Mannheim, OPAL, Oper am Luisenpark, LOHENGRIN – Richard Wagner, IOCO
Roger Vontobel inszeniert Wagners Lohengrin am NTM als düsteres Welttheater zwischen Glauben, Macht und Zerfall. In Roberto Rizzi Brignolis spannungsgeladener musikalischer Leitung entfaltet sich ein visuell betörendes Drama zwischen Licht und Schatten – kraftvoll, modern und berührend.
von Uschi Reifenberg
Keine Schwarz-Weiß-Malerei „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Dieses populäre Hölderlin-Zitat beschreibt in Zeiten größter Not die Sehnsucht der Menschen nach einer Heilsfigur, die Zuversicht und Erlösung bringt, und verweist auch auf die Frage nach dem Geheimnis Gottes. Roger Vontobel thematisiert in seiner spannenden Neuinszenierung des „Lohengrin“ die zeitlosen Bezüge von Wagners Romantischer Oper, verlegt sich auf Polaritäten und zeigt eine schwarz-weiße Welt im Umbruch, den Kampf der Kulturen, der Systeme, Naturzerstörung versus Fortschritt und vergisst auch nicht die private „Lohengrin -Tragödie“: den Wunsch eines Einzelnen nach bedingungsloser Liebe und Hingabe und sein Scheitern am Ende. Eine faszinierende Mischung aus düsterer Mittelaltergeschichte, Fantasy, rätselhaften Videos und geheimnisvoller Märchenerzählung, verknüpft mit einer gekonnten Personenregie. Schwarz und weiß sind die vorherrschenden Farben, es gibt Zwischentöne und Übergänge, denn die gegensätzlichen Welten diffundieren, beeinflussen sich gegenseitig. Immer hell gewandet, die christlichen Eroberer, mit weißen Leuchtschwertern, die unwillkürlich an „Star Wars“ erinnern. Der Heerrufer, mit roter Kreuzbemalung im Gesicht, ähnlich den Templern, ist ein teuflischer Repräsentant der neuen Ordnung, mitstarker Präsenz, immer im Bund mit König Heinrich, der mit rot umrandeten Augen und goldenem Brustpanzer seinen Eroberungsplan zielstrebig ansteuert.
Die unterdrückten Naturvölker, teilweise auf Bäumen sitzend, sind nicht nur farblich mit der Natur verwachsen, sie haben noch konventionelle Schwerter und tragen am Ende weiße Kleidung. Die Kostümbildnerin Martina Leiert hat fantasievolle Gewänder und Frisuren in modischem Styling kreiert, die vor allem dem dunklen Paar Telramund und Ortrud viel Ausdruck verleihen und der heidnischen Sphäre entstammen. Fabian Wendling stellt ins Zentrum seiner Bühne einen gerippeartigen, verzweigten Baum, ähnlich dem Krähenbaum Caspar David Friedrichs, der unheilvolle Schatten wirft und mithilfe einer Drehbühne in ein weißes Holzhäuschen übergeht, das später als Kirche mit Kreuztor und Schlafgemach dient. Beeindruckend die Lichtregie von Florian Arnholdt, ebenso die Videoeinspielungen von Clemens Walter und Jonas Dahl. Die führen in medias res zu den blau-silbernen Klängen des Vorspiels mit seinen vielfach geteilten Streichern, von GMD Roberto Rizzi Brignoli ätherisch und feinnervig heraufbeschworen. Wir erleben die Geburt Lohengrins aus dem Geiste des Unbewussten: aus dem Urquell erhebt sich ein weißer Kopf, dessen Mund sich zu einem stummen Schrei öffnet. Körperteile schwimmen umher, nicht „aus Glanz und Wonne“, sondern aus dem Chaos erwächst ein Mensch, eine Art „Homunkulus“, von Schwanenflügeln geleitet. Diese Menschwerdung in eine „Welt des Hasses“ (Richard Wagner) hinein wird zu einer schmerzhaften Mission mit tragischem Ausgang. Der Heilsbringer Lohengrin wird von Elsa in eine gespaltene Welt gerufen, in der die christlichen Eroberer die Naturvölker auslöschen und zwei verfeindete Frauen die Geschicke des Landes vorantreiben: Die unterdrückte Elsa, aus deren Unbewusstem sich das Wunder eines Retters formiert, um ihre Unschuld zu beweisen und die „wilde Seherin“ Ortrud, für Vontobel das Kraftzentrum der Oper, eine Kämpferin für die alte Ordnung, die Stärke der Natur und gegen die weißen christlichen Unterdrücker. Lohengrin erscheint auf der kriegsbereiten Szene mit den weißen und dunklen Mannen, unspektakulär, kalkweiß, aber mit schwarzem Arm und schwarzem Auge. Er agiert fast wie ferngesteuert, während in einer der grandiosesten Orchester und Chorszenen seine Ankunft gefeiert wird. Dirigent, Chor und Orchester drehen mächtig auf und schaffen mit einer fulminanten Steigerung Überwältigungsmusik Gänsehautmomente pur. Vontobel zeigt - nicht ohne Ironie - einen überforderten Helden, der seinem Erlösungsauftrag nicht gerecht wird und an seinem Liebesanspruch scheitert. Das weiße Holzhäuschen dient im 3. Akt als Brautgemach, nun gleißend angestrahlt, inmitten eine karge Pritsche als Hochzeitsbett. Der Brautchor gerät ein wenig militärisch, kein Wunder, dass zwischen dem Paar keine Stimmung aufkommen will und die Eheleute nicht so recht wissen, was sie miteinander anstellen sollen. Im Hintergrund tauchen immer mal König und Heerrufer heimlich als Voyeure auf.
