München, Münchner Opernfestspiele, TANJA BAUMGARTNER, Mezzo-Sopranistin, im Interview, IOCO, 01.09.2022

München, Münchner Opernfestspiele, TANJA BAUMGARTNER, Mezzo-Sopranistin, im Interview, IOCO, 01.09.2022
TANJA BAUMGARTNER © Luigi Caputo
TANJA BAUMGARTNER © Luigi Caputo

TANJA BAUMGARTNER, Mezzo-Sopranistin, im Interview

mit Adelina Yefimenko

IOCO-Autorin Adelina Yefimenko traf während der Münchner Opernfestspiele 2022 nach der Premiere der Oper Capriccio von Richard Strauss die Mezzo-Sopranistin Tanja Baumgartner zu einem Interview. Kernthemen des Interviews waren die Partie der Clairon in der Oper Capriccio, von Tanja Baumgartner dargestellt, auffällige Besonderheiten der Inszenierung von David Marton wie ihre Erfahrungen in der Kulturwelt.

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Die Oper Capriccio – ein Konversationsstück für Musik in einem Aufzug - Libretto Stefan Zweig, Joseph Gregor, Clemens Krauss, Richard Strauss und Hans Swarowsky - in dem 73jährige Richard Strauss die Bedrohung der europäischen Kultur durch den Krieg unterschwellig ausdrückte  und als sein „Testament“ formulierte. Die Oper wurde am 28. Oktober 1942 im Nationaltheater München uraufgeführt. 2022 kam Capriccio wieder nach München.

Interessant ist, dass Richard Strauss in seiner letzten Oper zwei ehemals lebende, reale Personen eingeführt hat: den Theaterdirektor La Roche und die Schauspielerin Clairon. Der Theaterdirektor Johann Joseph La Roche (1. April 1745, Preßburg -  8. Juni 1806, Wien) war seit 1781 als Schauspieler am 1781 erbauten  Theater in der Leopoldstadt, einer Vorstadt des damaligen Wiens, tätig. Er wurde berühmt durch die von ihm erfundene Rolle des dummen Dieners und des Kasperls. Clairon de la Tude (franz. Schauspielerin, 1723 - 1803) wurde durch ihre tragischen Rollen zu einer Berühmtheit ihrer Zeit. Ihre wichtigsten Rollen, insbesondere die tragischen Voltaire-Rollen waren Paedra, Medea, Andromache und Roxane. Die Gestalt der Clairon nahm Strauss als praktische, ausführende Künstlerin des Sprechtheaters, basierend auf dem realen Vorbild der Clairon de la Tude oder Claire Josèphe Léris wahr. Tanja Baumgartner, eine bekannte deutsche Mezzo-Sopranistin und Kennerin des Strauss / Wagner Repertoires, sang die Rolle der Clairon, der berühmten französischen Schauspielerin in der Capriccio - Produktion an der Bayerischen Staatsoper.

CAPRICCIO - Trailer - mit Tanja Baumgartner als Clairon youtube Bayerische Staatsoper [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

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Adelina Yefimenko: Tanja, was war für Dich an dieser Rolle der früher lebenden und wirkenden berühmten Frau interessant?

Tanja Baumgartner: ich habe über Clairon viel gelesen. Sie war eine sehr interessante Persönlichkeit und hatte ein sehr ungewöhnliches Leben geführt. Als Frau finde ich es toll, wenn eine Frau ihren eigenen Weg gehen kann. Das konnte sich in der Zeit des starken Patriarchats nicht jede Frau trauen. Clairon war als Mensch und Künstlerin auch sehr unmittelbar und war immer am Wort dabei. Das Wort war für sie sehr wichtig: wie sagt man es und was gemeint wird, wie reagiert man auf das Wort.

Adelina Yefimenko: War für sie doch „Prima la parole e poi le musica“ – „Erst die Musik und dann dasWort“. Für Dich auch?

Tanja Baumgartner (lacht): für mich ist die Musik natürlich sehr wichtig, aber ich finde es kommt auf das Stück drauf an. Im Belcanto geht es primär um die Musik, bei Wagner mehr um die Vertonung des Wortes. Bei Salieri wurde es eine Oper: Prima la Musica dopo le Parole, in Strauss Capriccio auch erwähnt ?

