München, Gärtnerplatztheater, DER TOLLSTE TAG – Johanna Doderer, IOCO

Johanna Doderer und Peter Turrini verwandeln Beaumarchais’ „Der tolle Tag“ in ein radikales Musikdrama über Macht, Demütigung und moralischen Verfall. Josef E. Köpplinger inszeniert am Gärtnerplatztheater ein politisch brisantes Werk mit starkem Ensemble und aufwühlender Musik.

München, Gärtnerplatztheater, DER TOLLSTE TAG – Johanna Doderer, IOCO
Gärtnerplatztheater © Christian POGO Zach

von Daniela Zimmermann

Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Uraufführung am 10. Oktober 2025

Die Oper „Der tollste Tag“, basiert auf dem Text von Beaumarchais, aus dem Jahr 1778, der den Grundstein für eine der berühmtesten Bühnenhandlungen der Musikgeschichte legte. 1786 schufen Lorenzo Da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart daraus das Libretto zu „Le Nozze di Figaro“, eine Oper zwischen Komödie und Gesellschaftskritik.

2025 gestaltete nun Johanna Doderer gemeinsam mit Peter Turrini eine radikale Neubetrachtung.  „Der tollste Tag“, verwandelt das heitere Spiel der Intrigen in ein existenzielles Drama. Was einst in barocker Verkleidung von Freiheit und Liebe erzählte, wird hier zum schonungslosen Psychogramm über Macht, Demütigung und die Grenzen menschlicher Geduld. Josef E. Köpplinger inszeniert diesen Stoff mit klarem politischem Blick. Ihm geht es nicht um eine dekorative Neuinterpretation, sondern um die Aktualität des Themas: die Ausübung und Zurschaustellung von Macht, die Demütigung der Untergebenen, die ohnmächtige Wut der Unterdrückten. In dieser Leseart wird „Der tollste Tag“, zum Spiegel unserer Zeit, und die Parallelen zu den heutigen Machtfiguren, von Putin bis Trump, sind unübersehbar. Köpplinger fängt damit bewusst den Zeitgeist ein. Johanna Doderers moderne, unruhige und oft dissonante Musik spiegelt diese Gegenwart wider.  Während sich bei Mozarts Oper alles in Wohlgefallen auflöst, lassen Doderer und Turrini Spannungen entstehen. Das ist mutig, fordernd, zuweilen großartig und manchmal auch etwas anstrengend „unrund“.

