München, Münchner Kammerspiele, Hannah Arendt im Briefwechsel - Lesung, IOCO Kritik, 27.10.2018

München, Münchner Kammerspiele, Hannah Arendt im Briefwechsel - Lesung, IOCO Kritik, 27.10.2018
Münchner Kammerspiele @ Gabriela Neeb
Münchner Kammerspiele @ Gabriela Neeb

Münchner Kammerspiele

Hannah Arendt  - Briefwechsel mit Freundinnen - Eine Lesung

"Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen"

Von Hans-Günter Melchior

Der Intendant der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal steht beim konservativen Publikum unter ziemlichem Beschuss. Der Hauptvorwurf: zu wenig Schauspiel, zuviel Performance, Diskussionen, Konzerte u.dgl.

Münchner Kammerspiele / Maja Beckmann © Tien Nguyen The
Münchner Kammerspiele / Maja Beckmann © Tien Nguyen The

Nun haben die Kammerspiele aber einen Volltreffer gelandet. In der erstaunlich gut besuchten Kammer 1, dem Haupthaus, lasen die Schauspielerinnen Maja Beckmann Annette Paulmann und Julia Riedler, assistiert von Rachel Salamander, die die Konzeption entwarf, aus dem Briefwechsel Hannah Arendts mit ihren Freundinnen Anne Weil, Helen Wolff und Hilde Fränkel.

Leider sind die Briefe Arendts an Anne Weil verschollen, diejenigen von Anne Weil (gelesen von Maja Beckmann) aber erhalten.

Es ist Nachkriegszeit. Allenthalben herrscht noch die Not, insbesondere fehlt es an Luxusgütern wie etwa Kaffee. Hannah Arndt (1906-1975) schickt Pakete an die Freundin aus den USA nach Frankreich, wo Weil in beengtesten Verhältnissen wohnt (ihre Freude: „wie immer 6 Pfund Kaffee“).

Anne Weil, eine Jugendfreundin Arendts, macht keinen Hehl aus der Mangelsituation und bezeichnet die eigenen Briefe ein wenig zerknirscht als „Seelenschmusbriefe“. Dabei sind ihre Schreiben alles andere als Seelenschmus. Sie sind analytisch, genau und unpathetisch. Machen keinen Hehl aus den Feindseligkeiten der französischen Sieger gegenüber den Emigranten. Auch die Furcht vor den Deutschen steckt der Schreiberin noch in den Knochen. Doch „wir fangen schon wieder an, sie zu bewundern.“

Der Briefwechsel mit der Verlegerin Helen Wolff (Rachel Salamander liest ihre Briefe) musste zunächst eine Hürde überwinden: Arendt hatte es abgelehnt, eine Rezension über ein Buch des Verlags zu schreiben.

Münchner Kammerspiele / Annette Paulmann © Tien Nguyen The
Münchner Kammerspiele / Annette Paulmann © Tien Nguyen The

Nach einem klärenden Schreiben Hannah Arendts (gelesen von Annette Paulmann) entschuldigt sich Helen Wolff: „Ich bin beschämt.“ Danach beherrschen Interesse, Alltagssorgen und Zuwendung die Schreiben, wenn auch auf das distanzierende Sie nicht verzichtet wird. Auch ein gemeinsames Buchprojekt wird besprochen. Wolff schreibt, eher beiläufig, über den Ehemann, seine Krankheiten, mit denen er – so ihr ironischer Seitenhieb – seine Sünden abbüßt. Keine seitenlangen Theorien, keine philosophischen und politischen Abhandlungen, eher eingestreute Bemerkungen, das Menschliche, die Sorgen stehen im Vordergrund.

Man ist bewegt. Eine tiefe Verbeugung vor der politisch-philosophischen – großen – Denkerin Arendt ob ihres Feingefühls.