Adelina Yefimenko: Prima la Musica, dopo le parole. Die Frage ist genauso aktuell heute, wie seit der Geburt der Oper. Wie Du weißt, Richard Strauss war nicht der Erste, der diese Frage dem Publikum stellte. Anfangs brachte Antonio Salieri im Jahre 1786 das Divertimento teatrale „Prima la musica e poi le parole“ heraus. Uraufgeführt wurde es 1786 im Rahmen eines Hoffestes in Schönbrunn, zusammen mit dem ebenfalls ähnlichen Schauspieldirektor von Mozart. Salieris Kernfrage in seiner Opera-Satire über Sitten und Regeln der Oper, was in der Oper wichtiger ist, die Musik oder das Wort, beschäftigte immer die Opernkomponisten. Warum wurde für Richard Strauss diese Frage aktuell angesichts des Zweiten Weltkrieges? In seiner letzten Oper hat er diese Frage mit seinem ersten Librettisten Stefan Zweig in den Mittelpunkt gestellt. Leider wurde Zweig´s Werk dann aber auf die Liste der Bücherverbrennungen gesetzt und er 1935 in die Liste verbotener Autoren aufgenommen.

Und auch die Oper Schweigsame Frau ist sinnvoll in diesem Zusammenhang zu erwähnen. In Dresden boykottierten Hitler und Goebbels die Premiere am 24.6.1935, weil zu dieser Oper „ein Jude (Stefan Zweig) das Libretto schrieb“

Die Rolle Clairon in Strauss’ Oper ist vielleicht real aber auch symbolisch. Wer ist denn die Clairon in der Inszenierung von David Marton? Wer ist sie? Wen spielst Du – die bekannte historische Person Clairon de la Tude oder eine andere Persönlichkeit aus den 30-Jahren des 20. Jahrhunderts, oder Dich selbst als Schauspielerin, als Operndiva? Wieviel Tanja Baumgartner steckt in Clairon?

TANJA BAUMGARTNER © Darioa Acosta
TANJA BAUMGARTNER © Darioa Acosta

Tanja Baumgartner: David Marton wollte bewusst die Clairon als Anti-Diva gestalten. Wie auch in dieser Inszenierung die Rolle durchgedacht ist. Operndiva war uns dann zu platt. Ich möchte eine Schauspielerin verkörpern, die wirkt, die große Bühnenerfahrung hat. Sie stand schon mindestens 20 Jahre auf der Bühne und das muss man genau sehen – an ihrer großartigen Haltung. Wahrscheinlich wirkt sie auf das Publikum als Diva, aber sie muss sie nicht spielen. Sie kommt einfach unauffällig auf die Bühne und sie hat einfach diese Präsenz. Sie schaut sich um: „Ich bin halt eingeladen bei meinen Sponsoren. Ich schaue, was daraus wird, der Graf ist sehr nett, hat viel Geld“. Sie ist natürlich auch praktisch. Dann entsteht auch eine romantische Beziehung.

Adelina Yefimenko: Inwieweit ist diese Rolle von einer zu den anderen Inszenierung für Dich abwechslungsreich und vielgestaltig? Ist in Deinen Umgang mit dieser Rolle mehr Reproduktion, Rezeption, Interpretation, Reflexion?

Tanja Baumgartner: Clairon ist von einer zu der anderen Inszenierung nie gleich. Sie hat sehr viele Schattierungen, immer anders beleuchtet. Wie soll ich sagen… man bekommt mehr Farben von dieser Person und das Verständnis für sie erweitert sich immer mehr. Und wir spielen nie alleine auf der Bühne. Wer ist mein Partner in dem Moment, das spielt eine große Rolle. Wenn ich mit der Gräfin rede, kann man sich vorstellen: Wir sind große Konkurrentinnen. Aber in einer anderen Aufführung sind wir auch Freundinnen. Und diese Vorstellung entsteht auch abhängig davon, wie der Graf reagiert. Oder wie mich Oliver anspielt und wie ich darauf reagiere. Wir haben miteinander die Spielfreude an dem Abend der Aufführung. In dem Ensemble hatte ich so viele tolle Kollegen & Kolleginnen! Diana Damrau, Michael Nagy, Pavol Breslik, Vito Priante, Kristinn Sigmundsson – die sind alle großartig!

Adelina Yefimenko: Ich glaube, dass in David Martons Inszenierung die Gräfin in Clairon eine Frau sieht, die sie gerne sein möchte aber nicht ist. Clairon bezeichnet wiederum die Gräfin als Göttin der Harmonie: „Die Göttin der Harmonie steigt zu uns hernieder.“ In welcher Verbindung (auch musikalisch) stehen diese beiden freien Künstlerinnen zu einander wirklich? Wie nahe oder fern ist Deine Verbindung zu dieser Gräfin Madeleine?