Anna-Katharina Tonauer (Susanne), Paul Clementi (Cherubin) © Markus Tordik

Peter Turrinis Text greift die Figuren aus Beaumarchais' und Mozarts Figaros Hochzeit auf, doch an die Stelle der heiteren Intrige tritt ein bitteres Spiel um Macht und Unterwerfung. Figaro und Susanne stehen kurz vor der Hochzeit. Der Graf will sein „Recht der ersten Nacht“ geltend machen. Daraus entwickelt sich eine Machtdemonstration, die Susanne demütigt und Figaro in ohnmächtige Wut treibt. Er, der Graf, nutzt brutal seine Stellung, um Susanne gefügig zu machen. Die Gräfin, gefangen in der Leere ihrer Ehe, erträgt die Demütigungen ihres Mannes mit stolzer Resignation. Cherubin, der viel verliebte Page, singt nicht. Er hat eine Sprechrolle, weil er noch ein Jugendlicher ist. Cherubins Rolle taumelt zwischen schwärmerischer Liebe und jugendlicher Orientierungslosigkeit.  Der undurchsichtige Bazillus, ein kaltblütiger Intrigant, als Sprachrohr einer Welt, in der nichts mehr aufrichtig ist. Im Mittelpunkt steht das Gerichtsurteil gegen Figaro. Marcelline, nicht mehr ganz jung, die ihm einst Geld geliehen hatte, verlangt nun frech die Rückzahlung und die Einlösung seines Eheversprechens. Figaros Einspruch hat keine Gültigkeit. Der Richter Don Guzman di Stibizia lässt sich bestechen. Das Verfahren ist korrupt, das Urteil gekauft. Auch hier dient die Justiz den Mächtigen, das Urteil ist nicht gerecht, aber bezahlt. Moral,ein leeres Wort. Im Herrenhaus lodert ein fiebriges Klima der Begierde, jeder will jeden, aber niemand liebt, außer Figaro seine Susanne. Der Graf benutzt Sex, um seine Herrschaft zu demonstrieren. Die Gräfin sucht die körperliche Nähe als Ersatz für ihre Demütigung, und selbst Cherubin gerät in diesen Strudel der Lust, und Susanne setzt ihre Reize zur Selbstverteidigung ein. Der Sex ist laut, roh und manchmal komisch, nie beiläufig und am Ende bleibt Ernüchterung. Figaros Empörung über diese Willkür schlägt letztlich in Raserei um. Erniedrigt und ohnmächtig erschlägt er am Ende den Grafen. Der „Tollste Tag“ endet in Blut und Schweigen. Was bleibt, ist die Ernüchterung. Bühne Heiko Pfützner. Er packt Köpplingers Inszenierung auf eine große Drehbühne. Alles wirkt unaufgeräumt, chaotisch. Im Mittelpunkt ein Matratzenlager, ein Ort, an dem Lust, Macht und Erniedrigung ineinanderfließen. Das Durcheinander der Beziehungen,wer mit wem, gegen wen und warum, wird hier bildlich dargestellt. Die Bühne dreht sich, während Moral und Ordnung langsam auseinanderfallen. Bei den Kostümen orientiert sich Birte Wallbaum am Rokoko, aber in moderner, abstrahierter Form. Einfallsreich der Unterrock der Marcelline voller Geld zum Bedienen. Das Ensemble des Gärtnerplatztheaters trägt den Abend mit seinem Können.

Daniel Gutmann (Figaro), Anna-Katharina Tonauer (Susanne) © Markus Tordik

Daniel Gutmann ist ein Figaro von wuchtiger Präsenz, kämpferisch, verletzlich, mit markantem Bariton und großem darstellerischem Format. Anna-Katharina Tonauer als Susanne glänzt mit klarem, ausdrucksstarkem Sopran und einer klugen Mischung aus Witz und Widerstandskraft. Daniel Schliewa präsentiert den selbstherrlichen Grafen Almaviva mit strahlendem Tenor, auch mit einem schneidenden Ton des Machtmenschen. Réka Kristóf verleiht der Gräfin mit edlem Timbre und stiller Würde eine anrührende Tiefe. Juan Carlos Falcón gibt dem Bazillus schneidende Schärfe und Zynismus. Anna Agathonos, Mezzosopran, gestaltet die Marcelline mit pointierter Komik und resoluter Energie, während Timos Sirlantzis als Richter Don Guzman di Stibizia die Korruption in grotesker Überzeichnung verkörpert. Sein sonorer Bass unterstreicht die Korruptheit und die Autorität. In der Sprechrolle mit großem Spieltalent Paul Clementi als Cherubin. Rubén Dubrovsky dirigiert das Orchester des Gärtnerplatztheaters. Er meistert die anspruchsvolle Partitur mit großer Präzision und Einfühlungsvermögen. Dubrovsky führt das Orchester mit klarer Linie, lässt Dissonanzen aufbrechen, ohne die dramatische Klarheit zu verlieren. So wird die Klangwelt zum Spiegel des Stückes, unruhig, fordernd, explosiv. Ein mutig fordernder Abend.  „Der tollsteTag“ ist kein Wohlfühltheater, sondern ein Stück, das aus der Balance geraten ist. So wie die Welt, von der es erzählt. Johanna Doderer, Peter Turrini und Josef E. Köpplinger verwandeln Mozarts Figaro in ein modernes Spiel der Macht. Politisch schmerzhaft aktuell, und gerade deshalb so wichtig.

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