Aktualität mit ihrem Kampf zwischen Mensch und Natur, den Fragen nach Freiheit und Selbstbestimmung, Träumen und verpassten Chancen, Hadern mit dem vermeintlichen Glück Anderer jenseits vom Leben in bürgerlichen Konventionen. Auch dieses Werk wird Cristofaro musikalisch leiten.

Ein Segen bleibt der einzige Erhalt einer Inszenierung der Ära Firmbach: Hänsel und Gretel, eines der Lieblings-Fluchtpunkte der Oldenburg in der Weihnachtszeit!

HENDRIK VESTMANN - GMD Oldenburgisches Staatstheater @ Stephan Walzl

Britten, Braunfels und Weber sind in den Händen von GMD Hendrik Vestmann, der seine letzte Spielzeit am Haus realisiert.

„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen….“

Vestmann verwies denn auch auf das üppige Konzertangebot des Staatstheaters an der Hunte.

In den acht Sinfoniekonzerten durchmisst man die 300 Jahre Orchestermusik mit großen Schritten und viel Neuem. Da gibt es einen Abend mit Alter Musik unter Thomas Bönisch, wo neben den Granden der Epoche auch seltener zu hörende Mittelmeister wie Quantz, Heinichen und Muffat erklingen werden.

Im eher der Klassik zugetanen Konzert im Februar gibt es neben einem Haydn-Schwerpunkt das allemal besondere, weil noch nie zu hörende Werk von Alfonso Rendano (1853-1931), der mit einem Klavierkonzert vertreten sein wird.

Christopher Ward, derzeit GMD in Aachen, wird einen gesamten, nahezu rauschhaften Abend mit Richard Strauss leiten: Till Eulenspiegel, Don Juan, Zaratustra. Monströs und soghaft seine Musik. Vielleicht ja ein Vorbote auf eine neue Strauss-Oper in 25/26?

Alle übrigen Abende liegen in den Händen von Vestmann, dem die Vielfalt des Darzustellenden enorm am Herzen liegt: Dvorak IX, Sibelius III, Rachmaninow II, dazu Brahms 1. Klavierkonzert, Mozarts himmlische Concertante für Violine und Viola (mit hauseigenen Kräften erstmals in Oldenburg zu hören), Strawinskys Sacre und als Finale seiner Amtszeit die opulent besetzte 2. Sinfonie „Auferstehung“ von Gustav Mahler.

Mit einem Schmunzeln verweist Vestmann auf den Bogen seiner Zeit, in der er immer wieder Werke seiner estischen Heimat vorgestellt hat. War es im ersten Sinfoniekonzert die Morgendämmerung von Heino Eller, so ist es nun im Eröffnungskonzert dessen Abenddämmerung.

Den Sinfoniekonzerten schließen sich sechs Kammerkonzerte der Sinfoniker, Liederabende, das gesamte Wohltemperierte Clavier von Bach an sowie die Konzerte des education-Bereichs, in denen ein moderierendes, häufig etwas übergriffiges Schaf dem musikalischen Leiter Antonio Planelles Gallego zur Seite steht. Auch die Akademie mit jungen Nachwuchskräften bleibt stabil. Neu sind sogenannte Babykonzerte, auf deren Erfolg und Nachhaltigkeit man gespannt sein darf.

Zentral auch der Hinweis, dass man das Rad nicht gänzlich neu erfinden wolle. An Bewährtem wird festgehalten. Dazu gehört neben Neujahrskonzerten und Classic meets Pop unbedingt auch der etablierte Opernball, ein gesellschaftliches Ereignis in Oldenburg und umzu, der künftig als Theaterball daherkommen wird. Vielleicht eine Öffnung?

Dazu gibt es Polit-Talks mit Prominenten; den Start macht Harald Schmidt. Ein zusätzliches Format DigitEx wird sich kritisch mit der aktuellen Frage nach Digitalität auseinandersetzen.

Mehr als einmal verweisen Mitglieder der Leitungsriege auf das Saisonheft, wo man die Details der Programmierungen in Ruhe nachlesen könne. Vielleicht auch ein ohnmächtiger Reflex auf die so selbst hergestellte Quantität?

Viel wird davon abhängen, ob neben den Kollektiven Orchester und Chor nun auch die Solisten des Ensembles zünden und zu Lieblingen des Publikums avancieren. Im Bestand bleiben vier bekannte Namen, denen neun neue Kollegen und zwölf Gäste gegenüberstehen. Beim Theaterfest und ersten eröffnenden Konzerten wird man sich da einen Eindruck verschaffen können.

So wünscht man dem neuen Team und allen hier im Nordwesten nun aufschlagenden und hoffentlich auftrumpfenden Menschen alles erdenklich Gute, besser nordisch fein „stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel“ und hofft gemeinsam für und mit ihnen, wie Goethe es dem o.g. Zitat aus Faust ergänzend beischob:

„…und jeder geht zufrieden aus dem Haus!“

Apropos 1

Äußerst gewinnend im Übrigen, bei der Illustrierung des Heftes nicht die Stars auf der Bühne sondern die guten Geister hinter der Bühne abzulichten. Dazu – gewissermaßen als Appetizer – erste Eindrücke von Bühnensituationen anhand der Modelle bei Bauproben der saisoneröffnenden Stücke.

Apropos 2

Mit 59 Minuten die wohl kürzeste, knappste und gleichermaßen knackigste Pressekonferenz, die wir erlebten. Da standen bei allen Beteiligten die Beschränkungen aufs Wesentliche und keine epischen Exkurse im Mittelpunkt. Chapeau!