Tanja Baumgartner: Clairon versteht, dass die Gräfin alles hat, ihr Haus, ihre Freunde, ihre gesellschaftliche Würde, weil sie auch eine besondere Persönlichkeit ist. Ich glaube schon, das ist eine gegenseitige und ehrliche Bewunderung beiderseits. Klar, zwischen beiden kann keine Freundschaft entstehen wegen der Standesunterschiede, aber es ist eine große Freude, den Tag zusammen zu verbringen.

Adelina Yefimenko: Die Gräfin begleiten immer drei Tänzerinnen verschiedenen Alters. Ich neige dazu, diese alle drei Frauen mit Madeleine zu identifizieren. Auf der Bühne wird eine Geschichte über die Frau erzählt, die als Kind sehr streng erzogen wurde, die als alte Frau immer noch schön, schlank ist und tanzt. Dann wird diese alte Tänzerin zu dem Spiegelbild der Gräfin. Zuletzt blickt die Gräfin in einen solchen Zauberspiegel, sie sieht sich selbst als Kunstfigur und steht so der Kunst gegenüber. Capriccio zeigt die Vielfalt der zurückliegenden Musikgeschichte, an deren Ende sich der Komponist inmitten des Zweiten Weltkriegs angekommen sieht. Es fügt sich unter anderem nahtlos daran an, das Silberrose-Zitat als den Klang der Reflexion des Silberspiegels zu verstehen, spiegelt sich doch auch die Oper in der Oper?

Tanja Baumgartner: Die Tänzerinnen hat Strauss als Theaterleute bezeichnet. Von David Marton finde ich auch sehr schön, dass er dieses Spiegelbild rück- und nachblickend, in die Zukunft interpretiert hat. Diese Idee hat viel Gemeinsames auch mit der Feldmarschallin aus dem Rosenkavalier. Und als Oper in der Oper ist Capriccio für mich ein am wenigsten geschlossenes mit weniger Konklusionen komponiertes Stück. Und die Oper endet doch mit einem Fragezeichen. Denn Salome und Elektra enden klarer, Die Frau ohne Schatten endet mit der klaren Aussage. Was Capriccio betrifft, Strauss konnte in dieser Zeit überhaupt keine Aussage machen. Er hat nicht geschafft sich zu positionieren. Das kann man auch nicht in dieser Zeit verurteilen. Schwierig ist, dass wir nicht wissen, wie wir uns verhalten würden. Wir wissen nicht, was wir gemacht hätten, wenn wir in einer solchen Situation landen würden.

Adelina Yefimenko: und dann erfahren wir, dass die Tänzerinnen jüdisch sind. Diese Idee von David Marton finde ich sehr spannend. Die Tänzerinnen werden zusammen mit einer italienischen Sängerin (Deanna Breiwick) und einem italienischen Sänger (Galeano Salas) von dem Haushofmeister (Christian Oldenburg) ins KZ geschickt? Erwartet dieses Schicksal wahrscheinlich auch die Gräfin? Konnte Richard Strauss vorhersehen, dass seine Oper so historisch-politisch inszeniert wird?

Tanja Baumgartner: Ich glaube eher nicht, im Gegenteil, in dieser traurigen Zeit eine Oper zu schreiben, über Wort oder Ton, ist schon ein großer Eskapismus.

Adelina Yefimenko: Im Programmheft der Münchner Capriccio-Inszenierung haben mich einige Zitate von den Schauspielern während der Belagerung Sarajevos zum bitteren Nachdenken und Vergleichen gebracht. Hier ist beispielsweise ein Zitat des Schauspielers Miodrag Trifunov aus Sarajevo: „Wir haben den Menschen das Gefühl vermittelt, dass wir zusammengehören, dass wir eines sind, Publikum und Schauspieler… Nicht theatraltheoretisch, nicht diese Ko-Präsenz von Zuschauer und Schauspieler, nicht so, wie das Theater sowieso ist, wenn Frieden herrscht. Sondern als Menschen, die ein gemeinsames Schicksal teilen“.

Oder ein Zitat des Geschichtsstudenten Nihad Kresevljakovic: „Das Faszinierende in den Theatern während der Belagerung war die Illusion des Zuschauerbereichs. Man konnte auf der Bühne unmöglich eine so große Illusion kreieren, wie sie ohnehin schon unter den Zuschauern herrschte. … Das Theaterverhältnis ist also umgekehrt. Die, die auf der Bühne stehen, sind Teile der Realität, und das Publikum, das auf dem Weg ins Theater sein Leben riskiert, das während der Vorstellung nicht weiß, ob in der nächsten Sekunde nicht vielleicht eine Granate ins Gebäude einschlagen wird – dies ist die Illusion des damaligen Theaters“.

