München, Residenztheater, LAPIDARIUM - Rainald Goetz, IOCO

Die Personen seiner Umgebung gehören zu Rainald Goetz wie eine Familie. Innige Verbindungen. Goetz erinnert sich an die Größen seiner Umgebung, an Polt und an Rutschky und an Dietl, an Dorn und Frisch, an Fassbinder und sogar Rilke, an Achternbusch, Kroetz und den „Monaco“ …

München, Residenztheater, LAPIDARIUM - Rainald Goetz, IOCO
Residenztheater © Sandra Then

„Sprache kennt kein Geheimnis, im Gegensatz zu den Gedanken, die Gedanken sind frei, Sprache nicht, vieles ist den Gedanken unerreichbar, nicht dem Leben, den Gefühlen, dem Erzählen …“

von Hans-Günter Melchior

Das hat der Autor Rainald Goetz aber so richtig in die Vollen gegriffen. Als träfe er eine letztwillige Verfügung. Immerhin hat er Tod und Teufel aufgerufen und er ist zwischen den Berühmtheiten seines Bekanntenkreises (und dieser ist offenbar riesig), nur so mäandert. Freilich sind einem vielleicht nicht einmal unbeträchtlichen Teil des Publikums nicht alle Personen bekannt. Nicht einmal, wenn sie die knöcherne Hand des Todes berührte. Übertreibung? Nun: Manchmal schien es jedenfalls, als wehe der eisige Wind der Resignation durchs Publikum, wenn wieder einmal ein Name auftauchte, der nicht bekannt war oder zumindest nicht so bekannt, dass man ihn, wie der Autor, so vertraulich benennen konnte, als begegnete man ihm jeden Tag. Und der in Vergessenheit lebt oder gar nicht mehr lebt. Das soll natürlich kein Vorwurf, nun ja: allenfalls ein milder sein, auf jeden Fall aber die Feststellung eines wohl höchstpersönlichen Mangels, einer Wissenslücke. Jedenfalls war da – zum Glück, ein wirklicher Glücksfall! – die ebenso beherzte wie geistreiche Regisseurin Elsa-Sophie Jach, die Ordnung schaffte und Überblick, manchmal kürzend eingriff und besondere Passagen sinnfällig einordnete, dass man wusste, wo man gerade war. Dennoch wird noch genug geredet, geredet – und gedacht und geredet auch wie ohne Denken, nur so. Und das kommt dem Stück sogar manchmal zugute, macht es überwiegend moderat unterhaltsam, und nur an manchen Stellen so richtig schwierig, etwa wenn es an die existenziellen Grundlagen geht. Die existenziellen Grundlagen. Die Personen seiner Umgebung gehören zu Rainald Goetz wie eine Familie. Innige Verbindungen. Goetz erinnert sich an die Größen seiner Umgebung, an Polt und an Rutschky und an Dietl, an Dorn und Frisch, an Fassbinder und sogar Rilke, an Achternbusch, Kroetz und den „Monaco“ … und so weiter, wie an seine Familie. Aber manchmal ist es auch zuweilen so, als ob der Autor ganz allein sei. Als suche er Schutz, wolle die Leser an die Hand nehme, um sie einen Urwald der Kunst, sei es das Theater oder das Kino oder der Film zu führen, wo man sich im Gestrüpp der Begriffe und zeitnahen Ansichten sowie im Geschriebenen und Gesprochenen verirren kann und sich dennoch mit der Zeit beruhigt, wie wenn man zu Hause sei.

