München, Bayerische Staatsoper, DAS RHEINGOLD – Richard Wagner, IOCO

Tobias Kratzer hat die Burg durch einen christlichen Altar ersetzt. Wotan ist indessen alles andere als ein moralisches, gar christliches Vorbild.

München, Bayerische Staatsoper, DAS RHEINGOLD – Richard Wagner, IOCO
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

von Hans-Günter Melchior

Das Rheingold

„Gott ist tot“

Da hat er aber verdammt recht, der Regisseur Tobias Kratzer. Wenn er nämlich dieses Plakat an den linken Rand der Bühne heftet, das den Tod Gottes verkündet.

Es gibt freilich längst einen anderen Gott oder sagen wir: einen gottähnlichen Gottersatz, um niemanden in seinen religiösen und grundgesetzlich geschützten Rechten zu verletzen. Es ist zwar kein so heiliger und unanfechtbar guter wie der religiöse oder genauer: wie dieser gedacht ist, dafür jedoch einer, der nicht minder ergriffen verehrt wird: Den Mammon nämlich, das Geld also und nochmal das Geld. Um dessentwillen Kriege geführt werden, wo an den Gräbern der sogenannten „Gefallenen“ (als wären sie nur mal eben hingefallen und nicht grausam erschossen worden) wieder der andere, der ursprünglich gemeinte Gott, beschworen und um Gnade angefleht wird. Jener Gott, der zumindest jenem unfrommen Mammon, um dessentwillen der mit Gebeten ins Jenseits beförderte Tote sein Leben einbüßte, abhold ist.

Das Rheingold 2024 - Altar © Wilfried Hösl

Genug. Die Mammon-Geschichte, die Wagner – mit berückender, zum Teil überwältigender Musik – ausgestattet hat, ist im Grunde so schnell erzählt, wie sie andererseits so gut wie nie endet. Alberich, ein eher unglücklich gebauter, zwerghafter Typ, will sich, geil, wie er nunmal ist, an die wunderschönen Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde heranmachen. Er blitzt natürlich bei ihnen, die wohl Besseres gewöhnt sind, ab. Daraufhin verzichtet er auf ein Liebesabenteuer (er schwört, wie es heißt, der Liebe ab, „entsagt ihr“) und qualifiziert sich damit zum Erwerber anderer weltlicher Güter, nämlich des Goldes, das auf dem Grund des Rheins gehortet wird. Er klaut das Gold und zieht sich in sein unterirdisches Reich zurück. Mit dem Gold beabsichtigt er, unermessliche Macht zu gewinnen.

Unterdessen hat sich der Gott Wotan von den Riesen Fasolt und Fafner hoch auf einem Berg eine Burg bauen lassen. Als Entgelt hat er ihnen Freia, die Schwester seiner Frau Fricka versprochen. Freia wird von den Riesen als Pfand übernommen. Sie ist für den Anbau der goldenen Äpfel zuständig, deren Genuss den Göttern ewige Jugend verspricht. Seit Freia nicht mehr unter ihnen weilt, altern sie.

Loge, Wotans listiger Berater und Halbgott (was ihn ein wenig exkulpiert, Betrug und Diebstahl sind menschliche Verhaltensweisen), kommt auf die Idee, den Riesen die göttliche Freia abzukaufen: Mit dem Gold, das Alberich in seinem unterirdischen Reich hortet. Der Schmied Mime, Alberichs Bruder, bearbeitet es. Er stellt einen sogenannten Tarnhelm her, mit dem man sich jede gewünschte Gestalt verleihen kann. Ferner hat er aus dem Gold einen Ring (Reif) geschmiedet, der demjenigen, der ihn besitzt, die Macht über die gesamte Welt, insbesondere über die Reichtümer des Erdballs, verschaffen kann.

Loge schlägt Wotan vor, dem Alberich das Gold abzunehmen. Sie suchen Alberich auf, Loge überlistet ihn, indem er ihn veranlasst, sich in eine Kröte zu verwandeln. Diese nehmen Loge und Wotan gefangen.

