München, Residenztheater, ERFOLG - nach Lion Feuchtwanger, IOCO Kritik, 04.06.2023

München, Residenztheater, ERFOLG - nach Lion Feuchtwanger, IOCO Kritik, 04.06.2023
Residenztheater München
Residenztheater München © Matthias Horn
Residenztheater München © Matthias Horn

ERFOLG - Roman Lion Feuchtwanger

- Bühnenbearbeitung Barbara Sommer und Stefan Bachmann -

von Hans-Günter Melchior

„Dieser Tote wird den Mund nicht halten“

Lion Feuchtwanger, gebürtiger Münchner, 1884-1958, hat den Roman Erfolg 1930 geschrieben. Ein umfangreiches Werk. Es behandelt die Zeit von 1921 bis 1923 im damals noch angeblich behäbigen, jedoch bereits gefährlich kleinbürgerlich, wenn nicht kleinkariert-autoritär denkenden München, in dem sich die Anfänge des Nationalsozialismus verhängnisvoll abzeichnen.

Zentrale Figur des Romans und des Stücks ist der bekannte, ja berühmte Kunsthistoriker, Subdirektor der staatlichen Sammlungen Münchens Dr. Martin Krüger (Thiemo Strutzenberger, der auch die Rolle der Tänzerin Olga Insarowa übernahm). Dr. Krüger befindet sich in Strafhaft. Über die Umstände des Vorwurfs erfährt man im Stück, geht man juristisch akribisch an die Sache heran, so gut wie nichts. Im Roman freilich wird der Vorwurf zumindest erläutert, wenn er auch so, dass man das Urteil nur schwer nachvollziehen könnte: er soll vor Gericht unter Eid ausgesagt haben, eine Dame im Taxi nach Hause gefahren zu haben und anschließend weitergefahren zu sein. In Wahrheit soll er die Dame jedoch in seine Wohnung mitgenommen haben.

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Er wurde von einem politisch-ideologisch voreingenommenen (so der Roman) Gericht wegen Meineids zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Siegbert Geyer (Thomas Reisinger) stand von vornherein auf verlorenem Posten. In einem zumindest andeutungsweisen Gegensatz zum Roman kommt Dr. Geyer im Bühnenstück eher als belächelte, zumindest weitgehend einflusslose Figur vor.

Überhaupt: Roman und Stück halten sich nicht lange bei juristischen Problemen auf. Es ist geradezu eine Grundvoraussetzung des Romans und damit auch des Stücks, dass die Verurteilung nicht der Rechtslage entspricht, sondern der Absicht dient, einen politisch missliebigen Bürger mundtot zu machen. Aus dem quasi von vornherein als nicht rechtmäßig abqualifizierten Urteil entwickelt Feuchtwanger freilich das Bild eines von faschistischen Kräften bedrohten Staates, in dem die Justiz politischen Zwecken dient und nicht unabhängig ist.

Residenztheater / ERFOLG hier das Ensemble © Birgit Hupfeld
Residenztheater / ERFOLG hier das Ensemble © Birgit Hupfeld

Es entsteht ein umfangreiches Zeitgemälde, das insbesondere in Bayern in einem Gemisch aus Küngelei, Spießertum, Folklore, Lüge, Hass, Gewinnsucht und Gemeinheiten kulminiert. Bis in die kleinsten Facetten wird die münchner Gesellschaft Anfang der 1920er Jahre bis 1923 dargestellt, wobei sich bereits in den führenden Stellungen der Regierung deutlich faschistoide Züge abzeichnen.

Freilich gibt es auch – eher wirkungslose –  Konflikte. Andersdenkende wie der Kultusminister Dr. Flaucher haben nur am Anfang, am Ende jedoch kaum Einfluss..

Es dominiert die „neue Zeit“. Insbesondere tritt der Justizminister Dr. Otto Klenk (Florian von Manteuffel) als eindeutiger Sympathisant des Rupert Kutzner auf, der in Feuchtwangers Roman die Rolle Adolf Hitlers vertritt. Klenk reicht später seinen Rücktritt ein, blieb jedoch eine einflussreiche Figur im aufkommenden Nationalsozialismus. Der typische einflussreiche Propagandist.

Die Zeit war turbulent. Das Elend war in der breiten Masse allgemein. Rupert Kutzner (der im Stück übrigens nicht auftritt und auch im Buch Hintergrundfigur ist) machte sich die allgemeine Unzufriedenheit zunutze. Er organisierte 1923 den Marsch auf die Feldherrnhalle in München, scheiterte jedoch kläglich.

Im Roman wird seine Rolle indessen eher am Rand der Lächerlichkeit, zumindest als alles in allem politisch und gesellschaftlich unbedeutend, weil ohne durchgreifende Wirkung, also verharmlosend dargestellt. Wohl deshalb, weil Feuchtwanger die politischen und gesellschaftlichen Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus noch nicht überblicken konnte. Wir, die wir ein Jahrhundert überblicken, wissen es besser.

Widerpart Klenks ist der Justizminister Flaucher (Steffen Höld, der auch den Konrad Stolzing verkörperte)

Residenztheater / ERFOLG hier Thiemo Strutzenberger als Dr Martin Krüger © Birgit Hupfeld
Residenztheater / ERFOLG hier Thiemo Strutzenberger als Dr Martin Krüger © Birgit Hupfeld

Anders als im Roman erlebt im Stück der Angeklagte Krüger so eine Art Wiedergeburt. Er tritt am Ende, kurz vor der beabsichtigten Begnadigung obwohl in der Haft gestorben, aus seiner gleichsam Rolle heraus und beteiligt sich am Diskurs. Ein höchst gelungener Regieeinfall. Der Hinweis auf das Lehrstückhafte des Romans. Der Schauspieler verlässt gleichsam seine Rolle und verweist auf die Quintessenz des Stücks. Für einen Augenblick wird belehrt und nicht mehr gespielt.