Nicola Mastroberardino, Steffen Höld, Pia Händler © Sandra Then

Zur Aufführung. Herrlich, die Schauspieler, sie seien hier zusammen aufgezählt, um unangebrachte Bevorzugungen zu vermeiden: Sibylle Cononica, Pia Händler, Steffen Höld, Vincent zur Linden, Nicola Mastroberardino und Steffen Scharf. Live Musik wurde beigesteuert von Barbara Kolb und Bernadette Wolf. Vollendete Schauspielkunst. Tempo, Bewegung, Witz. Bravo! Und die Turbulenzen wurden von der Live-Kamera illustriert, für die Niels Voges verantwortlich war. Auf die Fülle der angesprochenen Themen im Einzelnen einzugehen, würde den Rahmen einer Berichterstattung sprengen. Zweieinviertel Stunden wurde über Tod und Teufel diskutiert, über die Kunst und den Film, über die Literatur und die Politik. Besonders haften geblieben ist beim Rezensenten die Schilderung des Spazierganges des Autors mit Helmut Dietl. Eine Diskussion zwischen Augen- und Filmmensch und einem Schreibenden. Für den Autor Goetz ist das Geschriebene einerseits nicht oder wohl selten sagbar, und das Gesagte eignet sich andererseits nicht zum Schreiben. Eine wunderbare Erkenntnis: Im Prozess des Kunstschaffens steigert sich der Autor, der Künstler allgemein, ins Elitäre, Abgehobene, wendet sich dem Grundsätzlichen und nicht zuletzt dem Kosmos des Fantastischen und ziseliert Filigranen des Ausdrucks und insbesondere der Welt der oft abstrakten, charakterisierenden Erkenntnisse zu. Während die Sprache alltäglich ist, dient das rein Gesprochene also der praktischen Lebensbewältigung. Wie auch immer: Dietl und Goetz sind sich jedenfalls, so Goetz im Bericht, nicht so recht einig geworden. Wenn auch Dietl wohl die Hoffnung nicht aufgab, den Autor für ein Filmprojekt gewinnen zu können.

Manchmal fällt der Text, das Stück, freilich in die Grube des eher Banalen, schildert Eigenheiten von Personen aus dem Kunst- und Schriftstellermilieu in ihrer Lebenswelt wie von allgemein Bekanntem, tut also gerade so, als würde sie jeder kennen. Solche Ausführlichkeiten erzeugen Überfülle, stoßen auf mangelndes Interesse.

Sibylle Canonica, Vincent zur Linden © Sandra Then

Ach – und der Tod. Liest man den recht umfangreichen Text, spürt man fast eine Art Todessehnsucht des Autors heraus. Als schleppe er sich mit der Last des Lebens gehörig ab. Als sei es ihm genug, diese Last zu tragen. Die Regisseurin hat da wohl den Text gekürzt. Jedenfalls erschien das Manuskript zu diesem Thema ausführlicher, fast wie eine Obsession.  Obwohl der Text sich auch hier mit dem Allgemeinen des Todes als Schicksal begnügt, ohne konkreter zu werden.

Überhaupt die vielen Personen, die der Autor beschreibt, darstellt mit ihren Eigenheiten und Verhaltensweisen. Ein Phänomen. Wobei der Text freilich meist bei der Schilderung der Einzelschicksale, als solche verharrt, ohne näher auf die Einzelschicksale einzugehen. Ein Einzelschicksal hat indessen jeder. Es lastet auf ihm oder erhebt ihn als höchstpersönliche Last oder als „Segen“. Das ist nicht neu und selbst dies ist selten erschütternd und von allgemeinem Interesse, es sei denn, die Person ist berühmt und verfügt – zumindest auch und gerade im Umfang ihrer Berühmtheit –, eben in ihrer Besonderheit über ein exemplarisches Leben. Woraus es ankommt und für andere von Bedeutung ist: Aus dem Besonderen das Allgemeine zu destillieren, herauszulesen als Beispiel für die vielen Anderen, diesen die Quintessenz vor Augen und Verstand zu führen. Hier ließ der Text den Zuschauer und Zuhörer allein. Freilich: „Kein Sein ohne Seiendes“ (Adorno: Negative Dialektik. Aber immerhin gibt es das Sein, wenn es auch Adorno nicht als Absolutes anerkannte).

Freundlicher, nachdenklicher Beifall.

Read more