Mannheim, OPAL, Oper am Luisenpark, IL TRITTICO – Giacomo Puccini, IOCO
Leah Gordon im geblümten Mädchenkleid verleiht der Giorgetta Jugendlichkeit und Frische zwischen all den gestrandeten Figuren.

von Uschi Reifenberg
IL TRITTICO (Das Triptychon)
Operneinakter von Giacomo Puccini (1856-1924)
Il tabarro, Libretto: Giuseppe Adami
Suor Angelica, Libretto: Giovacchino Forzano
Gianni Schicchi, Libretto: Giovacchino Forzano
Drei faszinierende Welten
Das Nationaltheater Mannheim zeigte Puccinis opulenten Operndreiteiler „Il trittico“ nun in einer bejubelten Neuinszenierung und präsentierte an diesem packenden Musiktheaterabend ein Kraftwerk der Emotionen, das mit Puccinis unverwechselbarer Klangsprache bewegende menschliche Schicksale auf die Bühne der OPAL brachte. Der in Mannheim bekannte englische Regisseur Nigel Lowery, verantwortlich auch für Bühnenbild und Kostüme und Mannheims GMD Roberto Rizzi Brignoli, der Puccinis Partitur kongenial zum Klingen brachte, harmonierten bestens und formten jeden Einakter des italienischen Meisterwerks zu einer unverwechselbaren Welt, mal beklemmend düster, spirituell bewegend oder herrlich spaßig. Immer spannend und intensiv, drei Farben („tre tinte“, Puccini), die dem Triptychon in seiner Heterogenität ihren jeweils eigenen Stempel aufdrücken. Das dramaturgisch ungewöhnliche Werk entstand ab 1900, als Puccini auf der Suche nach neuen Musiktheaterformen drei kontrastierende Werke als Einakter konzipierte und den „Dreiklang“ Tragödie „Il tabarro“, (Der Mantel), lyrisches Mysterienstück „Suor Angelica“ (Schwester Angelica) und bissige Komödie „Gianni Schicchi“ zu einer Einheit verband. Puccinis war um die Jahrhundertwende auf dem Höhepunkt seiner Popularität, seine Opern verließen die Sphäre des Elitären und näherten sich der gesellschaftlichen Realität seiner Zeit, die mit aktuellen naturalistischen Themen den Menschen tief in ihre Seelen blickte. Auch zeigte der Frauenversteher Puccini besondere Empathie für seine weiblichen Hauptfiguren und deren Schicksale, die fast immer im Zentrum seiner Musikdramen stehen. In jeder der Kurzopern werden Personen in Grenzsituationen gezeigt, das Thema „Tod“ stellt eine innere Verbindung her, die ewige Sehnsucht nach Liebe, Glück und Hoffnung wird zum Motor der Protagonisten in ihren komplexen existenziellen Auseinandersetzungen. Das „Triptychon“, 1918, am Ende des 1. Weltkriegs in New York uraufgeführt, ist Puccinis letztes vollendetes Werk. Die einzelnen Opern sind zeitlich unterschiedlich verortet:
„Il tabarro“, ein Beziehungs- und Sozialdrama, spielt um 1910 in Paris und schildert als Verismo - Stück im Hafenarbeiter Milieu das Elend der einfachen Leute, das mit einem Mord aus Eifersucht endet. „Suor Angelica“, angesiedelt im 17. Jahrhundert, zeigt das Schicksal einer Frau, die nach der Geburt ihres unehelichen Kindes als Nonne in einem Kloster Zuflucht sucht und nach dem Tod des Kindes nur noch einen Ausweg im Selbstmord sieht. „Gianni Schicchi“, der aus dem 30. Gesang von Dantes „La Divina Commedia“ von 1299 stammt, ist aus dem 8. Höllenkreis entwischt und treibt nun in Puccinis einziger Komödie seine Späße. Er zahlt nach dem Tod des reichen Buoso Donati der gierigen Erbschleicher-Sippschaft heim, was sie verdient, indem er -verkleidet als Donati -die Verwandtschaft um den üppigen Nachlass des Verstorbenen prellt und sich als Alleinerben einsetzt.
