München, Staatsoper, DIE ENGLISCHE KATZE - Hans Werner Henze, IOCO
In Hans Werner Henzes bitterböser Oper Die Englische Katze zeigt Regisseurin Christiane Lutz ein grelles Gleichnis über Macht, Geld und Moral. Was als tierische Satire beginnt, wird zum Menschenstück voller Gier, Liebe und Verrat – musikalisch souverän geleitet von Katharina Wincor.
Die Englische Katze
Hans Werner Henze
Libretto von Edward Bond nach der Erzählung Peines de cœur d’une chatte anglaise von Honoré de Balzac
Ach ja, so was kommt vor
von Hans-Günter Melchior
Da lehnt man sich erst einmal zurück –, sind ja nur Katzen und Mäuse, dieser unerbittliche Kampf zwischen den Tieren, gottgewollt oder so, wer weiß wie …, weil eben einer den anderen frisst, um zu überleben. Und weil der Gefressene, während er gefressen wird, sich nichts dabei denkt, denken kann …, ist eben mein Schicksal, fressen und gefressen werden. So möchte man es sich jedenfalls zurechtlegen, weil Feierabend und Erholung angesagt ist und die Tiere eben Tiere sind. Aber das hier, diese Geschichte im Operntheater ist eine Menschengeschichte, eine Art Allegorie, die einen vielleicht an der Nase fassen soll und auf gesellschaftliche Zustände hinweisen will. Und die doch, was die Ideologie angeht, ein wenig zu harmlos ist. Denn es müsste das Ganze ein wenig deutlicher geraten, härter, rücksichtsloser, kurz; zeitgemäß sein. Denn Ausbeutung, Unterdrückung und die Herrschaft Weniger über Viele laufen heutzutage sehr viel raffinierter, vielschichtiger ab als nur über ein paar Dollar oder welche Währung auch immer. Da könnten der alternde Herrschaftskater Lord Puff, den Michael Butler brillant gibt, mit seiner großzügigen Toleranz gegenüber seiner Partnerin Minette, die Seonwoo Lee bezaubernd und geradezu, fast das Mitleid des Zuschauers aufrufend, eben anrührend darstellt, im Kampf um den Vorteil, im rigorosen Streben um das Kapital heutzutage nicht mehr viel ausrichten. Die Geschichte ist indessen ein wenig zu einfach, und der Versuch, sie etwas zu problematisieren, erscheint manchmal hilflos. Die für den Präsidenten der K.G.S.R, der „Königlichen Gesellschaft zum Schutz der Ratten“, Michael Butler als Lord Puff, vorgesehene Ehefrau ist, auf bayerisch, eher ein „Hascherl“. Ein recht einfaches, argloses Mädchen im kurzen Kleidchen, die den Boss heiraten soll –: sagen wir getrost: eine „Landkatze“. Sie ist schüchtern und ängstlich, wird von ihrer wesentlich lebenserfahrenen Schwester Babette – eindrucksvoll im Spiel und gesanglich: Lucy Altus - begleitet und beraten. Babette hat Bedenken gegen eine Verbindung mit dem alten Lord Puff, das Milieu, die aalglatte Professionalität der ganzen Gesellschaft, das kapitalistische Gehabe, behagen ihr nicht. Aber die junge, unerfahrene Minette zerstreut die Einwände. Wird schon gut gehen …

Freilich kommt es, wie es kommen muss. Romanhaft eben. Minette verliebt sich nach anfänglichem Zögern in den armen Teufel Tom, offenbar so eine Art Dachkater, den Armand Rabot schauspielerisch und gesanglich eindrucksvoll gibt. Sie trifft sich heimlich mit ihm, katzengerecht auf einem Dach, das übliche Geturtel und Geschmuse, er liebt sie auch, ach, wie schön das ist, dass man die Schnurrhaare hinein fantasiert. Da hat der Alte, der Taktiker der Macht, Lord Puff, der Politiker von der amourösen Seite her keine Chance. Was ihn freilich nicht stört. Er hat ja das Geld und eben die Macht, dazu braucht er freilich nur noch als reine Formalität die eheliche Reputation. Als Präsident eben eine Begleiterin, die