München, Kammerspiele, DOPING - Komödie, IOCO

DOPING - Münchner Kammerspiele: Lustig geht es zuweilen zu in diesem Stück DOPING von Nora Abdel-Maksoud, die auch die Regie führt. So lustig, dass man zuweilen den Überblick zu verlieren droht und sich bemühen muss, sich des Kerns des Stückes zu erinnern.

München, Kammerspiele, DOPING - Komödie, IOCO
Münchner Kammerspiele © Gabriela Neeb

 Doping - Komödie in drei Akten von Nora Abdel-Maksoud - „Ich bin eine Ikone der Versehrtheit“

von Hans-Günter Melchior

Lustig geht es zuweilen zu in diesem Stück DOPING von Nora Abdel-Maksoud, die auch die Regie führt. So lustig, dass man zuweilen den Überblick zu verlieren droht und sich bemühen muss, sich des Kerns des Stückes zu erinnern.

Die Sache dreht sich im Grunde um gewichtige Themen und die Autorin ist eine gescheite, sehr kluge Frau, die an verschiedenen neuralgischen Punkten dem Zeitgeist auf den Zahn fühlt.

Digitale Einführung: Doping | youtube Münchner Kammerspiele

Da ist auch noch das rein äußere, akustische Problem. Man muss nämlich übergenau hinhören. Und manchmal nützt selbst dies gar nichts, weil auf der Bühne zu verwaschen artikuliert wird, so ungenau, dass man, obwohl vorne sitzend und gut hörend nicht alles aus dem Wörterüberfluss, dem verwaschen ankommenden Wörtergemisch und Wörterwirrwarr ausdifferenzieren kann. Schade.

Vorschlag eines motivierten Zuhörers / Zuschauers: Nochmal zu feilen an der Artikulation. Auch eine nicht verwaschen und wie nebenher ankommende Pointe kann zünden.

Das im Hören vermittelte Verstehen wäre allerdings unbedingt notwendig. Denn das Stück ist im Grunde eine „ernste“ Komödie. Die Autorin selbst spricht in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung hochwichtige Themen der Gegenwart an, Themen, die sie beim Schreiben des Stückes beschäftigten: Die Verfügbarkeit und Funktionalität des Körpers trotz Krankheit, die Bewertungskriterien von Arbeit, die unbezahlte, ausgebeutete Ressource „Sorgearbeit“.

Die Handlung spielt auf der Promi-Insel Sylt. Der FDP-Politiker (Anspielung auf Lindner?) Lütje Wesel (Vincent Redetzki) führt dort einen Wahlkampf mit den üblichen vollmundigen Parteisprüchen und Heilsversprechen durch. Dabei übernimmt er sich offenbar, als blieben ihm bei einer öffentlichen Versammlung die eigenen Sprüche im Halse stecken, bricht er zusammen und muss in eine Klinik eingeliefert werden.

Er wird von der Entbindungspflegerin Gesine (Eva Bay) und dem ehemaligen Chefarzt Robert alias Dr. Bob (Wiebke Puls) empfangen.

Mit diesen beiden Personen ist die eigentliche Hauptthese des Stücks, die grundlegende und zeitkritische Philosophie verbunden. Der herrschende, tief im Denken eingepflanzte Antrieb des Zeitalters, ist die ökonomische Rationalität. Der Körper ist nur die Funktion dieser Ideologie, notwendiger Bestandteil.

Insofern und insoweit diese Rationalität herrscht, beherrscht sie alle gesellschaftlichen Kräfte und nicht zuletzt den Menschen selbst. So unterjocht am Ende den Menschen, womit er eigentlich herrschen sollte. Ein Grundwiderspruch.

Als lupenreiner Vertreter diese These treten der Parteigenosse und Wirtschaftsboss Ole Hagenfels-Jefsen-Bohn (Stefan Merki) und Jagoda Hagenfels-Jefsen-Bohn (Safak Sengül) auf. Sie schwurbeln die herrschende Theorien von der erforderlichen Effektivität der Wirtschaft, der (korrumpierenden) Kraft des Erfolgs mit den geläufigen Sprüchen unserer Zeit herunter.

Krankheit ist unter dem Blickwinkel dieser These ein funktionaler, der wirtschaftlichen Verfügbarkeit und Kapitalmehrung abträglicher Mangel.

Aber Krankheit ist reparierbar, sie ist, nicht anders als eine ökonomische Schwäche, methodisch behandelbar. Reiner Gegenstand rationaler Verfügbarkeit, eine Art wirtschaftliche Schwäche, die, nicht anders als alle materiellen Mängel, dem Zugriff des Verstandes unterliegt. Und insofern Krankheit der wirtschaftlichen Prosperität abträglich ist, ist sie überdies nicht nur ein individueller, sondern vielmehr ein gesamtgesellschaftlicher Mangel, dessen Beseitigung im allgemeinen Interesse liegt.

Letztlich beherrscht die ökonomische Rationalität auch die gängige Behandlungsmethode. Materielle Mängel, so die die These der Partei- und Wirtschaftsbosse, sind eben reparierbar. Der unbedingte und erforderliche Zugriff auf den Menschen als Wirtschaftskraft, als ökonomischen Faktor schlechthin, erfordert freilich nicht nur die Anwendung rational-materieller Methoden, sondern die Beseitigung der Krankheit schlechthin.

Dieser – übrigens allseits herrschenden – These hält  die Klinikleitung, repräsentiert durch Dr. Bob (Wiebke Puls), die Forderung entgegen, Krankheit zuzulassen. Für Bob ist Krankheit geradezu etwas, was man sich als Mensch leisten darf, eine Art Luxus. Und der Kranke wird in den Heiligenstand einer Ikone erhoben. Eine wunderbare Einsicht. Ist doch der Tod unausweichlich und völliges Versagen der Leistungskraft, eine Krankheit, die sich ein Mensch „leisten“ können darf.

Überdies krankt, so legt das Stück zu Recht nahe, dass die herrschende Theorie der wirtschaftlichen Effektivität, selbst an einem entscheidenden Mangel leidet: der Gerechtigkeitslücke. Denn die Frauenarbeit im Bereich der Kindererziehung und Versorgung wird entgegen dem Postulat Geld gegen Arbeit nicht bezahlt.

Dies alles verpackt das Stück, manchmal bis an die Grenze der Erkennbarkeit, in humoristischen Einlagen, witzigen Hinweisen und syltgemäßen Aktivitäten (Rettungsgürtel an der See u.a.).

Einhelliger Beifall für ein keineswegs leichtgewichtiges Stück.