Nigel Lowery kleidet „Il tabarro“ in bedrohliche Dunkelheit, man blickt auf eine Hafenskyline, die sich hell und kalt über der dahinfließenden Seine erhebt, in der Mitte der Bühne ein trostloser Kiosk, der den hart Arbeitenden kleine Freuden bietet: Alkohol, Zigaretten, ein verstohlenes Tänzchen; das Leben hält nicht mehr viel bereit für die Abgehängten. Kaum einmal hat die Liebe eine Chance bei Michele, dem alternden, verhärmten Kahn-Besitzer und seiner viel jüngeren Frau Giorgetta. Das gemeinsame Kind ist gestorben, Angst, Misstrauen haben sich in die Seelen eingegraben. Videoprojektionen zeigen riesige Gesichter mit weit aufgerissenen Augen, die das Entsetzen der drei Protagonisten spiegeln. Beklemmend, unter die Haut gehend. Michele, mit grauem Zopf und weitem Kapuzenmantel, ahnt die Affäre von Giorgetta und Luigi, seinem Angestellten. Gestohlene Stunden kurzen Glücks lassen die jungen Liebenden der elenden Realität entfliehen und vage Zukunftshoffnung aufscheinen. „Es ist schwer, glücklich zu sein“ (Giorgetta). Evez Abdulla als Michele hat jede Lebensfreude verloren, gebrochen, müde, schleppt er sich dahin, seinem schönen kernigen Bariton gibt er die düstere Farbe des Einsamen, im Monolog „Nulla! Silenzio“ entfaltete er seine variable Stimme mit großer Ausdruckskraft. Leah Gordon im geblümten Mädchenkleid verleiht der Giorgetta Jugendlichkeit und Frische zwischen all den gestrandeten Figuren. Ihrer Zerrissenheit zwischen Michele und Luigi begegnet sie mit herrlich aufblühenden Sopran, puccinischem Melos und kraftvollen Spitzentönen. Der junge Sung Min Song beeindruckt als wahrhaft Liebender mit großer klarer Tenorstimme, die mühelos und frei in allen Lagen glänzt. Seine Auseinandersetzung mit dem Widersacher Michele endet für ihn glimpflich: als dieser die Affäre entdeckt und Luigi mit dem Ehebruch konfrontiert, ersticht Michele nicht den Rivalen, sondern sich selbst; das tragisch-unausweichliche Ende des Lebensmüden. Als skurriles Paar agierten und sangen hervorragend Marie-Belle Sandis (La Frugola) und Bartosz Urbanowicz (Talpa) sowie Uwe Eikötter (Tinca).
Das „Lyrische Drama“ „Suor Angelica“ gestaltet Nigel Lowery als sakrales Mysterienspiel einer reinen Frauengemeinschaft, in der das Ritualhafte im Vordergrund stehen soll (Nigel Lowery). Vorhänge und kitschige Rosengebinde rahmen den Bühnenausschnitt ein. Zu Beginn necken sich eine junge Nonne und ein junger Mann, der später als Jesusfigur in unterschiedlichen Bildern auftritt. Dann beginnt das Spiel. Vorhänge werden auf- und zugezogen, Partylämpchen aufgespannt, die Frauen tragen alle die gleiche Tracht, es gibt eine kleine Holzbühne in der Mitte, auf der einzelne Szenen wie Genrebilder nachgestellt werden, die zu Tableaus erstarren: Maria Verkündigung, Da Vincis Abendmahl, die Pietà von Michelangelo. Liturgische Requisiten wie Kelch und Hostienschale stehen auf der Bühne, später auch der Heilige Speer, den die Jesusfigur bringt, eine Szene, die stark an den Schluss von Wagners „Parsifal“ erinnert; auch das ritualisierte Klosterleben wird zur Schau gestellt. Leah Gordon war wieder in der weiblichen Hauptrolle zu erleben und brillierte als Schwester Angelica mit einer grandiosen Rollengestaltung; ihre große Szene „Senza Mamma“ wurde zum stimmlichen Zentrum des Abends, aufrührend, leidgeprüft, mit zarten Schattierungen und bewegenden Steigerungen. Der Schmerz um den Verlust ihres unehelichen Kindes wird für sie zur Todesgewissheit, der Wunsch nach Vereinigung im Jenseits lässt den Suizid zu einer inbrünstigen Himmelfahrt werden, in ihrer großen Verklärungsszene wird man auf hochexpressiven Gefühlswogen hinweggetragen. Ihre kaltherzige Verwandte La Zia Principessa erscheint als schwarz verhangene Hexe mit Besen, fegt den Bühnenboden und setzt ihre junge Verwandte unter Druck. Julia Faylenbogen singt sie mit dunklem, voluminösem Alt, textdeutlich und eindringlich. Ganz ausgezeichnet präsentierten sich Seunghee Kho, Marie Belle-Sandis und Gerda Maria Knauer als weitere Nonnen sowie die wunderbar singenden Chordamen.