Ehefrau, weil die dazugehört. Denn so und nur so will es das gesellschaftliche Gesetz der Katzen – und der Menschen auch, weil die Präsidenten nun mal „die Frau an ihrer Seite“ brauchen. Denn die Kameras haben es an sich, zu schwenken, da darf an der Seite bei Staatsbesuchen zum Beispiel nicht ins Leere filmen. Überhaupt die Assoziationen und Anspielungen: Dabei würde man als Zuschauer so gern bei den Katzen bleiben, niedlichen Pelztieren, die Katze zu streicheln, ist eine Beschäftigung für Einsame. Aber die zügige, durchwegs einleuchtende Regie von Christiane Lutz verweigert dies konsequent. Sie zeigt Menschentheater, Menschengier und Menschenkalkül, mag auch noch so viel von Katzen die Rede sein. Minette, ach, Minette sei vorsichtig, möchte man rufen –, jedenfalls kommt von ihrem Tom nicht los. Trifft sich heimlich mit ihm, er singt ihr ein Ständchen und ist nicht, wie befürchtet, für immer verschwunden bei der Marine. Er ist desertiert, zurückgekommen zur Geliebten, die freilich Angst hat vor Repressalien, dem Eingreifen der Justiz. Die Liebe siegte und siegt indessen, wie soll es anders sein unter Katzen und Menschen. Und Puff, der Gelegenheitsliebhaber aus politischem Kalkül und Ehemann (Nomen est omen), verzeiht die außereheliche Beziehung Minettes, mit der er inzwischen formell verheiratet ist.

Der Rest ist etwas verworren, schwerfällt es dem Zuschauer, das Verwickelte und Verzwickte auseinanderzuhalten, Realität von Fantasie, reiner Einbildung und Traum zu trennen. Dem Autor der Geschichte galoppierte da wohl die Fantasie ins weite Land davon. Es ist alles nicht mehr so recht glaubhaft, romanhaft und zurechtfantasiert. Man muss jedenfalls gehörig aufpassen, um da noch mitzukommen. Immerhin wird wohl Lord Puff, der eigentlich die Dinge laufen lassen will, wie sie nun mal sind, weich gekocht. Er muss zulassen, dass Tom der ehewidrigen Verbindung mit Minette wegen angeklagt wird. Minette soll sogar ertränkt werden. Die schicksalhafte Entwicklung geht etwas im Gewusel auf der Bühne unter. Was für eine romanhaft-schreckliche Entwicklung der guten Dinge also. Es kommt dann wieder das Geld ins Spiel. Tom wird Erbe und ist, so das Programm, der vermögendste Mann in England. Die K.G.S.R. schlägt indessen zu. Minette wird gefesselt, Mrs. Halifax will sie sogar ertränken. Wegen des Verstoßes gegen die ehelichen Pflichten und so weiter. Ach ja, die Rettung bringt am Ende – freilich nur scheinbar –, wen wundert es, das Geld. Wie sollte es auch anders sein? Tom erbt ein Vermögen, ist von heute auf morgen reich sozusagen. Doch er muss sein Geld abgeben. Der krude Kapitalismus schlägt zu. Wer Geld hat, lebt gefährlich. Tom wird von der K.G.S.R. ermordet. Im Geist sind Tom und Minette, beide tot, freilich vereinigt. Was für Kapriolen. Turbulenzen. Da komme noch mit, wer will und es schafft. Vielleicht hätte die Regisseurin Christian Lutz ein wenig kürzen sollen. Ordnend eingreifen müssen. So gelungen an sich die Regie sonst auch ist, sie tendiert am Schluss zur Unübersichtlichkeit, ja zur Unverständlichkeit. So einfach geht es nicht zu, selbst im raffgierigsten Kapitalismus kleiden sich die krudesten Manöver scheinhaft in den Mantel des Rechts. Glänzend geschafft hat es jedenfalls das Orchester unter Katharina Wincor. Sie bewältigte souverän die nicht einfache Partitur, die zwischen den Kompositionseinfällen Henzes, dem Wechsel zwischen Modernem, Atonalen, mit dem Klassischen changierte und die Spannung hielt.
Etwas gedämpfter, wohl nachdenklicher Beifall.