Am offensten, ja schutzlosesten ist der Briefwechsel mit der sterbenskranken (sie hatte Lungenkrebs) Hilde Fränkel aus den Jahren 1949/50, in denen sich Arendt auf einer Reise durch Europa befindet. Die Beziehung ist durch eine sehr innige Freundschaft geprägt, vielleicht, so Arendt an Fränkel, „weil Du keine Intellektuelle bist.“

„Die Männer sind eine ziemlich lästige Bagage…“

Fränkel berichtet von ihrer letzten „erotischen Eroberung“, sie ist enttäuscht über Paul Tillich, der über viele Jahre ihr Geliebter war. Fränkel: „Männer sind eben Bagage“. Darauf Arendt:Ja, die Männer sind eine ziemlich lästige Bagage, nur kommt man ohne sie doch nicht aus. Ist doch wahr.

Hannah Arendt, die Berühmte, Freundin berühmter Männer. Sie berichtet über ihre Besuche bei ihrem ehemaligen Lehrer Martin Heidegger in Freiburg und Karl Jaspers in Basel.

Münchner Kammerspiele / Julia Riedler © Tien Nguyen The
Münchner Kammerspiele / Julia Riedler © Tien Nguyen The

Ach ja, Heidegger, der Holzfäller und Waldbewohner, der sich durchs Dickicht der Existenz dachte. Bei dem Bericht über dessen häusliche Zustände weht kleinbürgerlicher Mief durch die Zeilen, man riecht förmlich die Küchendämpfe. Und man kann sich gut vorstellen, wie sich Heidegger, der große Sinnsucher im Sein, sich ums konkrete und aktuelle Dasein angesichts des problematischen Besuchs sorgte. Da kam immerhin die ehemalige Geliebte aus den Gießener Tagen in sein Haus, wohl argwöhnisch umschlichen von der Ehefrau. Die sich – vielleicht – am Ende in Demut übte, hatte sie doch den großen Philosophen vor langer Zeit mit einem außerehelichen Kind „beschenkt“. Ein Romanstoff mit satirischer Färbung. Ganz entspannt ging es vermutlich nicht zu, Arendt schreibt jedenfalls, der Martin sei herumgelaufen wie ein „begossener Pudel“.

Voller Hochachtung und Ehrerbietung für den Doktorvater Jaspers ist hingegen der Bericht über den Besuch in Basel.

Worte verhallen zu schnell, die stilistischen Einzelheiten, die souveräne sprachliche Behandlung auch des Heiklen. die lockeren Einsprengsel aus dem Französischen oder Englischen –, das alles sind Preziosen, die man zu leicht vergisst, wenn man sie nur hört. Man muss sie lesen. (s. Hannah ArendtWie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen“, Piper Verlag München 2017)

---| IOCO Kritik Münchner Kammespiele |---

Read more

Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert  Musik Festival Radebeul 2025, IOCO

Radebeul, Historischer Güterboden, Abschlusskonzert Musik Festival Radebeul 2025, IOCO

7. September 2025 Junge Musiker spielen Samuel Coleridge-Taylor, William Schinstine und Peter Tschaikowsky Der Veranstaltungsraum des sanierten „Kulturdenkmals Lößnitzgrundbahn“ „Historischer Güterboden“ ist eine 800-Quadratmeter-Halle mit einer Höhe von 4,7 Metern und war im Jahre 1899 für die Güterabfertigung erbaut worden. Die „Schuhschachtel“ bietet etwa 500 Personen Platz, denn an

By Thomas Thielemann
Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

7. September 2025 Zwei junge Frauen rocken das Saisoneröffnungskonzert der Berliner Staatskapelle!   Schon das Auftreten von Patricia Kopatchinskaja und Elim Chan ist fulminant: Kopatchinskaja in leuchtend rotem Seidenmantel, Chan elegant in Schwarz. Patricia Kopatchinskaja, 1977 in Moldawien (damals eine Sowjetrepublik) geboren, heute auch mit österreichischer und Schweizer Staatsbürgerschaft, ist wohl

By Bernd Runge
Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Ulrichshusen, Konzertscheune, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Royal Philharmonic Orchestra, IOCO

Weltstars in Ulrichshusen Daniel Müller-Schott und das Royal Philharmonic Orchestra London Die Hütte voll, die Erwartungen groß! Wollte heißen: Kein Stuhl mehr frei in Ulrichshusens wahrlich großer Konzertscheune bei einem Abend, der jeder Wunschvorstellung entsprochen haben dürfte! Wie auch nicht, wenn sich mit dem Royal Philharmonic Orchestra London das weltweit

By Ekkehard Ochs