Nach so viel Drama und Rührung folgt befreiendes Gelächter in der Komödie „Gianni Schicchi“, die Lowery zwischen Commedia dell‘arte, Puppenspiel und Groteske angesiedelt hat. Eine exzellente Personenregie sowie eine große Portion Gesellschaftskritik lassen die kunterbunte Farce zu einem Kaleidoskop menschlicher Abgründe und Schwächen werden, in der die Gags in rasanter Abfolge nur so sprudeln. Was soll man machen, wenn der reiche Verwandte gerade gestorben ist und man mit Schrecken feststellen muss, dass er sein gesamtes Vermögen dem Kloster vermacht hat statt der lieben Verwandtschaft? Man ruft den schlauen Gianni Schicchi an, der bekannt ist für seine undurchsichtigen, aber wirkungsvollen Geschäfte, da man gegen den letzten Willen des Verstorbenen revoltiert. Gianni Schicchi setzt sich kurzerhand in seinen Ferrari und fährt ins schöne Florenz, nicht ohne seinem Luxustöchterchen Lauretta eine SMS zu senden: Ich bin unterwegs. Diese, eine verwöhnte Göre, hat auf ihrer Shopping-Tour diverse Gucci und Versace Artikel erstanden, auch ihren Lover Rinuccio, die neueste Eroberung, will sie unbedingt haben. Das alles wird in einem herrlich ironischen Video eingespielt, während die aufgetakelte, in fantasievollen Kostümen steckende Verwandtschaft im Hause Donatis ihrer entgangenen Erbschaft entgegenfiebert. (Video: Thilo David Heins). Das sind skurrile Typen, die mit ihren kurzen Beinchen synchron wie im Kasperletheater auf Geländern hin und her rutschen („lol“). Das Bühnenbild ist seltsam perspektivisch verschoben: Ein Bett mit Vorhang hängt an der Wand, in dem noch die Leiche Donatis liegt; die wird von der scheinheiligen Verwandtschaft gefleddert, bis nur noch das Skelett übrig ist. „Gieriges Gaunergezücht“ möchte man rufen … Gianni Schicchi, ein italienischer Macho mit schmieriger Frisur, engen kurzen Hosen und kitschigem goldenem Oberteil wird von Bartosz Urbanowicz als charmantes Schlitzohr subtil und erzkomödiantisch verkörpert, mit klangvollem, elastischem Bariton und reicher vokaler Palette, ein Genuss. Ihm zur Seite Seunghee Kho als Lauretta, die mit edlem Sopran die populäre Arie „O mio babbino caro“ vollendet gestaltet, anrührend, mit perfektem Legato und weichen Spitzentönen. Rinuccio, ihr Ehemann in spe, höhensicher, mit sinnlich einschmeichelndem Tenor, Glanz und viel Italianità: Rafael Helbig-Kostka. Vokal und darstellerisch hervorragend: Julia Faylenbogen, Uwe Eikötter, Estelle Kruger, Thomas Jesatko, Sung Ha, Ilya Lapich, Ruth Höde, Thomas Berau sowie der Chor und Extrachor, Leitung: Alistair Lilley.
Den großen Bogen über die stilistisch vielseitigen Opern spannt Maestro GMD Roberto Rizzi Brignoli, der dem Nationaltheater Orchester ein faszinierendes Farbspektrum entlockt, im düster grundierten „Tabarro“ changierend zwischen spätromantischer und impressionistischer Klangsprache, in „Suor Angelica“ zwischen kirchentonartlicher Strenge bis zur Verklärung, die in überschwänglicher Klangpracht aufblüht. Die buffa-Farbe im „Gianni Schicchi“ mit ihren temporeichen Wechseln, der lustvollen Leichtigkeit, farcehaften Überzeichnung, alles Präzise, kontrolliert, bestens ausbalanciert, beeindruckend!
Um mit Gianni Schicchi am Ende zu sprechen: Alle haben sich blendend amüsiert, das Vermögen hat er unbedingt verdient! Riesiger Jubel!