Das_Rheingold 2024 - Sean Panikkar (Loge), Markus Brück (Alberich) © Wilfried Hösl

Mit dem Gold wollen sich die Riesen, überredet, schließlich zufriedengeben und Freia freilassen. Freia soll mit dem Gold vollkommen zugestellt, also hinter dem Gold verborgen werden. Als noch eine Lücke bleibt, aus der Freias Auge zu sehen ist, muss Wotan auch den Ring opfern, um die Lücke zu füllen. Wotan zögert. Er will vor allem den Ring behalten. Bis die aus dem Erdinneren auftauchende Erda ihm dazu dringend rät, auch auf den Ring zu verzichten. Sie warnt gerade vor der Machtfülle, die der Ring verschafft. Die Riesen Fafner und Fasolt geraten um den neuen Reichtum in Streit. Fafner erschießt den Bruder Fasolt. Die Götter ziehen in die Burg ein.

Tobias Kratzer hat die Burg durch einen christlichen Altar ersetzt. Man kann das mit Spott aufnehmen oder besser: einfach kommentarlos hinnehmen. Wotan (hervorragend Nicholas Brownlee) ist indessen alles andere als ein moralisches, gar christliches Vorbild. Ein unter die bösen, moralisch verkommenen Menschen gefallener Gott. Er nimmt das von Alberich (mitleiderregend gut: Markus Brück) gestohlene Gold dem Dieb Alberich weg und verfügt darüber (strafrechtlich wohl Hehlerei, § 259 StGB, Ansichbringen gestohlenen Gutes). Dabei folgt er dem Rat Loges (brillant Sean Panikkar). Wotan, der dem Gold verfallene Götterchef lügt und betrügt. Er überlistet Alberich nicht um einer göttlichen Wahrheit willen, sondern aus Eigennutz.

(Während Kratzer den Alberich gleichzeitig und nebenbei einmal mehr demütigt, indem er ihn nicht nur fesselt, sondern nackt herumlaufen lässt.  Pinkelt er gar über den Tisch? Das war nicht so genau zu sehen).

Also von einem gütigen Gott keine Spur. Ein Beispiel für Geldgier, politische Taktik und Lüge. Wollte also Kratzer mit dem Altar als Burg-Ersatz etwa zeigen, dass die christliche Moral heutzutage auch nicht mehr das ist, als was sie einmal gedacht war? Dass das wahre „Heilige“ unserer Zeit das Geld (Gold) ist? Und der christliche Altar allenfalls nur noch eine Art Attrappe einer faktisch untergegangenen Welt?

Das Rheingold 2024 - Nicholas Brownlee (Wotan), Ekaterina Gubanova (Fricka), Mirjam Mesak (Freia) © Wilfried Hösl

Einverstanden. Einleuchtend. Da hätte gerade die hervorragende Fricka (Ekaterina Gubanova) noch einmal recht bekommen, wenn sie ihrem Ehemann die Solidarität verweigerte. Und nicht zuletzt die eindrucksvolle, dunkle Erda (der Wiebke Lehmkuhl) mit ihrer Anmahnung der Moral und der Warnung vor den Folgen der Missachtung der Lauterkeit.

Ja – und die Riesen. Täppisch und mit in der Tiefe ruhendem Bass (Fasolt: Matthias Blink, Fafner: Timo Riihonen). Dass der Fasolt den Fafner mit so einer Art Maschinengewehr erledigte, war – na ja – eher so eine Art zwanghafter Modernisierung. Einleuchtender wäre es, dass der Bruder den Bruder erschlug. Die biblische Assoziation braucht es hier dann doch, wenn schon ein Altar dafür herhalten muss, die christliche Verbindung bzw. deren faktische Verleugnung, wenn auch nur im Hintergrund, zu verdeutlichen.

Und dann der Rhein. Wo war der Fluss, von dem doch die Rede ist? Dessen Fluten mit dem musikalischen Anfang assoziiert werden? Kratzers Trockenkurs. Egal. Man hat es auch so verstanden.

Beim engagiert und mit großer Einfühlsamkeit und Routine von Vladimir Jurowski geleiteten Orchester rennt man mit dem Lob ohnehin offene Türen ein. Überhaupt war die musikalische, insbesondere auch die sängerische Darbietung das eigentliche Ereignis des Abends.

Zu Recht deshalb begeisterter und lautstarker Beifall. Wann folgt der gesamte Ring?

Infos und Tickets: Link hier

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