Genau eine solche Situation erleben meine Freude – Sänger und Sängerinnen der ukrainischen Opernhäuser, die weiterhin die Opern aufführen und vor Publikum auftreten. Wenn die Sirene heult und die Gefahr der russischen Raketen Angriffe näher kommt, müssen sie die Vorstellung unterbrechen.

Mit welcher Deiner Erfahrungen könntest Du solche Zitate im Bezug bringen?

Tanja Baumgartner. Der Krieg in der Ukraine wird immer präsenter. Meine ukrainische Studentin ist hier, ihre Eltern in Kyjiw geblieben. Sie will singen, sie muss studieren und natürlich versucht sie diese schreckliche Realität auszublenden, mit Freunden treffen. Sie sagt sogar, dass sie ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie sich amüsieren und versucht mit ihren Mitmenschen ein normales Leben zu führen. Und man liest immer die Nachrichten über die Realität des Krieges in Mitte Europas.

Adelina Yefimenko: Inwieweit wirkt Deine Tätigkeit als Sängerin auf Deine pädagogische Tätigkeit, wenn du Deine die Meisterkurse durchführst?

Tanja Baumgartner. Ich bin tätig als Professorin an dem Institut der Künste in Bern , eine kleine aber moderne Hochschule, die bisher als einzige in Europa den Studiengang Music in Context anbietet, ein zukunftsorientierter Studiengang, der neue Formen in der musikalischen Vermittlung sucht. Ich versuche das, was ich auf der Bühne gelernt habe und immer noch lerne, den Studierenden direkt nahe zu bringen. Ihnen auch zu zeigen, dass auch bei langjährigen Profis es mal Lampenfieber oder Indispositionen geben kann, ihnen auch zu vermitteln, was neben dem Singen alles dazu gehört (nämlich eine gehörige Portion Diplomatie und emotionaler Intelligenz, sowie ein große Resilienz und ein sehr positiver Umgang mit Kritik). Und natürlich das rein Sängerische, aber alles in allem geht die Ausbildung der jüngeren KollegInnen immer weit über das rein stimmliche hinaus.

Adelina Yefimenko: Bekanntlich wurde Capriccio als selbstreferenzielles Werk von Richard Strauss konzipiert, auch mit musikgeschichtlicher Rückschau, motivischen Assoziationen und fremden Zitaten (aus Mozart, Gluck, Wagner u.a.). Eigentlich ist Capriccio eine Darbietung der Geschichte. Mich fasziniert die Szene, in der Clairon zurück nach Paris fahren will: „Morgen ist großes Fest im Palais Luxembourg. Wir spielen den ‚Tancred‘ des Herrn Voltaire“. Das ist erstaunlich, wie sich eine reale Geschichte mit der Operngeschichte durchkreuzt: Voltaires Tragödie Tancrède von 1760 wurde in Paris aufgeführt und die weibliche Hauptrolle Aménaïde spielte dort tatsächlich Claire Clairon. Gibt es für Deine Rolle und für Dich persönlich irgendwelche sehr wichtige musikalische Zitate oder situative sowie inhaltliche Parallelen in Capriccio?

Tanja Baumgartner: Es gibt sehr viele sehr lustige Zitate wie zum Beispiel: Nur indiskrete Theaterstücke haben Erfolg, ich finde das charakterisiert Clairon schon sehr….sie weiß, um die Wirkung auf der Bühne. Aber wunderschön finde ich auch die Stelle, wo sie im Terzett mit Flamand und Olivier singt: Die Göttin Harmonie steigt zu uns hernieder. Einigt Euch Ihr Künste, sie würdig zu empfangen. Sie soll Euch begleiten auf Euren Wegen und nimmer scheiden aus Eurem Kreis. Das hat etwas sehr Hoffnungsvolles, dass es trotz aller Widersprüche, die ja in jeder Produktion oder in jedem Prozess des künstlerischen Schaffens herrschen, es eine Lösung geben wird.

Adelina Yefimenko: die Rolle Clairon war Dein Debüt an der Bayerischen Staatsoper? Clairon war aber nicht Dein Rollendebüt. In welchen Inszenierungen hast Du die Clairon schon gesungen?

Tanja Baumgartner: an der Bayerischen Staatsoper habe ich in 2021 Marie in Der fliegende Holländer gesungen. Und Clairon habe ich schon mehrmals gesungen. In London bin ich in einer konzertanten Aufführung eingesprungen, 2013 in der Royal Opera House mit Renee Fleming. Dann kam in Frankfurt die Neuproduktion mit Brigitte Fassbaender. Das war eine sehr schöne Inszenierung! Und zuletzt kam die Frage von München. An der Bayerischen Staatsoper ist es schon meine dritte Clairon. Und so wächst man in die Rolle hinein.