Der Roman wie das Theaterstück, das Barbara Sommer und der Regisseur Stefan Bachmann erarbeitet haben, sind ein einziges Kaleidoskop an Einfällen, Turbulenzen, Meinungen und Begebenheiten. Eine Überfülle an Details erschwert etwas die Konzentration auf das Wesentliche, so dass es ratsam erscheint, den Roman, den man kennt, noch einmal zu lesen, bevor man sich das Theaterstück anschaut.

Um es vorweg zu nehmen: der Theaterabend ist indessen insgesamt gelungen, höchst interessant, ja fesselnd, besonders im an Tiefgang gewinnenden Teil nach der Pause. So sehr man sich am Anfang auf Kabaretthaftes, Revuehaftes einstellen mochte, so nachdenklich verlässt man am Ende das Theater. Wobei als besonders eindrucksvoll und zentral  der Auftritt des Konrad Stolzing (glänzend Steffen Hold, der auch den Kultusminister Dr. Franz Flaucher darstellt) hervorgehoben werden muss. Konrad Stolzing, Schauspiellehrer seines Zeichens, verherrlicht in seiner vor der Bühne, direkt vor den Zuschauern und mit einer gleichsam in die Gemüter und ins Denken eindringenden brillant vorgetragenen Rede den späteren „Führer“, also Rupert Kutzner alias Hitler, als gleichsam mythische Erscheinung, als eine Art Heilsbringer. Stolzing, von Beruf Schauspieler oder Schauspiellehrer, ist nicht nur überzeugter Anhänger Rupert Kutzners, sondern auch dessen Lehrer, der seinem Schüler das Handwerkszeug des Redens vor Massen beibringt: die Gestik, die Lautstärke, die Suggestion in der Aussprache und in den Bewegungen, bis hin zum „rollenden R“. Man sieht förmlich den späteren Hitler, ein gelernter Verbrecher, der genau wusste, wo die Schwachstellen des notleidenden Volkes sind. Eben Inflation, Hunger, Fanatismus, soziale Ausgrenzung…, die Zeit steuerte auf einen neuen, schweren Konflikt zu. Auf Kampf. Und dieser suchte sich wie jeder Konflikt im Krieg ein Ventil. Da halfen auch die in die Luft geworfenen Arme nicht, nicht die gelegentlichen Grellheiten der Vergnügungssucht.

Residenztheater / ERFOLG hier Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger, Florian von Manteuffel © Birgit Hupfeld
Residenztheater / ERFOLG hier vl Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger, Florian von Manteuffel © Birgit Hupfeld

Immer dreht sich das Karussell der Fragen und Probleme, die Drehscheibe der politischen und gesellschaftlichen Zustände. Dabei beschränkt sich die Bühne am Anfang auf einem Ausschnitt. Aus einer großen schwarzen Wand öffnet sich ein kleines, beleuchtetes Quadrat, in dem sich die Protagonisten rund um Krüger drängen. Dann verschwinden sie bis auf Krügers Freundin Johanna Krain (Liliane Amuat, Foto, die auch Amalia Sandhuber verkörpert). Und als auch diese das kleine beleuchtete Rechteck verlässt, ist Krüger allein. Nur unten vor schwarzem Vorhang  läuft der karrieregeile Gefängnisdirektor Förtsch ( (Oliver Stokowski), Foto, ständig von links nach rechts und träumt von seiner Beförderung…

Überhaupt: Johanna Krain. Die wichtigste Bezugsperson des Inhaftierten. Flatterhaft und verantwortungsvoll zugleich. Wahr gezeichnet. Sie hält die Inhaftierung des Liebhabers nur mit äußerster Kraftanstrengung aus. Und manchmal sucht sie Entlastung in Affären. So beweist es die Erfahrung.

Im zweiten Bild beleuchten Straßenlaternen eine Drehscheibe. Manchmal sind sie von Nebeln verdunkelt. Zuweilen ist das Geschehen grell, unruhig, bunt, man muss eben aufpassen, nicht den Überblick zu verlieren. Das fordert freilich zur Konzentration heraus, keine Minute entlässt das Bühnengeschehen den Zuschauer. Es entsteht ein Bild, das die Turbulenzen einer bedrohten Zeit anschaulich macht. Unruhe verbreitet. Und erst nach der Pause wird es ruhiger und ein gewisser Tiefsinn löst das manchmal Revuehafte des ersten Teils ab.

Das Ensemble und die Regie haben am Ende den Beifall verdient. Ein schwieriges Unterfangen, eine vergangene Zeit in ihrer Problematik zu beleuchten. Schwierig auch und eine beachtliche Leistung, aus der Fülle des Stoffes eine Theaterstück zu machen. Noch einmal: insgesamt wurde die selbst gestellte Aufgabe mit Mut und erfolgreich bewältigt.

Freilich: aus der Distanz von 100 Jahren. Das heutige München ist praller; praller vor allem vor Problemen und Bedrohungen, von den die kleinbürgerliche Welt der Vergangenheit noch nichts wusste. Offener auch im Blick auf die Welt außerhalb der Stadt. Mit einem Wort: Internationaler. Zwangsläufig. Es ist richtig: man sollte 100 Jahre für einen Rückblick vergehen lassen. Vor allem, um das Heute zu begreifen.

Wie recht hatte Johanna Krain. Im fünften Buch seines Romans lässt sie Feuchtwanger bei der Beerdigung Krügers zu Wort kommen: “Man redete, legte Kränze nieder, sang…Ich werde es schaffen, beschloß sie. Dieser Tote wird den Mund nicht halten.“