München, Münchner Opernfestspiele, DON GIOVANNI – Wolfgang Amadeus Mozart, IOCO

Das alles hat Vladimir Jurowski mit meisterhafter Präzision und Dynamik musikalisch dargestellt. Das Dramatische, Dämonische stand neben dem Nachdenklichen.

München, Münchner Opernfestspiele, DON GIOVANNI – Wolfgang Amadeus Mozart, IOCO
Bayerische Staatsoper Münchenvon Hans-Günter Melchior © Wilfried Hösl

von Hans-Günter Melchior

Also mal ganz unter uns. So wie David Hermann, der die Regie führte, sich das vorzustellen scheint, so harmlos und fast nebenbei ist es nun doch nicht.  Immerhin hat Don Giovanni – eindrucksvoll Konstantin Krimmel –, als er Donna Anna, wie auch immer, missbrauchte, diese über seine Identität getäuscht oder deren Irrtum, bei ihm handele es sich um den Verlobten, zu seinem Handeln benutzt.

Kyle Ketelsen (Leporello) © Geoffroy_Schied

Zugegeben: Ein strafrechtlich immer noch umstrittenes Problem, immerhin aber ein zumindest moralisch äußerst verwerfliches Handeln. Denn Donna Anna –, würdevoll, hoheitlich, ganz die höhere Gesellschaftsschicht repräsentierend, Vera-Lotte Boecker, hätte sich dem Unhold nicht hingegeben, hätte sie ihn nicht mit dem Verlobten Don Ottavio verwechselt. Würdevoll, zögernd, vielleicht sogar feige: Giovanni Sala als vornehmer Liebhaber, der sich nicht so gerne die Hände schmutzig macht, sondern mehr die martialischen Sprüche vorzieht. Freilich wäre gerade an dieser eher „neuralgischen“, sich der Vergewaltigung nähernden Stelle von der Regie her ein wenig mehr als nur schummriges Licht wünschenswert gewesen und nicht eine schwach belichtete Szene, die allein schon von den Lichtverhältnissen her den Verdacht nahelegte, es habe sich um eine zögernd freiwillige Vereinigung gehandelt. War nämlich die Annäherung freiwillig oder zumindest zweideutig (Goethe: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin …“), dann wird das nachfolgende Geschehen zur Farce, die für die weitere Entwicklung des Geschehens entscheidende Gewalt oder der Zwang pure Behauptung, die in den Tatsachen keine Stütze findet. Es geschieht das Ganze ja „nur“ im Halbdunkel (Bühne Jo Schramm). Und Halbdunkel genügt im Regelfall kaum zur Begründung eines Irrtums des Opfers über die Identität des Täters (Anmerkung am Rande: Der Rezensent war mal Strafrichter und hatte sich mit großen Vergewaltigungsfällen herumzuschlagen). 