Adelina Yefimenko: Inwieweit ist diese Rolle von einer zu den anderen Inszenierung für Dich abwechslungsreich und vielgestaltig? Ist in Deinem Umgang mit dieser Rolle mehr Interpretation oder Reflexion?

Tanja Baumgartner: Jede Inszenierung hat natürlich einen anderen Fokus, aber generell würde ich sagen, dass ich die Rolle immer besser in mir spüre, beim ersten Mal ist es noch die Annäherung an eine fremde Person, jetzt begegne ich schon einer Freundin, die ich noch besser kennenlerne

Adelina Yefimenko: Vielleicht sagen wir auch etwas mit der Absicht, dass wir nicht verstanden werden? „Capriccio“ ist doch auch ein Phänomen in diese Richtung, ein Beispiel eines menschlichen Eskapismus. Wenn heute der Krieg in der Welt herrscht, beschäftigt man sich noch intensiver mit der Kunst und hat ein großes Bedürfnis über die anderen Dinge als dem Krieg zu reden. Wie denkst Du, warum in den düsteren, unerträglichen Zeiten die Schlüsselfrage der Capriccio Prima la Musica, dopo le parole so aktuell klingt und den Glauben an die Zukunft bekräftigt? Warum scheint die Oper Capriccio so aktuell in den Zeiten des großen vernichtenden Kriegen?

Tanja Baumgartner: Es ist eine sehr aktuelle Oper und im vielen unterscheidet sich die jetzige Zeit gar nicht so sehr von vor 100 Jahren vorher. Es herrscht eine große Unsicherheit angesichts der Lage in der ganzen Welt und viele Menschen suchen nach einem Halt.

Adelina Yefimenko: In Capriccio erleben wir eine Spielart des Musiktheaters, in welcher, wie Richard-Strauss-Experte Walter Werbeck formuliert; „der Dialog nicht dem Vorantreiben der Handlung dient, sondern Selbstzweck wird.“[1]

Wer ist Dein wichtigster Dialogpartner für Deine Konversation – der Schauspieldirektor, die Gräfin, der Graf. Ich fand, zum Beispiel, eine Äußerung des Grafen in der Diskussion mit Oliver und Flamand sehr bemerkenswert: „Eine Oper ist ein absurdes Ding…Befehle werden singend erteilt, über Politik im Duett verhandelt. Man tanzt um ein Grab, und Dolchstiche werden melodisch verabreicht“.

Tanja Baumgartner: Das ist ein Zitat, das ich sehr liebe, es ist wunderbar. Die Oper ist ein absurdes Ding, wenn man bedenkt wieviel Leute daran beteiligt sind und jeder mit einer ganz eigenen Vision und Vorstellung davon, aber oft funktioniert es am Ende und das Tolle ist dann, dass der das Individuum Teil eines großen Ganzen werden kann, ohne seine /ihre Persönlichkeit zu verlieren.

Adelina Yefimenko: Wie sehen Deine künftigen Pläne aus? Welche neue Partien würdest Du gerne singen und welche nicht?

Tanja Baumgartner: Irgendwann wird bei meiner Stimmlage gefragt, ob ich Isolde singen möchte. Ich habe mir lange überlegt und auch für mich selbst die Partie durchgesungen. Aber das ist sehr anstrengend für meine Stimme. Ich wurde gefragt und ich habe abgesagt. Was immer schön ist, wenn ich meine Wagner und Strauss Partien (Ortrud, Kundry, Venus, Fricka, Erda, Amme, Clairon etc) mit meinen Partien im italienischen Repertoire kombinieren darf, also Santuzza, Eboli, Amneris, Principessa de Bouillon etc. Auch Wagner versuche ich vom belcanto zu kommen und dann dem Wort den Stellenwert zu geben, den er sich vorgestellt hat. Immer gerne singe ich sehr Mahler. Dieses Jahr singe ich die Eröffnungspremiere an der Wienerstaatsoper mit Calixto Bieitos Das klagende Lied. Kindertotenlieder von Gustav Mahler dann später in der Saison: Fricka in Rheingold und Walküre ,Kundry, in Genf mit Stephan Herheim, und Konzerte. Dann kommen neue Partien an der Wiener Staatsoper und in Teatro alla Scala, die ich noch nicht verraten darf aber ich freue mich schon darauf.

Adelina Yefimenko: Danke liebe Tanja Baumgartner für dies sehr umfangreiche Interview.

[1] Walter Werbeck Richard Strauss, Facetten eines neuen Bildes (Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Themen Bd. 98), München 2014, S. 54.

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