Lohengrin wirkt verkrampft und scheint froh zu sein, seine ehelichen Pflichten nicht erfüllen zu müssen. Da Elsa die Frage nach seiner Herkunft stellt und er Telramund den Kopf abgeschlagen hat, ist er ohnehin zur Rückkehr verdammt. Im abgründigen 2. Akt entfaltet sich die magische Natur-Welt Ortruds, mit brennendem Feuer und totem Geäst, geheimnisvoll beleuchtet. Hier offenbart sie ihre Verwurzelung, die „geheimsten Künste“, die sie in Gestalt lemurenhafter Dämonen umgeben und ihre Intentionen verstärken. Während des Vorspiels zum 3. Akt mit seinem jubelnden Streichermelos und dem energiegeladenen Blechbläsermotiv, von Rizzi Brignoli mit großer Emphase gestaltet, sieht man im Video übergroß Elsa im Freudentanz, eine bewegende Sichtbarmachung jeglicher Glücksverheißung. Die liegt bald in Trümmern: keine Liebe, kein siegreicher Feldzug, nur das Ende von allen Träumen. Der Held bricht zusammen. „Das allertragischste Gedicht“, (Wagner), lässt zumindest eine schwache Utopie aufscheinen: Der kleine Gottfried, der als Schwanenkind immer wieder präsent war, wird als „Schützer von Brabant“ installiert. König und Heerrufer malen dem gestaltlosen Wesen Augen und Mund. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das NTM ist als eines der wenigen Häuser in der Lage, eine Wagner-Oper in doppelter Besetzung mit hauseigenen Sängern zu stemmen. Gelungene Rollendebüts beweisen einmal mehr die hohe Qualität des NTM mit seiner langen Wagner-Tradition. Christopher Diffey debütierte als edler Schwanenritter und überzeugte mit seinem klangvollen lyrischen Tenor, heldischen Spitzentönen und kluger Einteilung. Er verbindet weiche Kantilenen mit klarer Diktion, emotionaler Intensität und sensibler Phrasierung, wechselnd als ambivalente Figur zwischen heldischer Attitüde und Liebesverlangen. Die Gralserzählung baute er wirkungsvoll auf, spannte mit großer Ruhe den Bogen vom zarten piano zum kraftvollen forte. Kleine Konditionseinbußen am Ende sind allzu verständlich. Eine formidable Leistung und ein verheißungsvolles Debüt. Astrid Kessler ließ sich wegen Indisposition nach dem 1. Akt entschuldigen. Die Sopranistin ist eine ideale Erscheinung als Elsa: mädchenhaft, verletzlich, sie zeigt ihre Entwicklung zur selbstbewusst liebenden Frau und wächst zu wahrhafter Größe. Sie berührte mit innigen Kantilenen, sensibel und mit vollendeter Pianokultur klingt „Euch Lüften“, ihr jugendlicher Sopran bewältigt mühelos die dramatischen Ausbrüche im 3. Akt. Die Mezzosopranistin Julia Faylenbogen gestaltet die dämonische Ortrud mit vielen Facetten und schöpft aus ihren reichen vokalen Mitteln. Ihre Stimme leuchtet in schillernden Farben, obertonreich klingt die Höhe, die tiefe Lage warm und voll. Schmeichelnde Zwischentöne stehen ihr ebenso zu Gebote wie aggressive Attacken. Ihr „Entweihte Götter“ hört man selten so mühelos, immer auf Linie gesungen, nie schrill. Beeindruckend der Spitzenton (Rache), perfekt in die Phrase eingebunden. Mit Charisma und suggestiver Darstellung lotete sie die Psychologie des „fürchterlichen Weibes“ aus und schleudert mit lodernder Intensität dem Gralsritter ihre Flüche von hochdramatischem Format entgegen. Ihr Angetrauter, Friedrich Telramund, ist bei Thomas Berau bestens aufgehoben. Er fügte seinem breiten Wagner-Repertoire mit dieser Rolle ein weiteres Highlight hinzu. Exzellent seine Textverständlichkeit sowie die darstellerische Gestaltungskraft. Stimmstark gibt er mit großformatigen heldischen Passagen seiner verletzten Ehre Nachdruck, ein Opfer der Ränkespiele seiner Frau.
Patrik Zielke überzeugte mit seiner markanten Präsenz, großer vokaler Souveränität und bester Diktion. Frei und wohlklingend ließ er seinen tragfähigen Bass strömen, mühelos und mit königlicher Würde klangen die exponierten hohen und tiefen Töne. Der Heerrufer von Nikola Diskić bestach mit nobler Stimmkultur, bestens fokussiertem Bariton und ausdrucksstarker Darstellung. Weiträumig ausschwingend schickte er seinen kernigen Bariton in den Saal, ein Heer-Rufer im wahrsten Sinn des Wortes. GMD Roberto Rizzi Brignoli, eine Koryphäe im italienischen und französischen Fach, stellte nun auch seine Wagner-Kompetenz unter Beweis und bot mit flüssigen Tempi, opulentem Blech und fein ziselierten Instrumentalpassagen einen lebendigen und spannungsreichen Lohengrin. Der von Alistair Lilley hervorragend einstudierte Chor bewies mit großem Aufgebot Homogenität, Wortverständlichkeit und dynamische Bandbreite. Raphael Wittmer, Dominic Lee, Yuhui Liang und Jonas Boos komplettierten als prächtig singende Edle das ausgezeichnete Ensemble. Viel Applaus und jede Menge glückliche Gesichter.