Konstantin Krimmel (Don Giovanni)© Geoffroy_Schied

Wie dem auch sei: Immerhin waren da ja Geister im Spiel, so eine Art Wiedergänger, ganz in Rot gekleidete Gestalten aus der Unterwelt: Pluto, der Gott der Unterwelt, von Andreas Scarfi und Joa Da Graca Santiago als Proserpina, die Gattin Plutos, sowie von Erica D´Amico und Aurora Bonetti dargestellt. Unruhige Leute, die gleichsam in den Körper des Unholds Don Giovanni hineinflossen und offenbar seinen Charakter unwiderruflich prägten. In der Folge schien Don Giovanni, folgte man der Regie, so eine Art Zwitterwesen zu sein, sein zu müssen, changierend zwischen geheimnisvollem Mann und geheimnisvoller Frau, ohne dass freilich im Verlauf des Geschehens so richtig klar wurde, wo die konkreten Einflüsse dieser Figuren auf den Geschehensablauf festzumachen waren. Immerhin trug Don Giovanni in der Folge wie diese „Geisterfiguren“ Rot, was wohl nahelegen sollte, dass er sowohl unter weiblichem als auch unter teuflisch-männlichemEinfluss stand und handelte. Wenn er auch, im Widerspruch wohl zum Regieeinfall, der ja göttergleiche männliche und weibliche Einflüsse geltend machen wollte, unbeirrt mit seinem halb neurotischen, halb selbstbewusst triebhaften Verhalten fortfuhr wie ein Macho. Sich also nicht gehindert sah, den Frauenhelden wie zuvor weiterzuspielen. Etwa zusammen mit seinem meisterhaften, von Kyle Ketelsen gesungenen und gespielten Leporello seine verwerflichen Spiele mit den Frauen zu treiben. Besonders mit der herausragend singenden und spielenden Donna Elvira Samantha Hankeys, der Leporello ein Ständchen darbot, wobei er sich als Don Giovanni ausgab. Das alles geschah auf relativ karg, modern bis modernistisch ausgestatteter Bühne, gerade, architektonisch einfach gestaltete oder angedeutete Bauten, die das moderne Leben illusionslos hereinholten, geradeso wie wenn das alles sich heute abspielen könnte. Dagegen machten die geisterhaft rot gewandeten, an Märchenhafte gemahnenden, die immer wieder einmal über die Bühne huschten, keinen entscheidenden Einwand aus. So mutete ungeachtet des Textes aus grauer Vorzeit das Geplänkel durchaus modern und nachvollziehbar an. Die quirlige Zerlina der Avery Amereau war ein Genuss, ebenso wie der von Michael Mofidian dargebotene Masetto als gebeutelter und vom Verführer verprügelter Bräutigam einer Braut, die es nicht so genau nahm mit der Treue. Hin und her wogte das Geschehen zwischen der Ermittlungsarbeit und den gelegentlichen Zweifeln an der Täterschaft der Verdächtigen – wer war nun wirklich der Täter, wer hat im Zweikampf Donna Annas Vater, den Komtur, Christof Fischesser (was für ein Bass!), getötet? –, bis schließlich Gewissheit eintrat und das Geschehen („aber wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe …“, W. Busch) auf den Untergang des von keinen moralischen Skrupeln geplagten Don Giovanni hinauslief.

Vera-Lotte Boecker (Donna Anna), Giovanni Sala (Don Ottavio) © Geoffroy_Schied

Gewissermaßen mitten aus dem Leben ereilte ihn der Untergang. Der Tod in der Gestalt des Komturs klopfte an die Tür und holte sich, mithilfe der rot gewandeten Unterweltler, den  Bösewicht. Aus war der Traum von Ausschweifung und lustbetontem Leben. Die Zivilisation forderte ihr Opfer. Er sank immer tiefer ins Rot ab. Das alles hat Vladimir Jurowski mit meisterhafter Präzision und Dynamik musikalisch dargestellt. Das Dramatische, Dämonische stand neben dem Nachdenklichen. Ein Erlebnis für sich. Man schloss gelegentlich die Augen, um genauer hören zu können, die Nuancen zu erfassen. Die Feinheiten zu begreifen, dies, was der Dirigent mit dem Satz meinte, die Musik dieser Oper sei kennzeichnend für „Nuancen des Todes“. Freilich: Wenn man so herum hörte: Es gab welche im Publikum, denen das Orchester zu langsam spielte. Was für ein Fehlurteil. Die Oper ist ein einziger Abgesang auf ein modernes, modernistisches Bürgertum, das seinen eigenen moralisch-ethischen Ansprüchen nicht mehr gewachsen ist. Ein Bürgertum, das die Liebesgier Don Giovannis, fortschreitend in der Haltlosigkeit, statt an die Liebe und sexuelle Befriedigung an das Kapital abgegeben hat. Insofern könnte vielleicht doch noch mit diesen rot gewandeten Unterweltfiguren der Inszenierung ein gewisser Vorbehalt, die Häme bezüglich der einkehrenden Genugtuung über das Ende des Bösewichts eingebaut sein. Eine Art Empfehlung zur Selbstbetrachtung, sind wir nicht alle mehr oder minder, allenfalls noch auf manchmal verschiedene Weise, gierige Don Giovannis geworden? Die Liebe als Paradigma der Gier. Zum Orchester bedarf es keines Lobes mehr. Es ist ein Ensemble der Spitzenklasse. Perfekt. Großer Beifall am Ende.

Vera-Lotte Boecker (Donna Anna), Samantha Hankey (Donna Elvira), Avery Amerau (Zerlina), Kyle Ketelsen (Leporello), Giovanni Sala (Don Ottavio) Michael Mofidian (Masetto) © Geoffroy_Schied

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